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Aufgrund zunehmender Resistenzentwicklungen und vermehrter Bedenken hinsichtlich Medikamentensicherheit gerät der Einsatz von Fluorochinolonen immer mehr unter Beschuss. Welche Alternativen gibt es in der Urologie?
Hintergrund
Fluorochinolon-Antibiotika (FC) haben eine bakterizide Wirksamkeit gegen viele Gram-positive und Gram-negative Bakterien und werden zur Therapie eines breiten Spektrums von Infektionskrankheiten eingesetzt, unter anderem auch Infektionen der Harnwege. Sie sind heute eine der am meisten eingesetzten Antibiotikaklassen. Leider werden sie aber auch häufig für nicht zugelassene Indikationen wie die akute Bronchitis, Infektionen der oberen Atemwege oder die chronische, abakterielle Prostatitis eingesetzt, was unter anderem eines der beiden grossen Probleme dieser Medikamentenklasse mitbedingt. So zeigt sich einerseits eine zunehmende Resistenzentwicklung gegenüber FC [1]. Andererseits und unabhängig von Ersterem ergeben sich Probleme bei der Medikamentensicherheit mit vermehrten Hinweisen auf schwere, zum Teil irreversible Schäden am Nervensystem und Bewegungsapparat. Aufgrund Letzterem hat die Europäische Kommission (EC) auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur («European Medicines Agency» [EMA]) die Zulassung von gewissen, selten verwendeten FC widerrufen und zusätzlich generelle Einschränkungen für FC mit rechtlicher Gültigkeit innerhalb der Europäischen Union erlassen [2].
Diese lauten wie folgt:
– Fluorochinolone sollen nicht mehr verwendet werden als Medikamente der ersten Wahl bei unkomplizierten HWI.
– Fluorochinolone dürfen nicht mehr verwendet werden zur :
• Prophylaxe von rezidivierenden Harnwegsinfektionen;
• Infektionsprävention nach chirurgischen Eingriffen und Prostatabiopsie;
• bei unklarer Septikämie.
– Unverändert bleibt die Indikation bestehen zur Behandlung von Infektionen mit Beteiligung von parenchymatösen Organen des Harntraktes oder der männlichen Adnexe (Pyelonephritis, Prostatitis, Epididym-Orchitis) sowie der Urosepsis.
Für Unruhe unter den Urologen sorgte dabei einzig der Punkt betreffend Prostatabiopsie (PB), da in einem Schreiben der Europäischen Gesellschaft für Urologie darüber orientiert wurde, dass der prophylaktische Einsatz von FC bei der PB aus den europäischen Guidelines gestrichen werde. Gerade aber bei der PB haben sich die FC wegen ihres guten Abdeckens der uropathogenen Keime und insbesondere auch ihrer guten Gewebegängigkeit als Mittel der ersten Wahl fest etabliert und es stehen, wie im Folgenden gezeigt wird, keine «einfachen» Alternativen zur Verfügung.
Bei genauer Betrachtung des Originaltextes der legislativen Direktive der EC zeigt sich jedoch, dass nur die Anwendung im Anschluss an eine Intervention verboten wurde. Unter Vorbehalt der korrekten Interpretation des Textes wird demnach die präbioptische Prophylaxe mittels einem FC-Single-Shot weiter akzeptiert, die prolongierte, postbioptische Prophylaxe jedoch verboten. Letztere muss aber ohnehin als obsolet bezeichnet werden, denn die aktuelle Evidenz zeigt klar, dass die prolongierte Prophylaxe (z.B. über drei Tage) dem präinterventionellen Single Shot nicht überlegen ist [3].
Nichtsdestotrotz zeigt das obige Beispiel auf, dass der Einsatz von FC immer mehr unter Beschuss gerät und es deshalb sinnvoll ist, sich zumindest für die häufigen Anwendungen Gedanken über Alternativen zum Einsatz von FC zu machen. Dies soll im Folgenden für das Beispiel der PB beleuchtet werden.
Antibiotikaprophylaxe vor PB vor Hintergrund zunehmender Antibiotikaresistenz
Die Epidemiologie der Antibiotikaresistenzen weist in Europa grosse regionale Unterschiede auf. In der Schweiz werden die Resistenzdaten durch das Schweizerische Zentrum für Antibiotikaresistenzen dokumentiert (www.anresis.ch) und können über eine Web-Applikation einfach abgerufen werden (www.infect.info). Für Escherichia (E.) coli wurde in den letzten Jahren eine Verdoppelung der FC-Resistenz von zirka 10% im Jahre 2004 auf knapp 20% im Jahre 2018 festgestellt [4].
Zur Frage, wie vor dem Hintergrund dieser zunehmenden Resistenzlage im Hinblick auf eine antibiotische Prophylaxe vor transrektaler PB umgegangen werden soll, wurde 2017 eine ausgezeichnete Übersichtsarbeit publiziert [5]. Die relevantesten Aspekte sind unten aufgeführt und werden in Abbildung 1 illustriert.
