Kurz und bündig
Das «Kurz und bündig» noch aktueller lesen: «online first» unter www.medicalforum.ch

Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2019/4546
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08408
Swiss Med Forum. 2019;19(4546):733-736

Publiziert am 06.11.2019

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Akuter Drehschwindel (Vertigo)

Könnte ein ischämischer Insult vorliegen?
– Sofort abklären bei Dauer von >24 Stunden, zusätzlichen neurologischen Defiziten und kardiovaskulären Risiken (Alter >60, Hypertonie, Diabetes, Rauchen, Adipositas).
Ist es ein benigner paroxysamler Lagerungsnystagmus?
– Hallpike-Dix-Manöver diagnostisch, Epley-Repositionsmanöver therapeutisch*
Kommen andere Ursachen in Frage?
Neuronitis vestibularis: horizontaler Nystagmus immer gleichgerichtet, unabhängig von Position. Therapie: Nausea und Erbrechen symptomatisch, Mobilisierung und Vestibularistraining.
Vestibularis-Migräne: Photophobie, Phonophobie, Vermeidung von Bewegung. Dauer: Minuten bis Tage. Frühere und/oder familiäre Migräne bekannt? Kein Nystagmus und negativer Lagerungstest.
Morbus Menière: ausgeprägter Schwindel, <1 Stunde, begleitet von ­Tinnitus, Hörverlust, «verstopftem» Ohr.
– Weitere differentialdiagnostische Abklärung/Therapie durch HNO-Fachärzte.
*Siehe Videos, z.B. auf www.bmj.com, BMJ 2019, doi.org/10.1136/bmj.l5215.
Verfasst am 04.10.2019.

Praxisrelevant

Chronische Rhinosinusitis
mit Polyposis nasi

Eine chronische Rhinosinusitis kann ohne Polypen (2/3 der Fälle), als allergische Reaktion auf eine Pilz­infestation (bis 10%) oder mit Polyposis nasi (bis zu 25%) auftreten. Letztere Form, Objekt der zwei eben ­publizierten LIBERTY-Studien, ist histologisch charakterisiert durch mononukleäre Zellinfiltrate (sog. TH2-­Lymphozyten) zusammen mit Eosinophilen, die das histologische Bild oft dominieren. Sie kann zusammen mit Asthma auch Folge einer Hypersensitivität auf nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sein. Die therapeutischen Optionen beschränkten sich auf topische Glukokortikoide und chirurgische Interventionen. Die zusätzliche Gabe von Dupilumab* (300 mg subkutan alle zwei Wochen) führte zu einer deutlichen Besserung nach sechs und zwölf Monaten, inklusive einer Abnahme der Zahl und Grösse von Polypen sowie Besserung der wichtigsten klinischen Symptome. Wie bei den anderen, bereits zugelassenen Anwendungsgebieten (allergisches Asthma und atopische Dermatitis) war die subjektive Verträglichkeit von Dupilumab gut, eine Bluteosinophilie – gewissermassen paradox – aber auch hier die häufigste Nebenwirkung. Bei zwei Patienten wurde eine eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (früher Morbus Wegener) beobachtet. Wie bei anderen «biologicals» ist der Preis eine zusätzliche ­Nebenwirkung.
* Dupilumab blockiert den Interleukin-4-Rezeptor und bremst dadurch die bei allergischen Erkrankungen wichtigen Inter­leukine 4 und 13.
Verfasst am 29.09.2019.

