Dieser Artikel geht auf Pathologie und Pathogenese der diabetischen Nephropathie ein, mit Augenmerk auf die Veränderungen im Nierentubulus, und stellt dar, wie der protektive Effekt der SGLT2-Inhibitoren erklärt werden kann.
Einleitung
In entwickelten Ländern ist die diabetesassoziierte Nierenerkrankung, im Folgenden vereinfachend diabetische Nephropathie (DNP) genannt, die häufigste Ursache einer terminalen Niereninsuffizienz. Das Vorhandensein sowie das quantitative Ausmass einer Albuminurie ist eng mit der renalen wie auch der Gesamtmortalität verknüpft. Die DNP ist ein klinisches Syndrom, das zusätzlich zur Albuminurie durch eine im Verlauf abnehmende glomeruläre Filtrationsrate (GFR), erhöhten Blutdruck und stark erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität charakterisiert ist. Bislang nicht so gut untersucht ist die Untergruppe von Personen mit Diabetes mellitus, die eine deutlich eingeschränkte Nierenfunktion ohne Albuminurie aufweisen. Diese Untergruppe geht häufig mit einer manifesten kardiovaskulären Erkrankung einher und weist ebenfalls ein hohes Progressionsrisiko auf [1].
Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass bei Patienten mit einem Diabetes mellitus differentialdiagnostisch auch eine nicht diabetische Nierenerkrankung oder eine Kombination mit einer solchen infrage kommt. Dies gilt insbesondere für Patienten, die einen Diabetes mellitus Typ 2 (DM2) haben. Die klinische Diagnose einer DNP ist eine Ausschlussdiagnose und nur nach einer sorgfältigen nephrologischen Abklärung zu stellen. Je nach Differentialdiagnose ist eine Nierenbiopsie zur definitiven Diagnosesicherung notwendig. Unabhängig von der Ursache einer Nierenerkrankung ist ihre Progression von den klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren (Blutdruck, Blutzucker, Lifestyle) abhängig und mit einer stark erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität verbunden.
In den letzten Jahren konnten kontrollierte, randomisierte Studien bei Patienten mit DM2 zeigen, dass eine neue Klasse von antidiabetischen Medikamenten, die «sodium-glucose cotransporter 2»-(SGLT2-)Hemmer, eine eindrückliche Wirkung auf kardiovaskuläre und insbesondere auch renale Endpunkte hat (s. Tab. S1 im Online-Appendix des Artikels). In der Tat war die Durststrecke seit Einführung der «angiotensin-converting enzyme»-Inhibitoren (ACEI) und Angiotensin-II-Rezeptorblocker (ARB) sehr lange, bis erneut ein Medikament gefunden wurde, das renoprotektiv wirkt. Der positive Effekt der SGLT2-Hemmer ist additiv zur Behandlung mit ACEI oder ARB. Für die Substanzklasse der «glucagon-like peptide 1»-(GLP-1-)Agonisten zeigte eine Reihe von Studien ebenfalls eine Wirkung hinsichtlich der Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte. Die renalen Endpunkte standen in den Studien zu den GLP-1-Agonisten bisher jedoch nicht im Fokus (Tab. S1 im Online-Appendix des Artikels).
Ziel dieses Artikels ist es, auf die Pathologie und Pathogenese der DNP mit besonderem Augenmerk auf die von Beginn an auftretenden Veränderungen im Nierentubulus einzugehen. Am Ende des Artikels stellen wir dar, wie der protektive Effekt der SGLT2-Inhibitoren erklärt werden kann.
Pathologie und Pathogenese der DNP
Der Goldstandard zur Diagnose der DNP ist die Histologie. Die histologischen Kriterien betreffen Veränderungen im Bereich der Glomeruli mit Verdickung der glomerulären Basalmembran (GBM), Verbreiterung des Mesangiums und im weiteren Verlauf Ausbildung der klassischen nodulären Sklerose, die im fortgeschrittenen Stadium nach den Namen der Erstbeschreiber als Kimmelstiel-Wilson-Läsionen bezeichnet werden (Abb. 1). Zusätzliche typische Veränderungen sind Hyalinosen der afferenten und efferenten Arteriolen als Ausdruck der Ablagerung von Plasmaproteinen und Lipiden in der Gefässwand. Die Verdickung tubulärer Basalmembranen ist in frühen Stadien weniger auffällig, verläuft aber parallel zu den glomerulären Veränderungen [2]. Klinisch korreliert die Hyalinose mit dem Ausmass der Albuminurie als Folge der progressiven Schädigung des glomerulären Filters [3, 4].
