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Das primäre HPV-Screening soll in naher Zukunft den bewährten PAP-Abstrich ersetzen und zu einer weiteren Senkung der Inzidenz- und Mortalitätsrate des Zervixkarzinoms in der Schweiz führen. Doch ist dies realistisch und wie wird sich diese Umstellung auf die Kosten auswirken?
Einleitung
Die Einführung der Gebärmutterhalskrebsvorsorge mittels Papanicolaou(PAP)-Test führte zu einer drastischen Senkung der Inzidenz- und Mortalitätsrate des Zervixkarzinoms [1]. Gemäss der IARC-Statistik (IARC: «International Agency for Research on Cancer») von 2012 weist die Schweiz weltweit eine der tiefsten Inzidenz- (4,2 pro 100 000) und Mortalitätsraten (1,6 pro 100 000) auf. Diese Werte sind mit denen Finnlands vergleichbar, dem Land mit dem ältesten organisierten zervikalen Screening-Programm [2]. Leider versterben jedoch in der Schweiz nach wie vor Frauen an einem Zervixkarzinom, im Zeitraum von 2011–2015 insgesamt 389 Frauen [3]. Es stellt sich daher die Frage, ob die Einführung einer sensitiveren Testmethode die Mortalitätsrate weiter senken könnte.
Screening in der Schweiz
Im Gegensatz zu vielen, zum Beispiel europäischen Staaten in denen organisierte Screening-Programme existieren, erfolgt in der Schweiz die Gebärmutterhalskrebsvorsorge auf opportunistischer Basis, das heisst es liegt in der Eigenverantwortung der Frauen, regelmässig einen PAP-Abstrich durchführen zu lassen. Da Daten zur Durchführung von PAP-Abstrichen nicht systematisch registriert werden, beruhen Zahlen bezüglich Compliance lediglich auf Schätzungen. Gemäss der Gesundheitsbefragung von 2007 (Bundesamt für Statistik, www.bfs.admin.ch) gaben 79,6% der über 20-jährigen Frauen an, mindestens einen PAP-Abstrich gehabt zu haben. Bei einem empfohlenen Screening-Intervall von drei Jahren sollten ca. 33% der Frauen angeben, einen PAP-Test im vorangehenden Jahr durchgeführt zu haben. Weil jedoch 51,4% der 34–44-jährigen und 51,4% der 45–54-jährigen Frauen einen PAP-Abstrich im vorangehenden Jahr angaben, weist dies indirekt auf ein zu häufiges Screening (Overscreening) hin. Da zudem 20% der Frauen noch nie gescreent wurden, besteht gleichzeitig ein Underscreening [4]. Die Nichtteilnahme am zervikalen Screening wurde als einer der grössten Risikofaktoren in der Entwicklung des Zervixkarzinoms identifiziert. In einer deutschen Studie wurden 91% aller invasiven Zervixkarzinome bei Frauen diagnostiziert, die nicht oder unregelmässig am Screening teilgenommen hatten [5]. Doch auch Overscreening muss vermieden werden, da für das Gesundheitswesen unnötige Kosten anfallen, in den USA geschätzte 0,5–1,0 Milliarde pro Jahr [6]. Zudem generiert jedes Screening falsch-positive Resultate, was zu unnötigen Abklärungen und Overtreatment führen kann, Effekte die sich in einer zu häufig gescreenten Bevölkerungsgruppe potenzieren. Overtreatment ist insbesondere bei Patientinnen mit Kinderwunsch wegen der potentiellen negativen Auswirkungen auf spätere Schwangerschaften zu vermeiden [7].
