Zystische Adventitiadegeneration
Eine seltene Ursache der pAVK

Zystische Adventitiadegeneration

Der besondere Fall
Ausgabe
2020/0304
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08438
Swiss Med Forum. 2020;20(0304):47-49

Affiliations
Universitätsklinik für Angiologie, Inselspital, Universitätsspital Bern

Publiziert am 14.01.2020

Ein 74-jähriger Patient stellte sich mit einer linksseitigen, belastungsabhängigen Waden-Claudicatio vor. Die Beschwerden traten explizit nur bei Belastung auf und sistierten nach einer Pause von 1–2 Minuten.

Hintergrund

Die zystische Adventitiadegeneration ist eine seltene, nicht arteriosklerotische Erkrankung, die eine Claudicatio intermittens auslöst. Sie betrifft häufig junge und mittelalte Männer ohne kardiovaskuläre Risiko­faktoren. Die Zysten sind uni- oder multilokulär und enthalten Mukoproteine und Hyaluronsäure. Sie sind in der Adventitia lokalisiert und verursachen eine Verengung respektive einen Verschluss des Gefässlumens durch eine exzentrische Kompression. In 85% der Fälle ist die Arteria (A.) poplitea betroffen. In der Regel ist das Auftreten unilateral, es wurden aber auch Fälle von bilateralen Adventitiazysten publiziert [1–3].
Die Pathogenese der zystische Adventitiadegeneration ist unklar. Verschiedene Theorien werden in der Literatur diskutiert. Zum einen werden repetitive Traumen beschuldigt, eine chronische Degeneration der Adventitia hervorzurufen, die letztendlich zur Ausbildung von Zysten führt  [4]. Zum anderen wird ein synovialer Ursprung postuliert, da die Zysten biochemisch und histologisch einem Ganglion ähneln [5]. Die dritte Theo­rie sieht die Zyste als Ausdruck einer myxomatösen, systemischen Degeneration im Rahmen einer generalisierten Bindegewebserkrankung, während eine weitere Theorie die Genese durch Inkorporation me­senchymaler Zellen in sich ausbildende Gefässe während der embryonalen Entwicklungsphase postuliert [4].
Mittels Ultraschall kann die Diagnose gestellt und der Stenosegrad der Arterie quantifiziert werden. Auch die Computer- und Kernspintomographie können als Bildgebungen herangezogen werden.

Fallbericht

Anamnese

Ein 74-jähriger Patient stellte sich mit einer linkssei­tigen, belastungsabhängigen Waden-Claudicatio vor. Die Beschwerden traten explizit nur bei Belastung auf und sistierten nach einer Pause von 1–2 Minuten. Die Wadenschmerzen, die sich nach einer Wegstrecke von 200 m einstellten, bestanden schon zirka einem Jahr und zeigten eine langsame Progredienz. In Ruhe, im Stehen oder Liegen traten keine Beschwerden auf. Treppensteigen und Bergaufgehen war nur noch in langsamem Gehtempo möglich. Als Vorerkrankung waren bei dem Patienten eine koronare Herzerkrankung sowie eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bekannt. Im Rahmen der pAVK war in der Vergangenheit bereits ein Stenting in der A. femoralis superficialis links erfolgt. Als kardiovaskuläre Risikofaktoren lagen ein arterieller Hypertonus und eine Hyper­cholesterinämie vor.

