Kurz und bündig
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Ausgabe
2021/1718
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08794
Swiss Med Forum. 2021;21(1718):279-282

Publiziert am 27.04.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Schwangerschaftsverläufe und kardiovasku­läres Risiko von Frauen

– Komplizierte Schwangerschaftsverläufe erhöhen das (oft realisierte) ­Risiko späterer kardiovaskulärer Erkrankungen (ischämische Kardio­pathien, Schlaganfälle, periphere arterielle Erkrankungen und Herzinsuffizienz).
– Folgende Schwangerschaftskomplikationen sind Risikofaktoren: Schwangerschaftshypertonie, Aborte, frühe Entbindung, Abruptio placentae und Schwangerschaftsdiabetes.
– Also: in der Anamnese bei Frauen gezielt danach fragen!
– Primäre Prophylaxemassnahmen so früh und anhaltend wie möglich ­implementieren.
– Stillen könnte einen protektiven Effekt haben.
Verfasst am 29.03.2021.

Praxisrelevant

Wie hoch ist mein Reinfektionsrisiko nach durchgemachter COVID-19?

Aufgrund früherer Studien konnte man vermuten, dass nach einem natürlichen Infekt die Protektion vor einem SARS-CoV-2-Reinfekt mindestens 6 Monate ­andauert. Individuen, die im März bis Mai 2020 eine COVID-19 durchgemacht hatten*, wurden in Dänemark während der zweiten Welle (September bis Dezember 2020) auf einen Reinfekt untersucht. Eine frühere Infektion ergab einen mindestens 80%igen Schutz für eine Zeitperiode von mindestens 6 Monaten.
Also ein hoher Schutz, der vielleicht noch länger ­anhält. Schade, dass der Einfluss der Mutationen noch nicht erfasst werden konnte, und auch, dass keine Korrelation zur quantitativen und qualitativen (neutralisierenden) Antikörperantwort möglich war. Trotzdem: wichtige Daten auch für die mögliche Selektion der zu impfenden Individuen.
* Für die eher kunktatorische Schweiz interessant: Dänemark hatte während der ersten Welle fast 70% der Bevölkerung – mehr als 4 Millionen – mittels RT-PCR getestet!
Verfasst am 26.03.2021.

GLP-1-Analog Semaglutid evaluiert für 2 ­Indikationen

Das «Glucagon-like peptide-1»-(GLP-1-)Analog Semaglutid erreichte in einer Dosis von 2,4 mg subkutan pro Woche bei adipösen (Body-Mass-Index >30 kg/m2), aber nicht diabetischen Patientinnen und Patienten eine eindrückliche und über 68 Wochen anhaltende Gewichtsreduktion [1]. Diese betrug etwa 15% des Ausgangswertes, gegenüber –2,4% in der Plazebogruppe. Gastrointestinale Beschwerden, namentlich Nausea und Durchfall, waren die häufigsten Nebenwirkungen und führten bei 4,5% der Behandelten zum Therapieabbruch.
Ebenfalls fand sich eine deutliche Gewichtsreduktion durch Semaglutid (allerdings täglich in Dosen zwischen 0,1–0,4 mg appliziert) bei Patientinnen und Patienten mit nichtalkoholischer Steatohepatitis (NASH) [2]. Semaglutid führte zur signifikanten Besserung ­diverser Biomarker einer NASH inklusive der Trans­aminasen. Allerdings war keine Besserung des sonographisch ­gemessenen Fibrosegrades zu dokumentieren. Andererseits führte zumindest die höhere Dosis zu ­si­gnifikant weniger Fibroseprogressionen.
Der genaue Stellenwert von Semaglutid in der NASH-Therapie muss also noch genauer definiert werden.
1 N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMoa2032183.
2 N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMoa2028395.
Verfasst am 30.03.2021.

