«Image and performance enhancing drugs» im Freizeitsport
Sportpsychiatrie und -psychotherapie

«Image and performance enhancing drugs» im Freizeitsport

Übersichtsartikel
Ausgabe
2021/4950
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08867
Swiss Med Forum. 2021;21(4950):843-847

Affiliations
a PZM Psychiatriezentrum Münsingen AG, Münsingen; b Sportpsychiatrie und -psychotherapie, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Universität Zürich, Zürich; c Experimentelle und Klinische Pharmakopsychologie,Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Universität Zürich, Zürich; d Psychiatrische Dienste Graubünden, Chur; e Privat­klinik Wyss AG, Münchenbuchsee; f Arbeitsgruppe «Image and Performance Enhancing Drugs (IPED)», Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychia­trie und -psychotherapie (SGSPP)
*Geteilte Erstautorenschaft

Publiziert am 07.12.2021

Der Gebrauch form- und leistungsfördernder Substanzen ist im Fitness-Umfeld weit verbreitet. Die dabei entstehenden medizinischen und psychischen Probleme sind vielfältiger Natur und brauchen verschiedene Fachdisziplinen für die Behandlung.

Ausgangslage

Der Gebrauch form- und leistungsfördernder Substanzen (sog. «image and performance enhancing drugs» [IPED]) ist weit verbreitet. Schätzungen gehen davon aus, dass über 200 000 Personen in der Schweiz IPED anwenden [1]. Unter den IPED kommt den Anabolika (anabolen androgenen Steroiden [AAS]) eine besondere Bedeutung zu, aber auch Wachstumshormone, Insulin oder Stimulanzien (z.B. Clenbuterol) müssen hier genannt werden. Risikogruppen für den Gebrauch von IPED und insbesondere der AAS sind junge Männer, Freizeitsporttreibende1, Fitnessstudionutzende, Leistungssporttreibende sowie Bodybuilderinnen und Bodybuilder. Hauptgründe für ihren Einsatz sind der Wunsch nach einer Zunahme der Muskelmasse und nach Leistungssteigerung.
Ästhetische Ansprüche gewinnen in unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Der Einfluss der propagierten Schönheitsideale auf die Entwicklung einer Körperunzufriedenheit ist bei Frauen gut untersucht. Selbstverwirklichung in Kombination mit Attraktivität, Jugendlichkeit und Erfolg werden besonders von der jüngeren Generation als Lebensziele definiert. Wer altert, hat Mühe, den jugendlichen Lifestyle aufrecht zu erhalten und versucht entsprechend, dem entgegenzuwirken [2]. Häufig findet sich die Lifestyle-Anwendung von verschreibungspflichtigen Medikamenten ausserhalb ihrer medizinischen Indikation. Die Verwendung von IPED ist bereits seit über 20 Jahren bekannt und hat in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit erfahren [3, 4]. Schlüsselmotivator für die Verbreitung in der Allgemeinbevölkerung ist der Wunsch, Jugendlichkeit, Gesundheit und ein sexualisiertes Körperideal visuell präsentieren zu können. Der Beginn des Konsums setzt im Mittel später ein als bei anderen illegalen Drogen und nur 22% der Anwendenden starten den Konsum vor 20-jährig [5]. In ­einer Metaanalyse aus dem Jahr 2014 fand sich bereits eine weltweite Prävalenz für den Gebrauch von AAS bei 6,4% der Männer und 1,6% der Frauen der Gesamtbevölkerung [1]. Die verfügbaren Forschungsdaten weisen zudem auf einen Anstieg der Lebenszeitprävalenz hin [6, 7].
Die Anwendung von IPED erfolgt in der Regel in on/off-Zyklen (sog. «cycling») und einer Kombination von verschiedenen Substanzen (sog. «stacking»), wobei die Dosis mit der Zeit angepasst wird (sog. «pyramiding»). Die Wahl der Substanzen umfasst zugelassene und nicht zugelassene Medikamente (z.B. auch Veterinärprodukte) [8]. Die Summendosis der anabolen-androgenen Steroide pro Woche beträgt in der Regel um die 1000 mg, wobei meist Testosteronester mit verschiedenen anderen anabolen Steroiden und Medikamenten kombiniert werden [9].
Durch die Entwicklung des Online-Marktes sind IPED heute leichter zugänglich, wodurch ihre Konsumschwelle gesenkt wird. Zudem beeinflusst der leichte Zugang die Risikowahrnehmung der Konsumierenden und führt so zu einer reduzierten Hemmschwelle, IPED zu nutzen [2]. Grundsätzlich erachten wenige IPED-Anwendende ihren Konsum als Suchtverhalten, sondern sehen AAS als Möglichkeit, einen gesundheitlich optimierten Lebensstil zu pflegen [10]. IPED-Anwendende haben nur geringes Vertrauen in die Fitness-Kompetenz der Ärzteschaft [11]. Die Nutzung von IPED scheint dennoch in der Allgemeinbevölkerung so stigmatisiert zu sein, dass nur wenige Betroffene Hilfe suchen [7]. Studien weisen darauf hin, dass Medizinalpersonen regelmässig mit Wunsch auf Verschreibung auf IPED angesprochen werden und IPED-Anwendenden gegenüber negativ eingestellt sind [12, 13].
Die IPED-Anwendenden sind eine gemischte Gruppe aus hauptsächlich Männern aller Ethnien. Oft sind sie gut ausgebildet [14]. In der Literatur unterscheidet man folgende vier Archetypen: Der sorglose «You only live once»-Typ, der fitnessorientierte «Wellbeing»-Typ, der ambitionierte Athlet und der wissbegierige Experte [15]. Eine weitere wichtige Gruppe stellen die über 40-jährigen IPED-Anwendenden dar, da sie IPED oft aus «Anti-Aging»-Gründen verwenden. Diese Gruppe wird in Zukunft zunehmen [16]. Eine besondere weitere Risikogruppe für die Verwendung von IPED sind Personen mit einer Muskeldysmorphie (MD): eine psychische Störung, bei dem das Individuum befürchtet, nicht muskulös genug zu sein [3]. IPED-Konsum im Rahmen einer MD ist mit einer stärker ausgeprägten Psychopathologie vergesellschaftet. Dies betrifft beispielsweise Suizidversuche, eine verminderte Lebensqualität und das Auftreten des nichtmedizinischen Gebrauchs von anderen Substanzen [17].

