Nahrungsabhängige epigastrische Schmerzen
Wenn der Fisch zurückschnappt

Nahrungsabhängige epigastrische Schmerzen

Der besondere Fall
Ausgabe
2021/1516
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08612
Swiss Med Forum. 2021;21(1516):268-270

Affiliations
Universitätsspital Basel: a Medizinische Poliklinik; b Radiologie; c Gastroenterologie und Hepatologie (Clarunis)

Publiziert am 13.04.2021

Ein 48-jähriger Patient wird zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden notfallmässig wegen epigastrischer Schmerzen vorstellig, die plötzlich nach einem üppigen Fischmahl aufgetreten waren.

Hintergrund

Epigastrische Schmerzen sind erfahrungsgemäss ein häufiger Konsultationsgrund bei Grundversorgern ­sowie in Notaufnahmen. Die Differentialdiagnosen sind zahlreich und reichen von vergleichsweise harmlosen Erkrankungen bis hin zu dringlich behandlungsbedürftigen Leiden. Die Anamnese spielt jeweils eine wichtige Rolle in der Triagierung und klinischen ­Einschätzung. Diese ist im klinischen Alltag aus unterschiedlichen Gründen wie beispielsweise Sprachbarriere, kognitiven Einschränkungen oder auditiven Pro­blemen nicht immer konklusiv erhebbar. Wir stellen hier einen Fall von epigastrischen Schmerzen vor, bei dem die sprachliche Barriere zu einer möglicherweise vermeidbaren Komplikation geführt hat.

Fallbericht

Anamnese

Ein 48-jähriger, bis anhin gesunder, aus Sri Lanka stammender Mann stellte sich nach dem Wochenende ­notfallmässig wegen epigastrischer Schmerzen in unserer universitären Akutambulanz vor. Er berichtete von plötzlich einsetzenden Beschwerden nach einem üppigen Mahl mit Fisch und Reis am Samstag. Seither seien die genannten Schmerzen besonders heftig, wenn er versuche zu trinken oder zu essen. Daher sei es ihm fast unmöglich, etwas zu sich zu nehmen. Er habe sich deshalb bereits am Vortag beim hausärztlichen Notdienst vorgestellt, wo ihm zur symptomatischen Therapie ein Protonenpumpeninhibitor verschrieben worden sei. Da der Patient aufgrund der starken Schmerzen aber weder die Tablette noch Nahrung zu sich nehmen konnte, erfolgte nun die neuerliche Vorstellung in unserer Akutambulanz. Trinken war zum Vorstellungszeitpunkt unter Schmerzen schluckweise möglich. Es kam nicht zu Erbrechen oder zu Regurgitationen. Die Verständigung mit dem Patienten war bei Fremdsprachigkeit auf einem einfachen Niveau möglich. Der Patient nickte jedoch auch dann höflich, wenn er etwas nicht verstanden hatte, und gab Detailinformationen nur preis, wenn er explizit danach gefragt wurde (z.B. berichtete er nicht spontan von der Unmöglichkeit, Nahrung zu sich zu nehmen, sondern erst auf konkrete Nachfrage).

Befunde

Bei Eintritt präsentierte sich der Patient in schmerzbedingt leicht reduziertem Allgemeinzustand und übergewichtigem Ernährungszustand, kreislaufstabil, mit Blutdruck von 123/95 mm Hg, Puls 87/min. und afebril mit einer Temperatur von 37,1 °C aurikulär. Das Abdomen war weich mit Druckdolenz im Epigastrium und regelrechten Darmgeräuschen.
Laboranalytisch zeigte sich ein unauffälliges Blutbild und ein auf 94 mg/l erhöhtes C-reaktives Protein (CRP; Norm <10 mg/l). Das übrige Chemielabor (Leber-, Nierenwerte, Elektrolyte) war unauffällig.

