Kurz und bündig
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Ausgabe
2021/1920
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08808
Swiss Med Forum. 2021;21(1920):310-313

Publiziert am 11.05.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Dauer der Antibiose

Gemäss den «best practice advices» des «American College of Physicians» (ACP) werden folgende Therapiedauern für Antibiotika bei häufigen Infekten empfohlen [1]:
– Exazerbationen chronisch obstruktiver Lungenerkrankung oder akute Bronchitis und Zeichen eines bakteriellen Infektes (vermehrt purulentes Sputum, verstärkte Dyspnoe und/oder erhöhtes Sputumvolumen): 5 Tage
– Ambulant erworbene Pneumonie: mindestens 5 Tage
– Frauen mit unkomplizierter bakterieller Zystitis: Trimethoprim-Sulfamethoxazol für 3 Tage, Nitrofurantoin für 5 Tage oder Fosfomycin als Einzeldosis
– Frauen und Männer mit unkomplizierter Pyelonephritis (bakterielle ­Sensibilität zu prüfen): Fluoroquinolone (5–7 Tage) oder Trimethoprim-Sulfamethoxazol (10–14 Tage)
– Nichtpurulente Zellulitis: 5–6 Tage mit einem aktiven Anti-Streptokokken-Antibiotikum (ambulanter Follow-up und Instruktion zur Selbstkontrolle wichtig!)
In der gleichen Ausgabe ist auch eine lesenswerte Zusammenfassung für die betroffenen Patientinnen und Patienten zu finden [2]. Mit Computer­programm zu übersetzen … und einem sprachlichen Korrekturlesen zu unterziehen.
1 Ann Intern Med. 2021, doi.org/10.7326/M20-7355.
2 Ann Intern Med. 2021, doi.org/10.7326/P21-0003.
Verfasst am 07.04.2021.

Praxisrelevant

Wie gross ist der Plazeboeffekt beim ­Reizdarmsyndrom?

Hoch, werden Sie sofort gedacht haben! Aber wie hoch? Gemäss einer Literaturstudie unter Einschluss aller geprüften Verum-Substanzen seit 1959 lag ein signifikant zur Symptombesserung beitragender Plazeboeffekt bei durchschnittlich mehr als einem Viertel der Patientinnen und Patienten vor. Er konnte etwas minimiert werden, wenn die sogenannte «run-in»-Phase der Studie mehr als zwei Wochen betrug.
Aus­serhalb von Studien und auf die praktische Tätigkeit übertragen könnte dies heissen, dass man sich und der Patientin / dem Patienten (nach Ausschluss anderer Diagnosen) einmal mit empathischer Betreuung etwas Zeit geben sollte, bevor ein medikamentöser Versuch gestartet wird.
Lancet Gastroenterol Hepatol. 2021, doi.org/10.1016/S2468-1253(21)00023-6.
Verfasst am 07.04.2021.

PPI-Gebrauch und Asthma bei Kindern

Sowohl die Verschreibung von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) an Kinder und Jugendliche als auch die Häufigkeit kindlichen Asthmas haben zugenommen.
Diese grosse schwedische Kohortenstudie hat mehr als 80 000 Kinder«paare» im durchschnittlichen Alter von knapp 13 Jahren mit und ohne Verschreibung ­eines PPI im Hinblick auf das Auftreten von Asthma untersucht. Zu Diagnose Asthma genügten eine Spitalaustrittsdiagnose, eine Spezialistendiagnose oder zwei Verschreibungen eines Asthmamedikamentes innerhalb von 90 Tagen. PPI waren mit einer deutlich erhöhten Asthmainzidenz von 22 Diagnosen pro 1000 Kinder und Jahr gegenüber 14 ohne PPI-Einnahme assoziiert. Der kausale Grund ist unklar. Die Autoren spekulieren, dass die oft kurze Latenz (ab 90 Tagen) zwischen ­Beginn der PPI-Verschreibung und der Asthmadiagnose für einen direkten toxischen Effekt der PPI auf das Lungenparenchym oder sekundäre Einflüsse (wegen gehemmter Säuresekretion) auf das intestinale, aber auch bronchiale Mikrobiom sprechen könnten.
Die Studie hat eine wichtige Hypothese generiert, die es nun zu klären gilt. Für den Moment: Immer ganz ­sicher sein, dass die Indikation für den PPI auch stimmt!
Verfasst am 08.04.2021.

Für Ärztinnen und Ärzte im Spital

Katheterablation beim Vorhoflimmern und Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion?