Neues aus der Biologie

COVID-19-Impfung und VIPIT («vaccine-induced prothrombotic immune thrombocytopenia»)

Die Thrombosehäufung in Assoziation mit der Applikation des SARS-CoV-2-Impfstoffs von AstraZeneca (AZD1222) hat hohe Wellen geschlagen.
Eine deutsche Gruppe von Gerinnungsforschern hat 9 Patientinnen und Patienten (8 davon Frauen), die 4–16 Tage nach dieser Impfung Thrombosen entwickelten, detailliert untersucht. In 7 Fällen handelte es sich um Hirnvenenthrombosen, ein achter Fall trat zusammen mit einer Mesenterialvenenthrombose auf. In ­einem Fall wurde eine Lungenembolie beobachtet.
4 der Patientinnen und Patienten wurden gerinnungsphysiologisch genauer abgeklärt: Dabei fielen grosse Ähnlichkeiten mit der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) auf, nämlich das Auftreten aktivierender antithrombozytärer Antikörper. Diese scheinen aber direkt gegen den Plättchenfaktor 4 (PF-4) allein, und nicht wie bei den meisten Fällen von HIT gegen ­einen Komplex gebildet aus dem PF-4 und Heparin ­gerichtet. Die Plättchenaktivierung konnte durch intra­venöses Immunglobulin gehemmt werden. Die Autoren empfehlen die Behandlung mit den neuen oralen Antikoagulanzien und Immunglobulinen.
Ob die vakzininduzierte Entzündung oder die Vakzine selber ursächlich verantwortlich ist, bleibt ungeklärt. Das Adenoträgervirus, das sich an Plättchen binden kann und diese aktivieren soll, ist ein Kandidat.
Research Square. 2021, doi.org/10.21203/rs.3.rs-362354/v1 ­(preprint, nicht reviewed).
Verfasst am 30.03.2021.

Das hat uns nicht gefreut

Inzidentalome im MRT des Gehirns bei Kindern

Die bildgebende Abklärung des Gehirns hat wie bei ­Erwachsenen auch bei Kindern zugenommen. Gründe dafür könnten mehrere sein: Angst, etwas zu verpassen, weniger Zeit (und Lust) für das Erarbeiten einer Prätest-Wahrscheinlichkeit und damit der Indikation, Faszinosum des immer höheren Detaillierungsgrades und anderes mehr.
Magnetresonanztomographie des Schädels: Simple Pinealiszyste (Pfeil) als Zufallsbefund mit liquorisointensem Signal in der T2-gewichteten Space-Sequenz im Sagittalschnitt. Wir danken Frau PD Dr. med. habil. Franca Wagner, Universitätsinstitut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Inselspital Bern, herzlich für die freundliche ­Zurverfügungstellung der Abbildung.
In einer Kohorte von knapp 12 000 9–10-Jährigen fand man bei einem Fünftel (!) der Fälle sogenannte Inzidentalome. In 4% aller magnetresonanztomographisch ­abgeklärten Adoleszenten führten diese später als In­zidentalome identifizierten Befunde zur Empfehlung, weiter – zum Teil dringlich – abzuklären.
Die Nebenwirkungen können also wie immer in der Medizin schon bei der Indikation beginnen. Interessant ist, dass sowohl Fehlen wie Vorliegen eines In­zidentaloms genetisch bedingt respektive familiär ­gehäuft auftreten.
Verfasst am 29.03.2021.

(Bald auch) aus Schweizer Feder

Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und seelische Gesundheit

Depressionen, Angstzustände, Alkohol- und anderer Drogenabusus sowie erhöhte Gewaltbereitschaft werden seit März 2020 in vielen Publikationen der COVID-19-Pandemie in weitestem Sinne zugeschrieben. Angst vor Erkrankung oder Versterben, Verlust von Angehörigen, finanzielle Unsicherheit, soziale Deprivation und allgemein eine drastische Änderung des Lebens- und Berufsalltags werden als die Hauptgründe dafür angesehen. Die Einzelstudien vermögen aber den seelischen Fingerabdruck und den spezifischen Effekt ­dieser Pandemie nicht verlässlich zu definieren und so für zukünftige Epi-/Pandemien bessere sekundär-präventive Massnahmen zu entwickeln [1].
Unter der Leitung von Frau Prof. Georgia Salanti von der Universität Bern erarbeitet eine internationale Forschergruppe eine systematische Übersicht über Indikatoren der seelischen Gesundheit vor und während der Pandemie [2]. Von fast 25 000 gescreenten Publikationen werden nun mehr als 4000 detailliert in die Analyse eingeschlossen. Eine Herkulesaufgabe!
Interessant ist, dass mehr als 80 internationale (aus 19 verschiedenen Ländern) sogenannte «crowd experts» speziell für diese Aufgabe trainiert wurden. Diese ­arbeiten in der Analyse mit.
1 Lancet Psychiatry. 2021, doi.org/10.1016/S2215-0366(21)00067-5.
Verfasst am 24.03.2021.

