Begriff der Arbeitsunfähigkeit bei der Invalidenversicherung

Begriff der Arbeitsunfähigkeit bei der Invalidenversicherung

Leserbrief
Ausgabe
2021/0304
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08705
Swiss Med Forum. 2021;21(0304):

Publiziert am 19.01.2021

Begriff der Arbeitsunfähigkeit bei der Invalidenver­sicherung­

Leserbrief zu: Fabreguet I, Paratte G. L’assurance invalidité.
Swiss Med Forum. 2020;20(23–26):364–8.
Bezugnehmend auf den Artikel von Dres. I. Fabreguet und G. Paratte [1] möchte ich im Folgenden ein paar ergänzende Bemerkungen anbringen:

Zu «Généralités»:

Tatsächlich betrug die Anzahl Rentenempfängerinnen und -empfänger im Dezember 2018 248 000. Die Rentenausgaben von 351,8 Millionen Schweizer Franken beziehen sich aber nur auf den Monat Dezember. 2018 beliefen sich die Rentenausgaben der Invalidenversicherung (IV) auf 5,3 Milliarden Schweizer Franken. Die Bundesausgaben (aus allgemeinen Mitteln) für die IV betrugen 3,6 Milliarden Schweizer Franken, davon der überwiegende Teil für Renten. Dazu kamen noch 2,087 Milliarden Schweizer Franken Ergänzungsleistungen zur IV, finanziert zu einem grösseren Teil von den Kantonen.
Ende 2019 gab es 247 000 IV-Rentnerinnen und -Rentner; die Rentenausgaben beliefen sich 2019 auf 5,4 Milliarden Schweizer Franken (im Dezember 2019 353,1 Millionen Schweizer Franken). Der Bundesanteil für die gesamte IV betrug wie 2018 3,6 Milliarden Schweizer Franken. Bund und Kantone zahlten 2019 noch 2,142 Milliarden Schweizer Franken Ergänzungsleistungen zur IV aus.

Zu «Incapacité de travail»:

Es sollte unbedingt betont werden, dass sich in IV-Berichten die Arbeitsunfähigkeit (AUF) auf alle Tätigkeiten bezieht, welche die/der Versicherte verrichten sollte und aus gesundheitlichen Gründen nicht kann. Es handelt sich nicht um dieselbe AUF, die während des Verlaufs oder der Heilung einer Krankheit oder von Unfallfolgen bezeugt wird: Bei ­solchen Zeugnissen bescheinigen wir Ärztinnen und Ärzte zumindest in den ersten ­Wochen keine Restarbeitsfähigkeit, die bei der ver­sicherten Person noch vorhanden sein könnte. Es soll auch keinesfalls eine medizinisch-theoretische AUF nach Gliederlisten ­bezeugt werden, wie dies durch Unfall- und Privatversicherungen bei der Invaliditätsbeurteilung – die ohnehin nicht der Ärztin / dem Arzt, sondern der Versicherung zusteht – häufig geschieht. Bei der IV-Beurteilung nach Arbeitsunterbrüchen von Monaten oder sogar über einem Jahr sind häufig keine Prozent­angaben möglich, da der Ärztin / dem Arzt zum Beispiel nicht bekannt ist, welchen ­Anteil eine bestimmte nicht mehr zumutbare Tätigkeit am gesamten Aufgabenbereich ausmacht. Überhaupt ist es bei IV-Beurteilungen sehr fragwürdig, wenn Beurteilungen der AUF abgegeben werden, ohne die Anforderungen an die Versicherte / den Versicherten und ­ihren Anteil an der gesamten Tätigkeit zu kennen. Arbeitsplatzbeschreibungen sind meist ungenau, wenn sie zur Zeit der IV-Anmeldung überhaupt vorliegen. Angaben der versicherten Person sind nicht neutral und können ­tendenziell auf eine höhere AUF ausgerichtet sein als diejenige, die aus Sicht des Arbeitgebers vorliegt. Gegenüber der IV soll die AUF funktionell beschrieben und ihr kausaler ­Zusammenhang mit dem gesundheitlichen Schaden gezeigt werden. Prozentuale Angaben sind oft nicht möglich und von der IV auch nicht verlangt.
1 Fabreguet I, Paratte G. L’assurance invalidité. Swiss Med Forum. 2020;20(23–26):364–8.