Klinischer Befund und Diagnostik

In der klinischen Untersuchung liessen sich der Poplitealpuls und die Fusspulse der linken Extremität nicht palpieren. Der linke Fuss war im Seitenvergleich kühler und die Rekapillarisierungzeit diskret verlängert. Die Sensomotorik war erhalten. Trophische Hautveränderungen lagen nicht vor.
In den Oszillogrammen zeigte sich auf Höhe der Wade und des Digitus I links eine abgeflachte Amplitude (Abb. 1A). Der «ankle-brachial index» (ABI, Knöchel-Arm-Index) war links mit 0,58 vermindert und rechts mit 1,12 im Normbereich.
Abbildung 1: A) Oszillogramme vor der Zystenpunktion. B) Oszillogramme zwei Monate nach der Zystenpunktion. OS: Oberschenkel, WD: Wade, GZ: Grosszehe.
In der B-Mode-Sonographie konnte eine echofreie, 1,2 cm × 1,7 cm × 0,9 cm messende, ovaläre Struktur in der Gefässwand der linken A. poplitea mit Stenosierung des Gefässlumens nachgewiesen werden (Abb. 2).
Abbildung 2: B-Mode-Sonographie mit Nachweis einer zystischen Struktur in der ­Gefässwand der linken Arteria poplitea mit Stenosierung des Gefässlumens.
In der farbkodierten Duplexsonographie zeigte sich ein Aliasing (Alias-Effekt) und die Messung der systolischen Flussgeschwindigkeit im stenosierten Bereich konnte eine hochgradige Stenose (>90% nach Ranke) objektivieren (Abb. 3A).
Abbildung 3: A) Farbkodierte Duplexsonographie mit Nachweis einer hochgradigen Stenose (>90% n. Ranke) in der Dopplerfrequenzanalyse. B) Farbkodierte Duplexsonographie der linken Arteria poplitea zwei Monate nach Aspiration des Zysteninhaltes.

Diagnose

Zystische Adventitiadegeneration der A. poplitea links.

Therapie und Verlauf

Die Therapie erfolgte ambulant. Der Patient wurde in Bauchlage positioniert, nach Desinfektion und sterilem Abdecken der linken unteren Extremität erfolgte die Lokalanästhesie mit Lidocain 1%. Anschliessend wurde die Zyste im Querschnitt mittels eines 9,0-MHz-Linearschallkopfes dargestellt. Die Punktion erfolgt mit einer 19-G-Nadel perkutan mithilfe eines Biopsie-Nadel-Halters. Unter Ultraschallkontrolle war die präzise Positionierung der Nadel in der Zyste möglich. Es konnte etwa 1 ml Zysteninhalt punktiert werden (Abb. 4).
Abbildung 4: Aspirierte muzinöse Masse.
Aufgrund der Sorge einer inkompletten Aspiration bei muzinösem Zysteninhalt wurde die Zyste mehrfach punktiert, um so den Wandschaden zu vergrössern, damit verbliebenes Material sich spontan nach extern entleeren konnte. Nach der Punktion wurde die Punktionsstelle manuell drei Minuten lang abgedrückt und der Patient konnte anschliessend das Krankenhaus verlassen ohne Kompressionsverband und ohne Einschränkung seiner körperlichen Aktivitäten.
In einer Kontrollsonographie unmittelbar nach der Punktion sowie zwei Monate später konnte ein normaler Fluss in der A. poplitea dokumentiert werden (Abb. 3B). Auch die Oszillogrammkurven sowie der ABI normalisierten sich (Abb. 1B). Die belastungsabhängige Waden-Claudicatio konnte direkt nach der Punktion beseitigt werden und der Patient ist bis dato (fünf Monate) beschwerdefrei.