Primäres HPV-Screening versus PAP-Test
In diversen Studien wurde gezeigt, dass der direkte Nachweis von humanen Papillomviren (HPV), zum Beispiel mittels Polymerasekettenreaktion (PCR), in einer ersten Screening-Runde mehr Zervixkarzinome respektive seine Vorstufen (CIN3+) erkennt als die zytologische Untersuchung. Doch diese höhere Sensitivität geht auf Kosten einer im Vergleich zur zytologischen Untersuchung niedrigeren Spezifität und somit einer erhöhten Rate an unnötigen Abklärungen [8]. Bezüglich Sensitivität zeigte eine Metaanalyse von vier grossen europäischen Studien eine um 40% tiefere Inzidenzrate von Zervixkarzinomen bei Frauen, die mittels eines HPV-Tests gescreent wurden, im Vergleich zu mittels PAP-Test untersuchten Frauen [9]. Diese Daten scheinen auf den ersten Blick eindrücklich, doch wird nicht erwähnt, dass bei Studienbeginn die zytologische Untersuchung mehr Karzinome entdeckte als der HPV-Test. Dies weist auf die Problematik der sogenannten HPV-negativen Karzinome hin, bei denen beispielsweise mittels PCR das Virus nicht länger detektiert werden kann, was auf bis zu 10% aller invasiven Karzinome zutrifft [10, 11]. Zudem war in zwei der eingeschlossenen Studien ein im 3-Jahres-Intervall durchgeführter PAP-Test ähnlich effektiv in der Detektion von CIN3+ wie eine im 5-Jahres-Intervall durchgeführte HPV-Untersuchung [12, 13].
Als ein grosser Vorteil eines primären HPV-Screenings wird denn auch die Verlängerung des Screening-Intervalls auf fünf bis zehn Jahre angesehen, während das Screening mittels PAP-Abstrich alle drei Jahre erfolgen sollte. Dieses Vorgehen entspricht den Empfehlungen des «US Preventive Services Task Force Recommendation Statement». Von einer Verkürzung des Screening-Intervalls wird beim primären HPV-Screening abgeraten, da kein substantieller Nutzen zu erwarten ist, sich jedoch die Anzahl der Abklärungen erhöhen wird [14].
Ausblick für die Schweiz
Im Expertenbrief Nr. 50 der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) wird neu bei Frauen ab 30 Jahren ein Screening mittels Zytologie oder primärem HPV-Screening alle drei Jahre empfohlen, mit dem Hinweis, dass das primäre HPV-Screening von den Krankenkassen gegenwärtig nicht übernommen wird [14].
Von Seiten der Schweizerischen Gesellschaft für Zytologie (SGZ) betrachten wir diese Empfehlung kritisch:
1. Sämtliche Studien, die einen Vorteil des primären HPV-Screenings zeigten, wurden in gut organisierten Screening-Programmen durchgeführt, ein Fakt, der sich in den Richtlinien der europäischen Union widerspiegelt, die primäres HPV-Screening nur in organisierten Programmen empfehlen [16]. Sogenannter «Lost-to-Follow-up» von HPV-positiven Frauen wurde beim primären HPV-Screening im opportunistischen System als Problem identifiziert [17].
2. Vor dem Hintergrund eines opportunistischen Screenings mag es logisch erscheinen, das Screening-Intervall auch beim primären HPV-Screening bei drei Jahren zu belassen. Doch ist dieses Vorgehen wie oben ausgeführt wegen vermehrter unnötiger Abklärungen und der Gefahr von Overtreatment nicht ratsam. Zu bedenken ist zudem, dass in der Schweiz Frauen alle drei Jahre auf HPV gescreent werden sollen, die tendenziell bereits eher zu häufig gescreent werden.
3. Nur aufgrund der Verlängerung des Screening-Intervalls auf fünf Jahre wird das primäre HPV-Screening als kosteneffizient angesehen. Belässt man das Screening-Intervall bei drei Jahren, verliert man diesen Vorteil. In der Schweiz kostet ein HPV-Test zurzeit das Zehnfache eines unauffälligen PAP-Tests in der Früherkennung. Es ist offensichtlich, dass das primäre HPV-Screening die Gebärmutterhalskrebsvorsorge deutlich verteuern wird, die zusätzlichen Kosten wegen der erhöhten Abklärungsrate von falsch-positiven Befunden nicht eingerechnet.
