Belastungsabhängiger Unterschenkelschmerz
Breite Differentialdiagnostik bei jugendlicher Unihockeyspielerin

Belastungsabhängiger Unterschenkelschmerz

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2019/4748
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08303
Swiss Med Forum. 2019;19(4748):781-785

Affiliations
a alphaclinic Zürich; b Klinik Hirslanden, Zürich; c Medizinisch Radiologisches Institut Zürich

Publiziert am 20.11.2019

Die Schmerzen einer Unihockeyspielerin treten anterolateral und posterior am Unterschenkel auf, vorhersagbar nach wenigen Minuten Laufen oder anderer Belastung. Sie verschwinden, nachdem die Patientin stoppt oder pausiert.

Fallbeschreibung

Eine 15-jährige Unihockeyspielerin (hoher Leistungs­level) stellt sich aufgrund von belastungsabhängigen Schmerzen im rechten Unterschenkel vor. Sie hat eine normale Entwicklungsgeschichte, ist in gutem Allgemeinzustand und ohne Krankheiten. Sie hat regelmässige Menses seit dem 13. Lebensjahr und nimmt ein orales Kontrazeptivum als einzige Medikation. Sie negiert Alkohl- und Nikotinkonsum. Ihr «Body-Mass-Index» (BMI) ist 21 kg/m2 und somit im Norm­bereich. Die Schmerzen waren vor zwei Jahren spontan aufgetreten und haben schleichend an Intensität zugenommen. Die Patientin hatte zuerst das Training angepasst und mehr Dehnübungen gemacht. Eine Kollegin gab ihr Magnesium. Die Schmerzen hielten trotzdem an und standen zunehmend Training und Freizeitsport im Weg.
Der Schmerz, lokalisiert anterolateral und posterior am Unterschenkel, tritt vorhersagbar nach wenigen Minuten Laufen oder anderer Belastung auf. Er verschwindet, nachdem die Patientin stoppt oder pausiert. Sie beklagt keine Schmerzen bei Ruhe, etwa beim Sitzen in der Schule. Der Schmerzcharakter ist scharf und von hoher Intensität sowie manchmal mit einem Taubheitsgefühl in Fuss und Fusssohle assoziiert. Es gibt keinen Druck- oder Klopfschmerz am Unterschenkel, ebenso keinen Dehnungsschmerz. Der Aspekt beider Unterschenkel ist normal und symmetrisch.

Frage 1: Was ist die wahrscheinlichste Verdachtsdiagnose?


a) Radikulopathie bei Lendenwirbelsäulen (LWS)-Problematik
b) Tiefe Beinvenen-Thrombose
c) Chonisches Kompartmentsyndrom (CECS)
d) Patellakompressionssyndrom
e) Stressfraktur wegen «female athlete traid» respektive ­«relative energy deficiency in sports» (RED-S)
Die Radikulopathie hat eine Dermatomverteilung und einen Dehnungsschmerz (Lasègue). Eine (klinisch symptomatische) tiefe Beinvenen-Thrombose würde eine asymetrische Schwellung (>3 cm Differenz im Seitenumfang) und einen Druckschmerz oder positives Meyer-Zeichen am Unterschenkel zeigen. Ein chronisches Kompartmentsyndrom (CECS) zeigt einen belastungsabhängigen Unterschenkelschmerz, der zwar oft bilateral, aber auch regelmässig einseitig auftritt und mit Ende der Belastung stoppt. Das Patellakompres­sionsyndrom verursacht Beschwerden am ventralen Knie und bei längerem Sitzen mit abgewinkelten Beinen. Eine Stressfraktur ist mit einem Klopfschmerz, Biegeschmerz und axialem Stauchschmerz verbunden. Die «female athlete triad» besteht aus gestörtem Essverhalten, sekundärer Amenorrhoe und Osteoporose.
Anamnestisch ist weiter bekannt, dass wegen Verdachts eines chronischen Kompartmentsyndroms («chronic exertional compartment syndome» [CECS]) und Versagen der konservativen Therapie über sechs Monate vor drei Monaten auswärts die anteriore Loge des Unterschenkel offen gespalten wurde (technisch korrekte Durchführung ohne peri/postoperative Komplikationen), was jedoch keine anhaltende Verbesserung der Situation gebracht hat.