Das Verständnis der Pathogenese der DNP hat sich bislang im Wesentlichen auf die Glomeruli fokussiert. Gerade der klinische Nachweis des renoprotektiven Effektes der SGLT2-Inhibitoren rückte aber in den letzten Jahren die proximalen Tubuli verstärkt ins Zentrum und kippt die Balance der Aufmerksamkeit vermehrt vom Glomerulus zum Tubulus.
Der proximale Tubulus in der Pathogenese der DNP
Als unmittelbare Folge einer Hyperglykämie wird in der Niere mehr Glukose filtriert. Gleichzeitig erhöht sich die Kapazität der Glukoserückresorption durch Hypertrophie des proximalen Tubulus mit verstärkter Expression des SGLT2, des Natrium-Glukose-Kotransporters, der für die Hauptlast der Glukoserückresorption verantwortlich ist. Nur wenige Prozent der filtrierten Glukose werden bei fehlender Hemmung des SGLT2 durch einen zweiten Natrium-Glukose-Kotransporter, den SGLT1, transportiert (Abb. S1 A im Online-Appendix des Artikels). Parallel zur erhöhten Filtration und Rückresorption der Glukose nimmt bei einem Diabetes mellitus die Natriumrückresorption zu, was zur Abnahme der Natriumchlorid-(NaCl-)Konzentration im Bereich der Macula densa führt (Abb. 2 B). An dieser Stelle ist eine tiefe NaCl-Konzentration normalerweise die Folge einer erniedrigten GFR. Durch den tubulo-glomerulären Feedback (TGF) resultiert deshalb eine Vasodilatation des Vas afferens mit Erhöhung des intraglomerulären Drucks und konsekutiver Steigerung der GFR. Bei Personen mit einem Diabetes mellitus ist die tiefe NaCl-Konzentration im Bereich der Macula densa jedoch nicht durch eine inadäquat tiefe GFR bedingt, sondern Folge der erhöhten Glukose- und damit Natriumrückresorption. Letzteres hat einen «fehlgeleiteten» Feedbackmechanismus zur Folge, der beim Diabetes mellitus zur bekannten glomerulären Hyperfiltration führt (Abb. S1 C im Online-Appendix des Artikels sowie Abb. 2 B) [5, 6].
Die stark gesteigerte Reabsorption von Glukose ist nur mit einem erhöhten Energie- und damit Sauerstoff-(O2-)Bedarf möglich. Der Natrium-Glukose-Transport hängt von der Aufrechterhaltung des elektrochemischen Gradienten von Natrium über der Zellmembran ab, der durch die Natrium/Kalium-ATPase generiert werden muss (Abb. S1 B im Online-Appendix des Artikels). Experimentelle Studien haben gezeigt, dass der renale O2-Bedarf bei Personen mit Diabetes mellitus um ca. 30% erhöht ist [7]. Dazu liegt bei einem DM2 eine bis zu dreifach gesteigerte Glukoneogenese in den Nieren vor, die den O2-Bedarf weiter steigert [8]. Die Folge dieses hohen O2-Bedarfes ist eine erhöhte Vulnerabilität der Nieren für eine hypoxische Schädigung. Diese Gefahr wird durch weitere Faktoren verstärkt: eine verminderte Effizienz der O2-Verwertung als Folge einer Schädigung der Mitochondrien [9], eine Rarifizierung der Nierengefässe mit Verminderung der O2-Versorgung [10] und eine Vermehrung der extrazellulären Matrix (Fibrosierung), die zu einer erhöhten Diffusionsdistanz für Sauerstoff führt. Hypoxisch geschädigte Tubuluszellen sterben am Ende ab und es entwickelt sich eine Tubulusatrophie (Abb. 3). In der Pathogenese spielen noch viele weitere, «nicht ischämische» Faktoren eine Rolle. Dazu gehören die Insulinresistenz, die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), erhöhte reaktive Sauerstoffmoleküle und Entzündungsfaktoren (Abb. 3).
