Intravaskuläres B-Zell-Lymphom mit multiplen Hirninfarkten
Eine diagnostische Herausforderung

Intravaskuläres B-Zell-Lymphom mit multiplen Hirninfarkten

Der besondere Fall
Ausgabe
2021/3132
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08664
Swiss Med Forum. 2021;21(3132):552-555

Affiliations
a Klinik für Innere Medizin, Zuger Kantonsspital; b Institut für Pathologie, Kantonsspital Aarau

Publiziert am 03.08.2021

Die 71-jährige Patientin wurde aufgrund einer akuten neurologischen Verschlechterung notfallmässig zugewiesen, nachdem sie in den vergangenen zwei Monaten bereits zweimal wegen zerebraler Ischämien hospitalisiert worden war.

Hintergrund

Wenn multifokale neurologische Defizite auftreten und sich bildgebend als multilokuläre Infarkte darstellen, denkt man in erster Linie an eine embolische Genese. Treten solche Ereignisse in kurzen Abständen auf oder zeigen einen progredienten Verlauf und lassen sich mit den Standardabklärungen wiederholt keine arteriellen oder kardialen Emboliequellen finden, so müssen andere Ursachen in die Differentialdiagnose einbezogen werden (Tab. 1). Sehr selten liegt dann ein im zentralen Nervensystem (ZNS) manifestiertes intravaskuläres B-Zell-Lymphom (IVBZL) vor.
Tabelle 1: Ursachen für multiple zerebrovaskuläre Ischämien.
Kardiale oder arterielle Embolien
Zerebrale Sinus- und Venenthrombose
Erregerassozierte inflammatorische Erkrankungen, z.B. Varizella-Zoster-Virus-Vaskulitis
Autoimmun-inflammatorische Erkrankungen, u.a. eine primäre Angiitis des Zentralnervensystems (PACNS)
(Inflammatorische) zerebrale Amyloidangiopathie
Reversibles zerebrales Vasokontriktionssyndrom (RCVS)
Paraneoplastisch
Charakteristisch für das IVBZL ist das heterogene klinische Erscheinungsbild mit multifokalen neurologischen Defiziten, möglicher B-Symptomatik, das Fehlen eines Tumornachweises in der zerebralen Bildgebung sowie die unspezifische Labordiagnostik. Aufgrund der diagnostischen Schwierigkeiten wird die Diagnose oft erst spät im Krankheitsverlauf gestellt. Der hier präsentierte Fall eines histologisch gesicherten IVBZL dient zur Illustration der diagnostischen Herausforderung dieser prinzipiell behandelbaren Krankheit.

Fallbericht

Anamnese

Die 71-jährige Patientin wurde aufgrund einer akuten neurologischen Verschlechterung notfallmässig aus der Rehabilitationsklinik zugewiesen. Sie war in den vergangenen zwei Monaten bereits zweimal in unserem Hause aufgrund zerebraler Ischämien hospitalisiert worden. Eine embolische Ätiologie der in verschiedenen Gefässterritorien nachgewiesenen Ischämien wurde postuliert, konnte jedoch nicht konklusiv bewiesen werden. Aktuell präsentierte sich die Patientin mit neu aufgetretener motorischer Schwäche und Sensibilitätsminderung an beiden unteren Extremitäten, zunehmendem Verwirrtheitszustand sowie Urin- und Stuhlinkontinenz. Fremdanamnestisch berichtete der Ehemann über eine erneute Zunahme der Kopfschmerzen und eine neu aufgetretene Gangstörung. Aus der Patientenanamnese waren zudem eine medikamentös behandelte arterielle Hypertonie und ein Nikotin­abusus von 30 Packungsjahren bekannt.

