Modelle zur Risikobeurteilung eines individuellen Patienten: Es bleibt noch viel zu tun!
Statistische Modelle und sogenannte «machine learning»-Programme werden in grosser Zahl für individualisierte Diagnostik und Prognostik angeboten. Bei den «machine learning»-Programmen handelt es sich nicht bei allen um echte künstliche Intelligenz, sondern um eine – zwar eindrückliche – Rechnerleistung bestehender Daten (sog. Algorithmen).
Das Beispiel der Risikovoraussage für einen einzelnen Patienten, wegen einer kardiovaskulären Erkrankung hospitalisiert zu werden oder daran zu sterben, illustriert dies deutlich. Die vergleichende Testung einer Vielzahl solcher Modelle (n = 7) und «machine learning»-Programme (n = 12) ergab vor allem bei Patient(inn)en, die mit traditionellen Methoden ein hohes kardiovaskuläres Risiko haben, grosse Unterschiede. Bei immerhin 3,1 Millionen Patient(inn)en, die im englischen «Clinical Practice Research Datalink» registriert sind, waren die prognostischen Aussagen der 19 Methoden quantitativ so stark unterschiedlich, dass wohl keine zum jetzigen Zeitpunkt für die praktische Anwendung empfohlen werden kann [1].
Ein Grund für dieses Resultat ist wahrscheinlich, dass die Verwendung der Daten, inklusive der klinischen, heterogen und nicht in jedem Fall sinnvoll erfolgte. Zur Verbesserung solcher prognostischen Modelle besteht eine aktuelle Checkliste aller dazu nötigen Voraussetzungen (TRIPOD-Checkliste [2]).
Hoch ungesättigte Fettsäuren (Omega-3) haben einen Milliardenmarkt unter anderem zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen erreicht. Eine frühere Studie (REDUCE-IT) hatte 4 g gereinigte Eicosapentaensäure (EPA) mit einem nicht pflanzlichen Öl verglichen und nach fünf Jahren eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse um fast ein Viertel gezeigt [1].
Die jetzt publizierte STRENGTH-Studie [2], die bei je 6539 Patient(inn)en eine Mischung von 4 g Omega-3-Fettsäuren (EPA und Docosahexaensäure) mit 4 g Maisöl verglich, wurde wegen fehlender Wirksamkeit vorzeitig gestoppt. Eine biologisch relevante unterschiedliche Wirkung der verwendeten Omega-3-Fettsäuren wird als unwahrscheinlich angesehen, nicht aber der Effekt des im Plazebo verwendeten Art des Öls: Die Patient(inn)en in der Plazebogruppe der REDUCE-IT-Studie entwickelten unter anderem signifikant höhere LDL- und hochsensitive CRP-Werte. Die Studie hat also potentiell die Plazebogruppe in einen Nachteil (Schaden) gesetzt, wenn auch der direkte Zusammenhang zwischen dem nicht pflanzlichen Öl und den erhöhten LDL-/CRP-Werten offenbleibt.
Wie also weiter? Ärztliche Verschreibungen von Omega-3-Fettsäuren mit dem Ziel kardiovaskulärer Prävention stehen auf schwachen Füssen. Ob und wann eine weitere klinische Evaluation folgt, ist unsicher. Da Omega-3-Fettsäuren effektiv auf dem Markt sind, empfiehlt ein Editorial eine sogenannte Post-Marketing-Studie [3].
SARS-CoV-2 bindet mit seinem Spike-(S1-)Protein an den Angiotensin-Converting-Enzyme-2-(ACE2-)Rezeptor. Aber die SARS-CoV-2-Bindung und zelluläre Aufnahme werden durch einen zweiten Rezeptor, Neuropilin 1, massiv verstärkt. Neuropilin 1 ist vor allem in den Atemwegen und dort vorwiegend in den Epithel- und Endothelzellen sowie dem olfaktorischen Epithel exprimiert. Das S1-Protein wird durch eine Protease gespalten und kann dann mit dem Neuropilin 1 interagieren. Diese katalytische Stelle am S1-Protein fehlt den anderen Coronaviren. Diese neu beschriebene virale Bindungsstelle könnte als Ziel von Medikamenten interessant sein.
