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Ausgabe
2021/2930
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08866
Swiss Med Forum. 2021;21(2930):499-502

Publiziert am 20.07.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Behandlung von Migräneattacken

– Rund 14% der gesamten Weltbevölkerung leiden an einer Migräne (alle ­Phänotypen zusammen, [1]).
– Bei jüngeren Frauen verursacht Migräne die höchste Anzahl Jahre, die mit Einschränkung/Behinderungen verbracht wird.
– Eine grosse Zahl von akuten Interventionen, pharmakologisch und nicht pharmakologisch, stehen zur Verfügung.
– Nimmt man die Qualität der Evidenz und die Effektgrösse (Wahrscheinlichkeitserhöhung für Schmerzfreiheit nach 2 Stunden im Vergleich zu Plazebo) als Mass, kann folgende Hitparade aufgestellt werden [2]:
• Triptane und NSAR (Naproxen): 3,7×;
• Triptane allein: 2–4×;
• NSAR inklusive Azetylsalizylsäure: 2×;
• Azetaminophen 2×;
• 5-HT1F-Rezeptor-Agonisten: 2×;
• CGRP-Rezeptor-Antagonisten: 1,6–1,8×.
– Antiemetika verschiedener Stoffklassen vermögen, bei etwas schlechterer Evidenz, die Rate der Schmerzfreiheit ebenfalls zu erhöhen.
– Nicht pharmakologische Interventionen (wie Akupunktur, Neuro­stimulation/-modulation u.a.m.) sind ebenfalls wirksam.
NSAR: nichtsteroidale Antirheumatika; 5-HT: 5-Hydroxytryptamin; CGRP: «calcitonin ­gene-related peptide».
1 Lancet Neurol. 2018, doi.org/10.1016/S1474-4422(18)30322-3.
2 JAMA. 2021, doi.org/10.1001/jama.2021.7939 (die Arbeit gibt einen umfassenden ­Überblick über alle evaluierten ­Therapeutika).
Verfasst am 16.06.2021.

Praxisrelevant

Ambulante Therapie der Divertikulitis

Eine akute Divertikulitis tritt in einer unselektionierten Allgemeinbevölkerung in etwa 200 Fällen pro Jahr und 100 000 Einwohner auf (jährliche Inzidenz 0,2%). Akute, unkomplizierte Divertikulitiden (ohne Abszedierung oder Perforation) können oft ambulant mit oralen Antibiotika behandelt werden. Dabei werden am häufigsten Amoxicillin/Clavulansäure oder ein Fluorochinolon in Kombination mit Metronidazol verschrieben. Einige Guidelines empfehlen, namentlich mit den Fluorochinolonen sparsamer umzugehen (Reservierung für Infekte ohne Antibiotikaalternative, Verminderung der Resistenzentwicklungen). Unklar war, ob eine der beiden Antibiotikaoptionen besser ist (Verhinderung von Hospitalisationen, akute Operation innerhalb eines Jahres, elektive Operation innerhalb von drei Jahren) oder mehr Nebenwirkungen (Clostri­dioides-difficile-Infekte) verursacht.
Resultat dieser doppelten Kohortenstudie, die knapp 125 000 Patientinnen und Patienten mit Fluorochinolonen/Metronidazol mit knapp 16 000 verglich, die Amoxicillin/Clavulansäure erhielten: kein signifikanter Unterschied in Bezug auf die gewählten Verlaufskriterien, jedoch leicht erhöhte Rate von Clostridioides-­difficile-Infekten in der Kohorte unter Fluorochinolonen/Metronidazol.
Die Schlussfolgerung aus dieser nicht von der Indus­trie gesponserten Studie (Auftragsstudie der «National Institutes of Health» [NIH]) ist, dass Amoxicillin/­Clavulansäure aufgrund der gleichen Wirkungen, aber weniger Nebenwirkungen die antibiotische Therapie der Wahl für diese Indikation sein sollte.
Ann Intern Med. 2021, doi.org/10.7326/M20-6315.
Verfasst am 17.06.2021.