Problemfelder

Abhängigkeit und Substanzkonsumstörung

Die diagnostischen Kriterien für Substanzabhängigkeit gemäss ICD 10 und den Substanzgebrauchsstörung gemäss DSM-5 unterscheiden sich nur geringfügig. Während im ICD-11 die Diagnose einer Substanzabhängigkeit beibehalten wurde, kennt das DSM-5 inzwischen nur noch den Begriff der Substanzkonsum­störung («substance use disorder») in verschiedenen Schweregraden, wohingegen die Kategorien Missbrauch und Abhängigkeit weggefallen sind [18]. Kriterien wie Toleranzentwicklung, Entzugssymptome, Craving, Dosissteigerung, erfolglose Absetzversuche und die Vernachlässigung anderer Pflichten zugunsten des IPED-Konsums sind typische Anzeichen der Entwicklung einer Substanzkonsumstörung oder Abhängigkeit. IPED-Anwendende verwenden wie andere Personen mit Substanzabhängigkeiten ebenfalls viel Geld und Zeit, um zu ihren Substanzen zu gelangen. Anabole und androgene sowie zusätzliche hedonistische Effekte können zu einer AAS-Abhängigkeit führen [19]. Ein wichtiger Unterschied zwischen dem nichtmedizinischen Gebrauch von IPED und anderen Drogen besteht jedoch darin, dass der IPED-Konsum mit einer verzögerten Belohnungserwartung einhergeht. Andere Drogen werden typischerweise konsumiert, um einen angenehmen Zustand mit einer sofortigen Belohnung zu erzielen [20], wohingegen der erwünschte Effekt der IPED erst nach Wochen oder Monaten eintritt. Ein klinisches Interview zur Diagnosesicherung einer IPED-Abhängigkeit liegt vor [21]. Gemäss mehrfach replizierten Studien entwickeln etwa 30% der IPED-Anwendenden eine Abhängigkeit [21].
Verschiedene Hypothesen zur Abhängigkeitsentstehung wurden vorgeschlagen. Diese vermuten eine gesteigerte und Corticotropin-vermittelte Ausschüttung endogener Opioide durch den Konsum anaboler und androgener IPED [22].
Psychologische Erklärungsmodelle gehen zusätzlich von Störungen im Selbstideal, unsicheren Bindungsmustern, Minderwertigkeitsgefühlen, Selbstekel und Selbstwertzweifeln aus. Der Wunsch nach der Ausbildung eines muskulösen Körpers kann zudem mit den Themen Panzerung und mit Schutz und Abgrenzung nach aussen, als Kompensation eines subjektiv empfundenen Mangels an Männlichkeit zu tun haben [23].
Die Anwendung von anabolen Steroiden kann je nach Einnahmeperiode zu einem stimmungsdestabilisierenden Effekt mit depressiven Verläufen und kurz anhaltenden Hypomanien führen. Es zeigen sich auch andere psychiatrischen Symptome oder Störungsbilder wie Manien, Psychosen, gesteigerte Aggression (dem sog. «roid rage»), Depressionen und Angststörungen [24]. Auch Suizide und Suizidversuche scheinen bei den Betroffenen häufiger aufzutreten als in Vergleichspopulationen [25, 26].
Absetzphänomene umfassen ausgeprägte depressive Verstimmungen, eine gesteigerte Angst, Muskelmasse zu verlieren, aber auch Müdigkeit, Unruhe, Appetitverlust, Schlaflosigkeit, reduzierte Libido und ein gesteigertes Verlangen («Craving») nach IPED. Das gefährlichste Absetzphänomen ist die Suizidalität.