Risikostratifizierung
In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass das Risiko einer postbioptisch infektiösen Komplikation bei Patienten mit FC-resistenten Keimen in der Rektalflora 4–5-fach erhöht ist verglichen mit Patienten ohne antibiotikaresistente Keime [6, 7]. Mittels kurzer Anamnese können etablierte Risikofaktoren einfach indentifiziert werden [5, 8]. Hiervon unterschieden werden müssen Situationen, die ein allgemein erhöhtes Infektrisiko mit sich bringen wie zum Beispiel Diabetes mellitus, Saturationsbiopsie oder Bakteriurie [9–11]. Wenn Risikofaktoren vorhanden sind, kommen prinzipiell verschiedene Möglichkeiten zur Anpassung der antibiotischen Prophylaxe oder eines adaptierten Biopsievorgehens infrage.
Anpassung der antibiotisch-prophylaktischen Massnahmen
Einsatz eines bereiter wirkenden Antibiotikums
Gemäss einem systematischen Review von Walker et al. [8] zeigten weder Ceftriaxon noch Piperacillin/Tazobactam bessere Ergebnisse verglichen mit Ciprofloxacin. Der prophylaktische Einsatz von Amoxicillin-Clavulansäure ergab sogar schlechtere Outcomes. Diese Medikamente sind als Mono-Ersatz-Prophylaxe somit nicht geeignet, es müsste also beispielsweise auf Ertapenem eskaliert werden [12]. Die Ansprechrate von Darmkeimen auf Ertapenem liegt gemäss den aktuellen Resistenzlagen in der Schweiz bei 98–100% (www.infect.info), was diese Strategie unterstützt.
Ausbau der Ciprofloxacin-Prophylaxe mit einem Zweitantibiotikum (sog. «augmented prophylaxis»)
In verschiedenen Arbeiten wurden meistens Aminoglykoside (Gentamycin oder Amikacin) als Ergänzung zu Ciprofloxacin verwendet und die Infektraten konnten von knapp 4 auf 0,6% gesenkt werden [8]. Die Empfindlichkeit von E. coli und anderen Enterobakterien gegenüber Aminogylokosiden beträgt in der Schweiz 92–95%.
Gezielte Antibiotikaprophylaxe gemäss Rektalabstrich-Resultaten (sog. «targeted prophylaxis»)
Die Studienresultate zu dieser aufwändigen Strategie sind widersprüchlich [7, 8]. Somit ist dies gemäss der aktuellen Datenlage vermutlich keine sinnvolle Lösung für alle Patienten, könnte aber bei selektionierten Hochrisikopatienten in Betracht gezogen werden.
Ergänzende präbioptische Darmvorbereitung
Der protektive Effekt einer dekontaminierenden Spülung des Rektums wird durch bereite Evidenz gestützt, insbesondere bei Verwendung von Povidon-Jod (PVP). In einer Metaanalyse aus sieben Studien mit über 2000 eingeschlossenen Patienten konnte eine deutliche Risikoreduktion bezüglich Fieber, Bakteriurie und Bakteriämie nachgewiesen werden, unabhängig von der zusätzlich verwendeten antibiotischen Prophylaxe [13].
Anpassung der Biopsie-Methodik
Eine deutliche Risikoreduktion im Hinblick auf postbioptisch infektiöse Komplikationen ist möglich durch einen transperinealen Biopsie-Zugang anstatt des klassischen transrektalen Zugangs. Neuere Studien (auch aus der Schweiz) beschreiben eine Sepsisrate von nahezu 0% bei dieser Art der PB [14–16]. Bis vor Kurzem wurden demgegenüber ein erhöhter logistischer Aufwand und vor allem die Notwendigkeit einer Vollnarkose genannt. Aktuelle Publikationen [16, 17] beschreiben aber die transperineale Biospie in Lokalbetäubung und ohne Notwendigkeit einer antibiotischen Prophylaxe. Letzteres wiederum ist ein erheblicher Vorteil im Hinblick auf die Ausweitung der aktuell bestehen Resistenzlage. Einzig das Risiko einer postinterventionellen Harnverhaltung scheint im Vergleich zur transrektalen PB leicht erhöht zu sein [18], was in entsprechenden Risikosituationen beachtet werden muss.
Beurteilung
Resistenzen gegenüber FC stellen unter anderem in der Urologie zunehmend eine Herausforderung dar. Zudem sind in letzter Zeit auch vermehrt Bedenken bezüglich signifikanter Nebenwirkungen dieser Wirkstoffgruppe aufgekommen. Es ist daher sinnvoll für die häufigen Anwendungsindikationen Alternativen zu entwickeln. Für das Beispiel der PB gibt es bereits erprobte Strategien, den Einsatz von Chinolonen zu vermeiden. Das simple Ausweichen auf Breitspektum-Antibiotika ist bei dieser sehr häufigen und prophylaktischen Anwendung sicherlich am wenigsten sinnvoll, da hierdurch die Resistenzproblematik mittelfristig nur noch verschärft werden würde. Eine sehr attraktive Lösung bietet hingegen der Wechsel auf eine transperineale Biopsietechnik, die gänzlich ohne antibiotische Prophylaxe auskommt.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Kopfbild: © Sumie Nomoto | Dreamstime.com
Dr. med. Martin H. Umbehr
Klinik für Urologie Stadtspital Triemli Zürich
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