Vorhofflimmern kann sowohl Folge als auch Ursache einer Herzinsuffizienz sein oder beides trifft gar zu.
Bei der Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion zeigten mehrere grosse Studien den Vorteil der Katheterablation im Vergleich zur medikamentösen Therapie auf Mortalität, Hospitalisationsrate und Lebensqualität. In einer sekundären Analyse jener Patientinnen und Patienten, die im Rahmen einer der früheren Studien (CABANA) zu Beginn herzinsuffizient (mindestens NYHA II) waren, konnte der Vorteil der elektrophysiologischen Pulmonalvenenisolation gegenüber einer medikamentösen Therapie auf die vorhin erwähnten Endpunkte bestätigt werden. Die überwiegende Mehrzahl der Patientinnen und Patienten litt an einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion, sodass wahrscheinlich, aber durch entsprechende primär prospektive Studien zu bestätigen, ist, dass die Katheterablation auch bei dieser sehr häufigen und mit dem Älterwerden zunehmenden Form der Herzinsuffizienz der konservativ-medikamentösen Therapie überlegen sein könnte.
Verfasst am 11.04.2021.

Medikamentöse Therapie der dekompensier­ten Leberzirrhose oder des hepatorenalen Syndroms

Zwei Studien berichten über die Effekte von intravenösem Albumin bei hospitalisierten Patientinnen und Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose (90% davon mit normaler Nierenfunktion) einerseits [1] und der Kombination des Vasopressin-Analogs Terlipressin mit Albumin bei Patientinnen und Patienten mit hepatorenalem Syndrom andererseits [2].
In beiden Studien wurden zirka 54-jährige Patien­tinnen und Patienten vorwiegend mit alkoholisch bedingter Leberzirrhose untersucht. Während Albumininfusionen (20%-Lösung) mit dem Ziel, die Serumalbumin-Konzentration über 30 g/l zu halten, keinen signifikanten Effekt auf die Rekompensation der Leberzirrhose hatten, zeigte sich in der Terlipressin/Albumin-Gruppe der Patientinnen und Patienten mit hepatorenalem Syndrom ein signifikanter Effekt auf die Erholung der Nierenfunktion: Nach 30 Tagen war in der experimentellen Gruppe das hepatorenale Syndrom bei 34% erfolgreich behandelt versus bei 17% in der Plazebogruppe (p <0,001). Allerdings verstarben innerhalb der ersten 90 Tage 11% der Studienteilnehmenden in der Terlipressin/Albumin-Gruppe an einem Lungenversagen gegenüber 2% in der Plazebogruppe.
Die pulmonale Dekompensation dürfte einem Lungenödem wegen Vasokonstriktion (Afterload-Erhöhung durch Terlipressin) in Kombination mit der ­Volumenexpansion durch Albumin zuzuschreiben sein. Eine vorbestehende portopulmonale Hypertension könnte aggravierend gewirkt haben (in der Studie nicht untersucht). Unter dem Strich behielt die Terlipressin/Albumin-Therapie trotz dieser Komplikation ihre statistische Signifikanz. Allerdings verliert die untersuchte Kombination damit einiges von ihrem Glanz.
Die Alternative (Midodrin, ein alpha-adrenerger Agonist, mit Octreoid, ein Somatostatin-Agonist, und ­Albumin) ist eine andere therapeutische Option. Bei Resistenz auf die medikamentöse Therapie verbleiben invasivere Methoden wie ein transjugulärer intra­hepatischer portosystemischer Shunt (TIPS).
1 N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMoa2022166.
2 N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMoa2008290.
Verfasst am 12.04.2021.

Neues aus der Biologie

Warum Revisionen vieles komplizieren können

Wenn wir eine Praxisorganisation, einen Austritts­bericht oder auch eine Behandlungsform verbessern wollen, ist Gedankenarbeit für die Selektion der am besten erachteten Veränderungen angesagt. Wenn Menschen nur eine Verbesserungsmöglichkeit (versus mehrere) vorschlagen können, was im Alltag und vor allem unter Zeitdruck wohl häufig der Fall ist, passiert Folgendes: Systematisch fügen wir eine zusätzliche Massnahme hinzu und übersehen offensichtlich den potenziellen Vorteil des Weglassens eines Elements. Die – oft beobachtete – Gefahr ist, dass die Organisation dann zu komplex, der Austrittsbericht zu lang und schwierig zu lesen und eine «verbesserte» Behandlungsform durch «noch mehr» statt allenfalls «etwas weniger» nebenswirkungsreicher und in der Praxis komplexer und mit schlechterer Compliance umsetzbar wird. Die Autoren spekulieren in etwas allgemeinerer Form, dass die additiven Korrekturen im Gegensatz zu den vereinfachenden subtraktiven (aber wirksamen!) Korrekturen unter anderem zu überbordenden Arbeitsplänen, institutionellen Schwerfälligkeiten, aber auch umweltgefährdenden Veränderungen führen.
Verfasst am 08.04.2021.

