Kurz und bündig
Journal Club 

Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2021/2324
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08834
Swiss Med Forum. 2021;21(2324):385-388

Publiziert am 08.06.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Magenentleerungsstörungen bei Diabetes mellitus: nicht immer eine Gastroparese!

– Eine akute Hyperglykämie führt zu einer vorübergehend verzögerten Magenentleerung.
– Eine akute therapieinduzierte Hypoglykämie beschleunigt vorüber­gehend die Magenentleerung.
– Beide Phänomene können als homeostatisch angesehen werden (d.h. sie verlangsamen respektive beschleunigen die enterische Glukose-Kalorien-Aufnahme).
– Schwankungen der Glukosekonzentrationen wirken direkt auf die motorischen Vagus-Neuronen («glukosesensitive Neuronen»).
– Chronisch beschleunigte Magenentleerung: relevant für postprandiale Hyperglykämie.
– Eine chronische verzögerte Magenentleerung («Gastroparese») kommt bei einem Drittel bis der Hälfte der Patientinnen und Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes vor.
– Gastroparese eher protektiv bei Typ-2-Diabetes (mildere postprandiale Hyper­glykämie), nachteilig bei Typ-1-Diabetes unter Insulin (längere und schwerere postprandiale Hypoglykämie).
– Klinik: Symptome unspezifisch und ohne Korrelation zu objektiven Messungen.
– Diagnostik: Szintigraphie oder Atemtest mit einem stabilen Isotop,13C.
N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMra2020927: Die Arbeit enthält eine detaillierte, attraktiv illustrierte Schilderung der (komplexen) Mechanismen.
Verfasst am 08.05.2021.

Praxisrelevant

Nebenwirkungen der Thiaziddiuretika

Thiazide nehmen aufgrund ihres Mechanismus (Hemmung des NaCl-Rücktransportes im distalen Nierentubulus) eine zentrale Rolle in der Therapie der essentiellen Hypertonie und der Herzinsuffizienz ein.
In einer Analyse von Patientinnen und Patienten, die 2017–2018 auf der Notfallstation des Bürgerspitals Solothurn (n = etwa 64 000 Konsultationen) untersucht wurden, verordnete man in etwa einem Drittel aller Fälle Natrium und Kalium im Serum. Dabei identifizierte man mehr als 1600 Patientinnen und Patienten (entsprechend knapp 8%) mit einer Thiazidverschreibung. Nierenschädigungen und Hyponatriämie waren mit gut 22% gegenüber 7% respektive knapp 10% (ohne Thiazidtherapie) die häufigsten thiazidassoziierten Nebenwirkungen (p <0,001). Eine Hypokaliämie wurde in 19 versus 11% der Fälle gesehen. Die aus anderen Studien beobachtete grössere Häufigkeit der ­Elektrolytstörungen bei Älteren und Frauen und deren Dosisabhängigkeit wurden bestätigt. Eine Thiazidtherapie war auch ein unabhängiger Risikofaktor für Stürze und Synkopen. Die Autorinnen und Autoren empfehlen ein Hinterfragen der Thiazidtherapie vor allem bei älteren Frauen. Wichtig scheint auch eine ­Instruktion der Patientinnen und Pa­tienten (und des Betreuungspersonals), Thiazide bei zusätzlichen Salz-/Flüssigkeitsverlusten (heisse Sommertage, Erbrechen, Durchfall u.a.m) vorsorglich zu reduzieren oder zu pausieren.
Die Studie gibt auch einen eindrücklichen Einblick, wie häufig diese Elektrolytstörungen in der Notfall­ambulanz auch ohne Thiazide sind!
Am J Med. 2021, doi.org/10.1016/j.amjmed.2021.04.007 (auch diese Arbeit stammt aus Schweizer Feder).
Verfasst am 09.05.2021.

Herzinsuffizienz: differenziertere klinische Stadiendefinition nötig!