Frage 2: Wie ändert sich durch diese Information Ihre Liste der Differentialdiagnosen?


a) Kompartmentsyndrom ist nun ausgeschlossen
b) Postoperativer Infekt muss bedacht werden
c) Liste bleibt weitgehend gleich
d) Nervenverletzung bei der Kompartmentspaltung muss ausgeschlossen werden
e) (Postopertives) komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) muss ausgeschlossen werden
Beim CECS besteht eine Rezidivgefahr und auch eine relativ hohe Gefahr anhaltender Beschwerden wenn (a) eine unzureichende Kompartmentspaltung durchgeführt oder (b) nur ein Kompartment entlastet wird [3]. Ein postoperativer Infekt, auch mit einem niedervirulenten Keim wie Propionobacterium acnes, ist möglich, würde aber eine Änderung der Symptome bedeuten. Die Verletzung des Nervus fibularis superficialis ist eine mögliche Komplikation des «Release» des anterolateralen Unterschenkel-Kompartments und verursacht Taubheit auf dem Fussrücken, ausser zwischen erster und zweiter Zehe. Das komplexe regionale Schmerzsyndrom, («complex regional pain syndrome [CRPS]) ist eine mögliche Komplikation einer Verletzung oder Operation, vergesellschaftet mit Dystrophie und Atrophie der befallenen Extremität mit Symptomen wie Schwellung, Schmerz, Durchblutungsstörung, Überempfindlichkeit gegenüber Berührungen und Hautveränderungen [6] (Tab. 1).
Tabelle 1: Budapest-Kriterien für das «complex regional pain syndrome» CRPS (nach [6]).
KategorieSymptome
Sensible 
VeränderungenHyperästhesie
Hyperalgesie
Allodynie
Vasomotorische ­VeränderungenTemperaturunterschied der Haut
Farbunterschied der Haut
Sudomotorische ­VeränderungenÖdeme
Veränderung der Perspiration/Hyperhidrose
Motorische/trophische VeränderungenBewegungseinschränkung
Motorische Dysfunktion ­(Schwäche/Tremor/Dystonie)
Trophische Änderungen an Haut/Haaren/Nägeln
CRPS liegt vor, wenn alle zutreffen:
1. Dauerschmerz, disproportional zum Ereignis
2. Mindestens 1 Symptom in 3 Kategorien in der ­Anamnese
3. Mindestens 1 Symptom in mindestens 2 Kategorien in der ­Untersuchung
4. Keine andere Diagnose, die Befunde besser erklärt
Anschliessende Laboruntersuchungen und eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Wirbelsäule zeigen keine Auffälligkeiten. Ein Röntgenbild des Unterschenkels in zwei Ebenen bringt keine Hinweise auf eine Stressfraktur oder andere ossäre Probleme. Die Untersuchung der Wirbelsäule und beider unterer Ex­tremitäten zeigt keine Auffälligkeiten was Kraft, Beweglichkeit und Neurologie betrifft. Die peripheren Pulse sind normal. Am rechten Unterschenkel finden sich gut verheilte Narben nach Fasciotomie, die Kompartments sind weich und nicht druckschmerzhaft.