Monoklonale Antikörper (alle usanzgemäss auf «-mab» endend) haben die Diagnostik und Therapie vieler Krankheiten revolutioniert.
Vielleicht ist es gut, sich wieder einmal der Anfänge dieser Technologie zu erinnern: Köhler und Milstein fusionierten Plasmazellen von Mäusen, die gegen Schaferythrozyten immunisiert worden waren, mit Myelomzellen. Das resultierende «Hybridom» produzierte in vitro kontinuierlich einen immer gleichen, antierythrozytären, zytotoxischen Antikörper (plus in der ersten Arbeit noch einen zweiten Antikörper nicht definierter Spezifizität).
Prospektives Monitoring verbessert den Verlauf operierter Patienten
In 20 französischen Chirurgie-Departementen wurde eine Vielzahl von Parametern, die sowohl eine Verlaufsbesserung als auch -verschlechterung anzeigen, prospektiv monitorisiert und in einer Verlaufstabelle festgehalten. Ein sogenanntes «champion partnership team» (2 Fachleute: Chirurg[inn]en, Anästhesist[inn]en oder Pflegefachpersonen) gab regelmässige Rückmeldungen über diesen objektivierten Verlauf und organisierte und leitete Teamsitzungen, hängte Poster mit relevanten Anweisungen im Operationssaal auf und legte Verbesserungspläne vor. Die Kontrollgruppe waren 20 chirurgische Departemente ohne dieses Monitoring. Die gesamte Patientenpopulation betrug mehr als 155 000 Erwachsene mit Eingriffen am Gastrointestinaltrakt. Die absolute Risikoreduktion für ein negatives Ereignis (Tod, Intensivstation, Reoperation, schwere chirurgische Komplikationen innerhalb von 30 Tagen) betrug 0,9%, also etwa ein/e Patient/Patientin auf hundert. Der Effekt nahm mit besserer Umsetzung des Monitorings signifikant zu.
Die prospektive Erfassung und regelmässigen Analysen, aber sicher auch die offene Kommunikation, Analyse und gemeinsam definierten Änderungen sind wohl die Gründe für den positiven Effekt.
Dieser schnelle und einfache Test wird mit dem direkten Ophthalmoskop aus 40–50 cm Distanz zu den Pupillen ausgeführt. Er kann ohne Dilatation der Pupillen durchgeführt werden. Jeder Seitenunterschied der Pupille in Bezug auf Farbe, Glanz, Grösse oder Form ist pathologisch und sollte ophthalmologisch abgeklärt werden.
Eine Analyse von fünf Studien mit insgesamt mehr als 8700 Kleinkindern bestätigt, dass bei Vorliegen einer Anomalie praktisch immer auch eine okuläre Pathologie vorliegt (Spezifität von 97,5%). Ein normaler Test schliesst aber Pathologien nicht aus!
Ist die systemische Entzündungskrankheit bei Kindern mit SARS-CoV-2 eine eigenständige Krankheit?
Im Gegensatz zu den Eindrücken zu Beginn der Pandemie (meist milde Verläufe bei Kindern) sind in den letzten Monaten in Europa und USA vermehrt schwere COVID-19-Verläufe vor allem, aber bei Weitem nicht nur, bei afroamerikanischen und hispanischen Kindern aufgetreten. Diese Krankheit oder das Syndrom heisst nun MIS-C («multisystem inflammatory syndrome in children») und weist ein weites phänotypisches Spektrum auf (s. Abbildung). Ein Teil davon, namentlich die Koronardilatation/Koronaritis und die Kardiomyopathie, würde zum Kawaski-Syndrom, die schwere Entzündungsreaktion inklusive Hyperferritinämie zum Makrophagenaktivierungssyndrom passen.
Allerdings sind für das MIS-C laut zwei Studien von 48 Verläufen in zwei pädiatrischen Zentrumskliniken folgende Laborkonstellationen typisch: Lympho- und Thrombozytopenie, auffällige Erythrozytenmorphologien (Echinozyten, also Erythrozyten mit stachelförminger Projektion, englisch «burr cells»), exzessive CRP-Anstiege, erhöhte NT-Pro-BNP-Spiegel und ein Zytokinmuster dominiert von hohen Interleukin-6- und -10-Werten. Ob dabei genetisch determinierte Dysregulationen der Interleukine (Gruppe 1, inkl. Interferon-Autoantikörper) wie bei Erwachsenen eine Rolle spielen, ist unklar. Die Mortalität in diesen Studien betrug 1/48, die Therapie war nicht standardisiert und bestand aus Glukokortikoiden sowie oft auch Interleukin-1-Hemmung (Anakinra).