Wie stabil und wie individuell spezifisch ist das intestinale Mikrobiom?

Um eine pathophysiologische Aussage zu machen oder den klinischen Effekt einer gegebenen Intervention zu prüfen, ist es wichtig, Informationen über die Stabilität der Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms zu haben.
Bei Untersuchungen aus Stuhlproben, die vier Jahre auseinander lagen, war die genetisch determinierte mikrobielle Zusammensetzung zu 85% stabil oder identisch und erlaubte, sozusagen als Fingerabdruck, das Individuum zu identifizieren. Die Arbeit zeigt auch, dass die pathologischen Folgen einer gegebenen Mikrobiom­zusammensetzung die parallele Bestimmung der relevanten Metabolite erfordert, getestet in dieser Arbeit vor allem im Hinblick auf kardiovaskuläre Folgen.
Eine 15% instabile oder variable Mikrobiomzusammensetzung über vier Jahre ist prima vista nicht viel. Um aber einen signifikanten Effekt, zum Beispiel durch Diät, auf die Zusammensetzung zu zeigen, könnte dies eine schwierig zu überwindende spontane Variabilität sein.
Kurz und bündig denken wir immer noch, dass die vereinfachende Stuhlanalyse im Gegensatz zu der (bioptischen) Schleimhautanalyse des Mikrobioms (damit grössere Wahrscheinlichkeit der Resorption der relevanten Metabolite) ihr Genügen an klinische Ansprüche noch besser beweisen muss.
Verfasst am 10.04.2021.

Immer noch lesenswert

«Greatest of all times» (GOAT) in der medizinischen Forschung

Ein/e GOAT will jeder sein, vor allem im Sport: Unbestritten Wayne Gretzky [1] als Eishockeyspieler, Cassius Clay (Mohammed Ali) als Boxer, Roger Federer im ­Tennis (oder sind es Rod Laver, Björn Borg et al.?), während es im Fussball unklarer und oft nationalistisch ­geprägt ist.
Modelldarstellungen des Insulins: links das Monomer, rechts das Hexamer (by Isaac Yonemoto., CC BY 2.5 https://creativecommons.org/licenses/by/2.5 , via Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:InsulinMonomer.jpg ).
Welche Entdeckung ist eine GOAT in der Medizin? ­Sicher die Entdeckung des Insulins, oder? 2021 markiert den hundertsten Geburtstag der Isolierung des Insulins durch die Forschergruppe um Frederick Banting in Toronto. Bereits 1880 hatten jedoch von Mering und Menkowski – im damals deutschen, elsässischen Strassburg – über die Induktion eines Diabetes mellitus nach Pankreatektomie berichtet [2]. In der Folge wurden bis zur Publikation von Banting bereits mehrere Mitteilungen zu den blutzuckersenkenden ­Effekten von Pankreasextrakten publiziert [3].
1 Auch für sich selbst ein beherzenswertes Zitat Wayne Gretzkys: «I am not skating where the puck is, I am trying to skate where the puck is going to be.»
2 von Mering J, Minkowski O. Archiv f experiment Pathol u Pharmakol. 1890, doi.org/10.1007/BF01831214.
3 Cell Metab. 2021, doi.org/10.1016/j.cmet.2021.03.014.
Verfasst am 10.04.2021.

Das hat uns grossenteils gefreut

Die Aussagekraft elektronischer Patientendossiers

In England sind anscheinend 96% der Bevölkerung in einer nationalen Kohorte via die von den Hausärztinnen und -ärzten geführten elektronischen Patientendossiers erfasst. Aktuell sind das 54,4 Millionen Individuen! «Big data» in der Tat!
So erhält man innert kurzer Zeit, zum Beispiel für die Periode von Januar bis Ende Oktober 2020, epidemiologische Daten: knapp 99 000 neue transient ischämischen Attacken (TIA) oder Schlaganfälle bei Individuen ohne vorbestehende ischämische Ereignisse und 93 000 neue Herzinfarkte. COVID-19 wurde (labormäs­sig bestätigt oder mit hohem Verdacht diagnostiziert) in diesem Zeitraum in knapp 960 000 Fällen gefunden, verstorben daran waren gut 50 500 (!) Patientinnen und Patienten.
Diese Kohorte wird wohl noch viele interessante Daten liefern. Die Aussage der Autorinnen und Autoren, dass die Datensicherheit und Privatsphäre gesichert seien, mag man als Beruhigung ansehen. Zu viele Lecks und Missbräuche in der Vergangenheit tragen aber nicht vorbehaltlos dazu bei.
Verfasst am 12.04.2021.

