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Hintergrund
Aortengraftinfektionen (AGI) treten bei nur 1–2% der operierten Patienten auf [1], sind aber wegen der hohen Mortalität bis über 20% und den ebenfalls damit verbundenen Kosten für das Gesundheitssystem hochrelevant. Wir berichten über einen Patienten mit AGI nach chirurgisch versorgter Aortendissektion. Es zeigt sich, dass trotz der auftretenden Schwierigkeiten ein Wiederreichen von Leistungsfähigkeit und Lebensqualität für die Patienten möglich ist.
Fallbericht
Anamnese
Der 50-jährige Patient wurde vom Hausarzt mit seit einer Woche bestehenden, immobilisierenden Rückenschmerzen auf den Notfall zugewiesen. Die Schmerzen hatten während seiner Arbeit als Paketzusteller begonnen.
Nach Non-A-non-B-Dissektion der Aorta wurde drei Jahre zuvor initial ein konservatives Vorgehen gewählt. Bei zunehmenden Schmerzsymptomatik in Form von Rückenbeschwerden zeigte sich jedoch eine Grössenprogredienz des Hämatoms im Bereich der Aorta ascendens, weshalb die Indikation zur sofortigen chirurgischen Sanierung gestellt wurde. Es erfolgte ein Aortenwurzel- (Composite-Graft mechanisch; Gelweave™ 28 mm) und kompletter Bogenersatz mittels Frozen-Elephant-Trunk (FET).
Sieben Monate nach der Indexoperation präsentierte sich der Patient mit Fieber und Schüttelfrost, wobei in den Blutkulturen ein Streptococcus (S.) constellatus und ein Beta-Laktamase-negativer Aggregatibacter (A.) aphrophilus nachgewiesen werden konnten (Tab. 1). Mittels Angio-PET/CT (Angio-Positronenemissionstomographie/Computertomographie) erfolgte der Nachweis eines floriden zirkulären Graft-Infektes. Wegen der zu erwartenden hohen perioperativen Morbidität (Mortalität >25%) [2, 3] wurde zunächst auf eine herzchirurgische Revision verzichtet und eine konservative Therapie eingeleitet. Die antiinfektive Therapie wurde empirisch mit Vancomycin i.v., Gentamicin i.v. und Rifampicin p.o. gestartet und letztlich resistenzgerecht auf Ceftriaxon i.v. und Gentamicin i.v. umgestellt. Nach Beendigung der intravenösen Therapiephase wurde die Therapie auf Levofloxacin im Sinne einer chronischen Suppressionstherapie deeskaliert.
Tabelle 1: Erreger und antiinfektive Therapie der verschiedenen Episoden. | |||
Episode | Medium | Keim | Therapie |
Episode 1 (7 Mte. postop.) | Blutkultur | Streptococcus constellatus | – Empirisch: Vancomycin i.v., Gentamicin i.v., Rifampicin i.v. – Resistenzgerecht: Ceftriaxon i.v., Gentamicin i.v. – Orale Suppression: Levofloxacin p.o. |
Blutkultur | Aggregatibacter aphrophilus | ||
Episode 2 (weitere 5 Mte. später) | Stuhl | Clostridioides difficile | Empirisch: Metronidazol p.o. |
Blutkultur | Prevotella spp. | – Empirisch: Ceftriaxon i.v. – Orale Suppression: Clindamycin p.o., Minocyclin p.o.* | |
Aktuelle Episode (weitere 7 Mte. später) | Blutkultur | Enterococcus faecalis | – Empirisch: Piperacillin/Tazobactam i.v. – Resistenzgerecht: Amoxicillin/Clavulansäure i.v., plus Amoxicillin i.v. und Ceftriaxon i.v. – Oralisierte Suppression: Amoxicillin/Clavulansäure p.o.**, Minocyclin p.o.* |
Blutkultur | Streptococcus sanguinis | ||
* Ratio: Aggregatibacter ** Ratio: Prevotella, Enterococcus Mte.: Monate; postop.: postoperativ. |
Fünf Monate nach der ersten Episode wurde der Patient erneut zugewiesen, wobei einerseits eine Clostridioides-(C.-)difficile-Kolitis und andererseits eine Prevotella-spp.-Bakteriämie diagnostiziert wurden. Die Kolitis wurde zehn Tage mit Metronidazol p.o. behandelt. Um einer sekundären Graft-Besiedelung mit Prevotella spp. vorzubeugen, wurde die Therapie von Levofloxacin p.o. auf Ceftriaxon i.v. umgestellt. Nach Beendigung einer sechswöchigen intravenösen Therapie erfolgte erneut die Umstellung auf eine orale Suppressionstherapie mit Minocyclin (Ratio: A. aphrophilus) und Clindamycin (Ratio: Prevotella spp. und S. constellatus).
