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Fokus auf ... Magenentleerungsstörungen bei Diabetes mellitus: nicht immer eine Gastroparese!
– Eine akute Hyperglykämie führt zu einer vorübergehend verzögerten Magenentleerung.
– Eine akute therapieinduzierte Hypoglykämie beschleunigt vorübergehend die Magenentleerung.
– Beide Phänomene können als homeostatisch angesehen werden (d.h. sie verlangsamen respektive beschleunigen die enterische Glukose-Kalorien-Aufnahme).
– Schwankungen der Glukosekonzentrationen wirken direkt auf die motorischen Vagus-Neuronen («glukosesensitive Neuronen»).
– Chronisch beschleunigte Magenentleerung: relevant für postprandiale Hyperglykämie.
– Eine chronische verzögerte Magenentleerung («Gastroparese») kommt bei einem Drittel bis der Hälfte der Patientinnen und Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes vor.
– Gastroparese eher protektiv bei Typ-2-Diabetes (mildere postprandiale Hyperglykämie), nachteilig bei Typ-1-Diabetes unter Insulin (längere und schwerere postprandiale Hypoglykämie).
– Klinik: Symptome unspezifisch und ohne Korrelation zu objektiven Messungen.
– Diagnostik: Szintigraphie oder Atemtest mit einem stabilen Isotop,13C.
N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMra2020927: Die Arbeit enthält eine detaillierte, attraktiv illustrierte Schilderung der (komplexen) Mechanismen.
Verfasst am 08.05.2021.
Praxisrelevant
Nebenwirkungen der Thiaziddiuretika
Thiazide nehmen aufgrund ihres Mechanismus (Hemmung des NaCl-Rücktransportes im distalen Nierentubulus) eine zentrale Rolle in der Therapie der essentiellen Hypertonie und der Herzinsuffizienz ein.
In einer Analyse von Patientinnen und Patienten, die 2017–2018 auf der Notfallstation des Bürgerspitals Solothurn (n = etwa 64 000 Konsultationen) untersucht wurden, verordnete man in etwa einem Drittel aller Fälle Natrium und Kalium im Serum. Dabei identifizierte man mehr als 1600 Patientinnen und Patienten (entsprechend knapp 8%) mit einer Thiazidverschreibung. Nierenschädigungen und Hyponatriämie waren mit gut 22% gegenüber 7% respektive knapp 10% (ohne Thiazidtherapie) die häufigsten thiazidassoziierten Nebenwirkungen (p <0,001). Eine Hypokaliämie wurde in 19 versus 11% der Fälle gesehen. Die aus anderen Studien beobachtete grössere Häufigkeit der Elektrolytstörungen bei Älteren und Frauen und deren Dosisabhängigkeit wurden bestätigt. Eine Thiazidtherapie war auch ein unabhängiger Risikofaktor für Stürze und Synkopen. Die Autorinnen und Autoren empfehlen ein Hinterfragen der Thiazidtherapie vor allem bei älteren Frauen. Wichtig scheint auch eine Instruktion der Patientinnen und Patienten (und des Betreuungspersonals), Thiazide bei zusätzlichen Salz-/Flüssigkeitsverlusten (heisse Sommertage, Erbrechen, Durchfall u.a.m) vorsorglich zu reduzieren oder zu pausieren.
Die Studie gibt auch einen eindrücklichen Einblick, wie häufig diese Elektrolytstörungen in der Notfallambulanz auch ohne Thiazide sind!
Immer noch werden die Herzinsuffizienzstadien und dann auch das klinische Ansprechen auf eine gegebene Therapie in ziemlich grobe Stadien (z.B. «New York Heart Association»-[NYHA-]Stadien I–IV) eingeteilt.
Die Anwendung eines differenzierteren Fragebogens (in der vorliegenden Studie der «Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire Overall Summary Score» [KCCQ-OS], der 100 Punkte umfasst) kann sich aber lohnen, weil er sensitiver ist: Bei knapp 3000 Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter Auswurffraktion war die Verbesserung in einer NYHA-Klasse nicht signifikant korreliert mit dem Verlauf über 12 Monate (Mortalität oder Hospitalisationen). Dies im Gegensatz zum bei den gleichen Personen angewendeten KCCQ-OS, bei dem eine Verbesserung um schon 5 Punkte eine signifikant niedrigere Mortalität und Hospitalisationsrate voraussagte [1].
Der Fragebogen, den es immerhin schon mehr als 20 Jahre lang gibt, misst physische Einschränkungen, Symptome, Lebensqualität und soziale Komponenten (die angegebene URL enthält eine Kopie eines solchen Fragebogens, [2]). Geschätzte Zeit zum Ausfüllen: fünf Minuten.