4. Ein positiver HPV-Test erlaubt nur eine Aussage über das Vorliegen einer Infektion, sodass jeder positive HPV-Test zwingend mittels einer zytologischen Untersuchung weiter abgeklärt werden muss, deren Resultat das weitere Prozedere festlegt. Rein finanziell wäre ein primäres HPV-Screening für uns Zytopathologen von Vorteil, da beide Untersuchungsverfahren meist von den gleichen Instituten angeboten werden. Wenn man davon ausgeht, dass etwa 10% aller HPV-Tests positiv ausfallen werden und eine zytologische Untersuchung nach sich ziehen, wird sich das Arbeitsvolumen für die Zytopathologen nicht ändern.
5. Da die Nichtteilnahme am Screening den wichtigsten Risikofaktor für die spätere Diagnose eines Zervixkarzinoms darstellt, wird die Einführung des primären HPV-Screenings die Inzidenz- und Mortalitätsrate in der Schweiz kaum beeinflussen, da es gerade beim Zervixkarzinom-Screening schwierig ist, die Personengruppen mit erhöhtem Risiko zu erreichen [18]. Um die Inzidenz des Zervixkarzinoms zu senken, wäre es vorrangig erforderlich, gegenwärtig nicht gescreente Frauen dem Screening zuzuführen. Verfechter des primären HPV-Screenings führen häufig an, dass ein HPV-Test ein «niederschwelliges» Angebot darstelle, da dieser als sogenannter Selbsttest ohne Besuch bei einer Fachperson durchgeführt werden kann [19]. Hierfür ist jedoch zentral, dass die betroffenen Frauen sich bei einem positiven Testergebnis für eine weitere Abklärung in ärztliche Betreuung begeben, was ausserhalb eines organisierten Screening-Programms höchst ungewiss ist.
Abschliessend möchte die SGZ klarstellen, dass sie keine prinzipiellen Einwände gegen ein HPV-basiertes Screening hat, speziell wenn dieses in einem organisierten Screening-Programm stattfindet. Voraussetzung ist, dass das Screening der Zukunft im Vergleich zum aktuellen, hoch erfolgreichen System des opportunistischen Zytologie-basierten Screenings mindestens genauso effizient und kostengünstig ist.
Zusammenfassung
Die Schweiz weist eine der tiefsten Inzidenz- und Mortalitätsraten des Zervixkarzinoms auf. Um die Häufigkeit des Zervixkarzinoms weiter zu senken, wird die Einführung des sogenannten primären HPV-Screenings propagiert, des direkten Nachweises von humanen Papillomaviren zum Beispiel mittels PCR. Diese Methode ist im Vergleich zur zytologischen Untersuchung (PAP-Test) sensitiver, jedoch deutlich weniger spezifisch. Wegen der höheren Sensitivität kann das Screening-Intervall im primären HPV-Screening auf fünf bis zehn Jahre ausgedehnt werden, während ein zytologisches Screening alle drei Jahre durchgeführt werden sollte. Gemäss dem Expertenbrief Nr. 50 der SGGG wird in der Schweiz empfohlen, das teurere primäre HPV-Screening genau wie das günstigere zytologische Screening bei Frauen über 30 Jahren alle drei Jahre durchzuführen. Abgesehen von den erheblichen Mehrkosten kann dieses Vorgehen zu vermehrten unnötigen Abklärungen führen und potenziell zu einem Overtreatment von betroffenen Frauen. Das grösste Risiko für die Entwicklung eines Zervixkarzinoms haben nicht gescreente Frauen. Da diese auch in Zukunft nicht im Screening erfasst sein werden, wird die Häufigkeit des Zervixkarzinoms durch das primäre HPV-Screening nicht wesentlich beeinflusst werden.
SS hat Vortragshonorare von Roche angegeben. Die übrigen Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
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Dr. med. Ines Raineri
Fachärztin für Pathologie und Zytopathologie
Präsidentin Schweizerische Gesellschaft für Zytologie
Institut für Pathologie medica
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