Kurz und bündig
Journal Club

Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2020/0304
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08457
Swiss Med Forum. 2020;20(0304):36-39

Publiziert am 14.01.2020

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Was ist «Resilienz»?

– Kurz und bündig ist an diesem Begriff, der die biomedizinische Literatur seit zirka 2017 überflutet, kein Vorbeikommen mehr.
– Resilienz ist seelische Widerstandskraft oder die Fähigkeit, etwas an sich abprallen (lat.: resilire) zu lassen.
– Die individuelle Resilienz wird durch viele Einflüsse und Fähigkeiten bestimmt: Überlebenswille, Umgang mit Verzicht/Frustrationen, Wohlbefinden, Härte/Abhärtung, Prioritäten im Lebensplan u.a.m.
– Gruppenspezifisch hohe Resilienz: zum Beispiel unter Flüchtlingen wie «boat people».
– Gruppenspezifisch tiefe Resilienz: zum Beispiel in der Opposition gegenüber höherem Rentenalter.
– Eine hohe Resilienz erfordert starke innere und günstige exogene Faktoren* (siehe Abbildung).
* Wussten wir schon, unter anderen Namen zwar …
Determinanten der Resilienz («promotive and protective factors and processes» = PPFP).
Lancet Psychiatry 2019, doi.org/10.1016/S2215-0366(19)30434-1.
Verfasst am 07.12.2019.

Praxisrelevant

Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen: Rolle des Nicht-HDL-Cholesterins

Der Wert des Nicht-HDL-Cholesterins ergibt sich aus dem Gesamtcholesterin minus das HDL-Cholesterin. Das Nicht-HDL-Cholesterin enthält alle ApoB enthaltenden und als «atherogen» beschriebenen Lipopro­teine: LDL, Lipoprotein (a), sogenannte «intermediate density» und «very low density» Lipoproteine, Triglyzeride. Der Wert des Nicht-HDL-Cholesterins liegt normalerweise etwa 0,75 mmol/l über dem direkt gemessenen LDL-Wert. In 38 europäischen Kohorten mit etwa 400 000 Patient(inn)en und einer medianen Beobachtung von eindrücklichen 13,5 Jahren war das Nicht-HDL-Chole­sterin konzentrations- und zeitabhängig (namentlich Konzentrationserhöhungen vor dem 45 Altersjahr) mit deutlich erhöhtem kardiovaskulärem Risiko assoziiert [1]. Das LDL und Nicht-HDL-Cholesterin (als Marker auch für die atherogenen, quasi Nicht-LDL-Lipopro­teine) könnten also das indi­viduelle Risiko besser abschätzen und eine frühere ­lipidsenkende Therapie notwendiger machen. Man kann sich fragen, ob eine bessere individualisierte Risikoevalutation und Intervention nicht die direkte Bestimmung der einzelnen Nicht-LDL-Lipoproteine, zumindest des Lipoproteins (a), enthalten sollte. Dies zumal das Lipoprotein (a) zusätzlich sowohl ein Risiko- als auch ein Progres­sionsfaktor für die valvuläre Aortenstenose ist und via Hemmung der Plasminogenaktivierung thrombolysehemmend wirkt. Dazu würde eine das Lipoprotein (a) senkende Therapie helfen, doch sind bislang nur experimentelle Therapieoptionen vorhanden («anti-sense»-Oligonukleotide, siehe [2]).
2 Swiss Med Forum. 2019, doi.org/10.4414/smf.2019.08408.
Verfasst am 08.12.2019

Schlüsselbotschaften über Diagnose, Bild­gebung und Selbstbehandlung für Patient(inn)en mit unspezifischen Kreuzschmerzen?

Unspezifische oder auch nichtentzündliche Kreuzschmerzen («lower back pain») betreffen etwa ¾ der Bevölkerung zumindest einmal im Leben. Sie sind eines der häufigsten Probleme in der Hausarztpraxis. Die wichtigsten Informationen für die Betroffenen sind ­eigentlich schon länger bekannt, werden aber anscheinend nur ungenügend umgesetzt. Zentral und konkordant zwischen Fachleuten und Betroffenen für einen guten Behandlungserfolg und kostensparend sind die Betonung eines möglichst aktiven Lebensstils, die Zusicherung, dass gefährliche Kreuzschmerzen ausgeschlossen wurden, respektive Informationen, wann sich der Patient für eine weitergehende Diagnostik melden soll («red flags»), ­sodann die Beruhigung, dass es sich um ­«etwas Normales» ohne schädigende Langzeitwirkungen handelt. Nach wie vor betonen die Betroffenen allerdings den Wert einer Bildgebung in übertriebener Weise, dies in starkem Gegensatz zu den Fachleuten.
Eine Liste der für Ihre Patientenbetreuung wichtigsten Schlüsselbotschaften finden Sie aufgeführt in Tabelle S1 im Online-Appendix1 des «Kurz und bündig».
Verfasst am 09.12.2019.