Viele enteropathogene Bakterien wie Salmonellen oder Vibrio cholerae können Metabolite des Wirts für ihre Zwecke benützen (in dieser Hinsicht sind sie Parasiten) und sich so einen Überlebensvorteil respektive eine erhöhte Pathogenizität sichern.
Im Falle von Clostridioides difficile wurde nun gezeigt, dass auch sie solche Untugenden haben. Diese Erreger induzieren mittels ihrer glykosylierenden Toxine (TcdA und TcdB) eine Entzündung in der Darmschleimhaut. Sie können spezifisch ein mukosales Enzym, die Aldosereduktase, induzieren, das die diätetische Glukose (des Wirtes) vermehrt in Sorbitol metabolisiert. Die normalerweise tiefen Sorbitolkonzentrationen im Darm steigen an und ernähren den Keim.
Der induzierte Aldosereduktase-Sorbitol-Stoffwechselweg ist einer der Mechanismen von diabetischen Spätfolgen (namentlich der Neuropathie), die verfügbaren Aldosereduktase-Inhibitoren wiesen aber in klinischen Studien limitierte Wirksamkeiten auf. Vielleicht führt diese Beobachtung zu einer Renaissance in der Therapie der Clostridoides-difficile-Enterkolitis, vielleicht gar mit einem schwer resorbierbaren Analog zur Maximierung der lokalen Wirksamkeit.
Pathogenetische Rolle eines renalen Biomarkers (KIM-1) in der diabetischen Nephropathie
Das «Kidney Injury Molecule 1» (KIM-1) ist ein Glykoprotein des proximalen Tubulus und ein diagnostischer Biomarker der akuten Niereninsuffizienz. Es ist unter anderem hilfreich in der Differentialdiagnose ischämisch bedingter (erhöhte Werte) von kontrastmittelinduzierter Niereninsuffizienz (normale Werte) [1]. Die Blut- und Urinkonzentration von KIM-1 sind bei der beginnenden diabetischen Nephropathie erhöht und prädiktiv für einen progredienten Verlauf. KIM-1 vermittelt die Aufnahme von an Albumin gebundenen Fettsäuren in die proximal-tubulären Zellen und initiiert so eine tubulointerstitielle Entzündung und Fibrose mit sekundärer Glomerulosklerose [2]. Die Autorinnen und Autoren fanden einen «small-molecule»-Inhibitor von KIM-1, der also in der Prävention der diabetischen Nephropathie und deren Progression einen klinischen Stellenwert bekommen könnte.
Die kurz und bündige Besprechung der Inzidentalome bei Magnetresonanztomographien des Gehirns bei Kindern [1] hat die klinischen und betreuerischen Probleme illustriert, die durch die seit Jahren beobachtete gewaltige Zunahme sowohl der Menge als auch der optischen Auflösung der medizinischen Bildgebungen entstehen können. Zumindest teilweise durch das allseits verfügbare Angebot und die Abkehr von einer symptomorientierten Abklärungsstrategie getrieben, ergibt sich das Problem der unerwartet abnormalen oder Zufallsbefunde. Hier kommt der ärztlichen, in solchen Situationen speziell aufwendigen und schwierigen Beratung eine zentrale Rolle zu. Nicht zu übersehen ist, dass hier ein verschreiberspezifisches Nebenwirkungspotential (Stichwort: weitere Abklärungen/Interventionen) gegeben ist. Ein Neurochirurge (R. Hayward) hat diese Problematik in einem wunderbar geschriebenen Essay lesenswert illustriert [2].
Verfasst am 10.05.2021 auf Hinweis von Dr. W. Brunner (Chur).
Aus Schweizer Feder
Ein von aussen wirksames Antibiotikum
Im Rahmen von Studien, die durch das Nationale Forschungsprogramm «Antimikrobielle Resistenz» (NFP 72) gefördert wurden, entschlüsselten Forschende am Basler Biozentrum den Wirkmechanismus eines Antibiotikums, Darobactin, das gegen viele sonst resistente Gram-negative Bakterien hochwirksam ist. Als Novität verhindert das Darobactin von extrazellulär die korrekte Implantation und Faltung eines wichtigen Eiweisses (BAM) in die äussere der beiden bakteriellen Membranen. Aufgrund grosser struktureller Ähnlichkeiten vermag Darobactin das stimmigerweise «Insertase» genannte Enzym zu hemmen, das für die korrekte Verpackung und den Einbau des bakteriellen Eiweisses verantwortlich ist.
Auch wenn der Weg bis zur klinischen Anwendung noch lange ist, stellt diese Entdeckung doch eine willkommene Neuigkeit im Kampf gegen die Antibiotikaresistenzen dar. Modifikationen des Darobactins im Hinblick auf unter anderem weiter verstärkte Wirkungen, pharmakologische Eigenschaften und limitiertes Nebenwirkungsprofil sind wohl die nächsten Schritte.