Lipoprotein (a) als Biomarker für die ­Progredienz der Aortenstenose

Das Lipoprotein (a) oder Lp(a) transportiert im Wesentlichen oxidierte Phospholipide und wurde in Popula­tions- und genetischen Studien als Risikofaktor für das Auftreten einer Aortenstenose identifiziert. Wahrscheinlich induziert das Lp(a) in den Bindegewebszellen der Aortenklappe die Expression eines osteogenen Phänotyps. Die Prävalenz der schweren Aortenstenose in einer Population von >70-jährigen Menschen liegt bei 3,4% mit lediglich operativem oder Transkatheter-Klappenersatz als therapeutische Optionen. Die lange (20 Jahre und länger) präsymptomatische Phase macht diese Erkrankung aber zum Kandidaten für eine me­dikamentöse Sekundärprophylaxe. Statine haben in­teressanterweise keinen Einfluss auf die Lp(a)-Kon­zentrationen und das Auftreten / die Progression der Aortenstenose. Nun wurde bekannt, dass Patient(inn)en mit Aorten­stenose (Fluss über die Klappe >2–2,5 m/s) in der Tertile der höchsten Lp(a)-Konzentrationen (über 35 mg/dl) eine erhöhte Kalzifizierungsaktivität im Klappenapparat (18F-PET/CT) aufweisen und dass diese Aktivität die Menge des eingebauten Kalziums nach zwei Jahren (Kalzium-Score per CT) voraussagt. Die Patient(inn)en in dieser Gruppe hatten einen signifikant beschleunigten und schwereren Verlauf (Nachbeobachtung bis 5 Jahre). Hohe Lp(a)-Werte sind also mit einem aggressiveren Verlauf assoziiert. Interven­tionsstudien mit Senkung des Lp(a) müssen ­evaluieren, ob sich damit auch der Verlauf der Aortenstenose positiv verändert. Im Moment sind keine Medikamente dazu erhältlich, Experimentell stehen aber sogenannte Antisense-Oligonukleotide zur Verfügung, die das Lp(a) massiv zu senken vermögen.
J Am Coll Cardiol. 2019, doi.org/10.1016/j.jacc.2019.01.070.
Verfasst am 26.09.2019, angeregt durch den Vortrag von Dr. C. Maurer (Kardiologie, KSBL) an den KLIFO Bruderholz 2019.

Migräneprophylaxe durch Hemmung des CGRP: signifikant, aber keine Revolution

Die multizentrische FOCUS-Studie [1] randomisierte plazebokontrolliert je etwa 280 durchschnittlich 45 jährige Patient(inn)en mit chronischer (≥15 Tage pro Monat) und episodischer (<15 Tage pro Monat) Mi­gräne in Gruppen mit monatlicher respektive quartalsmässiger Injektion eines monoklonalen Hemm-Antikörpers (Fremanezumab) gegen das in der Mi­gräneentstehung wichtige «calcitonin gene-related peptide» (CGRP). Die Patient(inn)en (mehr als 80% Frauen) wurden auf der Basis früher unwirksamer ­medikamentöser Prophylaxen mit 2–4 Substanzen ­unterschiedlicher Wirkungsklasse selektioniert. Die Patient(inn)en hatten im Durchschnitt zu Beginn 14 Migränetage pro Monat, die durch das Fremanezumab im Vergleich zu Plazebo um mittlere 3,5 Attacken/Migränetage pro Monat reduziert wurden. Die dreimonatliche war nicht signifikant schlechter als die monatliche Applikation. Somit bleiben aber immer noch zehn Attacken pro Monat. Die Wirksamkeit in dieser Studie war vergleichbar mit den Beobachtungen in anderen Studien, die kurz und bündig bereits be­sprochen worden sind [2–4]. Interessant ist, dass die Studien bezüglich des Plazeboeffektes deutliche Unterschiede zeigen: sehr minim in dieser Untersuchung, gegenüber fast 50% in der Erstpublikation. Dies, die limitierte Wirksamkeit und die Fragmentisierung der etwa 800 Patient(inn)en auf mehr also 100 «Zentren» lassen ein paar Fragezeichen angebracht erscheinen. Migränepatient(inn)en werden je nach Leidensdruck die gut drei Migräne-freien Tage aber vielleicht doch als willkommene und signifikante Verbesserung ansehen.
In der FOCUS-Studie reduzierte sich die Anfallshäufigkeit um durchschnittlich 3,5 Migräneattacken pro Monat (Photo 52145780 © Katarzyna Bialasiewicz | Dreamstime.com).
2 Swiss Med Forum 2018, doi.org/10.4414/smf.2018.03186.
3 N Engl J Med. 2017, doi.org/10.1056/NEJMoa1709038.
4 N Engl J Med 2017, doi.org/10.1056/NEJMoa1705848.

Soziale Dysfunktion nach Trauma

Vielleicht hätte man diese Arbeit über 805 Patient(inn)en nach physischem Trauma (der Grossteil nach Stürzen oder Verkehrsunfällen) nicht in dieser Zeitschrift vermutet. Nach solchen Traumata entwickelten 45% der durchschnittlich etwa 55-jährigen Betroffenen eine sogenannte soziale Dysfunktion, definiert als – im ­Vergleich zum Status quo ante – eingeschränkte Kontakte/Interaktionen mit Familie, Freunden und Berufs­kollegen. Die soziale Dysfunktion wurde abgeschätzt und zwei Jahre nachverfolgt unter anderem mit dem Social-Function(SF)-12-Score [1]. Risikofaktoren für die Entwicklung einer solchen Dysfunktion waren jüngeres Alter, tieferes Schulniveau, längere Hospitalisationen und während diesen Notwendigkeit einer assistierten Ventilation. Die Analyse sagte auch eine längere Arbeitsunfähigkeit, ein erhöhtes Mass an körperlichen Restbeschwerden und die Häufigkeit einer posttraumatischen Belastungs­störung voraus [2].
1 J Health Serv Res Policy. 1997, doi.org/10.1177/135581969700200105.
Verfasst am 28.09.2019.

