Dieses Fieber liegt uns am Herzen
Unklarer Entzündungszustand

Dieses Fieber liegt uns am Herzen

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08416
Swiss Med Forum. 2019;19(5152):836-838

Affiliations
a Klinik für Innere Medizin Triemli, Departement Innere Medizin Stadtspital Waid und Triemli, Zürich
b Abteilung für Infektiologie, Departement Innere Medizin Stadtspital Waid und Triemli, Zürich

Publiziert am 18.12.2019

Eine 65-jährige Philippinin, wohnhaft in der Schweiz, wurde uns bei unklarem Entzündungszustand mit Fieber, Halsschmerzen, Myalgien im Schulter- und Beckenbereich und Schmerzen in beiden Knien zugewiesen.

Fallbericht

Anamnese

Eine 65-jährige Philippinin, seit 1994 in der Schweiz wohnhaft, wurde uns bei unklarem Entzündungszustand mit Fieber, Halsschmerzen, Myalgien im Schulter- und Beckenbereich und seit zirka einer Woche zunehmenden Schmerzen in beiden Knien zugewiesen. Der Symptombeginn fiel mit dem Ende einer zweiwöchigen Israelreise zusammen. Die persönliche Anamnese war bis auf eine unbehandelte arterielle Hypertonie unauffällig. Insbesondere wurden keine Gelenkschmerzen, Hautausschläge oder unklare Fieberepisoden berichtet.

Status

Bei Eintritt war die Patientin febril (39 °C) und hypoton (minimal 76/42 mm Hg); Herzfrequenz (64/min) und Atemfrequenz (12/min) waren normal. Klinisch zeigte sich ein 3/6-Systolikum mit Punctum maximum über Erb. Die schmerzhaften Gelenke wiesen keine Rötung oder Überwärmung auf.

Befunde

In der Blutentnahme zeigten sich deutlich erhöhte Entzündungswerte (CRP 234 mg/l [<5,0 mg/l], Leukozyten 14,4 G/l [3,6–10,5 G/l], BSR >140 mm/h [<20 mm/h]). Im Elektrokardiogramm (EKG) wurde ein transienter AV-Block-Grad-I dokumentiert. Eine Computertomographie von Thorax und Abdomen ergab keine Hinweise auf einen Infektfokus. Echokardiographisch bestanden eine normale systolische und diastolische Funktion des linken Ventrikels ohne Hinweise auf Klappenvitien oder einen Perikarderguss.
Aufgrund der Expositionsanamnese, der Herkunft der Patientin und des akuten Beginns ohne eindeutig lokalisierbare Symptome erfolgte eine ausgedehnte Erregerdiagnostik (unter anderem Hepatitis, Malaria, Leishmaniose), die vollständig negativ ausfiel. Auch konnten eine Epstein-Barr-Virus(EBV)- oder Zytomegalie-Virus(CMV)-Infektion serologisch ausgeschlossen werden. Für andere Viruserkrankungen wie Parvo­virus B19 oder Chikungunya bestanden klinisch keine Anhaltspunkte. In den Blut- und Urinkulturen wurde zu keinem Zeitpunkt ein bakterielles Wachstum nachgewiesen. Ein Gruppe-A-Streptokokken(GAS)-Schnelltest, abgenommen nach Beginn einer empirischen Antibiotikatherapie mit Amoxicillin/Clavulansäure (Co-Amoxicillin intravenös 1,2 g 3×/d), war negativ.
Im Verlauf kam es zu einer bilateralen Gonarthritis und wandernden Gelenkschmerzen, insbesondere an den Ellbogen. Die Kniegelenkpunktion ergab einen sterilen Erguss mit polynukleärer Pleozytose (Zellzahl 15 250/μl [50–200/μl], 88,5% PMN). Eine «polymerase chain reaction»(PCR)-Unter­suchung auf Chlamydien, Gonokokken und Tropheryma whipplei war negativ, Kristalle wurden nicht nachgewiesen. Serologisch bestanden keine Hinweise auf eine Erkrankung aus dem rheumatologischen Formenkreis.
Bei im Verlauf zunehmenden klinischen Herzinsuffi­zienzzeichen ergab die echokardiographische Verlaufskontrolle neu eine mittelschwere Mitralklappeninsuffizienz und eine leichte Aortenklappeninsuffizienz.

