Intrakranielle Hypertension – und was macht der Blutdruck?
Primärer Hyperaldosteronismus als seltene Ursache

Intrakranielle Hypertension – und was macht der Blutdruck?

Der besondere Fall
Ausgabe
2020/0910
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08435
Swiss Med Forum. 2020;20(0910):169-172

Affiliations
UniversitätsSpital Zürich; a Klink für Innere Medizin; b Klinik für Neurologie; c Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung

Publiziert am 25.02.2020

Ein 41-jähriger Patient stellte sich nach Hausarztzuweisung in der Augenklinik vor, da er seit zwei Wochen unter Verschwommensehen auf beiden Augen sowie langjährigem holozephalem Kopfschmerz litt.

Hintergrund

Endokrine Erkrankungen sind ein seltener Auslöser ­einer intrakraniellen Druckerhöhung und erfordern ein interdisziplinäres Vorgehen bei Diagnostik und Therapie. Wir berichten von einem 41-jährigen Patienten mit einer schwersten intrakraniellen Hypertension (IH), die sich als Erstmanifestation eines primären Hyper­aldosteronismus (PHA) präsentierte.

Fallbericht

Anamnese und Status

Ein 41-jähriger Patient stellte sich nach Hausarztzuweisung in der Augenklinik vor, da er seit zwei Wochen unter Verschwommensehen auf beiden Augen sowie langjährigem holozephalem Kopfschmerz litt. Die Sehstörungen hatten schleichend eingesetzt und im Verlauf keine Progredienz gezeigt. Der Patient wies keine Vorerkrankungen auf. An kardiovaskulären Risikofaktoren bestand ein Nikotinabusus und familienanamnestisch eine arterielle Hypertonie und ein Diabetes mellitus Typ 2. Bei Aufnahme präsentierte sich der Patient in gutem Allgemeinzustand. In der körperlichen Untersuchung zeigte sich ein beidseits vorhandenes mildes Defizit in der Visusprüfung bei ansonsten unauffälligem internistischen und neurologischen Status. Eine Einschränkung des Gesichtsfelds bestand fingerperimetrisch nicht.