Mögliche renoprotektive Mechanismen der SGLT2-Inhibitoren
Die deutliche Risikoreduktion durch SGLT2-Hemmer für kardiovaskuläre und renale Endpunkte konnte kaum in dem in klinischen Studien gezeigten Ausmass antizipiert werden. Dies führte in den letzten Jahren anhand teils längst bekannter Erkenntnisse und auch neuer Untersuchungen zu neuen Erklärungsansätzen, die sehr interessant sind und im Folgenden mit dem Fokus auf die Niere dargestellt werden. Die Abhandlung stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit dar und will lediglich einen kleinen Einblick in die aktuell laufenden Diskussionen über potentiell protektive Wirkungsmechanismen einer Substanzklasse geben, die in Zukunft eine noch grössere Bedeutung erlangen wird, wahrscheinlich weit über die Therapie des Diabetes mellitus hinaus.
Aufgrund ihres Wirkungsmechanismus werden folgende Mechanismen für den renoprotektiven Effekt der SGLT2-Inhibitoren genannt: die diuretische Wirkung und die damit verbundene Senkung des Blutdrucks ohne gleichzeitigen Pulsanstieg, die HbA1c-Senkung, die Gewichtsreduktion als Folge der Glukosurie und die Verringerung der Hyperfiltration und damit die Reduktion des mechanischen Stresses im Bereich des glomerulären Filters wie auch der Albuminurie infolge des reduzierten Drucks über dem glomerulären Filter. Durch einen nicht abschliessend geklärten Mechanismus wirken SGLT2-Hemmer auch urikosurisch und führen dadurch zur Reduktion eines bekannten «chronic kidney disease»-(CKD-)Progressionsfaktors (Abb. 4, Punkte 1 und 2).
Die genannten Effekte können jedoch die belegte Risikoreduktion auf die renalen wie auch kardiovaskulären Endpunkte, die sich bereits nach wenigen Monaten abzeichnen, kaum ausreichend erklären.
Durch SGLT2-Inhibitoren kommt es zur Verminderung der Hyperfiltration, die mit dem Auftreten einer Hyperglykämie und der damit verbundenen vermehrten Filtration von Glukose auftritt. Der dadurch verminderte Energie- und O2-Bedarf, der für diese Rückresorption gebraucht wird, vermindert das Risiko einer chronischen wie auch akuten hypoxischen Schädigung der Nieren. In präklinischen Studien wurde durch Hemmung von SGLT2 zudem die Glukoneogenese in den Nieren vermindert und dadurch die Vulnerabilität auf eine hypoxische Schädigung gesenkt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine experimentelle Studie, die einen protektiven Effekt von Dapagliflozin in einem Ischämie-Reperfusionsmodell zeigte. Wenn Dapagliflozin 24 Stunden vor der Ischämie verbreicht wurde, führte dies weitere 24 Stunden später zu einem geringeren Kreatininanstieg sowie zu einer verminderten Tubulusschädigung [12].
Letztlich hat eine Hemmung des SGLT2 metabolische Konsequenzen durch Verschiebung des Stoffwechsels Richtung Ketonkörper (Abb. 4, Punkt 3). Der Begriff Ketonkörper löst die Assoziation einer diabetischen Ketoazidose aus, einem a priori unerwünschten und gefährlichen Zustand. Es kann auch nicht genug betont werden, dass SGLT2-Hemmer mit einem leicht erhöhten Risiko für eine euglykäme, diabetische Ketoazidose verbunden sind, insbesondere bei einem nicht erkannten absoluten Insulinmangel [13] und/oder zusätzlich begünstigenden Faktoren wie Fasten und Volumenmangel. Eine geringe Verschiebung des Stoffwechsels mit leichtgradig erhöhten Ketonkörpern ist aber möglicherweise für die Mehrzahl der Patienten mit Vorteilen verbunden, die den nach kurzer Zeit beobachteten Benefit der SGLT2-Inhibitoren auf kardiovaskuläre und renale Endpunkte erklären könnten.
Wie kommt es zur vermehrten Bildung von Ketonkörpern durch SGLT2-Inhibitoren?
