Potentiell lebensbedrohlicher Zustand nach Substitutionsbehandlung einer Hypothyreose
Cave: Addison-Krise

Potentiell lebensbedrohlicher Zustand nach Substitutionsbehandlung einer Hypothyreose

Der besondere Fall
Ausgabe
2021/3536
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08676
Swiss Med Forum. 2021;21(3536):613-615

Affiliations
a Medizinische Klinik, Departement Medizinische Disziplinen, Spital Uster, Uster; b DiaMon Institut für Diabetes Hormone Schilddrüse, Baden; c ­Hausarztpraxis am Baumgarten, Fehraltorf

Publiziert am 01.09.2021

Eine 33-jährige Patientin stellte sich mit zunehmender Müdigkeit, Gewichtsverlust von 15 Kilogramm innert zweier Jahre sowie zunehmenden abdominellen Beschwerden auf der Notfallstation vor.

Hintergrund

Eine Autoimmune Thyreoiditis kann im Rahmen eines Polyglandulären Autoimmunsyndroms Typ 2 mit einer Autoimmunadrenalitis assoziiert sein. Sofern der Verdacht auf eine zusätzlich bestehende Nebennierenrindeninsuffizienz besteht, muss diese vor Beginn einer Schilddrüsenhormonsubstitutionstherapie zwingend ausgeschlossen oder therapiert werden, da eine entsprechende Schilddrüsenhormonsubstitution eine Addison-Krise triggern kann.

Fallbericht

Anamnese

Eine 33-jährige Patientin stellte sich mit zunehmender Müdigkeit, Gewichtsverlust von 15 Kilogramm innert zweier Jahre sowie zunehmenden abdominellen Beschwerden auf der Notfallstation vor. Bereits im Vorfeld wurde durch den Hausarzt eine Hypothyreose im Rahmen einer Hashimoto-Thyreoiditis diagnostiziert und entsprechend substituiert. Trotz Therapie kam es zu keiner Verbesserung der Beschwerden. Die Abklärung der abdominellen Beschwerden durch den Hausarzt hatte eine Zöliakie ergeben. Trotz glutenfreier ­Ernährung nahmen die Beschwerden jedoch weiter zu. Ausserdem beobachtete die Patientin eine verstärkte Pigmentierung vor allem der Handlinien und Streckseiten der Ellenbogen. Sie stellte sich in ihrem Heimatland Polen bei einem Endokrinologen vor, welcher eine Nebenniereninsuffizienz vermutete und eine Glukokortikoidtherapie empfahl. Diese wurde von der Patientin jedoch auf Abraten in einer Apotheke in Polen nie eingenommen. Im weiteren Verlauf kam es zur akuten Verschlechterung mit Diarrhoe, Übelkeit und Erbrechen. Beim Hausarzt zeigte sich laborchemisch eine schwere Hyponatriämie, worauf die notfallmäs­sige Zuweisung erfolgte.

Status und Befunde

Bei Eintritt sahen wir eine Patientin mit niedrig normotonem Blutdruck (110/67 mm Hg), normokard (Herzfrequenz 83/min) und afebril (Temperatur 35,9 °C). Klinisch fielen hyperpigmentierte Hautlinien palmar beidseits sowie an den Streckseiten der Ellenbogen auf.
Laborchemisch bestätigte sich die schwere Hyponatri­ämie (108 mmol/l, Norm: 136–145 mmol/l), das Kalium lag im hochnormalen Bereich (4,92 mmol/l, Norm: 3,6–5,5 mmol/l), die Schilddrüsenwerte waren pathologisch verändert (TSH 10,56 μIE/ml, Norm: 0,27–4,20 μIE/ml; fT4 26,67 pmol/l, Norm: 12–22 pmol/l; fT3 5,65 pmol/l, Norm: 3,1–6,8 pmol/l), des Weiteren bestand eine metabolische, respiratorisch kompensierte Azidose (pH 7,44, cHCO3 18,7 mmol/l; pO2 13,8 kPa; pCO2 3,0 kPa). Die restlichen Laborbefunde waren unauffällig.