Immer noch werden die Herzinsuffizienzstadien und dann auch das klinische Ansprechen auf eine gegebene Therapie in ziemlich grobe Stadien (z.B. «New York Heart Association»-[NYHA-]Stadien I–IV) eingeteilt.
Die Anwendung eines differenzierteren Fragebogens (in der vorliegenden Studie der «Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire Overall Summary Score» [KCCQ-OS], der 100 Punkte umfasst) kann sich aber lohnen, weil er sensitiver ist: Bei knapp 3000 Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter Auswurffraktion war die Verbesserung in einer NYHA-Klasse nicht signifikant korreliert mit dem ­Verlauf über 12 Monate (Mortalität oder Hospitalisa­tionen). Dies im Gegensatz zum bei den gleichen ­Per­sonen angewendeten KCCQ-OS, bei dem eine Verbesserung um schon 5 Punkte eine signifikant niedrigere Morta­lität und Hospitalisationsrate voraussagte [1].
Der Fragebogen, den es immerhin schon mehr als 20 Jahre lang gibt, misst physische Einschränkungen, Symptome, Lebensqualität und soziale Komponenten (die ange­gebene URL enthält eine Kopie eines solchen Frage­bogens, [2]). Geschätzte Zeit zum Ausfüllen: fünf Minuten.
1 JAMA Cardiol. 2021, doi.org/10.1001/jamacardio.2021.0372.
Verfasst am 10.05.2021.

Neues aus der Biologie

Wie Clostridioides difficile seinen Wirt ausnützt

Viele enteropathogene Bakterien wie Salmonellen oder Vibrio cholerae können Metabolite des Wirts für ihre Zwecke benützen (in dieser Hinsicht sind sie Parasiten) und sich so einen Überlebensvorteil respektive eine erhöhte Pathogenizität sichern.
Im Falle von Clostri­dioides difficile wurde nun gezeigt, dass auch sie solche Untugenden haben. Diese Erreger induzieren mittels ihrer glykosylierenden Toxine (TcdA und TcdB) eine Entzündung in der Darmschleimhaut. Sie können spezifisch ein mukosales Enzym, die Aldosereduktase, induzieren, das die diätetische Glukose (des Wirtes) vermehrt in Sorbitol metabolisiert. Die normalerweise tiefen Sorbitolkonzentrationen im Darm steigen an und ernähren den Keim.
Clostridioides difficile induziert spezifisch ein mukosales Enzym, das die Glukose des Wirtes vermehrt in Sorbitol metabolisiert. Diese Metabolite dienen dem Erreger als Nahrung. Bild: Clostridioides difficile , angereichtert aus einer Stuhlprobe; Aufnahme im Rasterelek­tronenmikroskop. Content providers: CDC/ Lois S. Wiggs; photo credit: Janice Carr; 2004.
Der induzierte Aldosereduktase-Sorbitol-Stoffwechselweg ist einer der Mechanismen von diabetischen Spätfolgen (namentlich der Neuropathie), die verfügbaren Aldosereduktase-Inhibitoren wiesen aber in klinischen Studien limitierte Wirksamkeiten auf. Vielleicht führt diese Be­obachtung zu einer Renaissance in der Therapie der Clostridoides-difficile-Enterkolitis, vielleicht gar mit ­einem schwer resorbierbaren Analog zur Maximierung der lokalen Wirksamkeit.
Verfasst am 06.05.2021.

Pathogenetische Rolle eines renalen Biomarkers (KIM-1) in der diabetischen Nephropathie

Das «Kidney Injury Molecule 1» (KIM-1) ist ein Glyko­protein des proximalen Tubulus und ein diagnostischer Biomarker der akuten Niereninsuffizienz. Es ist unter anderem hilfreich in der Differentialdiagnose ischämisch ­bedingter (erhöhte Werte) von kontrastmittelinduzierter Niereninsuffizienz (normale Werte) [1]. Die Blut- und Urinkonzentration von KIM-1 sind bei der beginnenden diabetischen Nephropathie erhöht und prädiktiv für einen progredienten Verlauf. KIM-1 vermittelt die Aufnahme von an Albumin gebundenen Fettsäuren in die proximal-tubulären Zellen und initiiert so eine tubulointerstitielle Ent­zündung und Fi­brose mit sekundärer Glomerulosklerose [2]. Die Autorinnen und Autoren fanden einen «small-molecule»-Inhibitor von KIM-1, der also in der Prävention der diabetischen Nephro­pathie und deren Progression ­einen klinischen Stellenwert bekommen könnte.
2 Cell Metab. 2021, doi.org/10.1016/j.cmet.2021.04.004.
Verfasst am 06.05.2021.