Nach weiteren sieben Monaten erfolgte die erneute stationäre Zuweisung wegen immobilisierender Rückenschmerzen.
Status und Befunde
Bei Eintritt wies der Patient eine auf Höhe Lendenwirbelkörper (LWK) 2/3 begrenzte Klopfdolenz ohne neurologisches Defizit auf. In der körperlichen Untersuchung zeigte sich der reduzierte Patient normoton, normokard und mit einer Temperatur von 37,5 ˚C. Der restliche Status war unauffällig. Laborchemisch zeigte sich das CRP bei Eintritt auf 70 mg/l erhöht, die Leukozyten und Thrombozyten waren normwertig. Daneben bestand eine leichte normochrome und normozytäre Anämie mit einem Hämoglobin von 10,6 g/dl. Der INR war unter oraler Antikoagulation mit Phenprocoumon entgleist mit 5,74. Die Nierenfunktion war leicht reduziert mit einem Kreatinin von 101 µmol/l und einer eGFR von 75 ml/min/1,73 m2. Die Leberenzyme lagen in der Norm. Radiologisch liess sich im konventionellen Röntgen der Lendenwirbelsäule eine Fraktur ausschliessen. Unter Therapie mit Clindamycin p.o. und Minocyclin p.o. waren die Blutkulturen mit Enterococcus faecalis und Streptococcus sanguinis positiv.
Diagnose
Am Folgetag wurde eine Magnetresonanztomographie der Lendenwirbelsäule durchgeführt, die neben degenerativen Veränderungen eine paravertebrale Phlegmone auf Niveau L 2/3 zeigte, die sich nicht von der Aorta abgrenzen liess und zunächst als Spondylodiszitis interpretiert wurde (Abb. 1).
Zur Klärung der Ätiologie wurde eine CT-Angiographie durchgeführt, die eine schmale, luftgefüllte Ösophagus-Graft-Fistel auf Höhe des Aortenbogens zeigte, die retrospektiv in der PET/CT bereits bestand (Abb. 2).
Eine nachfolgende obere Panendoskopie zeigte eine grosse Ösophagusfistel mit direkter Sicht auf den Aorten-Graft (Abb. 3).
Therapie und Verlauf
Im Hinblick auf die polymikrobielle Bakteriämie und die Ösophagusfistel wurde die antibiotische Therapie auf Piperacillin/Tazobactam i.v. umgestellt. Im weiteren Verlauf erhielt der Patient eine Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure i.v. ergänzt mit Amoxicillin i.v. und Ceftriaxon i.v. zur Behandlung der Enterokokken- und Streptokokken-Bakteriämie. Nach sechs Wochen i.v. Therapie wurde auf Amoxicillin/Clavulansäure p.o. umgestellt; Minocyclin p.o. für den Aggregatibacter wurde als Therapie weitergeführt. Wegen der Gefahr einer letalen Blutung bei möglicher Arrosion des Aortenersatzes entschied man sich zu einer chirurgischen Revision im Sinne einer minimalinvasiven, subtotalen, vaguserhaltenden Ösophagektomie als Diskontinuitätsresektion mit linkszervikaler Ösophagostomie, Blindverschluss des Magens und Implantation einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG) zur enteralen Ernährung. Auf einen Ersatz des Aorten-Grafts wurde wegen der hohen Morbidität verzichtet. Nach einem problemlosen postoperativen Verlauf erfolgte 48 Monate später die Rekonstruktion der intestinalen Kontinuität mittels minimalinvasivem, retrosternalem Schlauchmagenhochzug und linkszervikaler End-zu-Seit-Ösophago-Gastrostomie; dieser Eingriff verlief ebenfalls komplikationsfrei.