Immer noch lesenswert

Beobachtungen zur Papillennekrose

Zum Zeitpunkt dieser experimentellen Beobachtungen war bekannt, dass Papillennekrosen häufig beim Diabetes mellitus auftreten und unter anderem bei deren ­Abschilferung in den Urin zu einer obstruktiven Uropathie führen können. Ebenfalls waren sie als Komplikation der analgetikainduzierten tubulointerstitiellen ­Nephropathie («Phenazetin-Niere») bekannt. Wesentliche pathologisch-anatomische Vorarbeiten dazu hatten in den 1950er Jahren die Schweizer Pathologen F. Gloor, O. Spühler und H. U. Zollinger beigesteuert.
Übersicht (A) und Detailansicht (B) einer Nierenpapille aus einem Autopsiepräparat (HE-Färbung). Ausgedehnte, z.T. fokale granulo­zytäre Infiltrate (blau) mit ausgedehnten Tubulusepithelne­krosen und interstitieller Fibrose sind prominent sichtbar. Die pathologisch-anatomische Diagnose in diesem Fall ist «Akute Pyelonephritis mit Papillennekrosen». Wir danken Frau Prof. Dr. med. Kirsten Mertz, Institut für Pathologie, Kantonsspital Baselland, Liestal, herzlich für die freundliche Zurverfügungstellung der Abbildungen.
Der vor Kurzem im Alter von 101 Jahren verstorbene Engländer Robert H. Heptinstall untersuchte bei Ratten nach Gabe eines Tubulotoxins (Bromomethyl­amin) prospektiv die pathologisch-anatomischen Veränderungen: Die ersten Nekrosen traten in der Henle’schen Schleife auf und die verletzlichsten Nephrone waren jene, die bis tief ins Mark oder die Papillenspitze reichten. Dies aufgrund des medullären Gegenstromprinzips, das umso effizienter wird, je länger die Henle’sche Schleife ist. Dadurch kommt es zu einer Konzentrierung des Toxins an der Spitze der Schleife.
Heptinstall war auch Autor des 1966 erschienen ­Buches «The Pathology of the Kidney», das in vielen Auflagen über Jahrzehnte das Referenzwerk für Nieren­pathologie blieb.
Am J Pathol. 1972, PMID: 5021104.
Verfasst am 23.03.2021.

Auch noch aufgefallen

Diagnostik einer traumatischen ­Enzephalopathie

Die etablierten diagnostischen Tests auf eine posttraumatische Enzephalopathie sind nicht sehr sensitiv und spezifisch. Ohne Diagnose können aber die vor allem jungen (Sports-)Menschen weiterhin diesen traumatischen Einflüssen ausgesetzt bleiben, wodurch das ­Risiko von negativen Langzeitfolgen kognitiver und motorisch/extrapyramidaler Art ansteigt. Diverse im Plasma messbare Biomarker (Neurofilament L [NFL], «glial fibrillary acidic protein» [GFAP] u.a.m.) können geeignet sein, die Diagnose zu stellen und den Verlauf zu kontrollieren, erfordern aber eine Blutentnahme.
Eine neue Studie weist auf das Potential eines Speicheltests, durchführbar zum Beispiel auf dem Sportplatz, hin. Die Zusammensetzung des Speichels in Bezug auf kleine, nicht codierende RNA (sncRNA) war hochgradig diagnostisch für das Vorliegen einer traumatischen Enzephalopathie.
Falls bestätigt, wäre diese frühe Diagnostik zur Verfügung einer Schonung und damit Verhinderungen schwerwiegenderer Spätfolgen hilfreich.
Br J Sports Med. 2021, doi.org/10.1136/bjsports-2020-103274.
Verfasst am 26.03.2021.

SARS-CoV-2-Mutante (B.1.1.7) als Ursache von Myokarditiden bei Haustieren?