Immer noch lesenswert

VOMIT («victims of modern imaging technology»)

Die kurz und bündige Besprechung der Inzidentalome bei Magnetresonanztomographien des Gehirns bei Kindern [1] hat die klinischen und betreuerischen Probleme illustriert, die durch die seit Jahren beobachtete gewaltige Zunahme sowohl der Menge als auch der optischen Auflösung der medizinischen Bildgebungen entstehen können. Zumindest teilweise durch das allseits verfügbare Angebot und die Abkehr von einer symptom­orientierten Abklärungsstrategie getrieben, ergibt sich das Problem der unerwartet abnormalen oder Zufallsbefunde. Hier kommt der ärztlichen, in solchen Situationen speziell aufwendigen und schwierigen Beratung eine zentrale Rolle zu. Nicht zu übersehen ist, dass hier ein verschreiberspezifisches Nebenwirkungspotential (Stichwort: weitere Abklärungen/Interven­tionen) gegeben ist. Ein Neurochirurge (R. Hayward) hat diese Problematik in einem wunderbar geschriebenen Essay lesenswert illustriert [2].
1 Swiss Med Forum. 2021, doi.org/10.4414/smf.2021.08794.
Verfasst am 10.05.2021 auf Hinweis von Dr. W. Brunner (Chur).

Aus Schweizer Feder

Ein von aussen wirksames Antibiotikum

Im Rahmen von Studien, die durch das Nationale ­Forschungsprogramm «Antimikrobielle Resistenz» (NFP 72) gefördert wurden, entschlüsselten Forschende am Basler Biozentrum den Wirkmechanismus eines Antibio­tikums, Darobactin, das gegen viele sonst resistente ­Gram-negative Bakterien hochwirksam ist. Als Novität verhindert das Darobactin von extrazellulär die korrekte Implantation und Faltung eines wichtigen Eiweisses (BAM) in die äussere der beiden bakteriellen Membranen. Aufgrund grosser struktureller Ähnlichkeiten vermag Darobactin das stimmigerweise «Insertase» genannte Enzym zu hemmen, das für die ­korrekte Verpackung und den Einbau des bakteriellen ­Eiweisses verantwortlich ist.
Zwei Petrischalen mit Bakterienkulturen. In der rechten hat die Zugabe von Darobactin alle Bakterien vernichtet, in der Kon­trolle links sind sie noch deutlich sichtbar als helle Kolonien. © NFP 72, Nadine Kägi, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.
Auch wenn der Weg bis zur klinischen Anwendung noch lange ist, stellt diese Entdeckung doch eine willkommene Neuigkeit im Kampf gegen die Antibiotikaresistenzen dar. Modifikationen des Darobactins im Hinblick auf unter anderem weiter verstärkte Wirkungen, pharmakologische Eigenschaften und limitiertes Nebenwirkungsprofil sind wohl die nächsten Schritte.
Verfasst am 27.04.2021.

Das hat uns nicht gefreut

Huntington: gestoppte klinische Versuche

Der Morbus oder die Chorea Huntington ist eine erb­liche, progredient verlaufende, neurodegenerative Erkrankung mit Bewegungsstörungen (Chorea), Demenz und psychiatrischen Symptomen. Im mutierten Gen, dem Huntingtin, wird über Generationen zunehmend eine Nukleotidsequenz, CAG (Cytosin, Adenosin, Guanosin), eingebaut, was zu einer intergenerationalen Verstärkung der Symptome führt. Anti-Sense-Oligonukleotide sind RNA- oder DNA-Sequenzen, die gewisse Gensequenzen binden und die Transskription des krankmachenden Gens hemmen.
Gerade zwei Studien mit Verwendung solcher Anti-Huntingtin-Anti-Sen­se-Oligonukleotide, deren präklinische Daten ­grosse Hoffnungen für Betroffene weckten, mussten wegen Unwirksamkeit respektive schlechterem Verlauf bei höheren Dosen gestoppt werden.
Verfasst am 07.05.2021.

