Kurz und bündig
Journal Club

Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2021/0910
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08748
Swiss Med Forum. 2021;21(0910):143-146

Publiziert am 02.03.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Fussuntersuchung bei älteren Patienten

– Fusspathologien führen zu Sturzneigung und eingeschränkter Mobilität.
– Mangelnde Fusshygiene ist oft Zeichen von funktionellen/kognitiven Einschränkungen.
– Bestandteile einer Fussuntersuchung in der Praxis sind:
• Adäquates Schuhwerk?
• Hautinspektion: Kallus, Ulzera, Fissuren?
• Nagelinspektion: Länge, Verdickungen, eingewachsen, Pilz?
• Orthopädisch: Hallux valgus, Hammerzehen, Deformitäten, Schmerzen?
• Vaskulär/neurologisch: Temperaturunterschiede, Fusspulse, Ödeme, Haarwachstum reduziert/fehlend, Sensibilität?
Am J Med 2021, doi.org/10.1016/j.amjmed.2020.07.010, verfasst am 27.01.2021.

Praxisrelevant

COVID-19: Schützt die Impfung vor Reinfekten mit mutierten SARS-CoV-2?

Die Beobachtungen in Manaus (Brasilien), dass die brasilianische Virusmutante trotz einer Seroprävalenz (anti-SARS-CoV-2-IgG) von angeblich 80% zu ­einem massivem Anstieg der Neuinfektionen führte, lassen – neben anderen Beobachtungen – Zweifel an der Immunprotektion gegen die neuen SARS-CoV-2-Mutationen wie P1 (Brasilien) oder auch N501Y (Grossbritannien, Südafrika) aufkommen. Beruhigend wenigstens in Teilen darum die Beobachtung, dass bei 20 mit dem Pfizer/BioNTech-Impfstoff vakzinierten Individuen die neutralisierende Kapazität ­gegen mutierte und nicht mutierte Viren identisch ausfiel.
bioRxiv 2021, doi.org/10.1101/2021.01.07.425740. ­Verfasst am 24.01.2021.

Antidepressiva bei Rücken- und Arthroseschmerzen: wahrscheinlich nicht matchentscheidend

Anscheinend haben die Verschreibungen von Antidepressiva in der Gruppe der Medikamente mit Abhängigkeits- und Entzugspotenzial die Opiate weit überholt (in Grossbritannien: 7,2 versus 5,6 Millionen Patientinnen und Patienten). Vor allem bei chronischen Schmerzzuständen werden sie zur «Erhöhung der Schmerzschwelle» oft verschrieben.
Eine Metaanalyse (33 Studien mit ­total mehr als 5300 Studienteilnehmenden) kommt zum Schluss, dass in Bezug auf Rücken- (mit und ohne radikuläre Sym­ptome) sowie Arthroseschmerzen die Wirkung von Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren (SNRI) unter den Antidepressiva am besten ist, aber selbst dort mit dünner Evidenz. Am besten schienen sie die Rückenschmerzen und das Ausmass der assoziierten Einschränkungen, inklusive bei «Ischiasbeschwerden», zu reduzieren. Bei Beschwerden «peripherer» Arthrosen kann ein Effekt – Zitat – nicht ausgeschlossen (sic!) werden. Trizyklische Antidepressiva wirken bei Rückenschmerzen laut dieser Analyse nicht.
Also: Eine antidepressive Therapie steht in diesen Indikationen generell auf schwachen Evidenzfüssen.
Verfasst am 24.01.2021.

Neues aus der Biologie

COVID-19: Schützt ein früherer Infekt vor einem Reinfekt?