Beurteilung und Verlauf

In Zusammenschau von Anamnese und Befunden vermuteten wir eine Fischgräte im Ösophagus und initiierten notfallmässig eine Gastroskopie. Diese zeigte ­einen vollständigen 3 × 3 cm grossen Fischunterkiefer samt Zähnen im distalen Ösophagus verhakt, der in toto geborgen werden konnte (Abb. 1).
Abbildung 1: A)Endoskopischer Befund des 3 × 3 cm grossen Fischunterkiefers im distalen Ösophagus. B/C) Fischkiefer nach Bergung in toto.
Aufgrund der deutlich erhöhten Entzündungsparameter und dem Nachweis von Erosionen/Ulzerationen im Ösophagus wurde postinterventionell eine Computertomografie (CT) des Thorax durchgeführt. Hier zeigte sich eine Abszesskollektion angrenzend an den distalen Ösophagus rechts (3,6 cm × 2,0 cm × 5,9 cm) sowie eine entzündliche Wandverdickung des distalen Ösophagus (Abb. 2 und 3, rote Pfeile bzw. A).
Abbildung 2: Computertomogramm (Koronarschnitt) auf Höhe des distalen, wandverdickten Ösophagus mit rechts lateral angrenzendem Abszess (rote Pfeile) mit Gaseinschlüssen.
Abbildung 3: Computertomogramm (Axialschnitt) auf Höhe des distalen Ösophagus (Ö) mit rechts lateral angrenzender Abszesskollektion (A).
Passend hierzu hatte der Patient im Verlauf auf knapp 40 °C aufgefiebert. Er erfolge eine stationäre Aufnahme zur intravenösen Therapie mit Piperacillin/Tazobactam dreimal 4,5 g täglich. Bei gutem klinischem ­Ansprechen konnte diese im Verlauf auf eine perorale Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure 875/125 mg dreimal täglich für weitere zwei Wochen umgestellt werden. Hierunter waren sowohl die Abszesskollektion als auch das Fieber, die Entzündungsparameter und die Schmerzen im Verlauf regredient. Der Patient konnte nach acht Tagen in gebessertem Zustand mit der finalen Diagnose eines paraösophagealen Abszesses bei im distalen Ösophagus impaktiertem Fischkiefer nach Hause entlassen werden.
Wie es möglich war, dass der Patient den zirka 3 × 3 cm grossen Fischkiefer samt Zähnen unbemerkt schlucken konnte, war auch retrospektiv im Gespräch mit dem Patienten nicht zu klären. Fischkopf-Curry ist ein beliebtes traditionelles Gericht in Südindien, Sri-Lanka und Singapur. Der Patient berichtete, sie hätten das Curry mit Red Emperor Snapper zubereitet, einem 60–90 cm grossen Fisch, der nach seinen scharfen Eckzähnen benannt wurde. Auch in Kenntnis der Natur des Fremdkörpers konnte der Patient sich nicht daran ­erinnern, beim Kauen und Schlucken etwas Besonderes bemerkt zu haben. Er werde aber in Zukunft sicherheitshalber auf sorgfältigeres Kauen achten.

Diskussion

Auch ein scheinbar klares Leitsymptom (nahrungsabhängige Oberbauchschmerzen) benötigt eine ziel­gerichtete Anamnese, um zeitnah zur korrekten Dia­gnose zu gelangen und Komplikationen zu vermeiden. In den Ösophagus verhakte Fischgräten oder andere Knochenteile gelten als Notfälle [5] und sollten so schnell wie möglich entfernt werden [2, 4], da sie in 15–35% der Fälle zur Perforation im Magen-Darm-Trakt führen [3, 4]. Das Risiko für schwerwiegende Komplikationen (Lazeration, Ulzeration, Penetration der Ösophaguswand, die zu Infektion und Zerstörung des ­benachbarten Gewebes führen [1, 2], steigt über die Zeit stark an und hängt von der Art und Grösse der Gräte beziehungsweise des Fischknochens ab.
Möglicherweise wäre dem Patienten der mediastinale Abszess erspart geblieben, wenn die Gastroskopie zeitnaher erfolgt wäre.

Das Wichtigste für die Praxis

• Starke, nahrungsabhängige Schmerzen respektive Schwierigkeiten beim Schlucken von fester und/oder flüssiger Nahrung müssen – insbesondere nach Fischkonsum – dringlich abgeklärt werden.
• Gerade bei fremdsprachigen Patienten beziehungsweise Patienten aus einem anderen Kulturkreis sollte die Anamnese proaktiv so gestaltet werden, dass sämtliche «red flags» abgefragt/ausgeschlossen werden.
• Eine native Computertomographie sollte bei klinischem Verdacht auf Gräten- oder Knochenimpaktion zur Lokalisation und Erkennung möglicher Komplikationen immer erfolgen.
• Bei verzögerter Entfernung von ösophagealen Fremdkörpern wie Fischgräten oder anderen Knochenteilen drohen Perforation der Öesophaguswand sowie Infektion und Zerstörung des benachbarten Gewebes.
• Eine notfallmässige endoskopische Entfernung solcher Fremdkörper ist daher anzustreben.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Katrin Bopp
Medizinische Poliklinik
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
Katrin.Bopp[at]usb.ch
1 Kim H U. Oroesophageal Fish Bone Foreign Body. Clin Endosc. 2016;49(04):318–26.
2 Bekkerman M, Sachdev A H, Andrade J, Twersky Y, Iqbal S. Endoscopic Management of Foreign Bodies in the Gastrointestinal Tract: A Review of the Literature. Gastroenterol Res Pract. 2016;2016:8.520767E6.
3 Sugawa C, Ono H, Taleb M, Lucas C E. Endoscopic management of foreign bodies in the upper gastrointestinal tract: A review. World J Gastrointest Endosc. 2014;6(10):475–81.
4 Ikenberry S O, Jue T L, Anderson M A et al.Management of ingested foreign bodies and food impactions. Gastrointest Endosc. 2011;73(06):1085–91.
5 Klein A, Ovnat-Tamir S, Marom T, Gluck O, Rabinovics N, Shemesh S. Fish bone foreign boby: the Role of imaging. Int Arch otorhinolaryngol. 2019;23(1):110–5.