Kurz und bündig
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Kurz und bündig

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Ausgabe
2020/4344
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08618
Swiss Med Forum. 2020;20(4344):591-594

Publiziert am 20.10.2020

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Idiopathischer Fazialisparese

– Akuter Beginn mit Progression über Stunden (maximale Parese nach 72 Stunden)
– Spontane Abheilung nach 3–6 Wochen (in >70% der Fälle komplett)
– Höchste Inzidenz bei 15–45-Jährigen, häufigste Hirnnervenparese
– Pathomechanismus: am ehesten Reaktivierung eines Herpes-simplex-Typ-1-Infektes
– Bei Aussparung der Stirn- und Augenmuskeln (zentrale Parese) und/oder zusätzlichen neurologischen Symptomen (Nystagmus, Ataxie, Paresen, Sensibilitätsstörungen): zentral vaskuläre und demyelinisierende Ursachen (siehe Abbildung)
– Bilaterale Paresen meist entzündlich: Sarkoidose, Borreliose, Lues
– Mit Gesichtsschmerzen (+ allenfalls Bläschen): Herpes zoster
– Therapie: Prednison p.o. 60–80 mg pro Tag für eine Woche, Wirkung antiviraler Therapie unsicher (Valaciclovir, Aciclovir), Augenschutz mit künstlichen Tränentropfen (4-mal pro Tag) und Salbe (nachts), allenfalls mit «taping»
Darstellung der Unterschiede bei peripherer und zentraler Fazialisparese (aus: Garro A, Nigrovic LE. Ann Emerg Med. 2018;71(5):618–24. https://www.sciencedirect.com/journal/annals-of-emergency-medicine. Copyright © 2017 by the American College of Emergency Physicians, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung).
Verfasst am 21.09.2020.

Ärztliche Weiter- und Fortbildung

Eine Publikation pro Tag lesen!

Mit kurz und bündiger Begeisterung kann man das erfrischende Interview einer jungen Molekularbiologin, Olivia Rissland, lesen: 2018 nahm sie sich vor, während sechs Monaten täglich eine, und zwar ihr bislang nicht bekannte, Publikation zu lesen. Diese Gewohnheit machte sie abhängig nach guter medizinischer Literatur! Sie konnte nämlich nach sechs Monaten nicht aufhören, sondern war zum Zeitpunkt des Interviews bei einer Zahl von 899 Publikationen oder ebenso vielen Tagen (= 2,5 Jahre) angekommen! Sie ist überzeugt, dass sie eine bessere Wissenschaftlerin, auch glücklicher und menschlicher geworden ist. Die Lektüre, jenseits der Alltagsaufgaben, zählt sie zu den besten Momenten ihrer Tage: «After reading other peoples beautiful research, I come away feeling really inspired and full of ideas.» Vielleicht eine wunderbare Burn-out Prophylaxe!
Verfasst am 19.09.2020.

Praxisrelevant

Selbst entnommener Speichel: eine zuverlässige SARS-CoV-2-Quelle

Die hier vorliegende Studie ist wahrscheinlich die beste, die selbst entnommene Speichelproben bei hospitalisierten und ambulanten Patient(inn)en mit einer COVID-19-Erkrankung mit durch Fachpersonen entnommenen Nasopharyngealabstrichen beim gleichen Individuum verglich.
In gepaarten Untersuchungen war die falsch negative Probenrate bei selbst entnommenen Speichelproben tiefer als bei durch eine Fachperson entnommenen ­Nasopharyngealabstrichen, vor allem in den ersten zehn Tagen nach Symptombeginn. Auch bei asymptomatischen medizinischen Fachpersonen waren die Speichelproben den Nasopharyngeal-Abstrichen mehr als ebenbürtig.
Speichelproben durch Patient(inn)en sparen Material («personal protective equipment»), sind epidemiologisch sicherer (kein direkter Kontakt zwischen Patient/in und entnehmender Fachperson) und würden einen Engpass in der Teststrategie (Zulauf zu Praxen, Notfallstationen und anderen Testzentren) eliminieren.
N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMc2016359.
Verfasst am 19.09.2020.

Chronischer Opiatkonsum als Ursache einer Nebenniereninsuffizienz

Eine chronische Opiattherapie oder ein solcher Konsum kann durch Hemmung der hypothalamisch-­hypophysären-adrenalen Achse zu einer Nebennieren­rinden­insuffizienz führen.
Unter mehr als 100 Patient(inn)en mit einer mittleren, täglichen Morphium-Äquivalenzdosis von 60 mg während fünf Jahren war eine Nebenniereninsuffizienz (Cortisol und ACTH tief) bei etwa jeder/jedem zehnten nachweisbar!
Vorstellbar ist, dass die klinischen Symptome einer Opiatnebenwirkung nicht einfach von jenen einer «Addison-Krise» zu unterscheiden sind. Also daran denken, vor allem bei zusätzlichen Stressfaktoren wie Unfällen, Operationen und Infekten oder Limitierung der Salzzufuhr / einem Salzmangel (Hitzeperioden, Durchfall, Erbrechen)!
J Clin Endocrinol Metab. 2020, doi.org/10.1210/clinem/dgaa499.
Verfasst am 21.09.2020.