Therapie

Wir stellten in Zusammenschau der erhobenen Befunde den hochgradigen Verdacht auf eine akute Addison-Krise und begannen eine intravenöse Therapie mit Hydrokortison (SoluCortef®) 100 mg 6-stündlich. Diese Dosierung wurde aufgrund des klinisch prolongierten Verlaufs gewählt. Zusammen mit dem verminderten basalen Kortisolwert von 22 nmol/l (Norm: 145–619 nmol/l) und einem pathologischen Synacthen-Test (Peak-Kortisol 36 nmol/l, Norm: >500 nmol/l) konnte die Verdachtsdiagnose einer Nebennierenrinden­insuffzienz bestätigt werden. Der ACTH- wie auch der Renin-Spiegel waren deutlich erhöht (ACTH 532 pmol/l, Norm: <10,3 pmol/l; Renin 347,8 ng/l, Norm: <65 ng/l), die zusätzlich erhöhten 21-Hydroxylase-Antikörper untermauerten die Diagnose einer Autoimmunadrenalitis. Die Hyponatriämie führten wir auf den Mineralkortikoidmangel im Rahmen der primären Nebennierenrindeninsuffizienz sowie auf die zusätzlich anzunehmende erhöhte Sekretion von antidiuretischem Hormon (ADH) zurück; die erhöhte ADH-Sekretion resultiert einerseits aus dem Wegfall der Sekre­tionshemmung von Kortisol auf die ADH-Sekretion, des Weiteren führen das intravasale Volumendefizit sowie die Hypothyreose zu einer Erhöhung des ADH.

Verlauf

Die Patientin wurde zur Überwachung auf die Intensivstation aufgenommen. Unter intravenöser Therapie mit Hydrokortison (SoluCortef®) 100 mg 6-stündlich sowie begleitend grosszügiger intravenöser Volumentherapie kam es zu einer raschen klinischen Verbesserung mit Regredienz von Abdominalbeschwerden, Übelkeit und Erbrechen. Unter begleitend durchgeführter kalkulierter NaCl-Volumentherapie kam es nach initial raschem Anstieg des Natriums zu einem Ausgleich der Hyponatriämie (initial Anstieg auf 122 mmol/l, anschliessend weiterer Anstieg um 7 mmol/l pro 24 Stunden). Der initial rasche Anstieg des Natriums ist vermutlich auf die nachlassende Wirkung des ADH zurückzuführen.
Hydrokortison konnte im Verlauf per os verabreicht werden und schrittweise auf eine Tagesdosis von insgesamt 20 mg täglich reduziert werden. Zusätzlich ergänzten wir die Therapie mit Fludrokortison (Florinef®, 0,05 mg/Tag).
Da Thyroxin den Metabolismus des in Zirkulation vorhandenen Kortisols steigert und somit eine Addison-Krise potentiell auslösen kann, pausierten wir Levothyroxin (Letrox®) vorübergehend und setzten die Therapie anschliessend in reduzierter Dosierung fort. Die TSH-Erhöhung führten wir auf die fehlende Inhibierung der TSH-Sekretion durch Kortisol zurück. Die Patientin konnte nach neun Tagen Hospitalisation entlassen werden. In einer Patientenschulung für Nebenniereninsuffizienz wurde die Patientin über das ­Management mit Hydrokortison in besonderen Situationen geschult und erlernte die Selbstapplikation von Notfallmedikamenten. Ein Notfallausweis sowie ein Notfallset wurden der Patientin mitgegeben.