Auch noch aufgefallen

Geht es auch noch kürzer?

Wie immer, wenn ein Trend in der Medizin entsteht – wie die Auslotung einer kürzeren Dauer der Antibiotikatherapien (siehe «Fokus auf ...») –, überbieten sich einige Studien in der Exploration der Grenzen. So zum Beispiel, dass bei ambulant erworbenen Pneumonien mit Hospitalisation auf Normalstationen drei Tage Therapie mit einem Betalaktam-Antibiotikum nicht schlechter als acht Tage Therapie seien. Aber nur 50% der Patientinnen und Patienten wurden eingeschlossen, eine Erregerdia­gnostik wurde nicht durchgeführt und atypische Erreger sind mit dieser Antibiotikawahl nicht «abgedeckt».
Also sollten wir uns in diesem Fall vorerst an bestehende Ratschläge halten.
Verfasst am 09.04.2021.

«Low dose»-Thorax-Computertomographie: zwei Fliegen auf einen Streich?

Diese Methode wird immer häufiger im Screening auf Lungentumoren bei Risikogruppen (aktuelle Raucher und Nikotinabusus erst innerhalb der letzten 15 Jahre aufgegeben) eingesetzt und zur seriellen Durchführung empfohlen.
Measurement of vBMD of L1 and L2 with Mindways QCT Pro system. (A) Coronal view of a chest LDCT scan. (B) Positioning of sagittal and axial views for subsequent automatic placement of analysis VOIs. (C) Analysis VOIs shown as red ellipse in axial view and yellow rectangle in sagittal view. vBDM = volumetric bone mineral density; LDCT = low-dose CT; VOI = volume of interest.
(Reproduced from: Cheng X, Zhao K, Zha X, Du X, Li Y, Chen S, et al.; China Health Big Data (China Biobank) project investigators. Opportunistic Screening Using Low-Dose CT and the Prevalence of Osteoporosis in China: A Nationwide, Multicenter Study. J Bone Miner Res. 2021;36(3):427–35. doi: 10.1002/jbmr.4187 , first published: 04 November 2020. © 2020 The Authors. Journal of Bone and Mineral Research published by Wiley Periodicals LLC on behalf of American Society for Bone and Mineral Research [ASBMR] under the CC BY 4.0 license [ https://creativecommons.org/licenses/by/4.0 /]).
Eine grosse chinesische Studie zeigt, dass die gleichzeitige Messung der volumetrisch gemessen Knochendichte zusätzlich wichtige Informationen zur Dia­gnose einer Osteoporose und Frakturgefährdung ergibt. Im Rahmen der chinesischen nationalen Biobank wurden fast 70 000 Patientinnen und Patienten untersucht und ausgewertet. Bei Frauen im Alter zwischen 30 und 34 Jahren betrug das Knochenvolumen in den lumbalen Wirbelkörpern 185 mg/cm3, dreimal mehr als bei Frauen im Alter von 80 Jahren! Die ­Methode ist vielversprechend, vor allem auch weil ­wegen degenerativer Veränderungen die lumbal angewendete DEXA-Technologie mit zunehmendem Alter immer unzuverlässiger wird.
Viel Arbeit ist noch zu erledigen: Korrelation der volumetrisch ausgemessenen Trabekel der Wirbelkörper mit der Frakturgefährdung und die Zuverlässigkeit ­einer computertomographischen Messung zur Überprüfung des Effektes einer gegebenen Therapie sind wohl zunächst die wichtigsten Hausaufgaben. Auf jeden Fall soll bei jeder Bildgebung die Möglichkeit nicht verpasst werden, Wirbelkörperfrakturen als «Zufallsbefunde» zu suchen und auch explizit zu rapportieren, weil dieser Befund wichtige klinische Konsequenzen hat.
J Bone Miner Res. 2021, doi.org/10.1002/jbmr.4187.
Verfasst am 12.04.2021.
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