Neues aus der Biologie

Endogene Abwehr bakterieller Harnwegsinfekte

Das Epithel der ableitenden Harnwege hat die Möglichkeit, eine Reihe von antimikrobiellen Peptiden (sog. AMPs) zu sezernieren. Eine weitere Möglichkeit ist die Sezernierung von Lipocalin (sog. NGAL) aus den Sammelrohrzellen (die einen Sensor für Bakterien, den Chlorid-Bicarbonat-Austauscher, eingebaut haben). Dieses ­Lipocalin sequestriert freies Eisen, womit dieser ­essentielle Wachstumsfaktor den Bakterien vorenthalten wird. Die Zellen des aufsteigenden Schenkels der Henle'schen Schleifen ihrerseits sezernieren das Uromodulin (UMOD; früher Tamm-Horsfall-Protein, Bestandteil beispielsweise der hyalinen Zylinder im Urinsediment) und es wurde schon lange vermutet, dass UMOD auch einen Schutz gegen Harnwegsinfekte bietet.
Eine Zürcher Forschergruppe (ETH, Kinderspital, Physiologisches Institut) fand, dass dieses Protein fischgratartige Filamente bildet, welche die Pili oder Fim­brien uropathogener Bakterien binden. Genauer findet die Bindung zwischen glykosylierten Sequenzen der UMOD-Fibrillen und dem bakteriellen Fimbrienprotein, Adhesin, statt. Dadurch wird kompetitiv verhindert, dass sich die Bakterien ans Uroepithel binden können. Die im UMOD-Netzwerk gefangenen Bakterien werden dann mit dem Urin ausgeschieden ([1], siehe Abbildung). Eine genetische Variante im Promo­ter-Bereich des UMOD-Gens führt zu einer Verdoppelung der UMOD-Ausscheidungsrate und ist mit Schutz gegen Harnwegsinfekte assoziiert [2].
Die Uromodulin-Filamente binden die Pili uropathogener Bakterien (hier z.B. Escherichia coli) über deren Fimbrienprotein ­Adhäsin und verhindern damit, dass sich die Bakterien ans Uroepithel binden können (Bild des Uroepithels: © Jlcalvo | Dreamstime.com).
2 Nat Med. 2013, doi.org/10.1038/nm.3384.
Verfasst am 19.09.2020.

Aus Schweizer Feder

Hokus-POCUS!

Diese Übersichtsarbeit stellt die erstaunlichen Fortschritte vor, welche die am Krankenbett anwendbaren Taschenultraschallgeräte, in diesem Fall für die Dia­gnose von Lungenerkrankungen, bieten. In den geübten Händen des Autors dieser Arbeit ist es eine sehr wertvolle, preisgünstige und schnelle Methode, die den Untersucher zudem ans Krankenbett und zum Patienten selber zwingt. Eine zunehmende Zahl medizinischer Fakultäten bilden die Studenten routinemässig in der Anwendung dieser POCUS-Gerät («point of care ultrasound») aus, in einigen ist die Anschaffung des Gerätes gar Pflicht.
Wichtig erscheint, dass versucht wird, die Qualität mit grosser Sorgfalt in die generelle Anwendung zu übertragen. Dabei sind – unter anderem – die Dokumentation in ein elektronisches Archiv mit retrospektiv möglicher Überprüfung der Befundungsqualität und prospektive, vergleichende Studien (mit Goldstandards) notwendig.
Verfasst am 19.09.2020.