Befunde

Die statische Perimetrie des rechten Auges zeigte diffuse Gesichtsfeldausfälle in den oberen Quadranten, die Testung des linken Auges ergab vereinzelte Defekte in geringerem Ausmass. Der per Autorefraktometer gemessene Visus rechts lag bei +1 = –0,5/9° und links bei +0,5 = –1.25/1°. In der funduskopischen Untersuchung wurden Stauungspapillen und ein Fundus hypertonicus in beiden Augen festgestellt (Abb. 1). Eine zerebrale Magnetresonanztomographie (cMRT) zeigte eine Kontrastmittelaufnahme des linken Nervus (N.) opticus, die wir als Ödem infolge des intrakraniellen Drucks und möglicherweise einer Kompartimentierung des Liquors im Nerv deuteten. Auch gab es keine Hinweise auf eine symptomatische IH, insbesondere nicht auf eine Liquor­abflussstörung. In der liegend durch­geführten Liquorpunktion fiel ein stark erhöhter Li­quoreröffnungsdruck von 41 cmH2O auf, die Liquorzu­sammensetzung war normwertig ohne Zeichen ­eines entzündlichen Prozesses. Die Entnahme von 40 ml Liquor führte zu einer ­raschen Besserung der Sehstörungen, auf die lange bestehenden leichten Kopfschmerzen hatte die Punktion keinen Einfluss. Bei hypertensiven Blutdruckwerten von initial 240/140 mm Hg erfolgte im weiteren Verlauf die internistische Aufnahme des Patienten.
Aufgrund des jungen Patientenalters und der schweren arteriellen Hypertonie fand eine Diagnostik für ­sekundäre Ursachen der arteriellen Hypertonie statt. Eine initial durchgeführte Duplexsonographie der Nieren­arterien zeigte einen unauffälligen Befund. Im Labor war der Kaliumwert bei ansonsten unauffälligem Elektrolythaushalt erniedrigt (2,9 mmol/l), basales Kortisol und TSH befanden sich im Normbereich. Der Renin-Aldosteron-Quotient war mit einem Wert von 20,7 ng/mU grenzwertig erhöht (spitalinterner Referenzwert: 20 ng/mU). Der Patient wurde zum Zeitpunkt der Testung mit ACE-Hemmern therapiert, deren Einnahme häufig zu einem falsch-niedrigen Renin-­Aldosteron-Quotienten führt [1]. Zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose eines PHA wurde nach Korrektur des Kaliumwerts ein Kochsalzbelastungstest durchgeführt. Dieser ergab bei einer anfänglichen Aldosteronkonzentration (AC) von 367 ng/l nach einer vierstün­digen morgendlichen Kochsalzinfusion eine AC von 208 ng/l (spitalinterner Referenzwert ≤50 ng/l) und ­somit eine Aldosteron-Suppression von 43% (spital­interner Referenzwert >50%). Es zeigte sich ein nicht ­vollständig supprimiertes Renin im Serum. Dies werteten wir ­jedoch als durch die begonnene Pharmakotherapie verursacht, und wir sahen die Diagnose ­eines Hyperaldosteronismus bestätigt. Eine MRT ergab keinen ­Hinweis auf ein Adenom oder eine Hyper­plasie der ­Nebennierenrinde. Im Nebennierenvenensampling zeigten sich letztlich keine Hinweise für eine Lateralisierung, sodass von einer beidseitigen Hyperplasie ausgegangen wurde.
Es lagen bei dem Patienten bereits weitere Organschäden der arteriellen Hypertonie vor. Die transthorakale Echokardiographie zeigte eine Kardiomyopathie, zudem bestand eine chronische Niereninsuffizienz mit erhöhtem Kreatinin (115 μmol/l) und Albuminurie.
Abbildung 1: A) Funduskopie des rechten Auges: prominente, hyperäme und zirkulär randunscharfe Papille, ­multiple harte ­Exsudate insbesondere im Bereich temporal der Papille. Die Gefässe sind streckenweise am Papillenabgang nicht perfundiert. B) Statische Perimetrie: Das rechte Auge zeigte diffuse Gesichtsfeldausfälle (rot = schwer, grün = leicht) in den oberen Quadranten, die Testung des linken Auges zeigte vereinzelte Defekte in geringerem Ausmass.

Diagnose

Sekundäre intrakranielle Hypertension und hypertensive Gefahrensituation bei primärem Hyperaldosteronismus.

Therapie und Verlauf

Die Therapie zur Blutdrucksenkung erfolgte mit Nifedipin, Urapidil und Lisinopril und führte zu einer Senkung des Blutdrucks um 20–30% in den Folgetagen. Bei gutem Allgemeinzustand, rückläufigen Visusstörungen und Gesichtsfelddefekten sowie stabilen Blutdruckwerten von 160/110 mm Hg konnte der Patient in gutem Allgemeinzustand nach vier Tagen aus unserer Klinik entlassen werden. Eine weitere medikamentöse Senkung des Blutdrucks auf Werte von unter 130/80 mm Hg im Sinne der aktuellen ESC/ESH-Guidelines [2] wurde mit Lisinopril und Amlodipin im ambulanten Setting erfolgreich fortgeführt und eine kausale medikamentöse Therapie mit einem Aldosteronantagonisten (Spironolacton) nach Abschluss der Diagnostik begonnen.

