Der inflammatorische myofibroblastäre Tumor der Harnblase
Ein invasiver Harnblasentumor, aber kein Karzinom

Der inflammatorische myofibroblastäre Tumor der Harnblase

Der besondere Fall
Ausgabe
2021/2324
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08631
Swiss Med Forum. 2021;21(2324):405-408

Affiliations
a Institut für Pathologie, Kantonsspital Winterthur; b Klinik für Urologie, Kantonsspital Winterthur; c Pathologie Institut Enge, Winterthur
*Die Autorinnen haben zu gleichen Teilen zum Artikel beigetragen.

Publiziert am 08.06.2021

Eine 42-jährige Patientin stellte sich mit seit Monaten bestehenden dysurischen und irritativen Miktionsbeschwerden sowie persistierender ­Protein- und Mikrohämaturie vor.

Hintergrund

Ein klinisch unklarer Befund der Harnblase imponiert zunächst als Harnblasenkonkrement, im Verlauf als invasiver ausgedehnter Tumor und überrascht histomorphologisch als initial unbestimmte Spindelzellneoplasie.

Fallbericht

Anamnese

Die damals 42-jährige Patientin stellte sich im Frühjahr 2018 mit seit Monaten bestehenden dysurischen und irritativen Miktionsbeschwerden sowie persistierender ­Protein- und Mikrohämaturie vor. Zum Aufnahmezeitpunkt bestand keinerlei B-Symptomatik, die Raucheranamnese war positiv.

Befunde

Sonographisch zeigte sich eine unklare intravesikale Verkalkung mit dem Verdacht auf das Vorliegen eines grossen Harnblasensteins. In der Zystoskopie wurde ein solider papillär-exophytischer Tumor im Bereich der Harnblasenvorderwand und des rechten Ostiums festgestellt, der aufgrund seiner grossen Ausdehnung bei einem Längsdurchmesser von 7 cm nicht primär vollständig reseziert werden konnte. Computertomographisch zeigte sich ein lokal infiltratives Wachstum (Abb. 1); Fernmetastasen wurden ausgeschlossen.
Abbildung 1: Computertomographische Darstellung des Tumors (Axialschnitte) bei A)Diagnosestellung 2018 und B) nach neoadjuvanter Chemotherapie 2019 .

Diagnose

Die histopathologische Untersuchung der eingesandten transurethralen Harnblasenwandresektate ergab einen inflammatorischen myofibroblastären Tumor (IMT) mit immunhistochemischer ALK-Proteinexpression (Abb. 2 und 3) und FN1-ALK-Genfusion (NGS FusionPlex® Sarcoma Panel, Archer®).
Abbildung 2:   A) Mikroskopisch zonaler Tumoraufbau mit oberflächlichem zellarmem myxoid-vaskulärem und tiefem zell- und kollagenreichem Aspekt; Hämatoxylin-Eosin-(HE-)Färbung, Vergrösserung 5×. B) Polypoide Tumoroberfläche mit locker gebauter Spindelzellkomponente, Schleimhauterosionen (Sterne), Entzündungsinfiltraten, Gefässproliferaten (Kreis) und Einblutungen (Rechteck); HE-Färung, Vergrösserung 2,5×. C) In der Tiefe zeigen sich muskelinvasive (Pfeile) Tumorinfiltrate aus dichten kompakt-faszikulär gelagerten Spindelzellen; HE-Färbung, Vergrösserung 5×.
Abbildung 3:   A)Typische kräftige und membranartig betonte immunhistochemische Färbereaktion («tram track») der Tumorzellen mit Glattmuskel-Aktin (Vergrösserung 10×). B) Koexpression von Panzytokeratin (Vergrösserung 10×). C) Zytoplasmatische ­Anfärbung mit dem ALK-Antikörper 5A4 (Vergrösserung 10×).

Therapie

Da eine primäre komplette Tumorresektion nicht möglich war, wurde im interdisziplinären Tumorboard die Durchführung einer zielgerichteten neoadjuvanten Therapie beschlossen. Im Rahmen einer viermonatigen Therapie mit Crizotinib (Tyrosinkinaseinhibitor, 1. Generation) konnte kein adäquates Tumoransprechen erreicht werden («stable disease»), sodass eine Therapieumstellung auf Lorlatinib (Tyrosinkinase­inhibitor, 3. Generation) für weitere fünf Wochen erfolgte. Hierunter wurde computertomographisch eine Abnahme des Tumorvolumens um 61% und des maximalen unidimensionalen Tumordurchmessers um 38% festgestellt – entsprechend einer partiellen Remission nach den «Response Evaluation Criteria In Solid Tumors»-(RECIST-)Kriterien. Aufgrund einer medikamentös-toxischen Pneumonitis musste die Therapie jedoch frühzeitig abgebrochen werden.
Im Frühjahr 2019 (Abb. 4) wurde nach vorangehender trans­urethraler Elektromarkierung der Resektionsränder eine laparoskopisch-roboterassistierte Harnblasenteilresektion durchgeführt mit histologischem Nachweis von Resttumoranteilen, welche die gesamte Detrusormuskulatur infiltrierten und bis an das perivesikale Fettgewebe heranreichten.
Abbildung 4: Zystoskopische Darstellung des soliden polypoiden Tumors mit oberflächlichen Verkalkungen nach neoadjuvanter Chemotherapie.