Die IgM- und IgG-anti-SARS-CoV-2-Antikörpertiter ­gegen die Rezeptorbindungsdomäne fallen nach einem Erstinfekt über Monate progredient ab. Können ­Gedächtniszellen bei einem Reinfekt schnell für die Antikörperproduktion aufgeweckt werden?
Zwar fällt die neutralisierende Plasmaaktivität über ein halbes Jahr nach dem Erstinfekt um einen Faktor 5 ab. Zu diesem Zeitpunkt zeigen aber Gedächtniszellen ein klonales Wachstum, und die produzierten Antikörper binden dann stärker an die Rezeptordomäne und – aufgrund sogenannter Hypermutationen – sind relativ resistent gegen Mutanten. Diese Beobachtungen sprechen für eine progressive Adaptation der Immunantwort, wofür eine Antigenpersistenz Voraussetzung ist.
In der Tat fanden die Autoren in Dünndarmbiopsien noch sechs Monate nach dem Infekt virale RNA (bei 7 von 14 Freiwilligen). Ein überraschender Befund der für eine protektive Memory-Zellaktivierung im Rahmen der Antigenpersistenz spricht.
Was aber ist der Verlauf eines Reinfektes bei den Individuen ohne eine solche? Was sind die Konsequenzen für die Impfstrategie? Etwa repetitive Impfstoffapplikationen?
Verfasst am 24.01.2020
Patientenproben für den SARS-CoV-2-Antikörpertest (CDC/ James Gathany, 2020).

COVID-19: Sind die schwereren Verläufe eine autoimmune Erkrankung?

Wie bei anderen Infekten bakterieller und viraler Ursache kann auch COVID-19, zum Teil genetisch bedingte, autoimmune Reaktionen auslösen. Die Epitope der so ausgelösten Autoantikörper scheinen bei COVID-19 speziell breit gefächert [1]. Autoantikörper können mit der Immunantwort respektive der viralen Abwehr interferieren. Dies sind beispielsweise die Autoantikörper gegen Interferone der Gruppe 1 [2]. Zu den schweren Verläufen gehören Thrombosen in kleinen Gefässen, teilweise erklärt durch eine virale Endothelialitis. Möglicherweise sind diese auch bedingt durch SARS-CoV-2-induzierte Anti-Phospholipid- und andere prothrombotische Antikörper [3]. Ebenfalls können Anti­körper gegen ein Strukturprotein, das wichtig für die Integrität von Gefässen ist (Annexin-A2, [4]), nachgewiesen werden.
Somit verstehen wir langsam besser, warum Immunmodulationen durch Glukokortikoide, inhalativer Interferonersatz und verschiedene monoklonale Anti-Interleukin-Antikörper wirken oder wirken könnten.
3 Sci Transl Med. 2020, doi.org/10.1126/scitranslmed.abd3876.
Verfasst am 27.01.2021 aus Anlass einer Diskussion mit Prof. Dr. W. Reinhart (Chur).

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Thrombektomie allein bei Hirninfarkten der vorderen Strombahn?

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass bei thrombotischen Verschlüssen grösserer Arterien in der ­vorderen Hirnstrombahn eine endovaskuläre Thromb­ektomie nach intravenöser Thrombolyse die neurologische Erholung verbessert. Könnte man sich auch mit der Thrombektomie allein begnügen?
Diese chinesische Studie wies innerhalb von 4,5 Stunden 234 Patientinnen und Patienten 1:1 der endovaskulären Thrombektomie allein oder einer Kombination intravenöser Alteplase gefolgt von einer solchen endovaskulären Intervention zu. Geplant war, 970 Patientinnen und Patienten zu randomisieren, doch wurde die Studie vorzeitig bei einer vorgeplanten Interimsanalyse gestoppt. Nach 90 Tagen war der Anteil von Patientinnen und Patienten mit funktioneller Unabhängigkeit nicht signifikant verschieden («non-inferior»: 54% nach alleiniger Thrombektomie, 47% nach kombinierter Therapie). Die 90-Tage-Mortalität war auch nicht unterschiedlich, ebenso wie die Häufigkeit von Enzephalorrhagien.
Der vorzeitige Abbruch und mögliche populations­spezifische Besonderheiten sind Argumente für eine erweiterte Prüfung dieser Therapiehypothese.
Verfasst am 26.01.2021.