Aktuell ist der Patient zu 100% arbeitsfähig und hat unter Suppressionstherapie mit Amoxicillin/Clavulansäure und Minocyclin normale Entzündungszeichen. In der letzten PET/CT ist die metabolische Aktivität am Aorten-Graft persistierend vorhanden, wenn auch rückläufig gegenüber dem Vorbefund.
Diskussion
Wir beschreiben den Fall eines Patienten mit einer chronischen AGI nach chirurgischer Versorgung einer Non-A-Non-B-Dissektion der Aorta. Der Patient ist inoperabel im Sinne eines Austausches des Aortenwurzel- und Bogenersatzes, der in ähnlichen Fällen in der Literatur [4] zur Behandlung eines AGI erwähnt wird. Daher nimmt der Patient eine Antibiotika-Suppressiontherapie ein. Ingesamt hat der Patient bisher drei Bakteriämie-Episoden durchlitten.
Aortendissektionen werden traditionell nach Stanford in Typ A und B unterteilt. Aortendissektionen wie bei unserem Patienten, die den Aortenbogen und die Aorta descendens unter Aussparung der Aorta ascendens betreffen, werden als Non-A-Non-B-Dissektion bezeichnet. Wenn sich der Beginn der Dissektion im Bereich des Aortenbogens befindet, kann es zu einer Dilatation des Aortenbogens mit retrograder Aortendissektion Typ A kommen. Somit gilt als primäres Operationsziel der Verschluss des Entrys am Aortenbogen, was mittels FET erreicht werden kann. Die perioperative Mortalität bei FET liegt bei 15% für die Zeit des Spitalaufenthaltes [5], wobei AGI, Dehiszenz des Grafts und Fortschreiten der Dissektion komplizierend dazukommen können.
Bildgebend können AGI sowohl mit kontrastmittelverstärkter Angio-CT (CE-CT) als auch mit PET/CT dargestellt werden. Die Sensitivität der PET/CT für AGI beträgt je nach Studie zwischen 91–100%, wobei die Spezifität mit Werten zwischen 70–95% tiefer liegt. In der CE-CT sind diagnostische Bildgebungskriterien für eine AGI eine Flüssigkeitsansammlung um den Graft, kontrastmittelaufnehmende Abszessformationen, perivaskuläre Fettgewebsimbibierung und Gasbildung in der Nähe des Gefäss-Graftes. Die PET/CT dagegen erkennt Fluordesoxyglukose (FDG) aufnehmende Läsionen neben der Gefässprothese, da sich FDG in metabolisch aktiven Zellen ansammelt und somit Entzündungsprozesse nachweist. Vergleicht man die beiden Bildgebungen, kann der AGI unter Verwendung von PET/CT früher und in weniger schweren Stadien nachgewiesen werden. Ausserdem ist die PET/CT bei «low grade»-AGI sensitiver. Die Spezifität der PET/CT wird allerdings durch Fremdkörperreaktionen oder postoperative Gewebereaktionen beeinträchtigt. Die PET/CT ist daher erst ab ca. der 10. postoperativen Woche verwertbar. Bei der Diagnose einer AGI wird idealerweise eine kombinierte Bildgebung angewendet (PET/Angio-CT), denn die Kombination aus hoher Sensitivität bei PET/CT und hoher Spezifität bei CE-CT mit detaillierter Erkennung anatomischer Veränderungen ist der alleinstehenden Bildgebung bei der Diagnose von Gefässprotheseninfektionen überlegen.