Auch noch aufgefallen

Zellbasierte, Gen- und RNA-Therapien: Die Revolution ist aus den Kinderschuhen

Per Ende März 2021 liefen fast 3500 humane Studien (verdreifachte Anzahl innerhalb der letzten vier Jahre), die solche Methoden evaluieren. Fast die Hälfte ­davon sind Krebstherapien, die meist genetische Veränderungen induzieren oder T-Zellen verwenden, ­deren ­Rezeptoren genetisch manipuliert (z.B. einen «Krebszellenrezeptor») wurden. Bei den RNA-Therapien ­dominiert die Corona-Epidemie: Der Grossteil der ­Studien hat eine Impfung oder eine Therapie gegen COVID-19 als Ziel.
Zwischenzeitlich sind weltweit 16 Gentherapien, 53 Therapien mit modifizierten Zellen und 15 RNA-Therapien dem Studienstatus entwachsen und zugelassen.
Sciencemag.org/news, 2021, doi.org/10.1126/science.372.6541.440.
Verfasst am 03.05.2021.

Kognitive Einschränkungen nach ischämischen Hirninsulten

Bei etwa 50% von Patientinnen und Patienten mit ischämischen Hirninsulten ist zumindest während dem ersten Jahr nach dem Schlaganfall eine kognitive Einschränkung nachweisbar. Gibt es Infarktlokalisationen, die mehr als ­andere dazu disponieren?
Bildgebende Daten aus 12 Kohorten mit zusammen fast 3000 Patientinnen und Patienten (60% davon Männer, durchschnittlich 61 Jahre alt, kognitive Einschränkung bei 44% klinisch diagnostiziert) zeigten, dass eine Infarktlokalisation im linken frontotemporalen Lappen, im linken Hypothalamus und im rechten Parietallappen in hohem Masse prädiktiv für eine kognitive Einschränkung sind. Die Autoren entwickelten Hilfsmittel zur Auswertung der bildgebenden Befunde, die die Kliniker auf die Möglichkeit einer kognitiven Einschränkung und damit einen frühen Beginn einer ko­gnitiven Rehabilitation hinweisen sollen.
Verfasst am 06.05.2021.

Welches ist die wahrscheinlichste Dia­gnose?

Ein 13-jähriger, ausser einem oberen Atemwegsinfekt ­aktuell und in der Vergangenheit gesunder Knabe beklagt seit vier Tagen Müdigkeit, Erbrechen, Atemnot und Gangschwierigkeiten. Nach Zuweisung auf die Notfallstation eines Kinderspitals entwickelt er innert weniger Stunden ein respiratorisches Versagen und muss notfallmässig intubiert werden. Neurologisch fallen eine normale Sensibilität, aber eine ausgeprägte symme­trische proximale sowie eine asymmetrische distale Muskelschwäche auf. Weiter imponieren eine Zungenschwäche, asymmetrische Ptosen und ein bilateral inkompletter Lidschluss.
Die wahrscheinlichste Diagnose ist:
A Guillain-Barré-Syndrom (postinfektiös)
B Juvenile Myasthenia gravis
C Botulismus

Antwort:


Nicht aufregen, wenn Sie vielleicht falsch lagen: Die neurologischen Spezialisten stellten die Diagnose erst am 47. Hospitalisa­tionstag, als sie erfuhren, dass die Mutter des Jünglings wegen eines akuten respiratorischen Versagens hospitalisiert wurde. In einer Konservendose (grüne Bohnen), aus der sie gegessen hatte, wurde Botulinustoxin nachgewiesen. Zwischenzeitlich (am 24. Hospitalisationstag) war auch ein 14-jähriger Freund des Patienten mit ähnlichen, aber milderen Symptomen ambulant zugewiesen worden. Beide hatten von den gleichen Bohnen gegessen, der Freund allerdings viel weniger. Beim ersten Patienten erfolgte die Einnahme gut vier Tage vor der Hospitalisation. Die Inkubationszeit des Botulismus beträgt etwa 12–48 Stunden nach der Einnahme.
Verfasst am 10.05.2021.
Das «Kurz und bündig» finden Sie auch als Podcast unter emh.ch/podcast oder in Ihrer Podcast-App unter «EMH Journal Club»!