Nichtalkoholische Fettlebererkrankung: eine potentiell schwerwiegende Erkrankung

Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) ist in der westlichen Zivilisation die bedeutendste chronische Lebererkrankung (bis zu 25% einer Allgemeinbevölkerung). Ein Drittel der Erkrankten entwickelt einer progressive Steatohepatitis mit Fibrose sowie Zirrhose und erhöhter Mortalität als Sekundärfolgen.
Bei mehr als 10 500 bioptisch verifizierten NAFLD-­Fällen (1966–2017) war die Mortalität fast doppelt so hoch wie in einer vergleichbaren Normalpopulation und stieg progressiv mit dem Fibrosegrad an. Die wichtigsten Todesursachen waren in absteigender Häufigkeit: extrahepatische Karzinome, Zirrhose, kardiovaskuläre Erkrankungen und hepatozelluläre Karzinome.
Diese schwedische Studie bestätigt, dass Patientinnen und Patienten mit NAFLD basierend auf dem Vorliegen einer Fibrose risikostratifiziert und einer Intervention zugänglich gemacht werden sollten.
Verfasst am 21.07. 2021.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Welchen Antikörpertest bei durch Sars-CoV-2-­Vakzine induzierter thrombotischer Thrombozytopenie (VITT)

Vor allem bei Frauen kann eine Impfung mit adeno­virusbasierten Impfstoffen in seltenen Fällen zu Thrombosen ungewöhnlicher Lokalisation (zerebrale Venen, Mesenterialvenen) und Thrombozytopenie (durch aktivierende Autoantikörper gegen den Plättchenfaktor 4 [PF4]) führen. Die Erkrankung weist Ähnlichkeiten mit der heparininduzierten thrombotischen Thrombozytopenie (HIT) auf. Allerdings sollte man nicht die bei der HIT etablierten Antikörper-Schnelltests (Antikörper gegen den PF4/Heparin-Komplex) zur Diagnostik verwenden, da diese in der Mehrzahl der Fälle negativ ausfallen. Nur ein spezifischer Nachweis von Autoantikörpern, die isoliert den PF4 aktivieren, gibt die notwendige diagnostische Sicherheit.
N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMc2106383.
Verfasst am 19.06.2021.

Distale Radiusfrakturen: Gibt es eine beste Behandlung?

Die distale Radiusfraktur ist eine der häufigsten Frakturen.
In einem Vergleich von vier Interventionen (offene ­Reduktion, interne Fixation mit volarer Platte, geschlossener Reduktion und Varianten externer Fixa­tionen) bei ­Patientinnen und Patienten über 60 Jahre waren Verlauf und funktionelle Resultate nach 24 Monaten (basierend auf der ­Patienteneinschätzung) nicht signifikant unterschiedlich.
Röngtenaufnahmen einer 36-jährigen Patientin mit Status nach Fahrradsturz: distale Radiusfraktur links vor (A) und nach (B) Versorgung mittels Platte. Wir danken Herrn Prof. J. Heverhagen, Universitätsinstitut für Diagnostische, Interventionelle und Pädia­trische Radiologie, Inselspital, Universitätsspital, Bern, herzlich für die Bilder.
Die Frakturen können also nach persönlichen Präferenzen und am besten adaptiert an die spezifische ­Situation der Patientin oder des Patienten in der Akutphase versorgt werden. Schön, dass man sich für einmal nicht den Kopf wegen unterschiedlicher Langzeitergebnisse zerbrechen muss!
Verfasst am 18.06.2021.