Der Morbus oder die Chorea Huntington ist eine erbliche, progredient verlaufende, neurodegenerative Erkrankung mit Bewegungsstörungen (Chorea), Demenz und psychiatrischen Symptomen. Im mutierten Gen, dem Huntingtin, wird über Generationen zunehmend eine Nukleotidsequenz, CAG (Cytosin, Adenosin, Guanosin), eingebaut, was zu einer intergenerationalen Verstärkung der Symptome führt. Anti-Sense-Oligonukleotide sind RNA- oder DNA-Sequenzen, die gewisse Gensequenzen binden und die Transskription des krankmachenden Gens hemmen.
Gerade zwei Studien mit Verwendung solcher Anti-Huntingtin-Anti-Sense-Oligonukleotide, deren präklinische Daten grosse Hoffnungen für Betroffene weckten, mussten wegen Unwirksamkeit respektive schlechterem Verlauf bei höheren Dosen gestoppt werden.
Zellbasierte, Gen- und RNA-Therapien: Die Revolution ist aus den Kinderschuhen
Per Ende März 2021 liefen fast 3500 humane Studien (verdreifachte Anzahl innerhalb der letzten vier Jahre), die solche Methoden evaluieren. Fast die Hälfte davon sind Krebstherapien, die meist genetische Veränderungen induzieren oder T-Zellen verwenden, deren Rezeptoren genetisch manipuliert (z.B. einen «Krebszellenrezeptor») wurden. Bei den RNA-Therapien dominiert die Corona-Epidemie: Der Grossteil der Studien hat eine Impfung oder eine Therapie gegen COVID-19 als Ziel.
Zwischenzeitlich sind weltweit 16 Gentherapien, 53 Therapien mit modifizierten Zellen und 15 RNA-Therapien dem Studienstatus entwachsen und zugelassen.
Kognitive Einschränkungen nach ischämischen Hirninsulten
Bei etwa 50% von Patientinnen und Patienten mit ischämischen Hirninsulten ist zumindest während dem ersten Jahr nach dem Schlaganfall eine kognitive Einschränkung nachweisbar. Gibt es Infarktlokalisationen, die mehr als andere dazu disponieren?
Bildgebende Daten aus 12 Kohorten mit zusammen fast 3000 Patientinnen und Patienten (60% davon Männer, durchschnittlich 61 Jahre alt, kognitive Einschränkung bei 44% klinisch diagnostiziert) zeigten, dass eine Infarktlokalisation im linken frontotemporalen Lappen, im linken Hypothalamus und im rechten Parietallappen in hohem Masse prädiktiv für eine kognitive Einschränkung sind. Die Autoren entwickelten Hilfsmittel zur Auswertung der bildgebenden Befunde, die die Kliniker auf die Möglichkeit einer kognitiven Einschränkung und damit einen frühen Beginn einer kognitiven Rehabilitation hinweisen sollen.
Ein 13-jähriger, ausser einem oberen Atemwegsinfekt aktuell und in der Vergangenheit gesunder Knabe beklagt seit vier Tagen Müdigkeit, Erbrechen, Atemnot und Gangschwierigkeiten. Nach Zuweisung auf die Notfallstation eines Kinderspitals entwickelt er innert weniger Stunden ein respiratorisches Versagen und muss notfallmässig intubiert werden. Neurologisch fallen eine normale Sensibilität, aber eine ausgeprägte symmetrische proximale sowie eine asymmetrische distale Muskelschwäche auf. Weiter imponieren eine Zungenschwäche, asymmetrische Ptosen und ein bilateral inkompletter Lidschluss.
Die wahrscheinlichste Diagnose ist:
A Guillain-Barré-Syndrom (postinfektiös)
B Juvenile Myasthenia gravis
C Botulismus
Antwort:
Nicht aufregen, wenn Sie vielleicht falsch lagen: Die neurologischen Spezialisten stellten die Diagnose erst am 47. Hospitalisationstag, als sie erfuhren, dass die Mutter des Jünglings wegen eines akuten respiratorischen Versagens hospitalisiert wurde. In einer Konservendose (grüne Bohnen), aus der sie gegessen hatte, wurde Botulinustoxin nachgewiesen. Zwischenzeitlich (am 24. Hospitalisationstag) war auch ein 14-jähriger Freund des Patienten mit ähnlichen, aber milderen Symptomen ambulant zugewiesen worden. Beide hatten von den gleichen Bohnen gegessen, der Freund allerdings viel weniger. Beim ersten Patienten erfolgte die Einnahme gut vier Tage vor der Hospitalisation. Die Inkubationszeit des Botulismus beträgt etwa 12–48 Stunden nach der Einnahme.