Frage 3: Wie diagnostizieren Sie ein mögliches chronisches Kompartmentsyndrom (CECS)?


a) Aus der Anamnese
b) Druckschmerzhafte und/oder gespannte Kompartments
c) Kompartmentdruckmessung mit Belastungstest
d) Computertomographie (CT)
e) Ultraschall (mit Gefässdoppler)
Die Ananmese eines CECS hat eine Reihe charakteristischer Warnzeichen, ist aber in Summe zu unspezifisch für eine endgültige Diagnose. Die Kompartments sind in Ruhe weitgehend asymptomatisch. Der Goldstandard ist die Kompartmentdruckmessung im Stresstest mit Schwellenwerten von ≥15 mm Hg, ≥30 mm Hg und ≥20 mm Hg vor, 1 min und 5 min nach einer Belastung. Das CT hat keine Bedeutung in der CECS-Diagnostik. Eine Ultraschalluntersuchung kann ein CECS nicht schlüssig ein- oder ausschliessen.
Die Patientin wurde daher einem Belastungstest mit Messung des Kompartmentdrucks in allen vier Kompartments des Unterschenkels unterzogen. Die Schwellenwerte von ≥15 mm Hg, ≥30 mm Hg und ≥20 mm Hg vor, 1 min und 5 min nach Belastung wurden nicht erreicht.

Frage 4: Was ist keine Differentialdiagnose nach Ausschluss eines CECS?


a) Tibial-Stresssyndrom («shin splints»)
b) Stressfraktur
c) Periphere Nervenkompression
d) Gefässkompression (Arteria poplitea)
e) Alle obigen sind mögliche Differentialdiagnosen
«Shin splints» oder das tibiale Stresssyndrom sind eine häufige Ursache für diffusen Schmerz des Schienbeins mit Schmerzverstärkung durch Beklopfen oder Biegen des Knochens. Eine Stressfraktur verursacht einen ­lokalisierteren Schmerz direkt über der Fraktur, mit Schwellung und Druckschmerz ebenda. Davon zu unterscheiden sind die Stressreaktionen, die als Vorläufer der Stressfraktur zu betrachen sind und sich klinisch mit einer diffuseren Druckdolenz präsentieren. Sie sind gegebenenfalls mittels MRT oder SPECT-CT zu diagnos­tizieren. Periphere Nervenkompressionen betreffen Sensorik und/oder Motorik im Versorgungs­gebiet des betroffenen Nervs, (meist) mit positivem ­Tinel-Zeichen. Eine dynamische Gefässkompression der Popliteal­arterie verursacht belastungsabhängige Schmerzen sehr ähnlich einem CECS, wenngleich mit einer etwas höheren Prävalenz von Dysästhesie oder Anästhesie distal und sollte bei «Versagen» der CECS Therapie ausgeschlossen werden.

Frage 5: Was ist kein valides diagnostisches Instrument zur Abklärung einer möglichen Gefässkompression am Knie?


a) Nativ-MRT
b) Angiographie in Provokationsstellung (mit maximaler Plantar-/Dorsalflexion)
c) Duplexsonographie
d) «Ankle-brachial-index» (ABI)
e) Palpation peripherer Pulse
Das Nativ-MRT kann anatomische Varianten als mögliche Ursachen einer Gefässkompression aufzeigen, aber den Blutfluss im Gefäss nicht direkt qualifizieren. Dies würde mit einer MRT-Angiographie in Provokationsstellung gut gelingen, aber diese muss als solche auch korrekt spezifiert/angemeldet werden. Eine Angiographie in Provokationsstellung kann die Unterbrechung des Blutflusses zeigen. Analog ist auch eine Duplexsonographie möglich. Eine Änderung des «ankle-brachial-index» (ABI) um 30% nach Provokation, ist ein valider Test für eine Kompression der Arteria poplitea. Gleiches gilt für Pulsverlust nach Provokation.
Es wird daher für diese Patientin nach Ausschluss ­eines CECS eine mögliche Gefässkompression in der Kniekehle untersucht. Dafür wird der ABI vor und nach Belastung für beide Seiten gemessen. Während sich auf der linken, asymptomatischen Seite lediglich eine Änderung von 4% (entsprechend der Spanne eines normalen Messfehlers) zeigt, so ist die Änderung im ABI auf der symptomatischen rechten Seite 38%, entsprechend einer Gefässkompression. Als Belastungstest muss die Patientin auf flachem Grund laufen bis die Schmerzen auftreten. Ein MRT des Knies zeigt eine Normvariante der Gastrocnemiusköpfe als Ursache der Kompression der Arteria poplitea (Abb. 1).
Abbildung 1: Magnetresonanztomogramm (MRT) der Patientin, in A ohne und in B mit Beschriftung. In den axialen Schnitten kann man sehr gut den medial liegenden lateralen Gastrocnemiuskopf sehen (rot schraffiert in B). Zwischen diesem und dem Semimembranosus (SM in B) und medialen Kopf (MH in B) wird das Gefässnervenbündel (gelb schraffiert in B) komprimiert.
Die Patientin wird konservativ behandelt mit einem intensivem Dehnungsprogramm des Musculus (M.) gastrocnemius und M. plantaris sowie auch einer angepassten Belastung im Sport. Nach Erreichen eines schmerzfreien Zustandes wird die sportliche Belastung wieder gesteigert. Die Patientin wird über die ­Rezidivgefahr und die mögliche Notwendigkeit einer späteren Operation aufgeklärt.