Neues aus der Biologie

Impfung gegen Asthma

Die Zytokine Interleukin-(IL-)4 und IL-13 spielen eine voneinander unabhängige pathogenetische Rolle beim Asthma, auch wenn sie beide via den IL-4-Rezeptor wirken. Sie induzieren eine erhöhte IgE-Produktion, eine Eosinophilie, eine Hyperreagibilität der Luftwege, ein Remodeling der Luftwege und eine Schleimüberproduktion.
Ein (teurer) monoklonaler Antikörper (Dupilumab, auch eingesetzt bei der atopischen Dermatitis), der den IL-4-Rezeptor blockiert, ist wirksam in der Beschränkung des Schweregrades und der Häufigkeit schwerer Asthmaexazerbationen.
Ein billigeres Vorgehen wird nun geprüft: Antikörper, die durch gleichzeitige Zufuhr von IL-4 und IL-13 (konjugiert via ein mutiertes Diphtherietoxin) induziert wurden. In Mausmodellen allergischer Luftwegsentzündungen wurden die IgE-Spiegel gesenkt und die Schleimüberproduktion und Hyperreagibilität der Luftwege signifikant gehemmt.
Dieses Vorgehen ist potentiell vielversprechend, da diese «Doppelimpfung» gegen Schlüsselzytokine zu ­einer längerdauernden und billigen Therapie/Sekundärprävention werden könnte.
Verfasst am 19.06.2021.

Das hat uns gefreut

Geschichten erzählen im Kinderspital

Die Kultur des Geschichtenerzählens ist wichtig für die Entstehung familiärer und sozialer Beziehungen, die Förderung des emotionalen Empfindungsspektrums und hat edukative Vorzüge, unter anderem zur Meisterung schwieriger Lebenssituationen. Wir berichteten schon über die Vorzüge, wenn Kindern während einer Operation Lärm oder Musik von Mozart (!) angeboten wird [1].
Sollten Kinder auf die Intensivstation müssen, wäre der Einsatz von Geschichtenerzählerinnen oder -erzählern zu prüfen.
Geschichtenerzählen scheint bei Kindern einen positiven Einfluss auf das Erleben eines Spitalaufenthaltes zu haben. © Monkey Business Images | Dreamstime.com
41 Kinder, denen Geschichten eher lustigen Inhaltes (8 davon zur Auswahl) erzählt wurden, verglich man mit 40 Kindern (mit ähnlicher Morbidität), mit denen dieselbe (von mehreren) Geschichtenerzählerinnen 20–30 Minuten pro Tag (gleiche Zeit wie in der Erzählgruppe) Rätselspiele aufgelockert durch ein paar Witze spielte [2]. Die Kinder in der Erzählgruppe waren weniger schmerzgeplagt und entspannter. Die Oxytocinspiegel lagen höher, die Speichelkortisolspiegel (gemessen nach den Geschichten/Rätselspielen) tiefer, was für eine höhere positive Emotionalität und weniger Stress sprechen könnte. Retrospektiv beurteilten die Kinder in der Erzählgruppe ihren Spitalaufenthalt positiver. Aufgrund des menschlich-sozialen, nicht medizinischen Kontaktes auch in der Kontrollgruppe ist wahrscheinlich, dass die Geschichte respektive das Erzählen per se zumindest einen Teil der positiven Wirkungen verursachte.
1 Swiss Med Forum. 2021, doi.org/10.4414/smf.2021.08840.
2 Proc Natl Acad Sci U S A. 2021, doi.org/10.1073/pnas.2018409118.
Verfasst am 21.06.2021.

Das hat uns nicht gefreut

Gesundheits-Apps und Privatsphäre

Im Google Play Store kann man eine Reihe von sogenannten m(obile)Health-Apps herunterladen.
Ein Vergleich von mHealth-Apps mit Apps ohne ­Gesundheitsdaten zeigte nun, was vermutet werden konnte: Fast 90% dieser Gesundheitsprogramme enthielten Informationen («codes»), die zur Sammlung von Nutzerdaten verwendet werden können. Ein gros­ser Teil der Datensammlungen wird durch nicht bekannte Drittfirmen analysiert und bei einem Viertel ist bereits die Übermittlung vom Nutzer zu irgendeiner «cloud» nicht hinreichend gesichert.
Die Autorinnen und Autoren empfehlen, diese Problematik mit den Patientinnen und Patienten anzusprechen und sie in die Nutzen-Risiko-Analyse einfliessen zu lassen, ob überhaupt eine solche Gesundheitsüberwachung durchgeführt werden soll.
Verfasst am 17.06.2021.