Akute myeloische Leukämie: Präzisionsmedizin auf der Überholspur
Eine akute myeloische Leukämie (AML) hat vor allem bei älteren Menschen eine schlechte Prognose. Falls keine allogene Knochenmarktransplantation infrage kommt, gibt es keine Heilung und die Überlebenszeit von Patient(inn)en über 60 Jahre beträgt nur gut ein halbes Jahr. Unter diesem Zeitdruck gelangen nicht personalisierte, wenn auch in prospektiven Studien evaluierte Chemotherapien zur Anwendung.
Im Rahmen der «Beat AML»-Studie gelang es nun, innerhalb von nur sieben Tagen nach Diagnosestellung eine zytogenetische Analyse und ein Mutationsprofil zu erstellen und die Patient(inn)en dann basierend darauf zu behandeln. 224 so abgeklärte und dann individualisiert therapierte, durchschnittlich 72-jährige Patient(inn)en erreichten etwa eine Verdoppelung des mittleren Überlebens (auf ca. 13 Monate) im Vergleich zu 103, die eine Standardtherapie gewählt hatten.
Die sieben Tage Therapieverzögerung war eine riskante Strategie, sie scheint sich aber offensichtlich auszuzahlen.
In Dänemark wurde SARS-CoV-2 auf Nerze übertragen und konnte sich dort schnell ausbreiten. Eine Übertragung erfolgte – auf noch nicht definierte Art – auch zwischen drei verschiedenen Nerz-Farmen. ⅔ aller Angestellten wurden dann mit einem SARS-CoV-2 infiziert, das nach Massgabe der genomischen Sequenzierung offensichtlich in den Nerzen mutiert war. Nun sind die etwa 17 Millionen dänischen Nerze (Dänemark hat einen Weltmarktanteil von etwa 40%) im Begriff, sogenannt gekeult* zu werden. Diese Massnahme wird vielerorts als übertrieben angesehen, da eine erhöhte Pathogenität (noch?) nicht erweisen ist.
* «Keulen» kommt zwar von Keule, ist aber ein Begriff für Euthanasierung von Tieren allgemein.
Eine 72-jährige Frau unter oraler Antikoagulation und lipidsenkender Therapie (Atorvastatin) erhöht in den Ferien ihren Alkoholkonsum. Aus der Vorgeschichte ist ein mechanischer Doppelklappenersatz wegen Mitral- und Aortenstenose (nach rheumatischem Fieber) bekannt. Ausser Müdigkeit hat sie keine wesentlichen Symptome. Auskultatorisch finden sich metallische Klappentöne und ein ⅙ systo-diastolisches Geräusch. Wichtige Laborbefunde: CRP <4 mg/l, Hämoglobin = 8,5 g/dl, mittleres korpuskuläres Volumen (MCV) leicht erhöht, Retikulozyten 13,3%, Thrombozyten normal, Urin braun, positiv für Blut, 3–5 Erythrozyten pro Gesichtsfeld.
Die Kreatinkinase (CK) war normal, die Laktatdehydrogenase (LDH) auf fast 4000 U erhöht. Leberwerte und geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) normal. Eine Rhabdomyolyse ohne Symptome/bei normaler CK scheint ausgeschlossen. Das «Blut» im Urin bei minimaler Erythrozyturie dürfte also einer Hämglobinurie entsprechen. Der erste diagnostische Schritt war eine transthorakale Echokardiographie, die paravalvuläre Lecks bei beiden Klappen zeigte. Nach erneutem Klappenersatz (Histologie der Operationspräparate: fibrosierende und kalzifizierende Klappen) Korrektur der hämolytischen Anämie.
Richtig ist also Antwort D: Die Lecks und die valvulären Veränderungen hatten durch Scherkräfte zur mechanischen Zerstörung der Erythrozyten geführt.
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