Multiples Myelom

Multiples Myelom

EBM-Flash
Ausgabe
2019/3940
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08309
Swiss Med Forum. 2019;19(3940):659-660

Publiziert am 25.09.2019

Dieser Beitrag ist ein Nachdruck aus der Online-Version der «EbM-Guidelines»:
Evidenzbasierte Medizin für Klinik und Praxis». https://www.ebm-guidelines.ch

Wichtiges in Kürze

Betroffen sind in erster Linie Patienten mittleren und höheren Alters.
Wichtig ist das Erkennen von Komplikationen, die eine rasche Intervention erforderlich machen.
Ein symptomloser Patient braucht normalerweise nicht behandelt werden, symptomatische Patienten brauchen eine Therapie.

Pathologie

Das multiple Myelom ist eine maligne Proliferation reifer B-Zellen (Plasmazellen), die vom selben Klon abstammen. Klonale Plasmazellen produzieren nur eine Art von Immunglobulin (M-Komponente, ein Paraprotein):
– Das Paraprotein kann entweder ein komplettes Immunglobulin (mit Schwer- und Leichtketten) sein oder nur aus Leichtketten zusammengesetzt sein.
– Das häufigste Paraprotein ist IgG kappa/lambda, gefolgt von IgA kappa/lambda und reinem Leichtketten-Paraprotein in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit. IgD kappa/lambda ist selten, und IgM Paraprotein findet sich fast ohne Ausnahme bei Makroglobulinämie Waldenström. Ein IgM-Myelom ist extrem selten.
– In seltenen Fällen kann mehr als ein Para­protein identifiziert werden, und in einigen Fällen (<3%) bleibt der Test auf Paraproteine negativ.

Epidemiologie

– Etwa 4–5 neue Fälle/100 000 Einwohner/Jahr.
– Die Erkrankung betrifft Erwachsene mittleren und höheren Lebensalters. Das durchschnittliche Alter zum Zeitpunkt der Dia­gnosestellung ist 66 Jahre. 10% der Pa­tienten sind jünger als 50 Jahre, und 2% sind jünger als 40 Jahre.
– Kein Unterschied zwischen den Geschlechtern.
– Keine Vererbung, aber in einigen seltenen Fällen können verschiedene maligne B-Zell-Erkrankungen (M. Waldenström, chronisch lymphatische Leukämie [CLL], neben dem Myelom) bei nahen Verwandten häufiger als üblich auftreten.

Ätiologie

Unbekannt. Allerdings können bei vielen Patienten charakteristische genetische Veränderungen in Plasmozytomzellen nachgewiesen werden; in manchen Fällen lassen diese Rückschlüsse auf die Prognose zu.

Diagnostische Kriterien

Beide der folgenden 2 Kriterien müssen zutreffen:
– Zumindest 10% klonale Plasmazellen bei der Knochenmarkspunktion oder durch Biopsie gesicherte extramedulläre Plasmozytom-Manifestation.
– Endorganschäden, die dem Myelom zuordenbar sind (CRAB):
• Hyperkalziämie (C),
• Niereninsuffizienz (Renal: R),
• Anämie (A),
• Osteolytische Läsionen (B – für «bone»).
Monoklonalität wird durch Durchflusszytometrie oder immunhistochemisch nachgewiesen.
Die Diagnose Myelom kann auch dann gestellt werden, wenn zusätzlich zu dem ersten Kriterium mindestens 60% der Plasmazellen im Knochenmark klonale Plasmazellen sind oder wenn im Serum die Ratio freier Leichtketten eindeutig pathologisch (≥100, und die Konzentration der pathologischen freien Leichtketten sollte mindestens 100 mg/l sein) oder wenn im Knochen-MRT eine >5 mm gros­se fokale Veränderung zu finden ist.

Differenzialdiagnosen

«Smoldering» (langsam wachsendes) Myelom:
– im Serum Paraprotein ≥30 g/l und ≥10% Plasmazellen im Knochenmark, aber keine Endorganschädigung;
– im Regelfall regelmässige Kontrollen, keine Therapie.
MGUS (monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz):
– Paraprotein <30 g/l, keine Endorganschädigung;
– Plasmazellen im Knochenmark <10%;
– regelmässige Kontrolle, keine Therapie.
Solitäres Plasmozytom:
– <10% klonale Plasmazellen im Knochenmark, keine weiteren Knochenveränderungen, keine Endorganschädigung.
Makroglobulinämie Waldenström:
– Das Paraprotein ist IgM, das Knochenmark ist von lymphatischen Zellen infiltriert, keine Knochenveränderungen.
Lymphome mit einem Paraprotein.

Klinisches Bild

Häufig:
– Osteolytische Läsionen und Knochenschmerzen;
– Leichte Anämie, Hyperkalziämie, Hyper­urikämie;
– Niereninsuffizienz;
– Plasmozytom in «weichem» Gewebe.
Selten:
– Hyperviskositätssyndrom (insbesondere IgA-Myelom).

Typische Laborbefunde

– erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) (nicht bei Leichtkettenmyelom);
– Paraprotein im Serum und/oder Harn;
– erniedrigter Hämoglobinspiegel, oft auch Leuko- und Thrombozytopenie;
– maligne Plasmazelleninfiltrate im Knochenmark;
– osteolytische Läsionen im Knochenröntgen;
– häufig erhöhte Plasma-Harnsäure- und Kalziumwerte, aber erniedrigte Albuminkonzentration.