Diagnose

Aufgrund der Trias Entzündungszustand, Polyarthritis und echokardiographisch neu dokumentiertem Mi­tralvitium postulierten wir ein rheumatisches Fieber. Gut vereinbar damit fand sich ein deutlich erhöhter Anti-Streptolysin-O(ASO)-Titer von >1600 U/ml (<200 U/ml). Gemäss den Jones-Kriterien [1] waren zwei Major- und zwei Minor-Kriterien erfüllt, zwei weitere Minor-Kriterien (Polyarthralgien, AV-Block) wurden aufgrund ihrer Duplizität nicht gezählt. Eine Chorea minor, ein Erythema marginatum oder Noduli rheumatica lagen als weitere Major-Kriterien nicht vor.

Therapie und Verlauf

Auf die Therapie mit nicht-steroidalen Antirheumatika (Ibuprofen 400 mg 3×/d) gingen Fieber, Entzündungswerte und Gelenkbeschwerden rasch zurück. Nach sechs Wochen konnte die entzündungshemmende Therapie ausgeschlichen werden, ohne dass es zu einem erneuten Aufflammen der Symptomatik kam. Der ASO-Titer sank nach rund sechs Monaten auf 540 U/ml. Die GAS-Eradikation konnte mittels negativer Rachenkultur bestätigt werden und eine Sekundärprophylaxe mit Penicillin V (Ospen®) 500 000 E zweimal täglich wurde aufgenommen. In der Verlaufsechokardiographie nach vier Monaten war die Mitral­klappeninsuffi­zienz auf ein leichtes Ausmass zurückgegangen, die leichtgradige Aortenklappeninsuffizienz blieb stabil. In den weiteren Verlaufskontrollen blieb die Patientin bisher (>12 Monate nach Akuterkrankung) asympto­matisch.