Neues aus der Biologie

RNA-Profile aus einem Tröpfchen Blut

Aus einem Tropfen Patientenblut (Fingerkuppe, Volumen lediglich 5–7 μl) gelang es Forschern in Stanford, ein ausgedehntes Profil extrazellulärer RNA mit Sequenzierung sowohl intakter als auch fragmentierter Moleküle herzustellen. Die Analyse sagte das Geschlecht und das ungefähre Alter voraus. Auch ohne Analyse der differentiellen RNA-Expression gelang es, die überwiegende Mehrzahl von Krebsarten und auch deren Remissionen und Rückfälle verblindet zu identifizieren. Werden in Zukunft Patient(inn)en von zuhause aus ihre Krankheiten diagnostizieren und monitorisieren?
Proc Natl Acad Sci U S A. 2019, doi.org/10.1073/pnas.1908252116.
Verfasst am 28.09.2019.

«Stress» verschlechtert die Immun­überwachung von Tumoren

Vom seelischen Stress, wie auch immer definiert und analysiert, wird seit Langem vermutet, dass er die Prognose maligner Erkrankungen und die krebsbedingte Mortalität negativ beeinflusst. Die durch Stress erhöhte Cortisolsekretion induziert in dendritischen Zellen (antigenpräsentierende Zellen z.B. im und um das Tumorgewebe) ein Gen, dessen Proteinprodukt (Tsc22c3) die Interferonproduktion und die Interferon-γ-induzierte T-Zell-Aktivierung hemmt. Weiter wurde eine enge Assoziation zwischen erhöhten Glukokortikoidspiegeln, der Expression dieses Gens in Leuko­zyten und dem schlechten psychischen Zustand von Patient(inn)en gefunden. In einem Mausmodell vermochte ein Glukokortikoid-Rezeptorantagonist und eine Ausschaltung des Gens die immunologische Antitumor-Aktivität wiederherzustellen.
Verfasst am 29.09.2019.

Immer noch lesenswert

Einführung der Computertomographie 
dank der Beatles

Im Verlauf der späten 70er Jahre wurden auch in den Schweizer Universitätsspitälern die ersten nach der Herstellerfirma in der Umgangssprache «EMI Scans» (siehe Abbildung) genannten Computertomographen eingeführt. Trotz ihrer damals hohen Strahlenbelastung wurde die neue, revolutionäre Bildgebung sofort akzeptiert, wenn auch in den ersten Jahren die Indikation (in peripheren Spitälern mussten Patient[inn]en für teures Geld in die Zentren gefahren werden) ganz klar noch sogenannte Chefsache war … Als Erfinder der klinisch anwendbaren Computertomographie gilt der Engländer Godfrey N. Hounsfield, der vor 40 Jahren – 1979 – zusammen mit Allen Cormack den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie zugesprochen erhielt. Dank der Schallplatteneinnahmen durch die bei EMI unter Vertrag stehenden Beatles war der «cash flow» dieser Firma so komfortabel, dass – neben anderen – Hounsfield sein Forschungsgebiet frei wählen und ­weiterentwickeln durfte! Ein instruktiver Abriss der klinischen Entwicklung dieser Bildgebung, der wir und die Patient(inn)en so viel zu verdanken haben, findet sich in der Referenz. Hounsfield arbeitete nach seiner Pensionierung bei EMI als Freiwilliger in einem Spital seines Wohnortes. Die noch heute gebräuchliche Hounsfield-Skala quantifiziert die Absorption der Röntgenstrahlen in Grautonstufen und kann damit eine Ge­webezuordnung (z.B. intakt, ödematös, infarziert etc.) vornehmen.
0Prototyp des ersten klinisch verwendeten Computertomographen (Originalfoto von Philip Cosson [Public domain], via Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Emi1010.jpg ).
J Comput Assist Tomogr. 1980, doi.org/10.1097/00004728-198010000-00017.
Verfasst am 30.09.2019.

