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Ausgabe
2021/0304
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08718
Swiss Med Forum. 2021;21(0304):

Publiziert am 19.01.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Chronischem Subduralhämatom

– Auslöser sind oft nur kleinere Kopftraumata.
– Beginn und Dauer meist schlecht eruierbar (formelle Definition von «chronisch» = 2 Wochen nach Trauma).
– Blutungsquelle: meist die sogenannten Brückenvenen (Drainage des ­venösen Blutes von der Hirnoberfläche in die duralen Sinus).
– Gründe für die altersabhängige Zunahme der Prävalenz:
• Hirnatrophie mit vermehrtem Raum zwischen Hirn und Kalotte (Scherkräfte);
• Sturzneigung;
• häufigere Therapien mit Hemmern der plasmatischen oder zellulären Gerinnung.
– Klinik im typischen Fall: kognitive Einschränkung, Gangstörungen, ­Bewusstseinstrübungen, Kopfschmerzen, fokale neurologische Defizite.
– Rezidive häufig und auch multipel vorkommend (10–20% der operierten Patienten).
N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2020473.
Verfasst am 17.12.2020.
Computertomogramm, Axial- (A) und Koronarschnitt (B): Darstellung eines chronischen, frontotemporal rechts und frontal links lokalisierten Subduralhämatoms. Wir danken PD Dr. med. habil. F. Wagner, Universitätsinstitut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Inselspital Bern, herzlich für die freundliche Zurverfügungstellung der Bilder.

Praxisrelevant

Wie lange Bisphosphonate geben?

Bisphosphonate, eingenommen während 3–5 Jahren, reduzieren bei Frauen das Risiko, Wirbel-, Femur- oder andere nicht vertebrale Frakturen zu erleiden. Zur Beantwortung der Frage, ob eine längere Thera­piedauer (>5 Jahre) einen noch höheren Nutzen bringt, war die Evidenz bislang schwach (keine weitere Reduktion aller Frakturtypen, mit Ausnahme ­einer leichten Abnahme von klinischen – oder symptomatischen – Wirbelfrakturen). Eine Verlängerung der Therapiedauer für Frauen mit hohen Frakturrisiken wird in einigen Empfehlungen unterstützt, aber es wird auch zugegeben, dass die Evidenzbasis dafür dünn ist.
In dieser retrospektiven Kohortenstudie (knapp 30 000 Frauen, mittleres Alter 71 Jahre, 60% davon ­weisser Hautfarbe) waren 5 zusätzliche Therapiejahre mit einem Bisphosphonat nicht von einer weiteren ­Reduktion der Hüftfrakturrate begleitet.
Bezüglich Hüftfrakturen scheinen 5 Jahre Bisphosphonate also genügend, die Frage der Wirbelfrakturrate bei Hochrisikopatientinnen müsste in einer prospektiven Untersuchung geklärt werden. Ebenso die Frage, wann der Effekt der Bisphosphonate in Bezug auf Frakturprävention nachlässt: wirklich schon nach 5 oder erst nach 6 oder 7 Jahren zum Beispiel?
JAMA Open Network. 2020, doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2020.25190.
Verfasst am 16.12.2020.

Wie viele Antikoagulanzien?

Wie sollen Patientinnen und Patienten unter oraler Antikoagulation wegen eines vorbestehenden Vorhofflimmerns oder nach venöser Thromboembolie nach einer Koronarintervention behandelt werden?
In diesen Fällen soll im Normalfall wegen zu grosser Blutungsrisiken auf eine dreifache Antikoagulation verzichtet werden und nur eine duale Antikoagulation (orale Antikoagulation und Plättchenhemmung mit ­einem P2Y12-Hemmer wie Clopidogrel, Prasugrel oder Ticagrelor) zur Anwendung kommen («strong recommendation»).
J Am Coll Cardiol. 2020, doi.org/10.1016/j.jacc.2020.09.011.
Verfasst am 21.12.2020.