Aortoösophageale Fisteln werden als Spätkomplikationen nach Aorten-Graft in der Literatur beschrieben. [4]. Grössere randomisierte Studien sind aufgrund der geringen Fallzahlen nicht zu finden. Es besteht eine schlechte Prognose mit einer Mortalität von 75% [6]. Dabei können Erosionen oder Fisteln zum Ösophagus oder zu den Bronchien zu akuten Blutungen führen. Bei solchen Patienten wird oft ein In-situ-Graftersatz durchgeführt.
Bei selektionierten, stabilen Patienten kann ein Bypass von der Aorta ascendens zur oberen abdominalen Aorta möglich sein. Dabei wird der infizierte Graft entfernt, die Enden der Aorta debridiert und anschliessend der Aortenstumpf mit Omentum bedeckt.
Entscheidend für die Prognose ist die Separation des Grafts vom Intestinaltrakt, um eine Unterbrechung der Kontamination und Ausheilung zu erreichen. Dies kann beispielsweise mit einem vaskularisierten Lappen erfolgen.
Grössere Defekte wie bei unserem Patienten ziehen die Notwendigkeit der Umleitung des Ösophagus nach sich. Bei Patienten ohne Speiseröhren- oder Bronchialfistel kommen kryokonservierte oder frische arterielle Allotransplantate zur Behandlung von AGI infrage.
Bei Patienten mit extensivem Fremdmaterial, die eine umfangreiche rekonstruktive Chirurgie nicht tolerieren, bleibt als einzige Option eine lebenslange Suppressionstherapie. Die i.v Therapie erfolgt ähnlich wie die Behandlung einer Endokarditis. Nach Erhalt von positiven Blutkulturen wird die i.v. Therapie resistenzgerecht umgestellt und für sechs Wochen weitergeführt. Anschliessend wird ein gut bioverfügbares Regime zur oralen Suppressionstherapie angewendet. Bei Verdacht auf eine Fistel zum Verdauungstrakt sollten bei der initialen empirischen Therapie auch Darmkeime abgedeckt werden.
Unser Patient hat durch die Kombination der Separation von der Infektquelle und die Suppressionstherapie eine gute Kontrolle seines Infektes und die vollständige Arbeitsfähigkeit wieder erreichen können.
Schlussfolgerungen
Bei Verdacht auf AGI durch rezidivierende Bakteriämien sollte zum frühen Nachweis eine kombinierte Angio-/PET/CT-Bildgebung erfolgen. Bei Verdacht auf intestinale Graft-Fisteln kann eine endoskopische Untersuchung ebenfalls einen wertvollen Beitrag liefern. Dabei können zur Versorgung, neben den in der Literatur bereits beschriebenen Wegen der Sanierung, auch Varianten ohne Graft-Ersatz bei erhöhter perioperativer Morbidität erfolgreich sein. Wegen der Komplexität dieser Patienten ist eine gute Zusammenarbeit der verschiedenen Fachdisziplinen, wie im Artikel erwähnt, vom Grundversorger über Regionalspitäler bis zu hoch spezialisierten Zentren notwendig.
Das Wichtigste für die Praxis
• Wiederkehrende polymikrobielle Bakteriämien sind ein Hinweis auf vaskuläre Protheseninfekte, das Keimspektrum ist ein Hinweis auf die Quelle der Kontamination.
• Bei Verdacht auf Graft-Infekt durch intestinale Fisteln sollte zum frühen Nachweis eine kombinierte Bildgebung und nach Möglichkeit auch endoskopische Darstellung erfolgen.
• Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachdisziplinen ist notwendig für eine gute Versorgung dieser Patientengruppe.
• Bei unserem Patienten konnte durch Ausschaltung der ösophago-periprothetischen Fistel und antibiotischer Therapie trotz Belassung des infizierten Graftes eine für den Patienten zufriedenstellende Situation erreicht werden.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Ludwig Schretzenmayr
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