Auch noch aufgefallen

Spermiogenese, Infertilität und ­Prostatakarzinom

Oligospermie und Prostatakarzinom sind androgen-abhängige Zustände. Basierend auf der mehrfachen, aber nicht überall bestätigten Beobachtung, dass verminderte Anzahl (Oligozoospermie) und eingeschränkte Qualität der Spermien (Asthenozoospermie) zu einer erhöhten Prostatakrebsrate führen könnten, wurde eine schwedische Kohorte von Männern untersucht, die zwischen 1994 und 2014 Väter geworden waren. 1 146 000 Väter mit natürlicher Zeugung wurden knapp 21 000 Vätern nach In-vitro-Fertilisation und knapp 15 000 Vätern nach intrazytoplasmatischer Spermieninjektion gegenübergestellt. Das Risiko eines Prostatakarzinoms erhöhte sich um etwa 50%, bei Erstdiagnose unter 55 Lebensjahren war das Risiko aber ungefähr verdoppelt. Die Risikoerhöhung fiel nach der intrazytoplasmatischen Injektion ausgeprägter aus als nach In-vitro-Fertilisation. Die Autoren argumentieren, dass die Resultate nicht durch eine erhöhte Verschreiberate von Androgenen oder verbesserte Nachsorge erklärbar seien.
Verfasst am 29.09.2019.

Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2 und ­Pankreaskarzinom

Weltweit nimmt das Adenokarzinom des Pankreas parallel zur Zunahme von Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 zu. Eine Diät-induzierte Hyperinsulinämie erhöhte bei Mäusen das Auftreten von intraepithelialen Neoplasien des Pankreas (eine prämaligne Veränderung) und konnte durch genetische Verhinderung der Hyperinsulinämie verhindert werden. Die Neoplasien traten als Folge der Hyperinsulinämie und nicht einer allfälligen Hyperglykämie auf, eine In-vivo-Bestätigung der Insulin-Krebs-Hypothese. Adäquate Diätumstellungen, körperliche Aktivität, Kontrolle von chronischen Entzündungsprozessen und Metformin, alles Interventionen zur Limitierung einer chronischen Hyperinsulinämie, könnten die Zunahme des Pan­kreaskarzinom bremsen oder vermindern. Die Studie wird wegen ihres etwas kurzfristigen und einmaligen Endpunktes (intraepitheliale Neoplasie) kritisiert, der Effekt einer andauernden Suppression der Hyperinsulinämie auf die Häufigkeit ausgewachsener Pankreaskarzinome bleibt demnach zu untersuchen.
Verfasst am 30.09.2019.

Wussten Sie?

Wie kommt es zu schaumigem Urin?

Bei unsachgemässem Einfüllen von (allenfalls noch schlecht gekühltem) Bier kann es zu überbordender Schaumbildung kommen. Der Grund dafür und die Beobachtung, dass auch bei normaler Technik Schaum entsteht, ist der Anwesenheit einer ambiphilen Sub­stanz (d.h. mit hydrophilen und hydrophoben Molekülanteilen), dem Lipidtransportprotein 1, aus der Gerste zu verdanken. In der metabolomischen Datenbasis des Menschen figurieren 88 ambiphile Substanzen, die sezerniert werden, 16 davon im Sinne eines Normalbefundes in den Urin. 15 der 16 Substanzen sind primäre oder sekundäre Gallesalze mit verseifender Wirkung, eine ist ein Fettsäureester. Dies erklärt, warum Menschen auch ohne Proteinurie Schaum im Urin beobachten können. Dieser löst sich typischerweise aber schnell auf. Bei Albuminurie/Proteinurie sind die Proteine ambiphil und wirken wie ein «Surfactant», was zur Bildung Luft enthaltender Blasen führen kann. Der Schilderung einer eindrücklichen Schaumbildung durch die Patient(inn)en sollte eine diagnostische Klärung folgen, auch wenn man selbst bei aus­geprägter und aufsteigender Schaumbildung nur in einem Drittel der Fälle eine Proteinurie bestätigen kann. Falls der Nachweis von Eiweiss negativ ausfällt, sollte man an eine Ausscheidung leichter Ketten (Plasmazellneoplasien) oder eine Aminoazidurie (Fanconi-Syndrom, Dent’s Disease) denken. Nicht zu vergessen ist, dass erhöhte Ausscheidung von Gallesäuren (Cholorese) auch zu verstärkter Schaumbildung führt (cholestatischer Ikterus, bakterielle Überwucherung eines Darmabschnittes und übertriebene Anwendung von Laxativa).
Ambiphile Substanzen im Urin führen zu Schaumbildung – dies muss nicht immer ein pathologischer Befund sein 
(Photo 76721256 © Pongmoji | Dreamstime.com).
Clin J Am Soc Nephrol. 2019, doi.org/10.2215/CJN.06840619.
Verfasst am 02.10.2019.