Aus Schweizer Feder

Uromodulin als Biomarker einer salzsensitiven Form der Hypertonie

Uromodulin, früher bekannt als Tamm-Horsfall-Protein, wird in den Zellen des dicken Anteils des aufsteigenden Schenkels der Henle΄schen Schleife produziert. Es ist ein plurifunktionales Eiweiss, in diesem Zusammenhang sei seine stimulierende Wirkung auf den thiazidsensitiven Natriumchlorid-(NaCl-)Transporter im nachgeschalteten distalen Tubulus betont. Folge ­davon ist eine stimulierte NaCl-Rückresorption oder renale Salzretention.
Bei mehr als 1000 durchschnittlich 48 jährigen Hypertoniepatientinnen und -patienten war eine erhöhte Kochsalzzufuhr (nach Massgabe der Natriumausscheidung im 24-Stunden-Urin) bei erhöhten Uromodulin-ausscheidungsraten mit einer signifikanten Erhöhung des systolischen 24-Stunden-Blutdruckes assoziiert. Interessant auch die Beobachtung, dass der diastolische Blutdruck invers mit der Kochsalzeinnahmen korrelierte, falls die Uromodulinausscheidung tief war. Die Uromodulinproduktion hängt von genetischen ­Varianten im Uromodulin-Promoter und interessanterweise auch von der NaCl-Zufuhr ab.
Uromodulin ist also – klinisch-diagnostisch gesehen – ein interessanter Biomarker zur Identifizierung salzsensitiver (systolisch) hypertensiver Patientinnen und Patienten. Diese dürften mehr als andere von einer primären Thiazidtherapie profitieren.
Clin J Am Soc Nephrol. 2021, doi.org/10.2215/CJN.11230720. Verfasst am 21.01.2021.

Das hat uns gefreut

Für einen guten Start ins Leben

Eltern, Hebammen und Geburtshelfer warten gebannt auf die ersten Schreie des Neugeborenen als Zeichen, dass die selbständige Atmung eingesetzt hat. Welcher biologische Mechanismus versucht, dies zu garantieren?
Neurone im Hirnstamm haben Chemorezeptoren, die auf einen CO2- und/oder H+-Anstieg reagieren und dann einen zentral gesteuerten respiratorischen Rhythmus generieren. Dieses komplexe Feedback-System scheint bei Geburt nur teilweise ausgereift und funktional. Zum Glück gibt es ein Neuropeptid, das zeitgerecht zur Entbindung vermehrt exprimiert und in den ersten Stunden die respiratorischen Impulse diktiert («pituitary adenylate cyclase activating peptide» [PACAP]) [1]. Die zentrale Rolle dieses Peptides wird auch durch die Beobachtung unterstrichen, dass Varianten des PACAP-Gens mit plötzlichen (klein-)kindlichen Todesfällen («sudden infant death syndrome» [SIDS]) assoziiert sind.
Dieses PACAP-Genprodukt entpuppt sich als multifunktionales Neuropeptid: Im «Kurz und bündig» der letzten Ausgabe [2] wurde schon über dessen modulierende Wirkung in emotionalen Reaktionen und als antientzündliches Peptid im Zentralnervensystem berichtet.
2 Swiss Med Forum. 2021, doi.org/10.4414/smf.2021.08734.
Verfasst am 26.01.2021.
Sehnsüchtig erwartet: die ersten Schreie eines Neugeborenen (© Izabel17 | Dreamstime.com).