Diskussion

Seit der Erstbeschreibung der zystischen Adventitia­degeneration durch Atkins und Key 1947 [1] wurde in der Literatur von etwa 700 Fällen berichtet [6]. Es handelt sich hierbei um isolierte Fallberichte oder kleinere Fall­serien. Die Seltenheit der Krankheit verhindert die Durchführung kontrollierter Studien und somit das Definieren eines therapeutischen Goldstandardes. Im Allgemeinen werden die chirurgische Exzision der Zyste respektive die Resektion des betroffenen Gefässabschnittes und der Ersatz durch ein venöses Inter­ponat favorisiert. Therapieansätze mittels perkutaner transluminaler Angioplastie sind, aufgrund der Morphologie der Okklusion, gescheitert. Die nichtathero­sklerotischen Arterien bei Patienten mit adventieller zystischer Erkrankung zeigen aufgrund ihrer Compliance nach der Dilatation ein Recoil [7].
Aufgrund der mangelnden Datenlage zu den langfris­tigen Ergebnissen der chirurgischen Interventionen ­sehen wir es als gerechtfertigt, zunächst ein minimalinvasives Verfahren wie die perkutane, ultraschall­gesteuerte Punktion der Zyste als primäre Therapie durchzuführen. Die Methode ist sicher, wenig zeitaufwendig und kann ambulant durchgeführt werde, wie dies bereits durch die Arbeit von Do et al. im Jahre 1997 gezeigt werden konnte [8]. In einer Verlaufskontrollstudie konnte bei einer Patientin nach ultraschall­gesteuerter Zystenpunktion eine Beschwerdefreiheit über 11 Jahre belegt werden [9]. Sollte es dennoch zu ­einem Rezidiv kommen, kann ein chirurgisches Verfahren immer noch durchgeführt werden.
In seltenen Fällen kann es zu einer Spontanheilung infolge Resorption, Verschiebung oder Extravasation des Zysteninhaltes kommen [10, 11].

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei gesunden Individuen ohne Risikofaktoren für eine periphere arte­rielle Verschlusskrankhkeit muss bei Auftreten einer Claudicatio an eine zystische Adventitiadegeneration gedacht werden.
• Die zystische Adventitiadegeneration betrifft in der Regel die Arteria ­poplitea.
• Duplexsonographie, Computertomographie und Kernspintomographie können zur Diagnostik herangezogen werden.
• Neben der chirurgische Entfernung der Zyste ist die perkutane, ultraschallgesteuerte Aspiration eine Therapieoption.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med.
Ulrike Hügel
Universitätsklinik
für Angiologie
Inselspital Bern
Freiburgstrasse 10
CH-3008 Bern
ulrike.huegel[at]insel.ch
 1 Atkins HJ, Key JA. A case of myxomatous tumour arising in the adventitia of the left external iliac aertery; case report. Br J Surg. 1947;34:426–7.
 2 Ejrup B, Hiertonn T. Intermittent claudication; three cases treated by free vein graft. Acta Chir Scand. 1954;108(2–3):217–30.
 3 Hernández Mateo MM, Serrano Hernando FJ, Martínez López I, et al. Cystic adventitial degeneration of the popliteal artery: Report on 3 cases and review of literature. Ann Vasc Surg. 2014;28:1062–9.
 4 Levien LJ, Benn CA. Adventitial cystic disease: a unifying hypothesis. J Vasc Surg. 1998;28:193–205.
 5 Di Marzo L, Rocca CD, d’Amani G et al. Cystic adventitial degeneration of the popliteal artery: lecithin-histochemical study. Eur J Vasc Surg. 1994;8:16–9.
 6 Hennessy MM, McGreal G, O’Brien GC. Two cases of popliteal adventitial disease treated with excision and primary bypass graft: A review of the literature. Vasc Endovasc Surg. 2017;51(7):480–4.
 7 Fox RL, Kahn M, Adler J. Adventitial cystic disease of the popliteal artery: failure of percutaneous transluminal angiolplasty. J Vasc Surg. 1985;2:464–7.
 8 Do DD, Braunschweig M, Baumgartner I, Furrer M, Mahler F. Adventitial cystic disease of the popliteal artery: Percutaneous US-guided aspiration. Radiology. 1997;203:743–6.
 9 Keo HH, Baumgartner I, Schmidli J et al. Sustained remission 11 years after percutaneous ultrasound-guided aspiration for cystic adventitial degeneration in the popliteal artery. J Endovasc Ther. 2007;14:264–9.
10 Keo HH, Gretener SB, Kickuth R, Baumgartner I, Do DD. Spontanheilung einer Claudicatio intermittens. Schweiz Med Forum. 2006;6:969.
11 Pursell R, Torrie EP, Gibson M et al. Spontaneous and permanent resolution of cystic adventitial disease of the popliteal artery. J R Soc Med. 2004;97(2):77–8.