Diskussion

Belastungsabhängige Unterschenkelschmerzen sind eine häufige Beschwerde bei Sportlerinnen und Sportlern aller Leistungsstufen. Eine prospektive Studie an 63 Patienten zeigte in 49% der Fällen ein CECS als Auslöser, gefolgt von Periostitis (17%) und «shin splints» respektive einem Stressyndrom der Tibia (11%). Die restlichen 23% verteilten sich auf Nervenkompression, Bandscheiben­läsionen mit Wurzelkompression und Tendinitiden. Die Inzidenz einer funktionellen Gefässkompression als Grund von belastungsabhängigen Unterschenkelschmerzen wird mit 1% bis 3% angegeben.
Obwohl das CECS nahezu die Hälfte der Fälle belastungs­abhäniger Unterschenkelschmerzen ausmacht, ist es trotzdem unterdiagnostiziert und wird oft übersehen. Ein Grund dafür ist das Verschwinden der Beschwerden und Befunde in Ruhe. Für die korrekte Diagnose braucht es eine Kompartmentdruckmessung im Be­lastungstest. International anerkannt ist dabei der ­Algorithmus, den Ruhedruck und den Kompartmentdruck eine und fünf Minuten nach Anstrengung zu messen, dies für alle vier Kompartments des Unterschenkels. Wenn dabei Schwellenwerte von ≥15 mm Hg, ≥30 mm Hg und ≥20 mm Hg genutzt werden, zeigt sich eine Fehlerrate (falsch-positiv) von kleiner 5% [1]. Der Belastungstest muss nicht aufwendig gestaltet sein, es genügt, die Patientin oder den Patienten mit subjektiv hoher Intensität Treppen steigen oder über eine Fläche laufen zu lassen. Ein weiterer Grund für die relative Unter­diagnose des CECS ist die Verwechslung mit anderen Ursachen belastungsabhängiger Unterschenkelschmerzen, wie etwa der vaskulären Klaudikation oder einer Neuropathie.
Die Behandlung des CECS ist primär konservativ, aber ein bedeutsamer Anteil der Patienten bedarf eines chirurgischen Eingriffs, zum Beispiel einer endoskopisch unterstützten minimal-invasiven Fasciotomie [2]. Für den vorliegenden Fall ist die Tatsache, dass nur ein Kompartment dekomprimiert wurde, ebenfalls von Bedeutung. Kürzlich veröffentliche Studien haben gezeigt, dass bei selektiver Dekompression anstelle einer Fasciotomie aller Kompartments die Chance eines ­Rezidivs oder residueller Beschwerden viermal höher ist – auch wenn nur in einem Kompartment ein kritischer Druck gemessen wurde [3]. Somit ist das CECS in diesem Fall immer noch eine Differentialdiagnose, trotz vorheriger Fasciotomie.
Bei der Entscheidung für oder gegen eine Fasciotomie im Fall des Versagens der konservativen Therapie ist es wichtig, die Differentialdiagnosen sicher abzugrenzen (Tab. 2). Für Diagnosen wie Stressfrakturen oder tibiale Stresssyndrome kann dies mit hoher Verlässlichkeit durch Untersuchungsbefunde und die Anamnese erfolgen. Bei Nervenkompressionen spiegelt die Verteilung der Beschwerden die Versorgung des Nervs wieder und neurophysiologische Testungen sind hilfreich (cave: mögliche falsch-negative Ergebnisse der Nadel-Elektromyografie [EMG], da der Nervus saphenus rein sensorisch ist).
Tabelle 2: Differentialdiagnosen des belastungsabhängigen Unterschenkelschmerzes.
DifferentialdiagnoseBefund Bestätigung mit
«Chronic exertional 
compartment syndrome» (CECS)Belastungsabhängiger Schmerz, kein Befund in der Ruhe. Dysästhesie/Anästhesie eher selten (4%) Belastungstest mit 
Druckmessung (>15/>30/>20 mm Hg, 
vor/1/5 min nach ­Belastung)
StressfrakturLokalisierter Schmerz der Tibia, verstärkt durch Klopfen oder BiegenRöntgen/Szintigramm/MRT
Tibiales StresssyndromDiffuser Schmerz der Tibia, verstärkt mit OSG-Bewegung gegen WiderstandSzintigramm/MRT
NervenkompressionDysästhesie/Anästhesie im Versorgungsgebiet, ­Tinel Zeichen positivNLG/EMG (cave: falsch ­negatives EMG beim ­sensorischen N. Saphenus)
Bandscheiben/­WurzelkompressionDysästhesie/Anästhesie, Kraftverlust, Rückenschmerz, Provokationstests positiv (SLR, Lasegue)MRT
TendinitisSchmerzen entlang der Sehne, verstärkt nach ­BelastungMRT
GefässkompressionSchmerz, eventuell Kühle, ­Dysästhesie/Anästhesie häufiger als CECS (40%) MRT mit KM-Studie,
Angiographie,