Status und Befunde

Klinisch zeigte sich eine kardiopulmonal stabile Patientin mit neu aufgetretenen Paresen (maximal M3) und Verminderung der Oberflächensensibilität an beiden unteren Extremitäten sowie einer Blasenentleerungsstörung mit Überlaufblase. Die vorbekannten neurologischen Defizite (sensomotorische Aphasie, Gedächtnis- und Orientierungsstörung) waren progredient.
Laborchemisch imponierte eine leichte normochrome, normozytäre Anämie mit einem Hämoglobin von 115 g/l, ein erhöhtes C-reaktives Protein (CRP) mit 55 mg/l bei normwertigen Leukozyten, eine leicht erhöhte Laktatdehydrogenase (LDH) mit 498 U/l sowie eine leichte Hyponatriämie von 133 mmol/l. Die Blutkulturen blieben ohne Keimnachweis. Das Elektrokardiogramm (EKG) war normal. Im Magnetresonanztomogramm (MRT) des Neurokraniums zeigten sich im Verlauf zu den Vorbildern zunehmende Infarktzonen parieto-okzipital beidseits und links temporal. Vorbekannt waren alte multiple Grenzzoneninfarkte sowie Infarkte parietal rechts, im Thalamus rechts, frontal links und okzipital beidseits. Die eindrückliche Progredienz der Infarkte über den Krankheitsverlauf ist in Abbildung 1 illustriert.
Abbildung 1: Darstellung von Magnetresonanz-Diffusionsbildern des Zentralnervensystems (Axialschnitte) mit deutlicher Zunahme der zerebrovaskulären Ischämien über den Krankheitsverlauf. Die Bilder entstanden jeweils im Abstand von 3–4 Wochen.
Zur ätiologischen Abklärung der nachgewiesenen multiplen Ischämien wurden bereits vorgängig diverse ­Abklärungen veranlasst. Ein kardioembolisches Geschehen aufgrund eines bisher nicht diagnostizierten Vorhofflimmerns sowie die Suche nach einer arterio-arteriellen Emboliequelle standen dabei im Vordergrund. Die Implantation eines Event-Recorders war g­eplant bei bis anhin nicht nachgewiesenem Vorhofflimmern im zweimalig durchgeführten 7-Tages-EKG. Mittels transthorakaler und transösophagealer Echokardiographie konnten kardiale Thromben, Klappenvitien oder eine offenes Foramen ovale ausgeschlossen werden. Der Aortenbogen stellte sich unauffällig dar. Computertomographische (CT-)Angiographie, magnet­resonanztomographische (MR-)Angiographie, neurovaskuläre Angiographie und Gefässdoppler-Ultraschall ergaben weder intra- oder extrakranielle Gefässstenosen noch Aneurysmata oder Hinweise auf eine Vaskulitis oder nicht stenosierende Plaques in den hirnversorgenden Gefässen. Im wiederholten Elektroenzephalogramm zeigten sich keine Hinweise auf ein epileptisches Geschehen. Eine demyelinisierende ­Erkrankung war aufgrund der bildgebenden Befunde unwahrscheinlich. Ein intrazerebrales infektiöses Geschehen konnte bei zweimaliger Liquoruntersuchung mit normaler Zellzahl ohne Erregernachweis praktisch ausgeschlossen werden. Ein akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) wäre aufgrund der Klinik mit rasch progredienter Enzephalopathie, multiplen fokalneurologischen Defiziten und leicht erhöhtem Protein in der Liquorpunktion denkbar gewesen, jedoch fehlten die lymphozytäre Pleozytose und die demyelinisierenden Läsionen im MRT. Eine zerebrale Vaskulitis war bei ­wiederholt normaler Zellzahl und normaler Gefässbildgebung sehr unwahrscheinlich. Eine weitergehende humorale Abklärung paraneoplastischer ­Ursachen blieb zusammenfassend ohne Ergebnis. Ein ZNS-Lymphom wurde in den wiederholten zerebralen Bildgebungen nicht nachgewiesen, ebenso fehlten Hinweise für ein hämatologisches Malignom oder einen soliden Tumor.