Im Rahmen der ersten Welle hatten wir kurz und ­bündig die COVID-19-Erkrankungen von Nadja (eine ­Tigerin im Brooklyn Zoo, New York) zum – nicht un­widersprochenen – Anlass genommen, die Frage aufzuwerfen, ob auch Hauskatzen, zum Beispiel, die Krankheit erleiden und weiter übertragen können.
Anscheinend ist in einem Tierambulatorium in England nun aufgefallen, dass Myokarditiden bei Hunden und Katzen von gut 1% aller Zuweisungen auf über 12% angestiegen sind (Zeitraum Dezember 2020 bis Fe­bruar 2021). Fast alle wurden positiv auf die als aggressiver bekannte und bei den humanen Fällen in Gross­britannien nun dominierende (95%) B.1.1.7-Mutante von SARS-CoV-2 getestet. Ein Grossteil der Halter hatte 3–6 Wochen vor der Erkrankung der Haustiere respiratorische Symptome entwickelt und war SARS-CoV-2-­positiv getestet worden [1].
Somit taucht auch wieder die Frage auf, inwiefern solche Tiere für Menschen infektiös sein können, wie dies für die dänischen Nerze als wahrscheinlich gelten kann (Übertragung vom Menschen auf die Nerze und zurück, [2]).
Verfasst am 22.03.2021.

Nicht ganz ernst gemeint

Phallische Dimensionen

Wie beim Gehirn korreliert die individuelle Organgrös­se auch beim Penis nicht mit seinen Funk­tionen. Aber: In unserem quantitativ geprägten Zeitalter werden Dimensionen wichtig genommen und sind oft Thema in Laienmedien.
Eine Gruppe von Urologen stellte nun die Befunde verschiedener Studien zusammen, die unter akzeptablen, einigermassen kontrollierten Bedingungen gemessen haben. Nun sind die Normwerte klar: Bei knapp 11 000 britischen Männern betrug die Länge des erschlafften, hängenden Penis 9,2 ± 1,6 cm (± 2 Standardabweichungen). Die erigierten Penisse waren 13,1 ± 1,7 cm lang. Die zitierte Arbeit enthält Nomogramme, die man in der Praxis vielleicht verwenden will.
BJU Int. 2021, doi.org/10.1111/bju.13010.
Verfasst am 26.03.2021.

Welche Diagnose stellen Sie?

Ein 19-jähriger Patient ist seit 20 Stunden krank. Der leidet an Myalgien, Bauchschmerzen und rezidivierendem Erbrechen ­sowie Kopfschmerzen und verschwommenem Sehen. Seit fünf Stunden sind diverse Hautpartien (akral betont) rot-violett verfärbt. Sein systolischer Blutdruck fällt auf 70 mm Hg, sein Puls beträgt um 150/min. Die Körpertemperatur ist bis 40 °C erhöht. Die Sauerstoffsättigung beträgt unter nasalem O2 noch 83%. Der Patient lebt bei der Mutter und seinem Bruder, im Haushalt ­leben drei Katzen.
Laborwerte bei Eintritt (Auswahl): Hämoglobin leicht erhöht, Leukozyten 8000/µl mit Vakuolen und toxischen Granula, Thrombozyten 12 000/µl. CRP 82 mg/l, Kreatinin 300 µmol/l, D-Dimere nicht messbar erhöht, Fibrinogen nicht messbar erniedrigt (auch Protein-C-, -S- und Antithrombin-III-Aktivitäten sehr tief).
Die wahrscheinlichste Diagnose ist:
A Katastrophales Antiphospholipid-Syndrom
B Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura
C Vaskulitis bei Kryoglobulinämie
D Infektiöse Purpura fulminans

Antwort:


Selbst ein katastrophales Antiphospholipid-Syndrom braucht Tage bis Wochen für seine Entwicklung. Die Vaskulitis bei Kryoglobulinämie weist keine akuten Entzündungszeichen oder eine Koagulopathie, dafür Arthralgien und Polyneuropathien auf und wird am ehesten bei Patientinnen und Patienten mit Hepatitis C gesehen. Typisch für den beschriebenen Verlauf und die Laborbefunde ist eine Purpura fulminans. Eine der drei Katzen könnte – beissend – kausal verantwortlich sein (Capnocytophaga canimorsus), war es aber nicht, denn die Blutkulturen zeigten in der Gram-Färbung des Blutausstriches gramnegative Diplokokken, nach einer Inkubationszeit von 15 Stunden wurde Neisseria meningitidis der Serogruppe C identifiziert. Der Patient hatte nur eine Dosis einer konjugierten und einer Anti-B-Meningokokken-Impfung (ohne Booster) erhalten.
N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMcpc2027093.
Verfasst am 29.03.2021.
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