30 Jahre seit der Entdeckung des Mukoviszidose-Gens
Ein zweiter grosser Sprung für die Menschheit

30 Jahre seit der Entdeckung des Mukoviszidose-Gens

Aktuell
Ausgabe
2019/4344
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08396
Swiss Med Forum. 2019;19(4344):707-708

Affiliations
Département de Génétique, Synlab Suisse, Lausanne

Publiziert am 23.10.2019

Nach Jahrzehnten technischer und intellektueller Herausforderungen war die Entdeckung des für Mukoviszidose verantwortlichen CFTR-Gens ein genetischer und medizinischer Durchbruch.

Hintergrund

Die eigentlich als zystische Pankreasfibrose bezeichnete Mukoviszidose («cystic fibrosis» [CF]) wurde im Jahr 1938 [1] erstmals von Dorothy Anderson als klinische Entität beschrieben und rasch als häufigste tödliche genetisch bedingte Erkrankung kaukasischer Kinder anerkannt. In der Schweiz beträgt ihre Inzidenz bei Kindern 1:2350 und 1 von 23 Personen ist ein gesunder Träger der Mutation.
Obgleich die Anzeichen und Symptome bereits gut ­bekannt waren (Pankreasfibrose, intestinale Malabsorption, rezidivierende und potenziell tödliche Lungeninfektionen, salziger Schweiss), wurden die ersten Indizien über die zugrunde liegende Patho­physiologie der Erkrankung erst im Jahr 1982 mit der Entdeckung einer verminderten epithelialen Chlorid­permeabilität gefunden [2, 3]. Endlich bestätigte die medizinische Forschung das alte Sprichwort «Wehe dem Kind, das beim Kuss auf die Stirn salzig schmeckt. Es ist verhext und muss bald sterben».

Die Suche nach dem Gen

So begann die Suche nach dem verantwortlichen Gen, aber wie konnte es gefunden werden? In den 1980er Jahren war das menschliche Genom kaum erforscht und ein für eine menschliche Erkrankung verantwortliches Gen konnte nur mithilfe einer bereits bekannten Proteinsequenz oder eines anderen Indizes entdeckt werden, aus welchem die Lokalisation des Gens auf dem Genom ersichtlich wurde.
Zahlreiche Forscher untersuchten an Mukoviszidose erkrankte Familien in der Hoffnung, im Genom einen Hinweis auf das Gen zu finden. Der erste Schritt erfolgte im Jahr 1985: Lap Chi Tsui [4] entdeckte einen ­genetischen Marker auf dem Chromosom 7, der im ­Zusammenhang mit der Erkrankung von Mensch zu Mensch und über Generationen hinweg weitervererbt wurde. Somit war das Gen mit einer Genauigkeit von ca. 30 000 000 Basenpaaren lokalisiert!
Infolgedessen nahm die Jagd auf das Gen Fahrt auf. Die Gruppe von Williamson in London nutzte die ­konventionelle Technik, um das Chromosom ab dem entsprechenden Marker «entlangzuwandern» und Schritt für Schritt nach einer Sequenz zu suchen, die «das Gen» sein könnte. Auf der anderen Atlantikseite schlossen sich zwei Gruppen zusammen und arbei­teten an einer innovativen Technik, dem «Chromo­somenspringen», durch das die grossen Entfernungen zwischen zwei genetischen Markern sehr viel rascher überwunden werden konnten als beim «Chromo­somenwandern». Die Gruppe von Francis Collins (der später der Leiter des Humangenomprojekts und der Direktor der «National Institutes of Health» [NIH] werden sollte) sprang von Position zu Position und die Gruppe von Tsui in Toronto suchte nach Genen rund um die Marker.

Derweil in der Schweiz

Zu dieser Zeit wurden in den Laboren für medizinische Genetik in der Schweiz bereits Familienanalysen durchgeführt, vor allem um Träger mit einem hohen Risiko für erkrankte Kinder zu identifizieren und pränatale Diagnostikuntersuchungen durchzuführen. Vor der Entdeckung des eigentlichen Gens waren unsere Analysen jedoch mühevoll, mitunter nicht 100% genau und nur einigen Familien vorbehalten.
Ab dem Frühjahr 1989 begann die Spannung in der genetischen Fachwelt zu steigen und im August wussten wir, dass das Gen gefunden worden, seine Veröffentlichung jedoch noch streng geheim war. Endlich wurde das Geheimnis gelüftet: Die Veröffentlichung des Gens würde am 8. September in der Fachzeitschrift Science erfolgen! So standen wir vor der nächsten Herausforderung: Wie an die Ausgabe kommen? Im Jahr 1989 ohne Internet hätten wir warten müssen, bis die Zeitschrift uns im Papierformat per Post zugeschickt würde, eine unfassbar lange Wartezeit! Wir nutzten unseren Joker und riefen Freunde in den USA an, mit der Bitte, uns die Sequenz zu faxen. Endlich bekamen wir die Sequenz und die Artikel. In den darauf folgenden Wochen wurden in der Schweiz sowie auf der ganzen Welt die «Primer» bestellt und wir begannen damit, ­unsere Familien mithilfe der berühmten direkten und präzisen PCR-Technik (Polymerase-Kettenreaktion, die selbst erst weniger als vier Jahre zuvor erfunden worden war) erneut zu analysieren.