Diagnose

Aufgrund dieser Drittmanifestation multipler Infarkte innert zwei Monaten und weiterhin unklarer Ätiologie erfolgte die Verlegung in ein Zentrumsspital zur dia­gnostischen Abklärung mittels kortikaler und leptomeningealer Biopsie, wo sich ein IVBZL zeigte (Abb. 2).
Abbildung 2: Histologie. A) zeigt eine mit Hämatoxylin-Eosin gefärbte zerebrale Gewebsprobe und stellt das Gefässlumen mit ausfüllenden neoplastischen Lymphoblasten in 400-facher Vergrösserung dar. B) zeigt eine CD20-gefärbte (braun) Gewebsprobe mit CD20-positiven neoplastischen B-Zellen im Gefässlumen in 400-facher Vergrösserung.

Therapie und klinischer Verlauf

Im Zentrumsspital zeigte sich vor der Biopsieentnahme trotz zweimaliger Gabe einer hochdosierten Steroidtherapie eine weitere klinische Verschlechterung mit Visusverlust und radiologischer Zunahme der Infarkt­areale (Abb. 1D). Nach der bioptischen Diagnosesicherung erfolgte eine systemische Chemotherapie nach dem ­R-CHOP-Schema (Rituximab, Cyclophosphamid, Hy­droxydoxorubicin, Prednison). Aufgrund des fehlenden klinischen Ansprechens wurde diese Therapie bei nun infauster Prognose sistiert. Die Patientin verstarb vier Monate nach Auftreten der ersten Symptome.

