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Ausgabe
2021/0708
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08734
Swiss Med Forum. 2021;21(0708):109-111

Publiziert am 16.02.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ...  Myopie

– Anatomisch: zu starkes Längenwachstum in der Kindheit.
– Grossteil des für eine spätere Myopie wichtigen Bulbuswachstums im Primarschulalter.
– Myopische Bulbi durchschnittlich 26 mm lang (normal: 23 mm); ­Bulbuslängen von >30 mm bedeuten hohes Risiko für Sehbehinderung, inklusive Netzhautablösungen und Weitwinkelglaukome.
– Risikofaktoren:
• genetisch-familiär (mehr als 500 Varianten; in China, Südkorea und ­Taiwan sind ca. 80% der 20-Jährigen myop, in Europa um 25%);
• zu kurze Leseabstände (inkl. zu Smartphones, PC etc.);
• myopisches Bulbuswachstum ist in diesem Zusammenhang eine homeostatische Reaktion;
• Schutzfaktor: vermehrte Lichteinwirkung im Freien (stimuliert retinale Dopaminsynthese = Stoppsignal für Bulbuswachstum).
– 20:20:2-Regel:
• 20 Minuten Bildschirm im Wechsel mit
• 20 Sekunden «Augenpause»
• 2 Stunden Aufenthalt im Freien/Tag
https://www.myopie.nl/en/, verfasst am 17.01.2021.

Praxisrelevant

Ambulante Therapie der unkomplizierten Appendizitis

Mehrere frühere Studien (u.a. [1, 2]) hatten für Kinder und Erwachsene gezeigt, dass bei computertomographisch dokumentierter unkomplizierter Appendizitis (inkl. fehlenden Nachweises von Fäkolithen) eine antibiotische Therapie (intravenös bzw. oral kombiniert mit intravenös) mit ­einer Rezidivfreiheit nach einem Jahr von etwa 70%, aber weniger therapieassoziierten Komplikationen und kürzeren Arbeitsausfällen eine valable Alternative zur Operation darstellt.
Wie gut steht die orale und damit ambulant verabreichbare Antibiose da? Gut, denn bei fast 600 randomisierten Patientinnen und Patienten (Frauenanteil 44%, mittleres Alter 36 Jahre) waren 400 mg Moxifloxacin p.o. pro Tag (×7) der Antibiose mit initial einem Carbapenem i.v. für zwei Tage, gefolgt von Metronidazol und Levofloxacin (p.o., fünf Tage) ebenbürtig. In beiden Gruppen betrug die Rezidivfreiheit nach einem Jahr – gut kompatibel mit früheren Studien – etwa 70% [3]. Die korrekte Diagnostik erfordert zwar initial die Abklärung auf einer Notfallstation, danach ist aber eine orale Antibiose, mutmasslich in vielen Fällen ambulant, eine evidenzgestützte Option geworden.
2 N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2014320.
Verfasst am 12.01.2021.

Vorhofflimmern: Digoxin ebenso gut oder gar besser als Beta-Blocker

Digoxin ist therapeutisch gesehen weiterhin am Überleben: Bei 160, 1:1 randomisierten, durchschnittlich 76-jährigen Patientinnen und Patienten mit permanentem, tachykardem Vorhhoflimmern und Herzinsuffi­zienz (Dyspnoe NYHA-Klasse 2 und höher) führte eine tief dosierte Digoxintherapie (durchschnittlich 0,16 mg/Tag) zu gleichen subjektiven Symptomverbesserungen nach sechs Monaten wie der Beta-Blocker Bisoprolol (durchschnittlich 3,2 mg/Tag). Dies bei identischer Frequenzkontrolle des Vorhofflimmerns. Allerdings waren die Verlaufsdaten nach 12 Monaten unter Digoxin signifikant besser (u.a. signifikant tiefere proNT-BNP-Spiegel) und das Auftreten signifikanter ­Nebenwirkungen weniger als halb so häufig wie unter Bisoprolol (p <0,001).
Digoxin ist in dieser Indikation also weiterhin (oder wieder?) eine gute Option. Der resultierende, durchschnittliche Digoxin-Spiegel lag mit 0,78 deutlich unter 1 ng/ml.
Verfasst am 17.01.2021.