ABI (>30% Reduktion mit Belastung)
Weitere Differentialdiagnosen (vaskuläre Claudicatio/Neuropathie und Ähnliches) in Verbindung mit ­Grund­erkrankungen bedenken!
OSG: Oberes Sprunggelenk, NLG: Nervenleitgeschwindigkeit, EMG: Elektromyographie, SLR: «straight leg raise», KM: Kon­trastmittel
Die Unterscheidung zwischen CECS und einer Gefässkompression in der Kniekehle kann sich schwierig gestalten. Anamnestisch sind sich beide recht ähnlich mit Krämpfen, Schmerzen und Völlegefühl kurz nach Beginn einer sportlichen Aktivität oder Anstrengung der Unterschenkelmuskulatur. Neurologische Beschwerden sind variabel und beiden Diagnosen zu ­eigen, aber Parästhesien der Fusssohle sind bei der Gefässkompression zehnmal häufiger (40% Prävalenz) als beim CECS (4% Prävalenz).
Weitere wichtige Befunde der Gefässkompression, auch «popliteal artery entrapment syndrome» (PAES) ­genannt, sind ein Pulsverlust bei Kniestreckung und Dorsi- oder Plantarflexion im Sprunggelenk und auch eine Reduktion des ABI um mindestens 30% bei gleichem Provokationsmanöver [4]. Die Bedeutung des Gefässstatus für die Differen­tialdiagnose kann jedoch im Konflikt mit der Tendenz von Patienten stehen, eher in der orthopädischen Sprechstunde als beim Angiologen/Gefässchirurgen vorstellig zu werden.
Bildgebende Techniken können strukturelle Probleme aufzeigen, wie eine durch anatomische Norm­varianten bedingte Kompression der Arteria poplitea unter maximaler/forcierter Plantarflexion. Dies ist bei einer anderen Patientin in Abbildung 2 dargestellt. Eine solche Bildgebung ist für die Planung einer Operation sehr hilfreich. Das CECS selber ist schwierig bildgebend nachzuweisen. Anerkannte MRT-Protokolle basieren auf T2-gewichteten Sequenzen zum Nachweis eines ischä­mieinduzierten Muskelödems nach Belastung [5], wobei aktuelle Studien ein Potential von diffusionsgewichteter Bildgebung aufzeigen. Auf den T2-gewichteten Sequenzen kommt es dabei nach Belastung zu ­einer Zunahme der Signalintensität im symptomatischen Kompartment. Die diagnostische Genauigkeit der T2-gewichteten MRT variiert in den wenigen Publikationen von moderat bis sehr gut und kann als Alternative zur invasiven Druckmessung insbesondere bei Patienten mit Kontraindikationen angewandt werden. Zum Ausschluss eines anatomischen und funktionellen «popliteal artery entrapment syndrome» ist zudem eine 4D-kontrastmittelgestützte MR-Angiographie mit der Möglichkeit von multiplanaren Rekonstruktionen der arte­riellen und venösen Phase zu empfehlen, die in ein ungefähr 45-minütiges CECS Protokoll integriert werden kann.
Abbildung 2: Funktionelles popliteales Gefässkompressionssyndrom («entrapment syndrome») bei einer 28-jährigen Patientin mit belastungsabhängigen Unterschenkelschmerzen. Die 4D-MR-Angiographie zeigt (A) eine normale Perfusion der A. poplietea in Ruhe, (B) eine zweifache Stenosierung der A. poplietea rechts (Pfeile) und einen kompletten Abbruch der A. poplietea links (Pfeil) in Provokationsstellung mit maximaler Plantarflexion, sowie (C) eine Hyper­trophie des medialen M. gastrocnemius mit entsprechender poplietaler Enge und Bedrängung der Gefässe (Pfeil) bereits in Ruhe.
Wie das CECS, kann auch das PAES ­primär konservativ behandelt werden, wenngleich eine chirurgische Thera­pie dennoch nötig werden kann. In den meisten Fällen (67%) reicht hier eine ­einfache Gefässdekompression aus. Bei lang ­bestehenden Kompressionen mit resultierenden sekundären Schäden kann aber auch eine Thromboendarterektomie oder eine Gefäss­bypass notwendig werden.
Abschliessend soll betont werden, dass es zurzeit keinen international anerkannten randomisiert kontrollierten und validierten Untersuchungspfad für CECS, PAES und andere Ursachen des belastungsabhängigen Unterschenkelschmerzes gibt. Deswegen ist es wichtig, bei Untersuchung und Behandlung von Patienten mit solchen Beschwerden eine breite Differentialdiagnostik zu betreiben und sich vor Augen zu halten, dass viele Wege nach Rom führen.