IPED-Anwendende haben im Rahmen ihrer ausgefeilten Selbstoptimierung eine Tendenz, auch andere Substanzen zur Wirkungsverstärkung oder Reduktion von Nebenwirkungen einzunehmen. Ob der IPED-Konsum mit einem gesteigerten komorbiden Konsum von psychotropen Suchtmitteln einhergeht, konnte bisher nicht abschliessend beantwortet werden. In einigen Subgruppen wiesen die IPED-Anwendenden einen höheren Beikonsum von Alkohol, Stimulantien oder Opioiden auf [27–31]. Beiträge aus einschlägigen Online-Diskussionsforen und das Produktportfolio der Supplementindustrie legen nahe, dass IPED-Anwendende auch andere Medikamente verwenden, zum Beispiel zur kognitiven Leistungssteigerung. Doch auch hier liegen keine gesicherten Daten vor.

Nebenwirkungen

Die Wirkungen und Nebenwirkungen eines IPED-Gebrauchs sind oft schwerwiegend, nachhaltig und komplex. Eine medizinische Unterstützung der Patienten durch geschultes Fachpersonal ist bei Nebenwirkungen unabdingbar (Tab. 1).
Tabelle 1: Übersicht der Nebenwirkungen nach Organen (adaptiert nach [32]).
OrgansystemBekannte Nebenwirkungen
HerzkreislaufsystemVeränderung Blutfettwerte, Erhöhung LDL, Senkung VLDL
Erhöhter Blutdruck
Arteriosklerose der Blutgefässe, v.a. Herzkranzgefässe
Arrhythmien
Remodeling des Herzens, Linksherzhypertrophie
Knochenmark/BlutThrombosen und Eryhrozytose
Anämie und Leukopenie beim Absetzen
Respiratorisches SystemSchlafapnoe
LeberErhöhte Leberenzymaktivität
Gelbsucht
Tumorbildung
NiereReduktion der GFR, Niereninsuffizienz
Tumorbildung
Muskel- und ­SkelettapparatMuskelzuwachs [33, 34]
In der Pubertät: vorzeitiger Verschluss der Epiphysenfugen (vorzeitiger Wachstumsstopp)
Sehnen- und Gelenksschäden
HormoneVeränderung der Glukosetoleranz
Reduktion der Sexualhormonaktivität (FSH, LH)
Schilddrüsenfunktionsstörung
Hypoglykämie
HautSteroidakne
GeschlechtsorganeHodenschrumpfung
Gynäkomastie
Verringerung der Spermienanzahl
Erhöhter oder erniedrigter Sexualtrieb
Glatzenbildung
Unfruchtbarkeit
Hodenkrebs/Brustkrebs
Regelblutungsstörungen
Prostatakrebs
PsycheManische Episoden
Schnelle Stimmungswechsel mit Reizbarkeit und Impulsivität
Gewaltbereitschaft und Aggressivität
Depression (Freudlosigkeit, Schlafstörungen, Suizidalität)
Entscheidungshemmungen
Wahnvorstellungen
Paranoide Eifersucht
Einschlaf- und Durchschlafstörungen
FSH: follikelstimulierendes Hormon; GFR: glomeruläre Filtrationsrate; LDL: «low density lipoprotein»; LH: luteinisierendes Hormon; VLDL: «very low density lipoprotein».
Nebenwirkungen treten bei fast allen Patienten auf [35]: hauptsächlich Akne (38%), Gynäkomastie (34%) und erhöhte Libido während des Gebrauchs von IPED (27%). Nach Absetzen verringert sich die Libido häufig (34%) und die Patienten klagen öfter über erektile Dysfunktion (20%). Typische Medikamente, die Patienten regelmässig zur Selbstbehandlung von Nebenwirkungen einnehmen, sind Aromatasehemmer, Clomifencitrat, menschliches Choriogonadotropin und Tamoxifen [8].