Verlauf

In der onkologischen Tumornachsorge wurden neun Monate postoperativ zystoskopisch kein Lokalrezidiv und computertomographisch keine Fernmetastasierung nachgewiesen.

Diskussion

Beim IMT handelt es sich um eine selten in der Harnblase vorkommende Neoplasie von intermediärem biologischen Potential [1, 2, 7], die als eigenständige Entität durch die Kriterien der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert wird [3].
Aufgrund des bekannten günstigen Verlaufs wurde die Läsion bei der Erstbeschreibung in der Harnblase durch Roth im Jahre 1980 zunächst als ungewöhnliche pseudosarkomatöse Läsion bezeichnet und am ehesten als reaktive Entität eingestuft [5]. Spätere Fallberichte erweiterten die Kenntnisse über das biologische Potential des IMT für ein lokal infiltrativ-destruktives Wachstum, die Neigung zu Rezidiven und eine seltene Metastasierung [6–8]. Durch den Translokationsnachweis im ALK-1-Gen, als Klonalitätshinweis, wurde der IMT schliesslich als echte Neoplasie anerkannt [6, 7, 10]. Berichte über aggressive klinische Verläufe mesenterischer und retroperitonealer IMTs trugen dazu bei, dass der IMT als Läsion innerhalb eines breiten Spektrums myofibroblastärer Tumoren eingeordnet wurde und führten zur Annahme eines möglichen Übergangs in ein Sarkom [7, 10, 11].
Die Pathogenese ist bislang unklar [9]. Diskutiert wurde eine Entwicklung aus fibroblastären Retikulumzellen, eine überschiessende Reaktion auf eine Gewebeverletzung, infektiöse (Epstein-Barr-Virus [EBV], Humane Herpesvirus 8 [HHV8]) und autoimmune Mechanismen [9–11].
Bevorzugte Tumorlokalisation ist das abdominopelvine und retroperitoneale Weichgewebe [3, 10, 13]. In der Harnblase treten IMTs nur sehr selten auf und machen dort weniger als 1% aller Tumoren aus [3]. Diese ist jedoch die häufigste Lokalisation des IMT im Urogenitaltrakt – ohne bestimmte Prädilektionsstelle innerhalb des Organs [9]. Im Gegensatz zu IMTs in anderer Lokalisation, die vorwiegend im Kindes- und Jugendalter auftreten, wurden diese in der Harnblase vornehmlich in der vierten und fünften Lebensdekade (bei breiter Altersspanne von sieben Tagen bis 88 Jahren) und geringfügig häufiger bei Frauen (1:1.67) diagnostiziert [2, 12]. Die Prädominanz im Erwachsenenalter könnte unter anderem auf die beobachtete Assoziation mit Nikotinabusus zurückzuführen sein [6]. In der Regel beträgt die Grösse eines IMT der Harnblase 1,5–5 cm und kann in Einzelfällen bis zu 13 cm erreichen [2, 9]. Die meisten Patientinnen und Patienten werden klinisch vorstellig mit einer schmerzlosen Hämaturie, teilweise einhergehend mit Dysurie und Abdominal­schmerzen; in selteneren Fällen (15–30%) wurde eine Interleuikin-(IL-)6 vermittelte systemische Symptomatik (Fieber, Anämie, Thrombozytose) beschrieben [7, 9, 12].
Makroskopisch werden IMTs der Harnblase meist als lokalisierte submukosale Knoten oder polypoid ins Harnblasenlumen reichende, ulzerierte, grau-weisse bis beige Läsionen von teils fester und teils gelatinöser Konsistenz beschrieben [7, 9, 13]. Regelmässig kommt ein tief infiltratives Wachstum innerhalb der Detrusormuskulatur und des perivesikalen Fettgewebes vor – eher selten eine extravesikale Tumorausbreitung [6, 10]. Gelegentlich wurden Nekrosen, Einblutungen und Verkalkungen [7, 10] beobachtet.
Auch auf histologischer Ebene spiegelt sich die Vielgestaltigkeit des IMT wider. Grundsätzlich bestehen IMTs aus einer spindeligen myo-/fibroblastären Zellproliferation mit reichlichen Entzündungsinfiltraten aus Lymphozyten, Plasmazellen und eosinophilen Granulozyten [3, 12]. In der Harnblase weisen IMTs typischerweise einen zonalen Aufbau auf, mit oberflächlichen zellarmen myxoiden und tiefen zell- und kollagenreichen Arealen [6, 9].
