Acrodermatitis chronica atrophicans
Eine seltene Ursache des einseitigen Unterschenkelödems

Acrodermatitis chronica atrophicans

Coup d'œil 1
Ausgabe
2021/0708
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08663
Swiss Med Forum. 2021;21(0708):138-139

Affiliations
a Institut für Hausarztmedizin, Universitätsspital Zürich, Zürich
b Klinik für Allgemeine Orthopädie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
c Angiologische Praxis, Wetzikon

Publiziert am 16.02.2021

Ein 60-jähriger Patient stellte sich aufgrund einer seit etwa sechs Wochen bestehenden, schmerzlosen, rechtsseitigen Unterschenkelschwellung in der Notfallsprechstunde vor.

Fallbeschreibung

Ein 60-jähriger Patient ohne bekannte Vorerkrankungen oder regelmässige Medikamenteneinnahme stellte sich aufgrund einer seit etwa sechs Wochen bestehenden, schmerzlosen, rechtsseitigen Unterschenkelschwellung in unserer Notfallsprechstunde vor. ­Klinisch imponierte ein einseitiges, livid-rötliches Unterschenkelödem (Abb. 1).
Abbildung 1 A+B: Rechtsseitiges, typisch livid-rötliches ­Unterschenkelödem. Beide Aufnahmen entstanden bei der Erstkonsultation des vorgestellten Patienten. (Die Publikation erfolgt mit dem Einverständnis des Patienten.)
Der neurologische Status zeigte keine pathologischen Auffälligkeiten. Eine ursächliche Beinvenenthrombose oder eine chronisch venöse Insuffizienz konnten duplexsonographisch ausgeschlossen werden.
Während der erweiterten Anamnese erwähnte der ­Patient, dass er in seiner Freizeit gerne Pilze sammeln würde. Auf gezielte Nachfrage hin erinnerte er sich, dass er dabei vor etwa acht Wochen einen Zeckenstich im Bereich der rechten Ferse erlitten habe. Bei hohem klinischem Verdacht auf eine Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) wurde die Borrelien-Serologie bestimmt. Hier zeigte der Antikörpersuchtest mittels ELISA für Borrelia-burgdorferi-IgG und -IgM ein positives Resultat. Auch der Borrelia-burgdorferi-IgG-Bestätigungstest mittels Western Blot fiel positiv aus. Bei breitem und positivem Bandenspektrum (p83/100, VIsE, p58, p39, p20, p19) sowie negativem Treponema-pallidum-IgG/IgM konnten wir die Diagnose einer ACA im ödematösen Stadium stellen – eine kutane Spätform der Lyme-Borreliose.
Nach vierwöchiger Antibiotikatherapie mit Doxycy­clin (peroral, 100 mg 1–0–1) [1] kam es zu einer kompletten Regredienz der Symptomatik. Eine Herxheimer-Reaktion trat bei Therapiebeginn nicht auf.

Diskussion

Vor allem Schildzecken der Gattung Ixodes (Holzbock) fungieren als Reservoir der Borrelien, die typischerweise in Gräsern, Sträuchern sowie Wäldern meist unter 1200 Höhenmetern leben. Bis zu 40% der Zecken sind Träger von Borrelia burgdorferi [2].
Die ACA ist mit einer Prävalenz von 1–10% je nach ­Region in Europa die häufigste Spätmanifestation der Lyme-Borreliose [3], die im Gegensatz zu unserem Fallbeispiel meist erst Monate oder gar Jahre nach ­Zeckenstich auftritt. Dies führt häufig zu falscher oder verspäteter Diagnosestellung [3]. Klassischerweise findet sich klinisch initial ein ödematös infiltratives Stadium mit rötlicher Verfärbung der Haut wie bei unserem Patienten. Im Verlauf zeigt sich eine livid-rote bis bräunliche Verfärbung der Haut mit Haut­atrophie [4]. In über der Hälfte der Fälle wurden Parästhesien und Allodynie beschrieben [5]. Die ­Therapie der Wahl ist Doxycyclin oder alternativ Amoxicillin. Falls die kutanen Beschwerden trotz leit­liniengerechter Therapie länger als sechs Wochen persistieren, sollten differentialdiagnostisch Ursachen wie eine Urtikaria-Vaskulitis, Sarkoidose, Tinea, zirkumskripte Sklerodermie und andere Dermatopathien in Betracht gezogen werden. Jedoch ist ins­besondere bei längerem Bestehen des Ödems im Rahmen der ACA mit einer prolongierten Abheilung von Monaten bis Jahren zu rechnen [4].

Fazit

– Insbesondere in Borrelien-Endemiegebieten, wie in grossen Teilen der Schweiz, sollte bei einem einseitigen Beinödem nach Ausschluss einer Venenthrombose immer an die ACA gedacht werden.
– Bei kutanen Manifestationen der Borreliose bei ­Erwachsenen ist Doxycyclin die Therapie der Wahl.
Für die kritische Durchsicht des Manuskripts möchten wir den ­Herren Prof. Dr. Martin Altwegg und Dr. Michael Trummler herzlich danken.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Salomon M. Manz
Institut für ­Hausarztmedizin
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
salomon.manz[at]usz.ch
1 AWMF Online, AWMF-Register Nr. 013/044 Klasse: S2k, Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft e.V., Kutane Lyme Borreliose. März 2016. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/013-044.html.
2 Krause M, Majer S. Lyme-Borreliose: die letzten 30 Jahre. Schweiz Med Forum. 2012;12(50):976–9.
3 Moniuszko-Malinowska A, Czupryna P, Dunaj J, Pancewicz S, Garkowski A, Kondrusik M, et al. Acrodermatitis chronica atrophicans: various faces of the late form of Lyme borreliosis. Postepy Dermatol Alergol. 2018;35:490–4.
4 Scheerer C, Dersch R, Huppertz HI, Hofmann H. [Lyme Borreliosis: Cutaneous and Neurologic Manifestations, Case Definitions and Therapy]. Dtsch Med Wochenschr. 2020;145(1):19–28.
5 Kindstrand E, Nilsson BY, Hovmark A, Pirskanen R, Asbrink E. Peripheral neuropathy in acrodermatitis chronica atrophicans – a late Borrelia manifestation. Acta Neurol Scand. 1997;95:338–45.