Nicht alle mRNA-Impfstoffe sind gleich

Die Euphorie über die hohe Schutzwirkung der Anti-SARS-CoV-2-mRNA-Impfstoffe hat durch die anscheinend sehr schlechten Daten eines weiteren mRNA-Impfstoffes (CureVac) einen Dämpfer erhalten. Die Hersteller weisen auf die im Vergleich zu den zwei ­bereits verwendeten mRNA-Impfstoffen veränderte ­Virologie (aggressivere Varianten) hin. Allerdings gibt es auch Stimmen, die in den Details der Herstellungsmethode eine Limitierung sehen.
Die Schweiz hatte diesen Februar mehr als 5,3 Millionen Dosen bestellt. Eine Klärung respektive Aufklärung ist für die zukünftigen Impfstrategien von gros­ser Bedeutung.
Verfasst am 21.06.2021.

Aus Schweizer Feder

Zelluläre Immunität nach COVID-19: wie intensiv und wogegen?

Tessiner Forscher haben in der Evaluation reaktiver CD4+-T-Zellen bei Individuen mit überstandener COVID-19-Erkrankung eine langdauernde und intensive T-Zell-Reaktion beschrieben. Die CD4+-T-Zell-Antwort richtet sich gegen das Nukleokapsid-Protein, aber auch gegen die Rezeptorbindungsdomäne im S1-Protein.
Interessant ist, dass die sogenannte immundominante Region im S1-Protein (Zentrale für die zelluläre Immun­antwort) von der Aminosäuresequenz S346–S365 ausgeht. Diese Region wird auch von neutralisierenden Antikörpern erkannt (Konvergenz der B- und T-Zell-Antwort auf ein und dieselbe konservierte Antigensequenz).
Und eine gute Nachricht: Diese immundominante Region (also S346–S365) ist in den bisherigen Mutanten von SARS-CoV-2 konserviert, sodass die beschriebene zelluläre Immunantwort bei Restimulierung (Infekt mit einer Mutante) als wirksam vermutet werden darf.
Verfasst am 19.06.2021.

Auch noch aufgefallen

Wie wird ein Niesreflex ausgelöst?

Niesen ist ein protektiver Reflex (Entfernung von Fremdkörpern, Irritantien), aber auch lästig (allergische Rhinitis, respiratorische virale Infekte) und infektiologisch bedeutsam (einmal Niesen scheidet mindestens 10× mehr Viruspartikel aus als ein kräftiger Hustenstoss). Das Nieszentrum ist im ventromedialen Trigeminuskern lokalisiert, bei Pathologien in diesem Bereich kann es entweder zu ununterdrückbarem Niesen oder Ausfall desselben kommen.
Benutzen respiratorische Viren den Niesreflex spezifisch, um ihre Ausbreitung zu beschleunigen? © Robert Kneschke | Dreamstime.com
Nun wurde der Transmittermechanismus im afferenten Schenkel des Niesreflexes geklärt: Die sensorischen Nervenfasern aus der Nasenmukosa signalisieren dem Nieszentrum mit einem Neuropeptid (Neuromedin B = Neurotransmitter), das Niesen auszulösen.
Interessante Spekulation: Benutzen respiratorische ­Viren diesen Weg spezifisch, um ihre Ausbreitung zu beschleunigen oder wird dieser unspezifisch durch die Rhinitis selber aktiviert?
Verfasst am 21.06.2021.
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