Triplette zu venösen thromboembolischen Erkrankungen

Fibrinolyse bei Verdacht auf Lungenembolie als Ur­sache des Herzkreislaufstillstandes
Lungenembolien sind für 2–5% aller Fälle von Herz-Kreislauf-Stillständen verantwortlich, mit einer 30-Tage-Überlebenswahrscheinlichkeit von fast 0%. Eine Studie aus Frankreich suggeriert, dass in dieser Situation und bei entsprechendem klinischen Verdacht eine Fibrinolyse/Thrombolyse trotz laufender Reanimationsbemühungen von Vorteil sein könnte. Bei Pa­tient(inn)en mit vermuteter Lungenembolie verbesserte sich die 30-Tage-Prognose durch die Fibrinolyse von etwa 1% auf etwas mehr als 10% (p <0,005), wobei die Diagnose Lungenembolie angiographisch bei Spitaleintritt gestellt wurde. Patient(inn)en, die vor Eintreffen des Notfallteams wieder eine spontane Kreislaufaktivität erreicht hatten, wurden ausgeschlossen. 58 Patient(inn)en mit waren 188 Patient(inn)en ohne Fibrinolyse gegenübergestellt worden, lebensbedrohliche Blutungen wurden nicht beobachtet. Eine methodisch bessere Evidenz wird es wahrscheinlich in dieser perakuten Situation nicht geben. Allerdings hätte man Differenzierteres über den – unter anderen – neurologischen (Langzeit-)Verlauf erfahren wollen. Ebenfalls fehlen Angaben über die Nebenwirkungen der Fibrinolyse bei Patient(inn)en, bei denen der Verdacht auf die Lungenembolie dann nicht erhärtet wurde.
Verfasst am 09.12.2019.
Verhinderung des postthrombotischen ­Syndroms nach akuter ileofemoraler Thrombose
Im Vergleich zu klassischer Antikoagulation, Kompressionsstrümpfen über die Knie (30–40 mm Hg Druck) und früher Mobilisierung (n = 75) führte eine ultraschallgesteuerte, katheterbasierte lokale Thrombolyse (n = 77) mit Urokinase (plus nach Urteil des Angiologen: Absaugen des Thrombus, Angioplastie, Stenteinlage) nicht zu einer verminderten Inzidenz von postthrombotischen Syndromen nach 12 Monaten. Untersucht wurden Patient(inn)en mit erstmaliger akuter Thrombose (nicht älter als 14 Tage).
Lancet Haematol. 2019, doi.org/10.1016/S2352-3026(19)30209-1.
Verfasst am 09.12.2019.
Ausschluss von Lungenembolien mit D-Dimer-Bestimmung: Die klinische Vortestwahrscheinlichkeit definiert den Cut-off
In der vorliegenden prospektiven Studie werden retrospektive Analysen bestätigt, die eine Adaptation der sogenannten Cut-off-Werte für die D-Dimere in Ab­hängigkeit der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Lungen­embolie (Wells-Score, siehe Tabelle) empfehlen. Bei tiefer Vortestwahrscheinlichkeit (Wells-Score 0–4) schlossen D-Dimer-Werte <1000 ng/ml eine Lungenembolie (gemäss Angio-Computertomographie [-CT] und einer Nachbeobachtung von drei Monaten) effektiv aus. Bei mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit (Wells-Score 4,5–6) konnte die Diagnose bei D-Dimer-Werten von <500 ng/ml ausgeschlossen werden. Die Autor(inn)en berechnen, dass durch die Anwendung dieser auf klinischer Einschätzung beruhenden D-Dimer-Grenzwerte eine signifikante Reduktion durchgeführter Angio-CTs resultieren sollte. In der Studienpopulation würde die Kombination D-Dimere <500 ng/ml und tiefe Vortestwahrscheinlichkeit in fast 52% ein Angio-CT zur Diagnostik oder zum Ausschluss bedingen. Mit den flexiblen Kriterien sind dies nur noch gut 34%.
Tabelle: Wells-Score für die Vortestwahrscheinlichkeit einer Lungenembolie.
Klinische Daten und SymptomePunkte
Zeichen oder Symptome einer tiefen Beinvenenthrombose3,0
Keine plausible andere Diagnose als Lungen­embolie3,0
Herzfrequenz >100/Minute1,5
Immobilisierung/chirurgischer Eingriff innerhalb der letzten Wochen1,5
Frühere gesicherte Beinvenenthrombose/Lungen­embolie1,5
Hämoptyse1,0
Tumorerkrankung1,0
Vortestwahrscheinlichkeit:
tief: 0–4,0; mittel 4,5–6,0; hoch: 6,5–12,5
N Engl J Med. 2019, doi/org.10.1056/NEJMoa1909159.
Verfasst am 09.12.2019.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Dislozierte Femurhalsfrakturen: ­welche ­Operation?