Diskussion

Bei Vorliegen einer Grunderkrankung oder Medikamentenanamnese, die eine Liquordruckerhöhung in hinreichendem Masse erklärt, ist per Definition eine sekundäre intrakranielle Hypertension (SIH) gegeben [3]. Es existiert eine Vielzahl an metabolischen, endo­krinen und medikamentösen Auslösern einer IH, die exakte Pathogenese ist jedoch häufig unklar (Tab. 1). Die idiopathische intrakranielle Hypertension (IIH, veraltet «Pseudotumor cerebri») bezeichnet hingegen einen Liquordruck von über 25 cmH2O bei unauffälliger Liquorzusammensetzung und in Abwesenheit intrakranieller Raum­forderungen, Liquorresorptionsstörungen, vaskulärer Läsionen oder anderer, die Druckerhöhung erklärender Ursachen [3]. Typische Symptome einer IH sind ein chronischer, oft drückender oder pulsierender Kopfschmerz sowie eine Visusverschlechterung. Bei einem Grossteil der Patienten finden sich funduskopisch bilateral Stauungspapillen.
Tabelle 1: Gründe für eine sekundäre intrakranielle Druck­erhöhung.
Endokrine ErkrankungenHyperaldosteronismus
Hypoparathyreoidismus
Nebenniereninsuffizienz
Polyzystisches Ovariensyndrom
Schilddrüsenerkrankungen
MedikamenteAmiodaron
Ciclosporin
Cimetidin
Danazol
Indometacin
Interferon-a
Lithium
Nalidixinsäure
Nitrofurantoin
Tamoxifen
Tetrazykline
Vitamin-A-Derivate
Wachstumshormone
Venöse AbflussstörungenSinusthrombose
Durale venöse Fisteln
Sonstige UrsachenObstruktives Schlafapnoe-
Syndrom
Therapieziel ist die Senkung des Liquordrucks durch medikamentöse Therapien (etwa Carboanhydrasehemmer oder Topiramat) oder therapeutische Lumbalpunktionen und interventionelle Verfahren. Die Prognose ist abhängig von der Grunderkrankung, bei suffizienter Therapie aber gut. Bleibende Visusstörungen aufgrund der Stauungspapille sowie Rezidive sind möglich, unbehandelt kann eine IH bis zur Erblindung führen.
Dysregulationen des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) können sowohl die Ursache als auch ein sekundäres Phänomen kardiovaskulärer Erkrankungen sein. Eine klinisch relevante Störung ist der PHA. Damit wird eine Erkrankung der Nebennieren bezeichnet, die durch eine Aldosteron-Überproduktion gekennzeichnet ist. Klinisch resultiert dies in ­einer oft schwer einstellbaren arteriellen Hypertonie und bei ­einigen Patienten in einer zusätzlichen Hypokaliämie. Im Falle einer therapierefraktären arteriellen Hypertonie sollte dabei aber auch die Compliance der Patienten überprüft werden [4]. Die häufigsten Ursachen einer ­autonomen Aldosteronbildung sind die idiopathische, meist bilaterale Nebennierenrindenhyperplasie (zwei Drittel der Fälle) sowie das Nebennierenrindenadenom (ein Drittel der Fälle) [5]. Der PHA liegt etwa 5–15% aller arteriellen Hypertonien zugrunde und ist damit die häufigste endokrine Ursache [2].
Die Diagnostik bei Verdacht auf einen PHA erfolgt ­stufenweise anhand von Screening- und Bestätigungstests sowie Lokalisationsdiagnostik (Abb. 2). Es ist ­darauf zu achten, dass viele antihypertensive Medi­kamente den Renin-Aldosteron-Quotienten zu falsch positiven respektive falsch negativen Testergebnissen verändern [1]. Betablocker und zentrale Alpha-Agonisten führen zu falsch positiven Ergebnissen und sollten daher eine Woche vor Bestimmung abgesetzt werden [1]. ACE-Hemmer, Diuretika, Sartane und Aldosteronantagonisten können falsch negative Ergebnisse verursachen. Eine Pausierung vor Testung sollte deshalb ebenfalls eine Woche vorher, respektive vier Wochen vorher bei Aldosteronantagonisten, durchgeführt werden [1]. Bei Vorliegen eines Aldo­steron produzierenden Nebennierenrindenadenoms oder einer unilateralen Hyperplasie ist die unilaterale Adrenalektomie die Therapie der Wahl. Bei einer bi­lateralen Aldosteron-Überproduktion ohne Gradient im Nebennierenvenensampling sowie bei Kontraindikationen gegen eine Operation wird die Therapie mit Aldosteronantagonisten vorgezogen.
Abbildung 2: Primärer Hyperaldosteronismus – diagnostischer Algorithmus [1].
Aldosteronantagonisten werden, in niedriger Dosierung, auch zur Behandlung der therapieresistenten arteriellen Hypertonie eingesetzt (z.B. Spironolacton 12,5–50 mg/Tag). Insbesondere bei simultaner Therapie mit ACE-Hemmern oder Sartanen können Hyperkaliämien auftreten. Auf den Einsatz von Aldosteronantagonisten sollte daher bei Patienten mit einer Niereninsuffizienz (eGFR von < 45 ml/min) oder Hyperkaliämie verzichtet werden [2].
Im vorliegenden Fall bestand eine oligosymptomatische IH bei einem Patienten mit bislang unbekanntem PHA. Physiologisch liegt der intrakranielle Druck (ICP) bei etwa 0–14 cmH2O, somit lag bei diesem Patienten ein deutlich erhöhter ICP vor. Die symptomarme klinische Präsentation über zwei Wochen bei einem Liquor­druck von 41 cmH2O spricht sehr für eine chronische IH mit begonnener Adaptation und weniger für eine akute Hirndrucksteigerung im Rahmen einer krisenhaften Blutdruckerhöhung.
Das Auftreten einer chronischen IH im Rahmen eines PHA ist sehr selten, und es existieren nur wenige Fallberichte [6, 7]. Aufgrund dessen ist die Beschreibung ­eines klinischen Phänotyps bislang nicht möglich. Aktuelle wissenschaftliche Daten lassen vermuten, dass eine direkte pathophysiologische Verbindung zwischen der Überproduktion von Aldosteron und der intra­kraniellen Druckerhöhung besteht [8]. Einen möglichen Ansatz gibt die Entdeckung aldosteronsensitiver Neurone im Gehirn, die vermehrt bei Na­triummangel aktiviert werden [8]. Ob es über diesen Mechanismus zu einer Erhöhung des Liquorvolumens kommt, ist bislang jedoch nicht bekannt.
Im klinischen Alltag sollte bei Patienten mit der Erstmanifestation einer IH an einen PHA gedacht werden, eine Blutdruckmessung kann dabei bereits einen wichtigen Hinweis geben. Bei Patienten mit bereits diagnostiziertem PHA sollte die Assoziation zur IH bekannt sein und bedacht werden, da die Symptome der chronischen IH mild ausgeprägt sein können und Folgeschäden durch eine rechtzeitige Therapie vermieden werden können.