Komfort vor Eleganz

Neben den Hüttenwarten in den Schweizer Alpen wundern sich auch Hausärztinnen- und ärzte oftmals über inadäquates Schuhwerk.
In einer schönen kleinen Studie zeigen australische physikalische Mediziner, was intuitiv vielleicht schon klar war: Das Tragen von festen und stabilen Schuhen (>6 Stunden pro Tag für 6 Monate) im Vergleich zu flachsohligen und weich-elastischen Schuhen vermag die Beschwerden bei Gonarthrose signifikant zu lindern [1]. Die verwendeten Schuhtypen sind in einem Video [2] dargestellt. Wenn der Vergleich der stabil-festen Schuhe mit den üblicherweise verwendeten Alltagsschuhen und -pantoffeln gemacht worden wäre, hätte sich vielleicht eine noch eindrücklichere Beschwerdelinderung ergeben.
Adäquates Schuhwerk vermag Gonarthrosebeschwerden signifikant zu lindern, so die Resultate einer australischen Studie (© Kukainiskarlis | Dreamstime.com).
1 Ann Intern Med. 2020, doi.org/10.7326/M20-6321.
Verfasst am 13.01.2021.

Neues aus der Biologie

Reizdarmsyndrom und Mastzellen

Wechselnde Ausprägungen von Obstipation und Diarrhoe mit meist krampfartigen, auch postprandial auftretenden Schmerzen charakterisieren das Reizdarmsyndrom. Es soll in einer westlichen Allgemeinbevölkerung eine Prävalenz von etwa 10% aufweisen und tritt nicht selten zeitlich nach einer gastrointestinalen Infektion erstmals auf. Das Reizdarmsyndrom wird oft erst nach längeren diagnostischen Bemühungen (die alle negativ ausfallen, inkl. der Sprue- und klassischen Allergenteste) diagnostiziert.
In Mäuseexperimenten fand man, dass gewisse diätetischen Antigene im Anschluss an eine gastrointestinale bakterielle Infektion zu einer Bildung von IgE-­Antikörpern mit Spezifität für diese Nahrungsantigene und limitiert auf die gastrointestinale Mukosa (deshalb systemisch nicht nachweisbar) führen. Bei entsprechender Exposition werden mukosale Mastzellen IgE-abhängig degranuliert und die konsekutive Hist­aminfreisetzung führt anscheinend via den Histamin-1-Rezeptor zu Schmerzen (gemessen wurde die Aktivität der murinen, nozizeptiven viszeralen Nervenafferenzen).
Im humanen Arm dieser Studie wurden Patientinnen und Patienten mit Reizdarmsyndrom und normale Kontrollpersonen sigmoidoskopiert. Verschiedene Nahrungsantigenmischungen wurden dabei instilliert (Gluten, Weizen, Soja, Milch) und lösten bei den Patientinnen und Patienten ein lokales Ödem und eine Mastzellaktivierung aus [1].
Somit könnte eine lokale, mit bisherigen Methoden nicht messbare Mastzellaktivierung vor allem bei den postinfektiös aufgetretenen Reizdarmsyndromen eine Ursache für die Bauchschmerzen sein. Einige Hinweise, dass Histamin-1-Rezeptor-Antagonisten beim Reizdarmsyndrom wirksam sein könnten, bestehen seit einigen Jahren [2].
2 Gastroenterology. 2016, doi.org/10.1053/j.gastro.2015.12.034.
Verfasst am 14.01.2021.

Neues zu SARS-CoV-2

Ausscheidungsdynamik infektiöser Viren

In einer Population schwer an COVID-19 erkrankter Patientinnen und Patienten (alle hospitalisiert, etwa 70% auf der Intensivstation) betrug die mittlere Dauer der Ausscheidung von zur Infektion befähigten Viren acht Tage (nach Auftreten der ersten Symptome). Zwei Wochen nach Symptombeginn waren «nur» noch 5% der Patientinnen und Patienten mutmasslich infektiös.
Verfasst am 18.01.2021.

Rekonvaleszenz nach COVID-19

Sechs Monate nach Überleben einer akuten COVID-19-­Erkrankung waren die häufigsten Restbeschwerden Ermüdbarkeit, Muskelschwäche, Schlafstörungen sowie Angststörungen und Depressionen. Bei ehemals hospitalisierten, schwerer erkrankten Patientinnen und Patienten waren immer noch pulmonale Diffusionsstörungen und radiologische Abnormitäten fassbar.
Verfasst am 18.01.2021.

Immer noch lesenswert

Rapid progressive Glomerulonephritis

Diese Arbeit ist die klinisch-pathologische Erstbeschreibung von 46 Patienten mit einer akuten, schnell progredienten Glomerulonephritis [1]. Diese ist bioptisch durch Nekrosen und zelluläre Proliferationen in der Bowman'schen Kapsel («Kissenbildung») charakterisiert und kann häufig im Rahmen eines pulmorenalen Syndroms auftreten. Zu jener Zeit konnte man Immunkomplexe oder Anti-Basalmembran-Antikörper (Goodpasture) als auslösende pathogenetische Faktoren nachweisen. Fielen diese negativ aus, sprach man noch von «idiopathischer» rapid progressiver Glomerulonephritis. Die Anti-Neutrophilen-Zytoplasma-Antikörper waren noch nicht entdeckt worden. Dies erfolgt dann 1982, wobei die damals vermutete ursächliche Rolle von Arboviren die Zeit nicht überdauert hat [2].
1 Kidney Int. 1979, doi.org/10.1038/ki.1979.24.
Verfasst am 17.01.2021.