Nach der früher oft praktizierten inneren Fixation werden heute bei dislozierter Femurhalsfraktur die totale (Femurhals-Kopf-Prothese plus Azetabulum-Prothese) oder die partielle Hüftarthroplastik (nur Femurhals-Kopf-Prothese) empfohlen. Rechtfertigt sich der grössere Eingriff der totalen Arthroplastik durch bessere Langzeitresultate? Nein, laut einer multizentrischen Studie, die die beiden Operationen bei je mehr als 700 Pa­tient(inn)en über 24 Monate postoperativ verglich. Zunächst bestätigt die Studie, dass diese Frakturen ein ernsthafter Dekompensationgrund für diverse Erkrankungen sind. Etwa 40% erlitten eine oder mehrere ernsthafte Komplikationen, die Mortalität war in beiden Gruppen mit 13 respektive 14% hoch, aber vergleichbar. Jeder etwa 12. Patient in beiden Gruppen musste einer Revisionsoperation (der primäre Endpunkt) unterzogen werden. Die Lebensqualität wurde von der Gruppe mit totaler Arthroplastik als leicht besser beurteilt (klinisch unbedeutend nach Ansicht der Autoren). Wie werden die Resultate nach Ablauf der 24 Monate aussehen?
Der Editorialist würde bei kurzer Lebenserwartung die partielle, bei mehrjähriger Lebenserwartung die totale Arthroplastik (unter Verwendung eines kleinen Femurkopfes von <35 mm und technischen Feinheiten an der Pfannendachprothese) durchführen. Nur, wie misst man die Lebenserwartung, vor allem wenn es sich um eine Notfalloperation handelt?
N Engl. J Med. 2019, doi.org/10.1056/nejmoa1906190.

Benzodiazepinresistenter konvulsiver Status epilepticus: was nun?

Gemäss einer Studie bei Kindern (>2 Jahre) und Erwachsenen stehen den Notfall- und Intensivmedi­zinern drei in etwa äquivalente Medikamente als Zweitlinientherapie bei benzodiazepinresistentem (Dia­zepam, Lorazepam und Midazolam) konvulsivem Status epilepticus zur Verfügung: Levetiracetam, Fosphenytoin oder Valproat konnten alle in etwa der Hälfte der Fälle den Krampfanfall unterbinden und ­innert 60 Minuten eine deutliche Verbesserung des Bewusstseinsniveaus in­duzieren [1]. Etwa 2/3 der Patient(inn)en wiesen eine ­bekannte Epilepsie auf, bei immerhin 10% aller Patient(inn)en ging man sekundär dann von einer psychogenen Ätiologie aus. Diese Studie ist mit den im Lancet auch dieses Jahr publizierten (sowie kurz und bündig besprochenen [2]) Vergleichstudien (Levetiracetam versus Phenytoin) bei Kindern vergleichbar [3, 4].
1 N Engl J Med. 2019, doi.org/10.1056/nejmoa1905795.
2 Swiss Med Forum. 2019; doi.org/10.4414/smf.2019.08277.
Verfasst am 08.12.2019.

Neues aus der Biologie

CO2 konsumierende E. coli

Heterotrophe Organismen sind solche, die Biomasse unter CO2-Produktion konsumieren, autotrophe solche, die CO2 unter Produktion von Biomasse konsumieren. Angesichts der Klimadebatte ist die beträchtliche Medienaufmerksamkeit verständlich, die die Manipulation heterotropher Escherichia (E.) coli in autotrophe Abkömmlinge erhielt. Der In-vitro-Evolutionsprozess, bis die E. coli CO2 als einzige Kohlestoffquelle verwendeten, dauerte etwa 200 Tage [1]. Werden diese Bakterien einmal die globale CO2-Bilanz ändern können? Auf jeden Fall sei die Technik wie eine «metabolische Herztransplantation», wie ein Spezialist auf diesem Gebiet zitiert wird [2].
Verfasst am 08.12.2019.

