Wir befassen uns im Folgenden ausschliesslich mit der funktionellen Abhängigkeit oder dem funktionellen Rückgang, die/der als teilweise oder vollständige Unfähigkeit definiert ist, gewisse Aktivitäten des täglichen Lebens auszuführen. In diesem Fall benötigen abhängige Personen menschliche oder technische Hilfe zur Ausführung ihrer Aktivitäten. Diese nimmt zwar mit dem Alter zu, ist aber keineswegs eine systematische Folge des Alterns. In der Schweiz leben von den über 80-Jährigen 85% zuhause, 29% nehmen häusliche Pflege in Anspruch und 16% haben mindestens eine Schwierigkeit bei den täglichen Aktivitäten, das sind dreimal mehr als bei den Personen zwischen 65 und 79 Jahren [2]. Die am häufigsten verwendeten Skalen zur Evaluierung der Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten in ihrem täglichen Leben sind die «Activities of Daily Living Scale» (ADL von Katz) [3] und die «Instrumental Activities of Daily Living» (IADL von Lawton) [4]. Einfach und schnell zu übertragen, ermöglichen sie der Ärztin / dem Arzt eine globale Beurteilung der Situation ihrer Patientinnen und Patienten, die Anpassung der zuhause anzuwendenden Hilfsmittel, aber auch die allgemeine diagnostische und therapeutische Vorgehensweise. Die ADL umfasst sechs Bereiche des täglichen Lebens: Körperpflege, Ankleiden, Toilettengang, Fortbewegung, Kontinenz und Nahrungsaufnahme. Die IADL umfasst acht Bereiche des täglichen Lebens: das Telefon benutzen, Einkäufe tätigen, Essen zubereiten, putzen, Wäsche waschen, Transportmittel benutzen, Medikamente einnehmen und das Geld verwalten. Diese Skalen sollten vorzugsweise mit den Betreuenden oder Pflegenden zuhause ausgefüllt werden, denn ältere Menschen neigen dazu, ihre Bedürfnisse zu minimieren. Ist mindestens einer dieser Bereiche betroffen, ist eine globale Beurteilung auf der Grundlage eines medizinisch-psycho-sozialen Ansatzes gerechtfertigt und nicht nur auf der Grundlage der Pathologien, denn der funktionelle Rückgang ist oft multifaktoriell bedingt (medizinisch, psychologisch, sozial, umweltbedingt). Es gibt bestimmte Indikatoren, wie zum Beispiel die Abnahme der Gehgeschwindigkeit (<1 m/s), wiederholte Stürze, Schwierigkeiten beim Treppensteigen, Reduzierung der körperlichen Aktivität, Schwierigkeiten beim Heben oder Tragen einer Tasche, die der Einschränkung von ADLs vorausgehen können und der Ärztin / dem Arzt helfen zu antizipieren und präventive Massnahmen einzuleiten. Ein Beispiel ist die Geschichte von Frau K., 86 Jahre alt, die Schwierigkeiten beim Gehen hat und deshalb einen Stock benutzt. Wegen Arbeiten an ihrem Treppenhaus konnte sie wochenlang nicht mehr das Haus verlassen, Einkäufe tätigen oder ihre Freundinnen besuchen. Sie klagte über zunehmende Müdigkeit, mangelndes Interesse am Kochen, Appetitlosigkeit und sich verschlimmernde Rückenschmerzen, und dies ohne vorausgehenden Sturz. Sie war abhängig von ihrer Tochter geworden, nicht nur beim Einkaufen, sondern auch für ihre Mahlzeiten, die sie regelmässig draussen zu sich nahm. Die gemeinsame Intervention einer Fachperson aus der Physiotherapie zur Förderung der Propriozeption und Gehfähigkeit, aus der Ergotherapie zur Anpassung der Umgebung, der Hilfsmittel und zur Optimierung der Bewegungsstrategien sowie einer Pflegekraft, die Frau K. bei den Mahlzeiten unterstützte, ermöglichten ihr binnen weniger Wochen, das Haus eigenständig zu verlassen, was ihre Stimmung erheblich verbesserte. Die Patientin war nicht mehr auf die Hilfe ihrer Tochter angewiesen. Diese Situation zeigt deutlich, dass Abhängigkeit zu Rückzug auf sich selbst, Verlust des Selbstwertgefühls, Verschlechterung der zugrunde liegenden Pathologie, sogar zu Depression und sozialer Isolation führen kann.