Für Ärztinnen und Ärzte im Spital

Dexamethason bei chronischem ­Subduralhämatom

Basierend auf der Hypothese, dass lokale Entzündungsphänomene die Progression und die Rezidivhäufigkeit eines Subduralhämatoms mitbedingen (siehe «Fokus auf ...»), wurde Dexamethason seit 50 Jahren immer wieder ausprobiert.
Nun ergab eine plazebokontrollierte Studie (341 Studienteilnehmende Dexamethason, 339 Plazebo), dass der neurologische Verlauf nach der initialen Evakuation (bei >94% der Patientinnen und Patienten vorgenommen) durch Dexamethason verschlechtert wurde (primärer Endpunkt gemessen nach 6 Monaten, p <0,001). Einer der sekundären Endpunkte (Reoperationen) konnte wegen methodischer Mängel statistisch nicht ausgewertet werden. Numerisch gab es weniger Reoperationen in der Dexamethasongruppe. Dexamethason wurde über 14 Tage gegeben mit einer mittleren Gesamtdosis von 124 mg. Die Gründe für den schlechteren neurologischen Verlauf sind unklar, erwartungsgemäss kamen aber in der Dexamethasongruppe mehr Hyperglykämien, erstmalige Psychosen und Infekte vor.
N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2020473.
Verfasst am 17.12.2020.

Neues aus der Biologie

Mit Nanobodies SARS-CoV-2 bekämpfen

Wegen der gegenwärtigen Euphorie über die ermutigenden Corona-Impfstoff-Resultate geht etwas vergessen, dass es keine gute Therapie gibt, die einen SARS-CoV-2-Infekt effektiv und zu vernünftigen Kosten behandeln könnte.
Von den sogenannten Nanobodies (siehe «Wussten Sie?» und zugehörige Abbildung), die Eiweisssequenzen auf dem sogenannten S(pike)-1-Protein erkennen, wurde gezeigt, dass sie hochspezifisch und enorm wirksam das SARS-CoV-2 neutralisieren und es an seinem Eintritt in die Wirtszelle hindern können. Diese Nanobodies können grundsätzlich schnell und in gros­ser Menge von mikrobiellen Systemen produziert werden. Sie sind ziemlich resistent gegen Inaktivierung durch Hitze, Lyophilisation und auch durch Aerosolisierung. Deshalb besteht Hoffnung, dass diese Nano­bodies per inhalationem bei aktiven SARS-CoV-2-Infekten erfolgreich in die Luft- und Atemwege appliziert und therapeutisch genutzt werden können.
Verfasst am 17.12.2020.

Auch noch aufgefallen

Mammakarzinom (1): Weniger Chemotherapie bei tumorgenetisch niedrigem Risiko

Die jetzt präsentierte RxPonder-Studie [1] fand bei etwa 5000 Frauen mit relativ niedrigem Progres­sionsrisiko (hormonrezeptorpositiv, HER-[humaner epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor-]2*-negativ, 1–3 regionäre Lymphknoten befallen), dass eine zusätzlich zur Hormontherapie applizierte Chemotherapie das Rezidivrisiko nach 5 Jahren nicht verminderte (in beiden Gruppen waren 92% der Frauen zu diesem Zeitpunkt rezidivfrei). Wie in der Vorläuferstudie (TAILORx [2]), die Frauen mit nodal negativen Mammakarzinomen untersucht hatte und zu gleichen Ergebnissen gekommen war, wurde eine genetische Risikoanalyse (Expressionsprofil von 21 Genen im Tumorgewebe) erstellt. Fiel diese tief aus, so konnten diesen Frauen zusätzliche Chemotherapien erspart werden.
*Dieser Rezeptor wird nun ERBB2 («erb-b2 receptor tyrosine kinase 2») genannt.
1 National Institutes of Health, news releases, 9.12.20, https://www.nih.gov/news-events/news-releases/some-postmenopausal-­women-common-breast-cancer-may-forgo-chemotherapy
2 N Engl J Med. 2018, doi.org/10.1056/NEJMoa1804710.
Verfasst am 14.12.2020.