Diskussion

Bei der chronischen Nebennierenrindeninsuffizienz wird die primäre (Nebenniere) von der sekundären (Hypophyse) Nebennierenrindeninsuffizienz unterschieden. Bei der primären Form ist die gesamte ­Nebennierenrinde betroffen und neben der Glukokortikoid- auch die Mineralkortikoid- und DHEA-S-Sekretion, wohingegen bei der sekundären Form nur die Glukokortikoidsekretion betroffen ist. Im Folgenden werden wir uns lediglich auf die primäre Form beziehen.
Die Autoimmunadrenalitis ist die häufigste Ursache der primären Form in Europa mit einer Inzidenz von 4–6 Krankheitsfällen/Million/Jahr [1]. Diagnostisch wegweisend ist die laborchemische Konstellation einer primären Nebennierenrindeninsuffizienz (erniedrigtes Basalkortisol und/oder pathologischer Synacthen-Test und erhöhte ACTH- und Renin-Spiegel) in Kombination mit Nachweis von 21-Hydroxylase-Antikörpern [2]. Der Mineralkortikoidmangel führt zudem zu einer Hyperkaliämie, metabolischen Azidose und Hypona­triämie. Letztere findet sich in einer geringeren Frequenz auch bei der sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz, ausgelöst durch eine erhöhte ADH-Sekretion im Rahmen des intravasalen Volumendefizites sowie den Wegfall der Sekretionshemmung von Kortisol auf die ADH-Sekretion [2]. Die Autoimmunadrenalitis ist in etwa 60% der Fälle mit einem Autoimmunen Polyglandulären Syndrom assoziiert [3]. Hierbei handelt es sich um eine autoimmun bedingte Insuffizienz verschiedener endokrinologischer, aber auch nicht endokrinologischer Organe. Man unterscheidet das vor allem im Kindesalter auftretende Autoimmune Polyglanduläre Syndrom Typ 1 vom häufigeren Autoimmunen Poly­glandulären Syndrom Typ 2 (Prävalenz 1: 1000) [4]. Dieses manifestiert sich meistens im Erwachsenenalter, wird polygen vererbt und ist durch das koexistente Auftreten einer Autoimmunadrenalitis mit einer autoimmunen Thyreoiditis oder einem Diabetes mellitus Typ 1 definiert. Weitere, typischerweise mit dem Syndrom assoziierte autoimmune Erkrankungen sind in Tabelle 1 zusammengefasst [4].
Tabelle 1: Übersicht Autoimmunes Polyglanduläres Syndrom Typ 1 und 2 [4].
 Typ 1Typ 2
VererbungAutosomal-rezessivPolygen
Prävalenz1:100 0001:1000
ManifestationsalterKindesalterErwachsenenalter
Typische Erkrankungen– Mukokutane Candidiasis
– Hypoparathyreoidismus
– Autoimmunadrenalitis
– Autoimmunadrenalitis
– Autoimmune Thyreoiditis
– Diabetes mellitus Typ 1
Andere Erkrankungen– Primäre Ovarialinsuffi­zienz
– Autoimmune Thyreoiditis
– Diabetes mellitus Typ 1
– Gastritis/Enteritis
– Hepatitis/Pankreatitis
– Pneumonitis
– Nephritis
– Vitiligo
– Alopezie
– Nagel-Dystrophien
– Keratitis
– Retinitis
– Zahnschmelz-Hypoplasie
– Autoimmune Gastritis
– Alopezie
– Vitiligo
– Zöliakie
– Primäre Ovarialinsuffi­zienz
Die Konstellation einer Autoimmunen Thyreoiditis und einer Autoimmun­adrenalitis wie in unserem Fallbeispiel wird auch Schmidt-Syndrom genannt und wurde erstmals 1926 beschrieben [5]. Bei der Patientin wurde bereits im Vorfeld eine Zöliakie als weitere Diagnose des Autoimmunen Polyglandulären Syndroms festgestellt. Hinweise für einen Diabetes mellitus ­lagen nicht vor, eine primäre Ovarialinsuffizienz ist bei regelmässiger Men­struation unwahrscheinlich.
Bei der akuten Nebennierenrindeninsuffizienz (Addison-Krise) handelt es sich um ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, das einer sofortigen intravenösen ­Hydrokortisontherapie bedarf. Zu den häufigsten Auslösern einer Addison-Krise zählen Gastroenteritiden, Infekte, Operationen, körperliche Anstrengungen ­sowie psychische Belastungen [2]. Unsere Patientin wurde aufgrund einer im Vorfeld diagnostizierten ­Hypothyreose mit Levothyroxin behandelt. Da Thyroxin den Metabolismus des in Zirkulation befindlichen Kortisols steigert, gehen wir davon aus, dass die Schilddrüsenhormonsubstitution letztlich die Addison-Krise getriggert hatte. Hinweise für einen zugrunde liegenden Infekt als Auslöser ergaben sich nicht. Anzumerken ist, dass im Rahmen des Kortisolmangels bei einer primären und auch sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz eine Disinhibition der TSH-­Sekretion resultiert. Eine TSH-Erhöhung im Rahmen einer Nebennierenrindeninsuffizienz ist somit oft Ausdruck des Kortisolmangels und nicht einer gleichzeitig vorhandenen Hypothyreose per se.
Zusammenfassend sollte bei Vorliegen einer endokrinologischen oder auch nicht endokrinologischen Auto­immunerkrankung stets kritisch beurteilt werden, ob sich im Verlauf eine zusätzliche Autoimmunerkrankung im Sinne einer polyglandulären Autoimmunität manifestiert. Im Rahmen eines Autoimmunen Poly­glandulären Syndroms Typ 2 kann eine Autoimmune Thyreoiditis kombiniert mit einer Autoimmunadrenalitis auftreten. Bei einer weiteren am Spital Uster behandelten Patientin wurde im Vorfeld eine Hashimoto-Thyreoiditis diagnostiziert und vier Jahre später entwickelte sich zusätzlich eine Nebennierenrindeninsuffizienz.
Ein rechtzeitiges Screening von Patientinnen und Patienten mit einer glandulären oder nicht glandulären Autoimmunerkrankung hinsichtlich einer polyglandulären Autoimmunität ist bei klinischem Verdacht ratsam, um Komplikationen zu vermeiden. Das Screening auf ein Autoimmunes Polyglanduläres Syndrom gilt auch für Familienangehörige 1. Grades bei entsprechendem klinischem Verdacht. Sofern bei einer Autoimmunen Thyreoiditis der Verdacht auf eine zusätzliche Nebenierenrindeninsuffizienz besteht, muss die Hydrokortisontherapie zwingend vor Beginn einer Schilddrüsenhormonsubstitutionstherapie begonnen werden.