Das Wichtigste für die Praxis

• Eine Vielzahl an Grunderkrankungen und Medikamenten kann zu einer sekundären intrakraniellen Hypertension führen.
• Der primäre Hyperaldosteronismus (PHA) kann die seltene Ursache ­einer sekundären intrakraniellen Hypertension sein und ist der häufigste endokrine Auslöser einer arteriellen Hypertonie.
• Ein PHA sollte insbesondere dann in Erwägung gezogen werden, wenn der Blutdruck sehr hoch (Stadium 2 oder 3) respektive schwer einstellbar ist oder wenn neben der arteriellen Hypertonie zusätzlich eine Hypokaliämie, ein Inzidentalom der Nebenniere, ein Schlafapnoe-Syndrom oder eine positive Familienanamnese für einen PHA vorliegen.
• Die initiale Screeninguntersuchung bei Verdacht auf einen PHA ist der Renin-Aldosteron-Quotient im Blut. Ist dieser erhöht, sollte die Diagnose anhand des NaCl-Infusionstests oder des Fludrocortisontests bestätigt werden.
Die Autoren danken für die Bereitstellung von ­Bildmaterial (Funduskopie, statische Perimetrie) der Augenklink des UniversitätsSpitals Zürich unter Leitung von Prof. Dr. Dr. med. Daniel Barthelmes.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Jan Bögeholz
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
janlukas.boegeholz[at]usz.ch