Pseudomelanosis coli ohne Laxantieneinnahme
Eine aussergewöhnliche Ursache

Pseudomelanosis coli ohne Laxantieneinnahme

Der besondere Fall
Ausgabe
2021/4142
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08703
Swiss Med Forum. 2021;21(4142):724-726

Affiliations
a Polipraxis Permanence, St. Gallen; b Spitalpharmazie, Kantonsspital St. Gallen; c Klinik für Gastroenterologie/Hepatologie, Kantonsspital St. Gallen

Publiziert am 13.10.2021

Gut drei Jahre nach Diagnosestellung und zwischenzeitlicher Remission eines Morbus Crohn zeigt sich bei einer 49-jährigen Patientin in der Verlaufkoloskopie eine neu aufgetretene Dunkelfärbung des gesamten Kolonrahmens.

Hintergrund

Die Pseudomelanosis coli (PC) stellt eine harmlose Dunkelfärbung der Kolonmukosa durch Lipofuszin-Einlagerungen in der Lamina propria dar. Die häufigste Ursache hierfür ist die Verwendung anthranoidhaltiger pflanzlicher Laxantien. Das Vorhandensein von braunem Pigment in den Makrophagen der Kolonmukosa wurde 1857 von Virchow als «Melanosis coli» bezeichnet [1], da die Verfärbung auf das Vorhandensein von Melanin zurückgeführt wurde. Inzwischen ist bekannt, dass es sich um das Pigment Lipofuszin handelt, das durch Abbau apoptotischer Kolonepithelzellen entsteht. Die Intensität der Dunkelfärbung kann leicht bis stark ausgeprägt sein. Die echte Melanosis coli (EMC) mit Melanin als Pigment (griech. «melanos» = schwarz, «colon» = Dickdarm) bezeichnet dagegen eine potentiell neoplastische, fleckenähnliche Dunkelfärbung der Kolonmukosa. In den meisten Pu­blikationen erfolgt jedoch keine Differenzierung zwischen den beiden Entitäten PC und EMC.

Fallbericht

Anamnese

Wir berichten über eine 49-jährige Patientin, die wegen einer nicht heilenden supra-sphinktären Fistel von der Chirurgie zur weiteren Diagnostik zugewiesen wurde. Kolonoskopisch und histologisch konnte die Diagnose eines aktiven Morbus Crohn gestellt werden (Abb. 1A). Unter der Therapie mit Infliximab-Infusionen konnte 14 Monate später eine Remission (Abb. 1B) mit komplett abgeheilter perianaler Fistel erreicht werden. Zwei Jahre später zeigte sich in der Verlaufs­koloskopie eine neu aufgetretene eindrückliche Dunkelfärbung des gesamten Kolonrahmens (Abb. 2A).
Abbildung 1: Koloskopiebefunde bei Diagnosestellung des aktiven Morbus Crohn mit grossem Ulkus (A) und 14 Monate später in Remission mit abgeheiltem Ulkus mit Narbe (B).
Wegen Kopfschmerzen hatte die Patientin als Bedarfsmedikation Ibuprofen 400 mg per os täglich für 2–3 Tage eingenommen. Die Einnahme von Laxantien oder eisenhaltigen Präparaten wurde verneint, mit Ausnahme von Gelum®-Tropfen (GT), die die Patientin vier Wochen vor der Koloskopie wegen der Kopfschmerzen von ihrem Heilpraktiker in Deutschland erhalten hatte. Von diesen hatte sie an zwei Tagen jeweils 50 Tropfen eingenommen, woraufhin ihr ein passager schwarzer Stuhlgang aufgefallen war.

Diagnose

Histologisch konnte der klinische Verdacht auf eine Pseudomelanosis coli (Abb. 2B) bestätigt werden – bei ansonsten unauffälliger Kolonmukosa, insbesondere ohne Hinweise für eine Aktivität des Morbus Chron.
Abbildung 2: Koloskopie- und Histologiebefund in der Verlaufskontrolle gut drei Jahre nach Diagnosestellung des Morbus Crohn. A) Koloskopie mit Pseudomelanosis coli. B) Histologie (Hämatoxylin-Eosin-Färbung bei 200-facher Vergrösserung) mit negativer Eisenfärbung. Bräunliche melaninähnliche Pigmentablagerungen, im Zytoplasma mehrere Histiozyten. Die Veränderungen sind typisch für das sogenannte Bild einer Pseudomelanose (Lipofuszin-Ablagerungen, blauer Pfeil).