Diskussion

Das akute rheumatische Fieber (ARF) ist eine auto­immunvermittelte, entzündliche Folgekrankheit nach einer Gruppe-A-Streptokokken(GAS)-Infektion. Mit ­einer Latenz von 10–35 Tagen nach stattgehabter Streptokokkentonsillitis kommt es dabei zu Fieber (90%) und einer wandernden Polyarthritis (75%). 50–70% der Fälle entwickeln eine klinisch manifeste Karditis, in 12–21% wird echokardiographisch eine subklinische Karditis festgestellt. Seltener und im Verlauf einiges später kommt es zu einer Chorea Minor Sydenham (10–30%) infolge Beteiligung der Basalganglien, zu ­einem Erythema marginatum (<6%) oder zu subkutanen Noduli (0–10%) [1, 2].
Das ARF ist in unseren Breitengraden äusserst selten, die «Swiss Paediatric Surveillance Unit» (SPSU) fand zwischen 2000 und 2010 nur 24 Fälle. In weniger entwickelten Regionen, insbesondere Südasien und Zen­tralafrika, ist das ARF aber nach wie vor verbreitet. Betroffen sind vor allem Kinder, Fälle bei über 30-Jährigen sind äusserst rar [3]. In unserem Fallbericht stammt die Patientin aus einer Region mit hoher Prävalenz, sie ist jedoch seit 24 Jahren nicht mehr in ihrer Heimat ­gewesen. Die Israelreise hat in ein Land mit niedriger Prävalenz geführt. Aufgrund des Alters und der Herkunft der Patientin ist nicht ausgeschlossen, dass es sich um ein Rezidiv eines in der Kindheit erworbenen ARF handelt.
Die Diagnosestellung richtet sich nach den Jones-Kriterien, die seit ihren Anfängen 1944 mehrfach revidiert wurden. In der letzten Version (2015) wurden zwei unterschiedliche Schwellenwerte zur Diagnose bei Populationen mit hohem, respektive niedrigem ARF-Risiko angesetzt (Tab. 1). Zudem wurde die subklinische, also rein echokardiographisch manifeste Karditis als Major-Kriterium eingeschlossen. Für eine erste ARF-Episode müssen entweder zwei Major-Kriterien oder ein Major- plus zwei Minor-Kriterien erfüllt sein. Bei einem Rezidiv sind zwei Major-Kriterien oder ein Major- plus zwei Minor-Kriterien oder drei Minor-Kriterien für die Diagnose erforderlich. Kardiale und Gelenkmanifes­tationen können jeweils nur einmalig, das heisst entweder als Major- oder als Minor-Kriterium gezählt ­werden [1, 2].
Tabelle 1: Major- und Minor-Diagnosekriterien des akuten rheumatischen Fiebers (Jones-Kriterien, revidiert 2015), nach [1, 4].
 Populationen mit niedrigem Risiko
Inzidenz ≤2/100 000 Schulkinder/Jahr
RHK-Prävalenz ≤1/1000/Jahr
Populationen mit hohem Risiko
Inzidenz >2/100 000 Schulkinder/Jahr
RHK-Prävalenz >1/1000/Jahr
Major-­KriterienKarditis (klinisch oder subklinisch)dito
PolyarthritisMono-/Polyarthritis oder ­Polyarthralgie
Chorea minor Sydenhamdito
Erythema marginatumdito
Subkutane Nodulidito
Minor-­KriterienPolyarthralgieMonoarthralgie
Fieber (≥38,5 °C)Fieber (≥38,0 °C)
BSR ≥60 mm und/oder CRP ≥3,0 mg/dlBSR ≥30 mm und/oder CRP ≥3,0 mg/dl
Verlängerte PQ-Zeit (altersadaptiert)dito
RHK = Rheumatische Herzkrankheit; BSR = Blutsenkungsreaktion; CRP = C-reaktives Protein.
Zwar ist ein Nachweis einer vorangegangenen GAS-­Infektion für die sichere Diagnosestellung erforderlich [1], die Sensitivität des Antigen-Schnelltests ist ­allerdings niedrig (70–90%), weswegen eine GAS-Infektion mit einem negativen Antigen-Schnelltest nicht ­sicher ausgeschlossen werden kann. Zudem wird das ARF häufig erst Wochen nach einer vorangegangenen Tonsillopharyngitis klinisch manifest. In unserem Fall ist die Aussagekraft des durchgeführten AntigenSchnelltests auch durch die bereits begonnene Anti­biotikatherapie limitiert. In solchen Fällen kann eine Streptokokkenserologie hilfreich sein. Der ASO-Titer hat eine Sensitivität von bis zu 73%, bei zusätzlicher Bestimmung des Anti-DNAse-B-Titers wird eine Sensitivität von >95% erreicht.
Das Erkennen einer kardialen Beteiligung einschliesslich subklinischer Fälle ist entscheidend, weshalb alle Patienten mit vermutetem ARF eine Echokardiographie erhalten sollten [4]. Im Falle einer unauffälligen Echokardiographie ist bei hohem Verdacht eine Wiederholung – mit Beachtung der 2015 revidierten echo­kardiographischen Kriterien – im Verlauf sinnvoll [1]. In unserem Fall fanden sich bei Eintritt ein AV-Block-Grad-I und im Verlauf echokardiographische Befunde, die eine Karditis vermuten lassen.
Das therapeutische Management zielt darauf ab, eine rheumatische Herzkrankheit und ihre Folgen – die Entwicklung einer Herzinsuffizienz, thromboembolische Komplikationen mit oder ohne Vorhofflimmern (schätzungsweise 4–10% der ischämischen Schlaganfälle in weniger entwickelten Ländern) und infektiöse Endokarditiden – zu vermeiden. Die Mortalität der rheumatischen Herzkrankheit in weniger entwickelten Ländern ohne Zugang zur Sekundärprophylaxe wird auf 1,5% jährlich geschätzt [5].
Die Behandlung des akuten rheumatischen Fiebers ­beinhaltet im Wesentlichen die GAS-Eradikation, die symptomatische Therapie von Fieber, Arthritis, Herzinsuffizienz und Chorea sowie die Prävention einer Progression zur chronischen rheumatischen Herzkrankheit. Eine GAS-Eradikation erfolgt üblicherweise mit oralem Penicillin V (Phenoxymethylpenicillin, ­Ospen®) oder Amoxicillin. Entzündliche Beschwerden werden primär mit nicht-steroidalen Antirheumatika im oberen Dosisbereich behandelt. Alternativ kann auch Acetylsalicylsäure verwendet werden. Steroide kommen erst bei Unverträglichkeit oder sehr schwerem Verlauf zum Einsatz [4]. Diese antientzündliche Therapie in der Akutphase zeigte allerdings bislang keinen statistisch untermauerten Vorteil für das kar­diale «outcome» [2]. Hingegen minimiert die anti­biotische ­Sekundärprophylaxe erwiesenermassen das Risiko für eine Progression der rheumatischen Klappenveränderungen. Die Standardprophylaxe besteht in einer in­tramuskulären Penicillin-G-Injektion alle vier Wochen. Alternativ kann bei guter Medikamentenadhärenz eine orale Antibiotikaprophylaxe mit ­Penicillin V (500 000 E 2×/Tag) durchgeführt werden. Kontaktpersonen im Haushalt, die sich als GAS-Träger erweisen (definiert durch positive Rachenkulturen auf GAS ohne klinischen oder serologischen Infektnachweis) erhalten ebenfalls eine Eradikationstherapie. GAS-Infektionen im gleichen Haushalt sollten jeweils prompt behandelt werden. Die Dauer der Antibiotika­prophylaxe richtet sich nach dem Risiko für eine schwere kardiale Betei­ligung bei erneuten ARF-Episoden [6].
Entsprechend dieser Empfehlungen wird unsere Pa­tientin sekundärprophylaktisch mit Penicillin V behandelt. Die Dauer sollte gemäss Empfehlungen der «American Heart Association» (AHA) bei rheumatischer Karditis mit/ohne valvuläre Residuen mindestens zehn Jahre betragen.