Die Seltenheit des IMT und der damit verbundene Erfahrungsmangel [2, 12] sowie ein unspezifisches und bisweilen malignitätsverdächtiges klinisch-radiologisches Erscheinungsbild [13] mit raschem, infiltrativem Wachstum, Schleimhautulzerationen und Nekrosen [2, 11] können eine diagnostische Herausforderung darstellen [9]. Verwechslungen mit einer malignen Neoplasie können zur Übertherapie führen [6, 7, 11]. Aus diesem Grund wird der histopathologischen Tumorabklärung an der Biopsie eine wichtige Rolle zugeschrieben [2, 10]. Abgegrenzt werden muss von den beiden häufigsten malignen Differentialdiagnosen, einem sarkomatoiden Karzinom und einem Leiomyosarkom [9, 11] im Erwachsenenalter sowie einem Rhabdomyosarkom im Kindesalter [2]. Anders als diese weisen IMTs trotz zellreichem Wachstum, mässigen Zellatypien [10, 13] und bisweilen reichlich regulären Mitosen und Nekrosen [6, 9] keine atypischen Mitosen und keine signifikanten Kernatypien (prominente Kernpleomorphie und Kernhyperchromasie) auf [7, 9]. Hilfreich ist auch ein charakteristisches Immunprofil mit Koexpression von glattmuskulären Markern und Zytokeratinen [6, 9, 11]. Bei der Abgrenzung gegenüber dem postoperativen Spindelzellknoten, der histopathologisch nicht vom IMT unterschieden werden kann [6], sind Tumorgrösse (>1,5 cm), infiltratives Wachstum und eine leere Anamnese (ohne vorausgegangene Eingriffe) hilfreich [2]. Weiterhin gilt der immunhistochemische Nachweis der ALK-1-Überexpression (65%12) zusammen mit einem ALK-Rearrangement in der FISH-Analyse (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) als geradezu dia­gnostisch [9–11]. Diese sind zugleich wichtige prädiktive Marker [14] für die zielgerichtete Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (Crizotinib, Lorlatinib). Molekulare Studien konnten in bis zu 85% der Fälle eine zugrundeliegende Translokation aufzeigen; in selteneren Fällen auch im ROS1- und PDGFRß-Gen [15].
IMTs der Harnblase können in den meisten Fällen bereits primär komplett transurethral reseziert werden und weisen postoperativ geringe Lokalrezidivraten von 4–10% [16, 17] auf. Für ein präoperatives Staging, zur Beurteilung von Tumorgrösse und Infiltationstiefe, eignen sich Sonographie, Computer- und Magnetresonanztomographie. Eine intraabdominale Metastasierung [1] wurde lediglich kasuistisch beschrieben.
Patientinnen und Patienten mit lokal fortgeschrittenen [1, 2] Tumoren können, wie in unserem Fall, im neoadjuvanten Setting einer Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren [15], einer Chemotherapie, steroidalen oder nichtsteroidalen antiinflammatorischen Therapie zugeführt werden und sekundär von einer organ­erhaltenden Resektion (transurethralen Resektion der Harnblase [TUR-B], partiellen Zystektomie) profitieren [16, 17]. Die Früherkennung von Lokalrezidiven und Residuen ist wichtig, da der klinische Verlauf prinzipiell anhand des histomorphologischen Bildes nicht vorhergesagt werden kann und da einzelne Fälle in Assoziation mit einem Urothelkarzinom [1] beschrieben worden sind. Hierfür sind zystoskopisch-bioptische und bildgebende (Computertomographie) Verlaufskontrollen indiziert [10].

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei Nachweis eines grossen soliden Tumors der Harnblase sollte differentialdiagnostisch, trotz seiner Seltenheit, auch die Möglichkeit eines inflammatorischen myofibroblastären Tumors (IMT) ­erwogen werden. Hierzu ist eine interdisziplinäre und insbesondere umfassende histo- und molekularpathologische Diagnostik erforderlich.
• Durch die richtige Diagnosestellung kann in den meisten Fällen eine Zyst­ektomie ­vermieden und stattdessen eine organerhaltende Resektion durchgeführt werden.
• Ausgedehnte Lokalbefunde können bei Nachweis eines geeigneten genetischen Profils mit Hilfe einer zielgerichteten Therapie sekundär ­organerhaltend reseziert werden.
Wir danken Frau Dr. Renata Flury-Frei, Institut für Pathologie, sowie Herrn Dr. Serguei Martinovitch, Institut für Radiologie und Nuklearmedizin, beide Kantonsspital Winterthur, für die Unterstützung bei der Erstellung des Fallberichts.
Die Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Eva Nordhausen, dipl. Ärztin
Institut für Pathologie
Kantonsspital Winterthur
Brauerstrasse 15
CH-8400 Winterthur
eva.nordhausen[at]patho.ch
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