Mammakarzinom (2): Längere Chemotherapie von Nutzen

Auf der anderen Seite des prognostischen Spektrums (siehe oben) stehen leider diejenigen 15% aller Frauen mit Mammakarzinom, deren Tumor sogenannt triple-negativ ist (Östrogen-Progesteron- und HER2/ERBB2-negativ) und ein hohes Metastasenrisiko bedeutet. Diese Patientinnen werden deshalb mit verschiedenen Chemotherapeutika behandelt (Anthrazykline, Alkylanzien und Taxane).
Nach dieser Therapie verbesserte die Zugabe von oralem Capecitabin (eine oral verfügbare Pro-Drug von Fluorouracil) für ein Jahr die Wahrscheinlichkeit, nach 5 Jahren noch ohne Rezidiv zu sein, von knapp 76 auf knapp 86%. Unerklärt ist der fehlende Effekt auf die Mortalität nach 5 Jahren. Knapp 8% aller Frauen unter Capecitabin entwickelten eine eher schwere Form ­eines Hand-Fuss-Syndroms.
Verfasst am 14.12.2020.

Nicht ganz ernst gemeint

Die Erkenntnis des Jahres zu COVID-19

Das Luzerner Kantonsgericht hat am 17.12.2020 festgestellt, dass die Frequentierung eines Bordells bezüglich SARS-CoV-2-Ansteckungsrisiko gefährlicher als ein Coiffeurbesuch ist.
Teletext, 18.12.202.
Verfasst am 19.12.2020.

Neurologie: 2× negativ und 1× fast

Die Gabe des Gerinnungshemmers Tranexamsäure innerhalb von 4–5 Stunden nach Beginn einer intrazerebralen Hämorrhagie zeigte keinen Einfluss auf die Volumenzunahme der Hämorrhagie.
Verfasst am 16.12.2020.
Hochdosiertes Biotin (vermutete Mechanismen: Erhöhung der ATP-Produktion in demyelinisierten Neuronen und/oder Förderung der Myelinreparation) konnte das Ausmass von Behinderung und das Gehtempo bei Patienten mit progressiver Multipler Sklerose nicht verbessern. Nebenwirkung: Biotin kann zu Fehlmessungen bei jenen Immunoassays führen, die auf einer Biotin-Streptavidin-Interaktion beruhen.
Verfasst am 16.12.2020.
Das oral verfügbare Rimegepant (ein «calcitonin gene related peptide»-[CRGP-]Rezeptor-Antagonist) führte – in prophylaktischer Indikation – zu 4,3 mehr migränefreien Tagen pro Monat. Dies bei einem allerdings gros­sen Plazeboeffekt (3,5 zusätzliche migränefreie Tage pro Monat). Das resultierende p betrug 0,01.
Verfasst am 16.12.2020.

Wussten Sie?

Was sind Nanobodies?
Ohne den wissenschaftlichen, aber weit verbreiteten Slang ausgedrückt handelt es sich um sogenannte Einzeldomänen-Antikörper. Es sind gentechnisch hergestellte Antikörperfragmente, die der variablen Region der schweren Ketten (siehe Abbildung) entsprechen. Sie sind das kleinste Antikörperfragment (12–15 kD), das Antigene erkennen kann. Dies und ihre gute Wasserlöslichkeit machen sie zu attraktiven Kandidaten einer antikörperbasierten Therapie für verschiedene Krankheiten und in unterschiedlichen Organen. Zusätzlich ­besteht die Möglichkeit, einzelne Nanobodies mit unterschiedlichen Antigenspezifitäten miteinander zu verbinden (zu multimerisieren), sodass – zum Beispiel – in der Bekämpfung ­viraler Infekte eine viel höhere Spezifität erreicht wird und die Therapie auch bei mutierenden Viren noch weiter therapeutisch wirksam bleiben kann. Man kreiert aus den Einzel­domänen-Antikörpern also wieder multivalente Nanobodies, in der antiviralen Therapie ­typischerweise bislang trivalente Antikörpermultimere.
Ein normaler IgG-Antikörper besteht aus leichten und schweren Ketten, die mittels ­Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. Weiter besteht eine Unterteilung in eine konstante Region (Fc; c steht formell für «crystalline») und eine variable Region (Fab; ab steht für «antigen binding»). Die roten Pfeile repräsentieren die variable Region einer schweren Kette, die separat synthetisiert und appliziert wird. Im Beispiel erkennt ein solcher Nanobody die Rezeptordomäne (S1-Protein; hier gelb dargestellt) von SARS-CoV-2. Die Multimerisierung von mehreren Nanobodies mit verschiedenen Antigenbindungsstellen erhöht sowohl Spezifität als auch Wirksamkeit, selbst bei Virusmutationen.
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