Das Wichtigste für die Praxis

• Das akute rheumatische Fieber (ARF) ist eine entzündliche Folgekrankheit nach einer Gruppe-A-Streptokokken(GAS)-Infektion. Sie tritt typischerweise bei Kindern auf und ist in unseren Breitengraden sehr selten.
• Die Diagnose wird anhand der Jones-Kriterien gestellt und sollte bei ­Fieber und Entzündungszeichen im Kontext mit Gelenkbeschwerden und Hinweisen auf eine Karditis erwogen werden.
• Trotz fehlendem Nachweis einer aktiven GAS-Infektion mittels AntigenSchnelltest oder Rachenkultur ist ein ARF möglich. Ein hoher Anti-Streptolysin-O-Titerkann den Verdacht auf eine Streptokokken-assoziierte Krankheit im klinischen Kontext bekräftigen.
• Bei vermutetem ARF muss eine Karditis echokardiographisch gesucht werden, da sie zur rheumatischen Herzkrankheit mit hoher Mortalität ­voranschreiten kann.
• Ist eine rheumatische Karditis bestätigt, kommt der GAS-Eradikation ­sowie der antibiotischen Sekundärprophylaxe grosse Bedeutung zu.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Anita P. von Dahlen,
dipl.Ärztin
Klinik für Innere Medizin
Stadtspital Waid und Triemli
Birmensdorferstrasse 497
CH-8063 Zürich
anita.vondahlen[at]triemli.zuerich.ch
1 Gewitz MH, Baltimore RS, Tani LY, et al. Revision of the Jones criteria for the diagnosis of acute rheumatic fever in the era of doppler echocardiography: a scientific statement from the american heart association. Circulation. 2015;131:1806.
2 Karthikeyan G, Guilherme L. Acute rheumatic fever. Lancet. 2018; 392(10142):161–74.
3 Carapetis JR, Beaton A, Cunningham MW, et al. Acute rheumatic fever and rheumatic heart disease. Nat Rev Dis Prim. 2016;2:15084.
4 Haller S, Kahlert CR, Strahm C, Albrich WC. Akutes rheumatisches Fieber. Swiss Med Forum. 2018;18(4):75–80
5 World Health Organization. The current evidence for the burden of group A streptococcal diseases. Geneva;2005.
https://www.who.int/maternal_child_adolescent/documents/fch_cah_05_07/en/
6 Gerber MA, Baltimore RS, Eaton CB, et al. Prevention of rheumatic fever and diagnosis and treatment of acute Streptococcal pharyngitis. Circulation. 2009;119(11):1541–51.