Das hat uns nicht gefreut

Namensalat bei den aktuellen SARS-CoV-2-Varianten

Die südafrikanische Mutante heisst 501Y.V2 (Mutation der 501. der Aminosäure von Tyrosin [Y] zu Valin [V]). Die britische Mutante heisst VOC 202012/01 («variant of concern», die darauf folgenden Zahlen stehen für Jahr, Monat und Tag). Die gleiche Mutante heisst auch auf der Basis eines Virusklassifikations­system B1.1.7.
Coronaviren mutieren mehr als 20-mal pro Jahr, werden dies also auch in der nahen und ferneren Zukunft tun. Eine gut verständliche, einheitliche Namensgebung ist also dringend. Obwohl die Integration des Ursprungslandes in den Namen wegen angeblicher Diskriminierung abgelehnt wird, sprechen doch alle von britischer, südafrikanischer oder brasilianischer Variante ...
Nature. 2021, doi.org/10.1038/d41586-021-00105-z. ­Verfasst am 26.01.2021.

Auch noch aufgefallen

Wie zufrieden sind Frauen, die auf eine Wiederaufbauplastik nach Mastektomie verzichteten?

Dem rekonstruktiven Eingriff zum Wiederaufbau der weiblichen Brust nach tumorbedingter Mastektomie werden eine bessere Lebensqualität, ein verbessertes Körpergefühl und eine positiver erlebte Sexualität zugeschrieben.
Eine Umfrage bei mehr als 900 ökonomisch gut gestellten, kalifornischen Frauen vorwiegend weisser Hautfarbe nach uni- oder bilateraler Mastektomie, aber Verzicht auf eine Wiederaufbauplastik zeigt: 74% waren mit ihrem Entscheid («going flat» im einpräg­samen, aber etwas gewöhnungsbedürftigen Slang) ­zufrieden. Gründe waren Zufriedenheit mit dem ­eigenen Körperbild (50% aller Gründe), Vermeidung von Fremdkörperimplantaten sowie die Überzeugung, niedrigere Komplikationsraten erwarten zu müssen.
Ann Surg Oncol. 2021, doi.org/10.1245/s10434-020-09448-9. Verfasst am 26.01.2021.

Aspirin® zur Prävention von Aborten

Eine frühere Studie hatte – vermutlich wegen zu geringer Compliance – keinen Effekt von Azetylsalizylsäure ­(Aspirin®) zur Verhinderung von Aborten gefunden [1].
In dieser Kohorte von mehr als 1200 Frauen mit einem oder zwei Aborten in der Vergangenheit führten 81 mg Azetylsalizylsäure* pro Tag präkonzeptionell begonnen (mindestens 5 Tage pro Woche) zu folgendem Resultat: Im Vergleich zu Plazebo wurde pro 100 Frauen beobachtet, dass sechs Aborte weniger auftraten [2].
Azetylsalizylsäure hat bereits einen etablierten Platz beim Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom, ebenfalls für werdende Mütter mit hohem Präeklampsie­risiko. Nun wahrscheinlich auch bei rezidivierenden Aborten nach einer sorgfältigen Evaluation der involvierten Ursachen.
* 100 mg Aspirin® Cardio in der Schweiz enthalten ca. 80 mg bioverfügbare Acetylsalicylsäure.
2 Ann Intern Med. 2021, doi.org/10.7326/M20-0469.
Verfasst am 27.01.2021.

Die Leserecke

Mit Belustigung wurde unsere Meldung unter «Nicht ganz ernst gemeint» [1] gelesen, dass der Besuch eines Bordells tatsächlich gefährlicher bezüglich einer SARS-CoV-2-Ansteckung sei als ein Coiffeur-Besuch.
Ergänzend wird aus dem Leserkreis auf den (bislang zum Teil) bestrittenen Nachweis von SARS-CoV-2 in Sperma hingewiesen [2]. Insbesondere bei oralem Verkehr könnte eine nicht unerhebliche Ansteckungsgefahr bestehen.
1 Swiss Med Forum. 2021, doi.org/10.4414/smf.2021.08718.
2 Uro News. 2021, doi.org/10.1007/s00092-020-4176-8. ­Verfasst am 26.01.2021.
© Irina Tiumentseva | Dreamstime.com
Das «Kurz und bündig» finden Sie auch als Podcast unter emh.ch/podcast oder in Ihrer Podcast-App unter «EMH Journal Club»!