Das hat uns nicht gefreut

Zu viele Nebenwirkungen für neue Anti-Osteoporotika

Die Protease Kathepsin K ist unter anderem wichtig in der Knochenresorption in der sogenannten Resorp­tionslakune unter der Osteoklastenmembran. Kathepsin-Inhibitoren sind wahrscheinlich aktuell die einzigen Substanzen, die die Rate der Resorption von der Knochenneubildung trennen (sog. «uncoupling»), das heisst eine gehemmte Resorption wird bei ihnen nicht obligatorisch von einer gehemmten Knochenbildung gefolgt. Die Zunahme der Knochendichte unter einem der Hemmer (Odanacatib) bei postmenopausaler Osteoporose war eindrücklich und ohne Plateaueffekt, die vertebrale Frakturhäufigkeit reduzierte sich um etwa 50%. Aber: In der Therapiegruppe war das kardiovaskuläre Risiko erhöht, Patientinnen wiesen gehäuft lokale skleroderme Hautveränderungen (Morphea) sowie – überraschend – auch vermehrt Femurfrakturen, auch sogenannte atypische, auf. Das ist wohl vorerst das Ende der Geschichte für die Kathepsin-K-Inhibitoren.
Lancet Diabetes Endocrinol. 2019, doi.org/10.1016/S2213-8587(19)30346-8.
Verfasst am 08.12.2019.

Auch noch aufgefallen

Kirchenbesuch oder Medikament bei ­akuter ­Migräne?

Die schöne, an prominent erhöhter Lage gebaute St.-Georgen-Kapelle von Berschis bei Walenstadt (SG) wird von den berg- und südwärts fahrenden Touristen selten beachtet. Der lohnende Besuch zeigt im Kapellen­inneren ein sogenanntes Kopfwehloch, in das die Bewohner, wohl viele mit Migräne, ihren schmerzenden Kopf hielten (siehe Abbildungen).
Ein neuer, nun oral verfügbarer CGRP-(«calcitonin gene related product»-)Antagonist (Ubregepant) führte bei akuter Migräne­attacke innerhalb von zwei Stunden in etwa 20% der Fälle zu einer Besserung gegenüber 10% bei Plazebo. Also ein eher bescheidener Effekt, wenn man bedenkt, dass in der Kontrollgruppe nicht andere «Migräne-Mittel» als Vergleich zur Anwendung gelangten. Die Dauerhaftigkeit der Wirkung ist ebenfalls noch zu dokumentieren.
Kapelle St. Georgen in Berschis (SG), im Hintergrund zwei der Churfirsten, genauer Schibenstoll (rechts, respektive östlich) und Zuestoll (© sarganserland-walensee.ch ).
Kopfwehloch der Kapelle St. Georgen in Berschis (© ­ sarganserland-walensee.ch ).
Verdankung
Wir danken sarganserland-walensee.ch herzlich für die zur Verfügung gestellten Bilder.
N Engl J Med. 2019, doi.org/10.1056/NEJMoa1813049.
Verfasst am 08.12.2019

Gallensäure-Analogon und nichtalkoholische Steatohepatitis

Die nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH) ist zumindest in unseren Breitengraden die häufigste chronische Lebererkrankung, die zu Zirrhose und hepatozellulären Karzinomen führen kann. Wir hatten kurz und bündig über die positiven Effekte eines Thyromimetikums (Agonist des hepatischen Thyroxin-Beta-­Rezeptors) bei der NASH berichtet [1]. Nun ergibt eine ordentlich geplante Interimsanalyse, dass die plazebokontrollierte Zufuhr von Obeticholsäure nach 18 Monaten zu einer signifikanten Abnahme der sonographisch geschätzten Leberfibrosierung führt [2]. Gespannt warten wir auf die spätere Publikation der relevanten klinischen Verlaufsparameter.
1 Swiss Med Forum 2020, doi.org/10.4414/smf.2020.08454.
Verfasst am 07.12.2019.

Nicht ganz ernst gemeint

Fondue-Absatz erhöhen?

Der Fondue-Konsum asiatischer Tourist(inn)en in der Schweizer Gastronomie wird durch den «Asian Flush», eine intensive Rötung mit Pruritus nach minimaler Alkohol­exposition limitiert. Die Störung betrifft etwa ­einen Drittel der Asiat(inn)en und ist genetisch bedingt (Polymorphismen in den Genen der Alkohol- und Acetaldehyd-Dehydrogenasen). Antagonisten des Hist­amin-1-Rezeptors wirken, machen aber müde. In ­einer plazebokontrollierten, prospektiven Studie führt das Auftragen eines Brimonidin-Gels (ein vasokonstringierender, selektiver Alpha-2-Agonist) im Gesicht zu einer signifikanten Reduktion des Erythems nach Alkoholkonsum. Brimonidin als Gel (und in Augentropfen) ist in der Schweiz erhältlich.
Verfasst am 08.12.2019.
Das «Kurz und bündig» gibt es noch aktueller «online first» und neu auch als Podcast unter medicalforum.ch!