Weshalb war alles so neu und bedeutend?

Science, 8. September 1989. Das Chromosomenspringen hatte gewonnen und die Gruppe aus Toronto veröffentlichte drei Beiträge [5–7] über das «Mukoviszidose-Gen». Warum war dies so neu und bedeutend? Es handelte sich schlicht und ergreifend um das erste für eine menschliche Erkrankung verantwortliche Gen, das ­allein mithilfe von Genomanalysen gefunden worden war. Damit war der Weg für 20 Jahre voller Entdeckungen im Bereich der medizinischen Genetik bereitet.
Und das Gen selbst? Seine Sequenz und Struktur entsprachen genau der vermuteten Funktion eines transmembranären Ionenkanals, weshalb es CFTR für «cystic fibrosis transmembrane conductance regulator» genannt wurde. Die wichtigste Entdeckung, die Tsui und Collins bereits im Mai 1989 überzeugt hatte, war das Vorhandensein einer Deletion von drei DNA-Basen auf beiden Kopien des Gens bei vielen Patienten, die zur Folge hat, dass eine von 1480 Aminosäuren des Proteins fehlt. Bei nicht erkrankten Personen waren nie beide Kopien des Gens betroffen. Dabei handelte es sich um die heute als häufigste Ursache der Erkrankung bekannte Mutation mit der Bezeichnung F508del.
Eine sofortige Auswirkung der Entdeckung des CFTR-Gens war die Möglichkeit, Familienanalysen durchzuführen und rasch und zuverlässig Diagnosen zu stellen. Ferner wurden, wie im Jahr 1989 vom Genetiker Peter Goodfellow vorhergesehen, zahlreiche Nebenentdeckungen gemacht und sogar neue Forschungs­gebiete aufgetan: «The implications of this research are profound: there will be large spin offs in basic biology, ­especially in cell physiology, but the largest impact will be medical.»
Es gibt zahlreiche und umfassende positive Auswir­kungen mit neuen Forschungsfeldern, die rund um die Funktionsweise des Proteins, die Aktivität der Ionen­kanäle, ihre Regulation und Pharmakologie entstanden sind sowie der zu Beginn mit grosser Hoffnung eingeschlagene neue Kurs zur Entwicklung einer Gentherapie bei Mukoviszidose. Was könnte einfacher und eleganter sein, als bei einer Person, die aufgrund des Fehlens eines funktionellen Proteins erkrankt ist, die Proteinproduktion wieder anzuregen, indem dieses ersetzt wird?

Ausblick

Bedauerlicherweise war diese Herausforderung sehr viel grösser als erwartet und auch 30 Jahre später ist die Gentherapie nach wie vor eine Hoffnung, die möglicherweise nie in Erfüllung geht. Ein wenig später als erwartet hat die Zeit Goodfellow dennoch Recht gegeben, denn vor Kurzem wurde eine zielgerichtete Pharmakotherapie mit Medikamenten entwickelt, welche die Aktivität des CFTR-Gens bei bestimmten Patienten modulieren und erhöhen können. Dank der Entdeckung des Mukoviszidose-Gens vor 30 Jahren werden allmählich wirksame Therapien entwickelt. Dies ist jedoch eine andere Geschichte …
Der Autor ist Mitarbeiter und Leiter des Genetikdepartements bei SYNLAB Schweiz.
Dr. Michael Morris
Director of Genetics, FAMH Medical Genetics
SYNLAB Switzerland
Department of Genetics
Chemin d’Entre-Bois 21
CH-1018 Lausanne
michael.morris[at]synlab.com
1 Anderson DH. Cystic fibrosis of the pancreas and its relation to celiac disease. Am J Dis Child. 1938;56(2):344–399.
2 Knowles MR, Gatzy JT, Boucher RC. Increased bioelectric potential difference across respiratory epithelia in cystic fibrosis. N Eng J Med. 1981;305:1489–1495.
3 Quinton PM. Chloride impermeability in cystic fibrosis. Nature. 1983;301:421–422.
4 Tsui L, Buchwald M, Barker D, Braman JC, Knowlton R, Schumm JW, et al. Cystic fibrosis locus defined by a genetically linked polymorphic DNA marker. Science. 1985;230:1054–1057.
5 Rommens JM, Iannuzzi MC, Kerem B-S, Alon N, Rozmahel R, Grzelczak Z, et al. Identification of the cystic fibrosis gene: chromosome walking and jumping. Science. 1989;245:1059–1065.
6 Riordan JR, Rommens JM, Kerem B-S, Alon N, Rozmahel R, Grzelczak Z, et al. Identification of the cystic fibrosis gene: cloning and characterization of the complementary DNA. Science. 1989;245:1066–1073.
7 Kerem B-S, Rommens JM, Buchanan JA, Markiewicz D, Cox TK, Chakravarti A, et al. Identification of the cystic fibrosis gene: genetic analysis. Science. 1989;245:1073–1080.