Public Health-Aspekte

Grundversorgendes Medizinalpersonal ist mit diesem Phänomen zwar oft konfrontiert, dann aber auch überfordert [13]. Ungefähr 11% der Grundversorgenden werden regelmässig für die Verschreibung von IPED angefragt, und 10% wurden von Patienten konsultiert, die IPED anwenden und Gesundheitsrisiken fürchteten. 87,5% der Befragten gaben an, dass IPED-Gebrauch ein Problem der öffentlichen Gesundheit ist, und 80% gaben an, dass regelmässige IPED-Anwendung eine Form der Abhängigkeit darstellt. Über die Hälfte (52%) des allgemeinmedizinischen Personals befürwortet die Verschreibung von Medikamenten für Sportler, die IPED verwenden. Die meisten (89%) gaben an, dass ein Allgemeinmediziner eine Rolle bei der Prävention spielt, aber 77% waren zu schlecht vorbereitet, dieser auch nachzukommen.
Es ist schwierig, das volle Ausmss des öffentlichen Gesundheitsproblems vorherzusagen, das sich entwickeln wird, wenn die älteren Mitglieder dieser Population von IPED-Nutzenden das volle Ausmass der Langzeit- und Nebenwirkungen zu erfahren beginnen. Bisher scheint der Zenit dieses Problems noch vor uns zu liegen, und in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten werden die negativen Auswirkungen des nichtmedizinischen Gebrauchs immer offensichtlicher werden [36].

Hindernisse

Gemäss einem kürzlich publizierten Review entscheiden sich IPED-Anwendende gegen die Benutzung angebotener Dienste, weil sie Angst vor Stigmatisierung haben, verlegen sind, kein Vertrauen in das spezifische IPED-Wissen von Fachleuten haben und keine Verschreibung von Medikamenten gegen Nebenwirkungen der IPED erwirken können [37].
IPED-Anwendende führen ihren Fitnesssport oder ihr Bodybuilding meistens im Amateurbereich aus. Im Gegensatz zu anderen Amateursportarten besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem medizinischen Überwachungsbedarf und der Verfügbarkeit von fachkundigen Medizinalpersonen.