Für Ärztinnen und Ärzte im Spital

Unkonventionelle Verhinderung einer ventilator­assoziierten Pneumonie

Nach der endotrachealen Intubation muss der Tubus an seinem distalen Drittel mit einem sogenannten «cuff» stabilisiert und für eine effiziente Ventilation aufgeblasen werden. Genau hier bilden und stauen sich bakteriell kontaminierte Sekrete, die dann zu invasiven Infekten führen können (siehe Abbildung).
Mit Kurkuma (gelber Ingwer), die photosensitive Sub­stanzen enthält, wurden die aus Kunststoff (PVC) hergestellten Tuben beschichtet und in vitro und in vivo bei Patient(inn)en mit Licht beschienen. Dadurch kam es zur Bildung freier Sauerstoffradikale, welche die vorbestehenden Konzentrationen an grampositiven und gramnegativen Keimen (Staphylokokken, Pseudomonas und Escherichia coli) auf unter 5% senken konnten.
Eine repetitiv anwendbare, für die Patient(inn)en unbedenkliche Methode, die aber noch beweisen muss, dass im klinischen Umfeld effektiv auch weniger ventilator­assoziierte Pneumonien auftreten.
Im und um den «cuff»-Teil des Tubus können sich kontaminierende Sekrete (Biofilme) bilden. Diese können in die unteren Luftwege gelangen und zur Pneumonie führen (aus: Zangirolami AC, Dias LD, Blanco KC, Vinagreiro CS, Inada NM, Arnaut LG, et al. Avoiding ventilator-associated pneumonia: Curcumin-functionalized endotracheal tube and photodynamic action. Proc Natl Acad Sci U S A. 2020;117(37):22967–73. doi:10.1073/pnas.2006759117. © 2020 National Academy of Sciences ; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung). ETT: «endotracheal tube».
Proc Natl Acad Sci U S A. 2020, doi.org/10.1073/pnas.2006759117.
Verfasst am 19.09.2020.

Das hat uns gefreut

Vielversprechende neue Impftechnologie am Beispiel von SARS-CoV-2

Seit wenigen Jahren werden Nanopartikel als Träger für Proteine und Nukleinsäuren für Impfungen vor allem respiratorischer Viren, aber auch anderer wie Ebola entwickelt. Nanopartikel können unter anderem anorganische Polymere, selbstassoziierte Proteine oder Liposomen sein. Sie erlauben, dem Immunsystem das Immunogen in stabiler, längerlebiger Form anzubieten.
In einer sogenannten Phase-1–2-Studie wurde das intakte Spike-Protein von SARS-CoV-2 auf Nanopartikel gebunden, die in diesem Fall einer mizellaren Lösung (Öl und Alkohol sowie ein Oberflächenstabilisator, Surfactant) entsprach. Durch Mutation wurde das Spike-Protein gegen Proteasen (d.h. seinen Abbau) geschützt. Die proteintragenden Nanopartikel wurden mit einem Adjuvans intramuskulär injiziert. Sie lösten eine starke humorale Immunantwort (nach 35 Tagen) aus, die quantitativ über derjenigen im Serum von Überlebenden einer COVID-19-Erkrankung lag. Ebenfalls wurde eine starke T-Helfer-Zellinduktion erzeugt. Die Verträglichkeit der Vakzine war sehr gut und die starke Immunogenität könnte den Weg in eine erfolgreiche Zukunft für Impfstoffe dieser Art ebnen.
N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2026920.
Verfasst am 18.09.2020.

Auch noch aufgefallen

Hemmung von B-Lymphozyten: Fortschritte in der Behandlung der Lupus-Nephritis

Eine (Glomerulo-)Nephritis ist in etwa 50% der Fälle Bestandteil eines Lupus-Schubes. Die Applikation einer Hemmsubstanz gegen B-Lymphozyten, Belimumab (gerichtet gegen den B-Zell-Aktiverungsfaktor), zusätzlich zur klassischen Lupus-Therapie mit Immunsuppressiva (Mycophenolat/Cyclophosphamid/Azathioprin meist mit Glukortikoiden) verbesserte Mortalität und Erholung der Nierenfunktion hochsignifikant. Im experimentellen und im Plazebo-Arm wurden je mehr als 200 Patient(inn)en zwei Jahre lang nachverfolgt.
Die Änderung der Endpunkte während der Studie ergibt einen schalen Nachgeschmack (Schönigung der Resultate?). Ebenso ist der exklusive Verlass auf die eGFR bei einer Krankheit, die mehr als alle anderen die tubuläre Kreatininsekretion und damit die renale Krea­tininausscheidung beeinflusst, keine gute Idee. Wie würde Belimumab als Einzeltherapie mit Reduktion oder gar Elimination nebenwirkungsreicher Immunsuppressiva wirken?
N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2001180.
Verfasst am 18.09.2020.

Noch ein Hinweis für Hemmung der B-Zell-Reihe als lohnendes Therapieziel bei Lupus

Ein anderer monoklonaler Antikörper, der zu einer Plasmazellverarmung führt (Daratumumab, Zielmolekül CD38) vermochte bei 2 Patienten mit lebensbedrohlichem Lupus-Schub eine weitgehende Remission (zusammen mit Immunosupressiva) zu erreichen. Langlebigen Plasmazellen wird eine wichtige Rolle in der Schubauslösung zugeschrieben, die häufig resistent gegen Immunsuppressiva sind. Remissionserhaltend wurden die Patient(inn)en dann mit dem vorhin erwähnten Belimumab weiterbehandelt.
N Engl J Med. 2020, DOI: 10.1056/NEJMoa2023325.
Verfasst am 18.09.2020.
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