Eine Blockade von SGLT2 und der damit verbundene renale Verlust von Glukose führt zu einer Reihe von Kompensationsmechanismen. Dabei wird die vermehrte Bildung von Ketonkörpern in erster Linie durch den als Folge der Glukosurie tieferen Blutzucker mit konsekutiver Erhöhung der Glukagon/Insulin-Ratio erklärt. Glukagon stimuliert die Lipolyse und damit die Bildung von Ketonkörpern, wohingegen Insulin die Lipolyse hemmt [14, 15]. Möglicherweise erhöhen SGLT2-Inhibitoren zusätzlich die Sekretion von Glukagon über einen direkten Effekt auf die Alpha-Zellen in den Inseln des Pankreas [16], was jedoch umstritten ist [17].
Warum könnten erhöhte Ketonkörper den klinischen Benefit von SGLT2-Inhibitoren erklären?
Es sei hier auf die weiterführende Literatur verwiesen [15]. In diesem Artikel geht es lediglich darum, die Schlüsselbeobachtungen und Überlegungen zusammenzufassen.
Die diabetische Stoffwechsellage weist trotz Hyperglykämie Parallelen zu einem Fastenzustand auf, da durch einen absoluten oder relativen Insulinmangel die Glukose von verschiedenen Zellen nicht ausreichend aufgenommen und verstoffwechselt werden kann. Durch experimentelle Studien am Herzen von Ratten konnte gezeigt werden, dass der Stoffwechsel in dieser Situation vermehrt auf Glykolyse und Verbrennung von Pyruvat (Endprodukt der Glykolyse) und freien Fettsäuren umstellt. Dies ist jedoch energetisch ineffizient. Unter SGLT2-Inhibitoren wird der Stoffwechsel in Richtung Ketogenese verschoben (Abb. 3). Ketonkörper sind hocheffiziente Energieträger und werden auch als «super fuel» bezeichnet. Die Kombination von Glukose und Ketonkörpern führt zu einer ähnlichen Verminderung des Sauerstoffkonsums und Steigerung der Herzleistung wie die Kombination von Glukose und Insulin [18].
In den Nieren ist die Situation ungleich komplexer. Im Gegensatz zum Herzen ist der Stoffwechsel weniger homogen und je nach Tubulusabschnitt unterschiedlich. Ob der günstige Effekt von SGLT2-Inhibitoren auf renale Endpunkte auch mit einem effizienteren Metabolismus durch die Verbrennung von Ketonkörpern mitbedingt ist, bleibt im Moment eine spannende Hypothese, die in weiteren Studien untersucht werden muss.
Das Wichtigste für die Praxis
• Die Risikoreduktion für kardiovaskuläre und renale Endpunkte durch SGLT2-Inhibitoren übertrifft die Erwartungen. Mit einem «bedside to bench»-Vorgehen wird ausgehend von den Erkenntnissen aus klinischen Studien versucht, den pleiotropen Wirkungsmechanismus dieser neuen Substanzklasse besser zu verstehen. Dem Angriffspunkt der SGLT2-Inhibitoren entsprechend rückt der proximale Tubulus ins Zentrum des Interesses.
• Für die Risikoreduktion durch SGLT2-Inhibitoren bezüglich kardiovaskulärer und renaler Endpunkte werden meistens folgende Faktoren genannt: HbA1c-Senkung durch bessere Blutzuckerkontrolle mit Abnahme der Glukotoxizität, Korrektur und Verringerung der glomerulären Hyperfiltration, Gewichtsabnahme infolge der Glukosurie, diuretischer Effekt mit Verminderung des Blutdruckes und Abnahme der Albuminurie.
• Das Ausmass der Risikoreduktion für die kardiovaskulären und – dem Fokus dieses Artikels entsprechend – insbesondere für die renalen Endpunkte bedarf jedoch weiterer Erklärungen. Besonders attraktiv scheint die Hypothese, dass SGLT2-Inhibitoren den Sauerstoffbedarf und damit die Gefahr einer hypoxischen Schädigung der Nieren durch Verminderung der tubulären Transportarbeit senken. Gleichermassen könnte die leichte Verschiebung des Stoffwechsels Richtung Ketonkörper, die gerne als «super fuel» bezeichnet werden, zur Verminderung des Sauerstoffbedarfes beitragen.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Korrespondenz
Prof. Dr. med. Andreas W. Jehle Klinik für Innere Medizin und Nephrologie Hirslanden Klinik St. Anna St. Anna-Strasse 32 CH-6006 Luzern andreas.jehle[at] hirslanden.ch
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