Basisuntersuchungen

– Blutbild, Serumkalzium, -kalium, -natrium und -Kreatinin sowie BSG;
– Knochenmarkuntersuchung;
– Serumelektrophorese und Leichtketten im Harn.

Zusätzliche Untersuchungen bei hoher Wahrscheinlichkeit für multiples Myelom

– Röntgen (Schädel, Thorax/Rippen, Wirbelsäule, Schulterblätter, Becken und lange Knochen der Extremitäten);
– Gesamteiweiss, Albumin, Harnsäure und Immunglobuline (IgG, IgA, IgM, manchmal IgD), freie Leichtketten im Serum;
– Paraproteintypisierung durch Immunfixation;
– Die MRT ist sensitiver als eine Röntgenaufnahme, aber nur selten zur Erstunter­suchung indiziert. Die Szintigrafie deckt lytische Herde nicht auf.

Komplikationen mit unmittelbarem Handlungsbedarf

– Sepsis oder Pneumonie (i.v. Breitbandantibiotika);
– Niereninsuffizienz (Dialyse oder Hämofil­tration);
– Hyperkalziämie (Flüssigkeitsersatz, Bisphosphonate, Kortikosteroide);
– Rückenmarkskompression (chirurgische Dekompression, Strahlentherapie?);
– pathologische Frakturen (Analgesie, Stabilisierung);
– Wirbelkompression (orthopädische Behandlung).

Krankheitsverlauf und Prognose

Das Myelom kann als Niedrigrisiko-, Mittel­risiko und Hochrisikoerkrankung auftreten, abhängig unter anderem von Chromosomenveränderungen, der Menge an Paraprotein, der Hämoglobinkonzentration, Nierenschädigung, Konzentration von Kalzium, Albumin und Beta-2-Microglobulin.
Die Risikoklassifikation hat grossen Einfluss auf die Prognose; die mittlere Lebenserwartung schwankt zwischen 2 bis mehr als 10 Jahren. Jedenfalls hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung von Myelompatienten in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt und liegt nun bei 7–8 Jahren.
Die Myelomzellen werden in zunehmendem Masse chemotherapieresistent.
Häufige Komplikationen sind Infektionen, Blutungen und Niereninsuffizienz.

Follow-up und Behandlung

Wenn der Patient asymptomatisch ist, erfolgt üblicherweise keine spezifische Therapie. Symptomatische Patienten werden aktiv behandelt. Bei der Nachuntersuchung sind folgende Faktoren zu berücksichtigen:
– Paraproteinkonzentration (Serum und/oder Harn);
– Blutbild (als Mass für die Knochenmarksinfiltration);
– Allgemeinzustand und Symptome, Infek­tionen und Schmerzen (Knochen);
– osteolytische Läsionen (Röntgen);
– Nierenfunktion, Hyperkalziämie.
Das Follow-up kann bei Patienten mit MGUS beim Hausarzt stattfinden. Zu achten ist auf: Symptome, Allgemeinzustand, bestimmt werden Paraprotein oder das betroffene Immunglobulin.

Medikamentöse Therapie des Myeloms

Eine Reihe neuer Medikamente mit neuen Wirkmechanismen wurden zugelassen und sind neben den traditionellen zytotoxischen Substanzen verfügbar. Dies macht die Therapiewahl komplizierter. Die Planung der Therapie erfolgt durch den Hämatologen.
Für Patienten unter 70 (–75) Jahren ist eine intensive Therapie inklusive autologer Stammzelltransplantation der primäre therapeutische Zugang. Für jüngere Patienten (<50–60 Jahre) mit schlechter Prognose im genetischen Profil kommt auch eine allogene Stammzelltransplantation in Frage.
Die Behandlung des Myeloms enthält fast immer ein Glukokortikoid, plus unterschiedliche Kombinationen der folgenden Substanzen:
– Protease-Inhibitoren (Bortezomib, Carfilzomib);
– zytotoxische Substanzen (Cyclophosphamid, Melphalan, Bendamustin1);
– Immunmodulatoren (Thalidomid2, Lenalidomid, Pomalidomid);
– weitere Substanzen: Panobinostat und mono­klonale Antikörper (Daratumumab, Elotuzumab).

Supportive Therapie

– Aufrechterhaltung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts (Prävention eines Nierenversagens);
– Behandlung der Hyperkalziämie;
– Behandlung von Infektionen;
– Aufrechterhaltung der Mobilität, um Osteoporose und pathologische Knochenbrüche zu verhindern;
– Behandlung von Anämie und Thrombozytopenie, wenn dies erforderlich ist (Ery- oder Thrombozytenkonzentrate, Erythropoietin oder Darbepoetin alfa );
– Schmerztherapie;
– Strahlentherapie bei lokalen Skeletttherden ;
– Bisphosphonate zur Verlangsamung bzw. Verhinderung der Progression des Knochenumbaus und gegen die Hyperkalz­ämie (im Allgemeinen 2 Jahre lang);
– Auf Pneumokokken- und Influenzaimpfung sollte bei Myelompatienten geachtet werden.
– Bei Behandlung mit hohen Steroiddosen Pneumocystis-jirovecii-Prophylaxe (Sulfa­trimethoprim) (Dapsone2 und Pentacarinat®).
– Thromboseprophylaxe entweder mit ASS oder NMH (v.a. bei der Behandlung mit Thalidomid, Lenalidomid und Pomalidomid).