Ansatzpunkte

Zur Behandlung der IPED-Abhängigkeit gibt es zum ­aktuellen Zeitpunkt nur wenig Evidenz, weder was den Zugang zu Betroffenen angeht, noch wie eine Verhaltensänderung erreicht werden kann [38]. In Grossbritannien, Australien und den Niederlanden wurden sogenannte «Steroid Clinics» bereits erfolgreich etabliert [35].
Wenn akzeptiert wird, dass bei der Abhängigkeit von IPED dieselben Mechanismen wie bei einer klassischen Substanzabhängigkeit zum Tragen kommen, liegt es nahe, die etablierten Instrumente der Suchttherapie anzuwenden. Grundsätzlich existiert in der Schweiz ein differenziertes Suchthilfesystem zur Behandlung von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen und Substanzkonsumstörungen. Personen mit einem nichtmedizinischen Gebrauch von IPED werden jedoch durch die bisherigen Angebote kaum angesprochen. Um einen Zugang zu den IPED-Anwendenden zu eta­blieren, müssen einerseits ihre spezifischen Bedürfnisse abgedeckt und andererseits alle Ansätze der ­Scha­densminimierung verfolgt werden. Die IPED-Anwendenden wünschen sich Informationen, Support und Unterstützung bei Gesundheitsproblemen [37]. ­Patientinnen und Patienten, die weiterhin IPED konsumieren wollen, brauchen medizinische Unterstützung, um Folgeschäden von ihrem nichtmedizinischen Gebrauch zu reduzieren.
Eine Behandlung müsste die hedonistischen, anabolen und androgenen Effekte der IPED-Abhängigkeit berücksichtigen. Als mögliche Therapie wird unter anderem der Einsatz des Opioid-Antagonisten Naltrexon diskutiert. Zudem wird die symptomatische Behandlung von komorbiden Störungen wie der Depression vorgeschlagen sowie der Einsatz psychotherapeutischer Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie und des «Motivational Interviewings» [3]. Therapieinhalte umfassen eine Konfrontation mit dem autodestruktiven Verhalten, eine Entwöhnung mit dem Aufbau alternativer Strategien sowie eine Bearbeitung des Selbstbildes (Körperschema/-bild, sexuelle Identität, Selbstwert) [39].
In der Praxis stehen als anfängliche Ziele ein Ernstnehmen und Verständnis der Beschwerden im Vordergrund. Die Gesprächsführung geht weg von Symptomen und fokussiert auf psychosoziale Aspekte einschliesslich Indikation, Motivation sowie kausale Therapieeinleitung. Die eingeleiteten Massnahmen sollten zu einer Stärkung des positiven Körperbildes und der Selbstakzeptanz/des Selbstwertes führen und wichtige Ressourcen in Ausbildung, Freizeit und Arbeit berücksichtigen und aktivieren. Zu einem gesunden Körperbild gehören auch ein positives Verhältnis zum eigenen Körper und die Entwicklung eines positiven Körpergefühls.
Eine qualifizierte Akutbehandlung sollte neben dem Entzug auch motivationsfördernde Interventionen beinhalten und in ein differenziertes regionales Hilfsnetz integriert sein. Die Behandlung sollte multidisziplinär erfolgen und somatische Behandlungen beinhalten. Das simple «Absetzen» von IPED ist mit verschiedenen psychischen und somatischen Problemen vergesellschaftet und braucht eine adäquate medizinische Betreuung [40], um einen Rückfall in den IPED-Gebrauch zu verhindern.
Nur sehr wenige IPED-Anwendende begeben sich in Behandlung. Angebote müssten valide medizinische Information über die medizinischen Konsequenzen des IPED-Konsums vorhalten, um das Interesse der Betroffenen zu steigern. Viele der Betroffenen sind sich nicht im vollen Ausmass über die mittel- bis langfristigen Konsequenzen und Komplikationen bewusst [41]. Zudem muss das Fachpersonal über eine gute Glaubwürdigkeit verfügen (z.B. den Jargon der Szene verstehen). Behandlungshemmnisse müssten durch leicht zugängliche Angebote beseitigt werden [42]. Beim Aufbau entsprechender Angebote ist zu bedenken, dass IPED-Konsumenten typischerweise nicht in dieselbe Kategorie eingeordnet werden möchten wie Nutzende von illegalen Drogen [43].
Die bisherigen Erfahrungen im Suchtbereich mit schwer erreichbaren Patientengruppen lassen hoffen, dass mit einem adaptierten Behandlungskonzept auch zu den IPED-Anwendenden stabile Kontakte aufgebaut und diese Patientinnen und Patienten zur Annahme weiterführender Hilfsangebote motiviert werden können [44]. Die dem kompetitiven Bodybuilding-Sport inhärente Tendenz zur Rivalität kann sich auch in der therapeutischen Beziehung zur behandelnden Person etablieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit geringere Kenntnisse im Bereich IPED aufweist [45].