Diskussion

Kurzer Exkurs zur Pseudomelanosis coli

Die Verfärbung der Kolonmukosa korreliert in den häufigsten Fällen mit der chronischen Verwendung anthranoidhaltiger Laxantien (Rhabarber-, Faulbaum- oder Senna-Präparate, z.B. Padma lax® und Agiolax® mit Senna) [2,3]. Die PC tritt nach etwa 3 bis 13 Monaten auf [4] und verursacht keinerlei subjektive Beschwerden bei den Betroffenen. Es handelt sich um einen sporadischen Befund. Üblicherweise sind Personen im mittleren bis höheren Lebensalter betroffen, ohne Geschlechterunterschied in der Altersgruppe zwischen 60 und 75 Jahren [5]. Anhand der Anamnese sollte eine mögliche Ursache für die Entstehung der PC eruiert werden, beispielsweise die chronische Verwendung von Laxantien. Bis jetzt wurde noch keine Korrelation zwischen osmotisch wirkenden Laxantien und der PC nachgewiesen.
Die PC ist häufiger im proximalen als im distalen Teil des Kolons festzustellen, was sich durch die dort höhere Toxin-Konzentration, die unterschiedliche Absorption entlang des Kolons und die Verteilung der Makrophagen, die durch Apoptose abgestorbene Zellen metabolisieren, erklären lässt [6]. Die Anthranoide bleiben inaktiv, bis sie in das Kolon gelangen. Dort kommt es zu ihrer Aktivierung und infolgedessen zur Zellnekrose der Lamina propria. Dies führt wiederum zu einer verstärkten Aktivierung der Makrophagen sowie zur Einnistung des Lipofuszin in die Lamina pro­pria der Kolonmukosa, die sich dunkelbraun bis schwarz verfärbt [2]. Neuere Studien zeigen keine Assoziation zwischen kolorektalem Karzinom und Substanzen, die Anthranoide enthalten. Auch konnte keine Verbindung zwischen kolorektalem Karzinom und PC nachgewiesen werden [7]. Das Beenden der Einnahme von Laxativa führt in der Regel zum vollständigen Verschwinden von PC innerhalb eines Jahres [7, 8]. Für die langjährige Einnahme von Laxantien mit PC sind keine signifikanten Komplikationen bekannt [6, 9]. Vielmehr können im Rahmen der Screening-Koloskopie Kolonpolypen sogar besser dargestellt werden [10].

Differentialdiagnosen

Die klinisch gestellte Verdachtsdiagnose einer PC kann mittels kolonoskopisch gewonnener Biopsie aus der Kolonmukosa histologisch gesichert und so von der EMC abgegrenzt werden, die auch beim autosomal-­dominanten Peutz-Jeghers-Syndrom (PJS) vorkommen kann [11]. Beim PJS sind typischerweise orale und Hautpigmentierungen vorhanden, die im jungen Alter schon nachweisbar sind, was die Differentialdiagnose vereinfacht. Charakteristisch für das PJS sind zahlreiche Polypen im Dünndarm (seltener im Magen und Kolon) mit einem um 2–3% erhöhten Malignitätsrisiko. Die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines Kolonkarzinoms liegt um das 15-Fache höher.
Nach peroraler Eiseneinnahme wurden ebenfalls Schleimhautverfärbungen beschrieben. Diese äussern sich ähnlich wie bei der PC und EMC und sind histologisch zu unterscheiden [12]. Auch für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen mit einer mittleren Krankheitsdauer von sieben Jahren wurden bei 25 Patienten ohne Laxantieneinnahme vermehrte Pigmentablagerungen in der Lamina propria berichtet [12, 13]. In der Literatur wurden des Weiteren andere chronische Krankheiten wie arterielle Hypertonie, chronische Niereninsuffizienz, sowie Diabetes mellitus als Ursache für die intestinale PC beschrieben [14, 15], wie auch die regelmässige NSAR-Einnahme mit Zellapo­ptosis [16–18] – allerdings wurde hierbei die PC nicht von der EMC unterschieden.