Diskussion

Das IVBZL ist ein seltener Subtyp eines systemischen extranodalen diffus-grosszelligen B-Zell-Lymphoms [1, 2]. Die Inzidenz liegt in den Vereinigten Staaten bei weniger als einem Fall pro 10 Millionen Personen [3]. Beide Geschlechter sind gleich häufig betroffen. Die Dia­gnose wird meistens im Alter von 60–70 Jahren gestellt [2]. Risikofaktoren sind nicht näher bekannt [1]. Die Evidenzlage beschränkt sich auf Fallbeschreibungen und Fallserien [1, 2, 4].
Das IVBZL ist histologisch charakterisiert durch das selektive Wachstum von Lymphomzellen in den Lumina von kleinen und mittelgrossen Blutgefässen mit teils auch perivaskulären Infiltraten ohne Lymphknoten­infiltration oder nachweisbare Lymphomzellen im Blut [1, 2, 4]. Diese neoplastische Proliferation führt zu einer Okklusion der Blutgefässe, was sich, abhängig vom betroffenen Gefässgebiet, in klinisch manifesten ischämischen Ereignissen äussern kann [1]. Weiter werden subakute Enzephalopathien, epileptische Anfallsereignisse, rasch progrediente dementielle Entwicklungen, Myelopathien und periphere Neuropathien beobachtet [5]. Verhaltensauffälligkeiten präsentieren sich im zeitlichen Ablauf oft vor fokal neurologischen Defiziten [6]. Interessanterweise ist die klinische Präsentation mit der Ethnie der Betroffenen assoziiert. So zeigen Personen kaukasischer Herkunft vermehrt Manifestationen im ZNS, der Haut oder der Lunge [1, 5, 7, 8]. Bei Personen asiatischer Abstammung steht der Befall von Knochenmark, Milz und Leber im Vordergrund [1]. B-Symptome wie Fieber, Nachtschweiss und Gewichtsverlust werden bei der Mehrheit der Patientinnen und Patienten beschrieben [5, 6], insbesondere jedoch bei solchen asiatischer Herkunft [9] und bei fortgeschrittener Krankheit [3].
Die Diagnose des IVBZL ist schwierig zu stellen. Im Labor zeigen sich keine wegweisenden, spezifischen Befunde. In mehreren Fallserien fanden sich eine erhöhte LDH sowie ein erhöhtes Beta-2-Mikroglobulin und in 80–90% der Fälle eine Anämie sowie in zirka 65% eine Thrombozytopenie [5, 8]. Bei 25% der Betroffenen liess sich im Verlauf eine Leukopenie sowie bei 43% eine erhöhte Blutsenkung feststellen [5, 8]. Die Schilddrüsen-, Leber- und Nierenwerte waren bei 15–20% der Patientinnen und Patienten pathologisch [5, 8]. Eine Anämie und erhöhte LDH nach ausgeschlossener Hämolyse im Kontext von rezidivierenden zerebrovaskulären Isch­ämien unklarer Genese sollten den Verdacht eines IVBZL erhärten. Die neuroradiologische Bildgebung mittels Schädel-MRT ist ebenfalls nicht wegweisend. Beschriebene Läsionen sind unspezifisch und werden häufig falsch interpretiert [1, 5]. Die Histopathologie und Phänotypisierung einer Gewebsprobe eines befallenen Organes ist diagnostisch [1]. Die typische Morphologie von neoplastischen B-Lymphozyten eines IVBZL ist gekennzeichnet durch intravaskuläre grosse mitotische Zellen, die eine Immunreaktivität für CD20, teils auch für CD5 und selten für CD10 [1, 8, 11] aufweisen (Abb. 2).
Durch die notwendige Gewebsentnahme im ZNS kommt es oft zur Verzögerung in der Diagnosestellung, sodass in mehr als der Hälfte der Fälle die Diagnose erst post mortem erfolgt [4]. Eine mögliche Vereinfachung der Diagnostik könnte sich mit der unspezifischen Hautbiopsie mit genügend Fettgewebe ergeben, die eine hohe Sensitivität für positive Lymphomzellen auch ohne klinischen Hautbefall zeigt [7, 10].
Die Therapieempfehlungen des IVBZL basieren auf Fallberichten und retrospektiven Studien [1, 4, 11]. Ein frühzeitiger Therapiebeginn mittels R-CHOP-Protokoll wird empfohlen, wenn möglich ergänzt durch Cytarabin und Methotrexat [1, 4]. Die grosse Mehrheit der Patientinnen und Patienten mit einer ZNS-Beteiligung sterben neun Monate nach Therapiebeginn an einer Rezidiverkrankung trotz anthrazyklinhaltiger Chemotherapie [1]. Den grössten Einfluss auf die Prognose haben ein Alter über 60 Jahre, eine Thrombozytopenie unter 100 G/l, der Immunphänotyp des IVBCL und das angewandte Therapieschema [11]. Unbehandelt führt die Krankheit mit ZNS-Beteiligung innert Wochen bis Monaten zum Tode [1]. Trotz eingeleiteter Therapie zeigte sich bei unserer Patientin leider keine klinische Verbesserung.
Der hier vorgestellte Fall illustriert eindrücklich, wie sich ein IVBZL durch multiple Hirninfarkte manifestieren kann und eine grosse diagnostische Herausforderung darstellt. Bei frühzeitigem Verdacht sollte die bioptische Diagnosestellung ohne Verzögerung eingeleitet werden.

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei rezidivierenden multiplen zerebralen Ischämien über wenige Wochen sollte neben einer proximalen Emboliequelle, einer Thrombophilie und einer Vaskulitis auch an ein intravaskuläres B-Zell-Lymphom (IVBZL) mit Beteiligung des Zentralnervensystems gedacht werden.
• Zur Diagnosesicherung und Abgrenzung zu einer konkurrierenden primären Angiitis des Zentralnervensystems (PACNS) erfolgt eine leptomeningeale Hirnbiopsie und Histopathologie. Wichtig ist, an die Differen­tialdiagnose eines IVBZL zu denken und für die histopathologische Aufarbeitung in der Untersuchungsanforderung spezifisch danach zu fragen.
• Eine frühe Diagnosestellung und ein rascher Behandlungsbeginn sind mit einer besseren Prognose assoziiert.
Wir bedanken uns bei Dr. med. Christian Blumer, Chefarzt des Instituts für Radiologie des Zuger Kantonsspitals, für die radiologische Expertise und Bereitstellung der Bilder.
Die Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen ­Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Prof. Dr. med.
Michael Bodmer
Innere Medizin
Zuger Kantonsspital
Landhausstrasse 11
CH-6340 Baar
michael.bodmer[at]zgks.ch
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