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei der akuten Nebennierenrindeninsuffizienz handelt es sich um eine medizinische Notfallsituation, die einer sofortigen intravenösen Hydrokortisontherapie bedarf.
• Bei Vorliegen einer endokrinologischen oder nicht endokrinologischen Autoimmunerkrankung sollte stets kritisch beurteilt werden, ob sich im Verlauf eine zusätzliche Autoimmunerkrankung im Sinne einer polyglandulären Autoimmunität manifestiert. Da eine Autoimmune Thyreoiditis mit einer Autoimmunadrenalitis vergesellschaftet sein kann (Schmidt-Syndrom), sollte diese bei entsprechendem klinischem Verdacht (z.B. Hyperpigmentierung, Hyponatriämie, Hyperkaliämie) zwingend vor Beginn einer Schilddrüsensubstitution ausgeschlossen werden.
• Bei gleichzeitigem Vorliegen einer Hypothyreose und Nebennierenrinden­insuffizienz muss die Glukokortikoidtherapie vor der L -Thyroxin-Therapie erfolgen.
Die Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Dr. med. Ladina Erhart
Institut für Intensivmedizin
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
ladina.erhart[at]usz.ch
1 Erichsen MM, Løvås K, Skinningsrud B, Wolff AB, Undlien DE, Svartberg J, et al. Clinical, immunological, and genetic features of autoimmune primary adrenal insufficiency: observations from a Norwegian registry. J Clin Endocrinol Metab. 2009;94(12):4882–90.
2 Fischli S. Nebennierenrindeninsuffizienz. Swiss Med Forum. 2016;16(46):993–100.
3 Bancos I, Hahner S, Tomlinson J, Arlt W. Diagnosis and management of adrenal insufficiency. Lancet Diabetes Endocrinol. 2015;3(3):216–26.
4 Husebye ES, Anderson MS, Kämpe O. Autoimmune Polyendocrine Syndromes. N Engl J Med. 2018; 378:1132–41.
5 Schmidt MB. Eine biglandulare Erkrankung (Nebennieren und Schilddrüse) bei Morbus Addison. Verh Dtsch Ges Pathol Ges. 1926;21:212–21.