Antworten


Frage 1: d. Frage 2: c. Frage 3: c. Frage 4: e. Frage 5: a.
Die Autoren haben hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. P. Vavken
alphaclinic Zürich
Kraftstrasse 29
CH-8044 Zürich
vavken[at]alphaclinic.ch
1 Paik RS, Pepples D, Hutchinson MR. Chronic exertional compartment syndrome. BMJ. 2013;346:f33.
2 Micheli LJ, Solomon R, Solomon J, Plasschaert VF, Mitchell R. Surgical treatment for chronic lower-leg compartment syndrome in young female athletes. Am J Sports Med. 1999;2:197–201.
3 Beck JJ, Tepolt FA, Miller PE, Micheli LJ, Kocher MS. Surgical Treatment of Chronic Exertional Compartment Syndrome in Pediatric Patients. Am J Sports Med. 2016;44(10):2644–50.
4 Gaunder C, McKinney B, Rivera J. Popliteal Artery Entrapment or Chronic Exertional Compartment Syndrome? Case Rep Med. 2017;6981047.
5 Ringler MD, Litwiller DV, Felmlee JP, et-al. MRI accurately detects chronic exertional compartment syndrome: a validation study. Skeletal Radiol. 2013;42(3):385–92.
6 Harden RN, Bruehl S, Perez RS, et al. Validation of proposed diagnostic criteria (the «Budapest criteria») for complex regional pain syndrome. Pain. 2010;150:268–74.