Auch noch aufgefallen

PACAP ... ein protektives Palindrom

Wenn man in seiner klinischen Arbeit Patientinnen und Patienten mit Meningoenzephalitiden und ihren dramatischen Verläufen gesehen hat, würde man dem menschlichen Gehirn wohl kaum spezifische antimi­krobielle Mechanismen zutrauen. Falsch, denn das PACAP*, ein Neuropeptid, dessen Kernkompetenz in der Beeinflussung von Emotionen und Stressantworten liegt, wird bei bakteriellen und fungalen Infekten (Staphyloccus aureus und Candida albicans) bis zu 50-fach vermehrt synthetisiert und weist effektive antimikrobielle Eigenschaften auf. Gleichzeitig vermindert es die potentiell schädigende neuroinflammatorische Aktivität.
* PACAP = «pituitary adenylate cyclase-activating polypeptide»
Proc Natl Acad Sci U S A. 2021, doi.org/10.1073/pnas.1917623117.
Verfasst am 18.01.2021.

«Big data» und Myopie

Nachdem die Schulen COVID-19-bedingt fünf Monate geschlossen waren, wurden in China nach Wiedereröffnung (Juni 2020) im Rahmen der seit 2015 bestehenden jährlichen augenärztlichen Untersuchungen mehr als 125 000 (!) 6–13-jährige Schulkinder untersucht. Im Vergleich zu den Befunden der Vorjahre fand sich bei der Altersgruppe der 6–9-Jährigen eine signifikante Abnahme um –0,3 Diop­trien respektive eine Zunahme der Myopie.
Obwohl in dieser Studie nicht gemessen oder nicht ­angegeben, zeugen Beobachtungen in verschiedenen Ländern davon, dass die Schüler während der Lockdowns massiv erhöhte Lesezeiten («screen times») aufwiesen und deutlich weniger Zeit im Freien verbrachten. Siehe auch «Fokus auf ...».
Verfasst 17.01.2021.

Wussten Sie?

Ein Konsum von Hühnereiern ist assoziiert mit oder es sind ­folgende Aussagen richtig:
A einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, an einer koronaren Herzkrankheit zu leiden.
B einer verminderten Wahrscheinlichkeit, an einer koronaren Herzkrankheit zu leiden.
C Eierkonsum ist nicht per se riskant, sondern weil man dazu mehr Speck, Würstchen («processed meat») und Kochsalz isst.
D Eierkonsum ist gesund, weil Eier reich an Mineralien, ­Folsäure, Vitamin B12 und fettlöslichen Vitaminen sind.
E Ein grosses Ei enthält 300 mg Cholesterol, weshalb die Cholesterinspiegel im Blut ansteigen.

Antwort:


Ein Konsum von mehr als einem Hühnerei pro Tag ist – gemäss einer Metaanalyse [1] – mit einer verminderten Wahrscheinlichkeit assoziiert, einen Schlaganfall oder eine koronare Herzkrankheit zu erleiden. Eier sind reich an den genannten Substanzen (Antwort D), aber ob diese den klinischen Effekt bedingen, ist kausal nicht geklärt. Die Ko-Konsumation von Eierspeisen mit Speck, Würstchen und erhöhten Kochsalzmengen («scrambled eggs», Tortillas etc.) stimmt wahrscheinlich, aber trotzdem scheint der positive Effekt des Eierkonsums zu dominieren. Ein grosses Hühnerei enthält etwa 180 mg Cholesterol, aber es gibt keine überzeugende Evidenz, dass dadurch auch die Plasma-Cholesterolspiegel erhöht werden. Richtig ist also die Antwort B.
Zum fehlenden Zusammenhang zwischen Eierkonsum und Plasma-Cholesterol gibt es einen unterhaltsamen Fallbericht, den zu lesen sich – auch – immer noch lohnt [2]. Ein 88-jähriger Mann, vereinsamt nach dem Tod seiner Ehefrau, mit einer Diagnose eines Morbus Alzheimer und einer Depression, konsumierte jahrelang 25 (!) Eier pro Tag. Er war frei von kardiovaskulären Erkrankungen und sein Plasma-Cholesterol war normal, unter anderem wegen einer adaptativen Umwandlung von Cholesterol in Gallesäuren und einer reduzierten intestinalen Cholesterolabsorption [2].
2 N Engl J Med. 1991, doi.org/10.1056/NEJM199103283241306.
Verfasst am 17.01.2021.
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