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Zwangsstörungen haben eine genetische Komponente. Man nimmt an, diese beeinflusst die neuronalen Schaltkreise im Gehirn. Ziel der vorliegenden Arbeit war, die Funktion von Synapsen in einem genetischen Modell zu testen, um zwanghaftes Verhalten zu erklären.
Hintergrund
Die Zwangsstörung ist eine psychische Erkrankung, die mit einer Prävalenz von 1,3% relativ häufig ist [1]. Symptome sind obsessive Gedanken und kompulsive Handlungen [2]. Zwangsstörungen können schon im Kindesalter auftreten, wobei das Durchschnittsalter bei Diagnosestellung aber 19,5 Jahre beträgt [3]. Die Krankheit führt zur Beeinträchtigung im Alltag, variierend von nur leichter Einschränkung bis hin zur Arbeitsunfähigkeit und sozialer Isolation. Patienten verstehen grundsätzlich, dass die Obsessionen irrational sind, können aber trotzdem nicht von Zwangshandlungen lassen.
Die Zwangsstörung hat eine genetische Komponente [4], die Liste der verantwortlichen Gene ist jedoch nicht bekannt. Dies rührt wahrscheinlich daher, dass Zwangsstörungen sowohl genetische als auch nicht-genetische Ursachen haben, und somit dem breiten Spektrum von Krankheitsbildern verschiedene Ätiologien zugrunde liegen. Zu den Genen, die möglicherweise Zwangsstörung verursachen, wenn sie Mutationen aufweisen, gehören SLC1A1 [5], das für den neuronalen Glutamattransporter EAAT3 codiert, sowie SAPAP3 [6]. Letzteres spielt eine Rolle in der strukturellen Stabilität sowie bei plastischen Veränderungen glutamaterger Synapsen [7, 8]. SAPAP3 und EAAT3 haben gemeinsam, dass sie Teil des zerebralen Glutamatsystems sind, das für die Aktivierung von Nervenzellen verantwortlich ist. Tatsächlich wurde mittels funktioneller Magnetresonanztomographie dargestellt, dass erregende neuronale Aktivität in gewissen Hirnregionen bei Zwangspatienten verändert ist. Dies betrifft die Grosshirnrinde und tiefen Hirnkerne wie etwa das Striatum und den Thalamus [9]. Daraus folgt, dass Zwangsstörung als Pathologie neuronaler Schaltkreisfunktion im Gehirn verstanden wird. Den Synapsen als Verbindungen zwischen Nervenzellen kommt somit eine zentrale Rolle zu. Veränderte Funktionalität von Synapsen führt zu veränderter Hirnaktivität und schliesslich zu krankhaftem Verhalten.
Zielsetzung
Unsere Forschung hatte zum Ziel, in einem genetischen Mausmodell die Funktion von Synapsen zwischen Kortex und Striatum zu testen, um so zwanghaftes Verhalten zu erklären.
Methodik
Die Funktion der Synapsen wurde in frischen Hirnschnitten getestet. Wir haben dabei Synapsen von Mäusen, in denen das Sapap3-Gen nicht vorhanden war (Sapap3-knock out, KO) [10]), mit Wildtyp verglichen. Dabei kam eine Kombination von optogenetischer Stimulation und elektrophysiologischen Messungen zum Einsatz. Dies erlaubte uns, die elektrischen Ströme der Synapsen zwischen Kortex und Striatum zu messen. Zudem haben wir die Mäuse auf kompulsives Verhalten untersucht.
Wichtigste Ergebnisse
Unsere Erkenntnisse haben wir in der Fachzeitschrift Neuropsychopharmacology publiziert [11]. Die Verhaltenstests mit Sapap3-KO-Mäusen haben bestätigt, dass die Mäuse verstärkte Fellpflege betreiben, die in ein zwanghaftes Putzen und Hautläsionen ausarten kann. In den Hirnschnitten zeigte sich dann, dass glutamaterge Signalübertragung spezifischer kortiko-striataler Synapsen in den Sapap3-KO-Mäusen schwächer war als in der Kontrollgruppe (Abb. 1). Davon betroffen waren neuronale Projektionen von der motorischen und cingulären, nicht aber von der orbitofrontalen Grosshirnrinde.

Abbildung 1: Neuronale Pathophysiologie der Zwangsstörung erforscht im Mausmodell.
DasSapap3-KO-Mausmodell dient zur Beschreibung von kompulsivem Verhalten (insbesondere pathologische Fellpflege) sowie der den Zwangshandlungen zugrundeliegenden neuronalen und synaptischen Veränderungen.
Schlussfolgerung und Ausblick
Mittels des Sapap3-KO-Mausmodells konnten wir zeigen, dass abgeschwächte kortiko-striatale Synapsen mit einem zwangshaften Verhalten bei Mäusen einhergehen. Zwangspatienten, die von einer Mutation im SAPAP3-Gen betroffen sind, haben wahrscheinlich analoge Dysfunktionen kortiko-striataler Synapsen, und die Behandlung müsste entsprechend auf eine Stärkung dieser Synapsen abzielen.
In der Behandlung der Zwangsstörung werden neben Verhaltenstherapien Serotonin-Wiederaufnahmehemmer eingesetzt. Eine Wirksamkeit bei kortiko-striatalen Dysfunktionen ist jedoch unwahrscheinlich, da sie nicht direkt auf das Glutamatsystem einwirken. Eine Alternative, die seit einigen Jahren erfolgreich bei starken und therapieresistenten Zwangsstörungen eingesetzt wird, ist die tiefe Hirnstimulation [12]. Diese moduliert die Aktivität im neuronalen Netzwerk in einer Hirnregion, die nach der kortiko-striatalen Projektion geschaltet ist und kann somit eher als kausale Therapie verstanden werden.
Ein neuer Therapieansatz, der momentan in klinischen Studien untersucht wird, ist die Behandlung mit der halluzinogenen Substanz Psilocybin. Im Tiermodell stärkt Psilocybin neuronale Synapsen [13] und könnte somit direkt eine durch SAPAP3-Mutation hervorgerufene Schwächung der Synapsen korrigieren.
Diese Forschung wurde unterstützt durch den Schweizerischen Nationalfonds (LDS; Grant Nummer PZ00P3_174178).
Korrespondenz:
Dr. Linda D. Simmler
Département des Neurosciences Fondamentales
Université de Genève
Rue Michel-Servet 1
CH-1206 Genève
Linda.Simmler[at]unige.ch
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