Der vorgestellte Fall

Bei unserer Patientin zeigte sich der Verdacht auf eine PC makroskopisch das erste Mal in der Koloskopie vom Februar 2019 – ohne dass einer der bisher bekannten Auslöser für eine PC vorlag. Histologisch konnte die PC durch Nachweis von Lipofuszin-Aablagerungen in der Lamina propria (Abb. 2B) bei Ausschluss von Melanin bestätigt werden. Die Eisenfärbung war negativ. Bei seit einem Jahr endoskopisch nachgewiesener Remission des Morbus Crohn scheint auch die chronisch-entzündliche Darmerkrankung nicht die Ursache für die neu aufgetretene PC zu sein [5, 13]. Ein Diabetes mellitus, eine chronische Niereninsuffizienz sowie arterielle Hypertonie lagen bei der Patientin nicht vor. Ausser den bereits zuvor erwähnten Medikamenten Ibuprofen und GT wurden auf Nachfragen keine weiteren Arzneimittel, speziell keine Laxantien und auch keine Phytopharmaka eingenommen.
In unserem Fall hatte die Patientin nur 2–3 Tage Ibuprofen eingenommen. Da diese analgetische Bedarfsmedikation nicht zum ersten Mal angewendet worden war, gehen wir davon aus, dass dies nicht die Ursache für die erstmals aufgetretene PC ist. Somit scheint am ehesten das Medizinprodukt GT ätiologisch für die neu dokumentierte PC in Frage zu kommen. Eindrucksvoll in diesem Fall ist die nur zweitägige Einnahme der eisenhaltigen GT mit deutlicher, bleibender Färbung des gesamten Kolonrahmens: Anders als nach Absetzen von Antrachiononderivaten, das in der Regel zum vollständigen Verschwinden der PC innerhalb eines Jahres führt [7, 8], blieb die Kolonmukosa unserer Patientin auch in der Kontrollkoloskopie ein Jahr später weiterhin verfärbt. Erst zwei Jahre später war in der Koloskopie keine Pseudomelanose mehr nachweisbar.
Bisher wurde die PC nicht als bekannte Nebenwirkung von GT beschrieben. Gemäss Gebrauchsanweisung enthalten 100 g GT 30 g Kalium-Eisen(III)-Phosphat-Citrat-Komplex, der im Verdauungstrakt Ammoniak bindet. GT wurden dahingehend in einer klinischen Studie zur Therapie der Minimalen Hepatischen Enzephalopathie untersucht [19], nicht aber für Kopfschmerzen.
Der genaue Wirkmechanismus, durch den GT zur PC führen könnte, ist aktuell nicht untersucht und bleibt unklar. Eine Hypothese könnte die Destruktion der Kolonmukosa durch den Kalium-Eisen(III)-Phosphat-Citrat-Komplex oder durch in GT enthaltene Milchsäure mit konsekutiver Lipofuszineinlagerung sein.
Zu erwähnen ist, dass GT kein zugelassenes Arzneimittel ist, sondern lediglich ein Medizinprodukt der Klasse IIb – und deshalb auch keine Zulassung der Arzneimittelbehörden benötigt. Bei Medizinprodukten wie GT werden bisher (im Gegensatz zu Arzneimitteln) keine Angaben zur qualitativen und quantitativen Zusammensetzung verlangt.

Das Wichtigste für die Praxis

• Die Diagnose der Pseudomelanosis coli wird endoskopisch gestellt und histologisch gesichert.
• Die Pseudomelanosis coli sollte von der echten Melanosis coli abgegrenzt werden. In der Literatur wird allerdings meist keine Unterscheidung vorgenommen.
• Menschen mit Pseudomelanosis coli unter Laxantieneinnahme haben kein erhöhtes Malignomrisiko.
• Die Pseudomelanosis coli verschwindet in der Regel innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Einnahme von Anthrachinonderivaten.
• Patienten nehmen häufig eigenständig Arzneimittel respektive Medizinprodukte ein. Im Gegensatz zu Arzneimittelprodukten müssen in Medizinprodukten keine Angaben zur qualitativen und quantitativen Zusammensetzung gemacht werden, sie können aber ebenso Nebenwirkungen auslösen.
Für das Überlassen des Histologiebildes bedanken wir uns bei PD Dr med. Sergio Cogliatti (Leitender Arzt, Pathologie, Kantons­spital St. Gallen).
Die Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Dr. med. Mikael Sawatzki
Leitender Arzt­Gastroenterologie­Kantonsspital
Rorschacherstrasse 95
CH-9007 St. Gallen
mikael.sawatzki[at]kssg.ch
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