Therapieelemente

Viele Fachbereiche sind für eine erfolgreiche Therapie notwendig. Dazu gehört Fachexpertise, zum Beispiel aus der Suchtmedizin, der Sportpsychiatrie und -psychotherapie, der Inneren Medizin und der Endokrinologie.
Therapieelemente zur Behandlung des IPED-Gebrauchs [19]:
1. Aufbau einer Motivation zur Abstinenz von Suchtmitteln und nichtmedizinischem Gebrauch von verschreibungspflichtigen Medikamenten sowie Erhalt dieser Abstinenz:
a) Information und Beratung (Psychoedukation);
b) Aufbau einer Behandlungs- und Veränderungsmotivation mit den Methoden der motivierenden Gesprächsführung.
2. Hilfestellung bei der Reduktion der Nebenwirkungen und Entzugssymptome, inklusive notwendige Pharmakotherapie.
3. Diskussion, Behandlung und Information über medikamenteninduzierte medizinische und psychia­trische Störungen:
a) Differentialdiagnostische Abklärung der (psychiatrischen) Komorbidität;
b) Identifizierung und Korrektur dysfunktionaler Grundannahmen;
c) Analyse der auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen;
d) Erkennen der Funktion des IPED-Gebrauches (intrapsychisch und interpersonell);
e) Erlernen von Strategien zum Umgang mit Selbstwertproblemen;
f) Hinführung zu korrigierenden Erfahrungen;
g) Wahrnehmung und Identifizierung der dysfunktionalen Problemlösestrategie und Aufbau alternativer Strategien.
4. Rückfallprävention mit Identifizierung relevanter Risikosituationen, Aufbau von Handlungsalternativen:
a) Aufbau eines sozialen Supportsystems, das die Abstinenz unterstützt;
b) Verbesserung der Coping Skills und Stressmanagement, um einem erneuten Missbrauch vorzubeugen;
c) Ausgleich von sportbezogenen Aktivitäten.

Empfehlungen

Die Kernaufgabe der Schadensminderung («Harm Reduction») ist die Unterstützung von Menschen, die sich in einer akuten Konsum- oder Suchtphase befinden. Der niederschwellige Zugang zu den Angeboten ermöglicht eine unbürokratische und schnelle Intervention mit dem Ziel, die psychische und physische Gesundheit sowie die soziale Situation von Konsumierenden zu stabilisieren und den Substanzkonsum zu minimieren, respektive gefährliche Konsummuster zu reduzieren. Um dieses Behandlungskonzept zugänglich zu machen, ist eine therapeutische Haltung erforderlich, die vom «Harm Reduction»-Ansatz und der Grundhaltung des «Motivational Interviewing» geprägt ist und einen konstruktiven Austausch mit allen Institutionen des Hilfesystems praktiziert [46].
Guidelines zur Implementierung entsprechender Angebote wurden unter anderem in Grossbritannien und Schweden veröffentlicht [47].
Die «Nationale Strategie Sucht» des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) führt die bewährte Vier-Säulen-­Politik fort, strebt aber gleichzeitig eine Weiterentwicklung der Suchthilfe an. Die Schadensminderung versucht nicht in erster Linie, das Suchtverhalten oder den Substanzkonsum oder -missbrauch als solchen zu bekämpfen, sondern fokussiert auf die Verringerung der damit einhergehenden Risiken und Schäden. In der Vernehmlassung zur «Nationalen Strategie Sucht» hat sich gezeigt, dass bei vielen Kantonen der Wunsch nach einer Ausweitung von schadensmindernden Ansätzen auf verschreibungspflichtige Medikamente besteht [48].
Aus ärztlich-psychiatrischer und -psychotherapeutischer Sicht ergibt sich die dringende medizinethische Konsequenz der Behandlungen von Folgestörungen des IPED-Konsums. Neben interdisziplinären Ansätzen sind dabei besonders Erfahrungen aus der Suchtherapie und den «Harm Reduction»-Konzepten zu berücksichtigen.

Das Wichtigste für die Praxis

• Der Gebrauch von form- und leistungsfördernden Medikamenten («image- and performance enhancing drugs» [IPED]) ist im Fitness- und Bodybuilding weit verbreitet und betrifft bis zu 30% der Besuchenden von Fitnessstudios.
• Rund ein Drittel der Anwendenden nehmen IPED regelmässig, trauen sich aber – aus Scham oder Angst vor einer Stigmatisierung – nicht, mit medizinischen Fachpersonen darüber zu sprechen oder Hilfe zu suchen.
• Akute Nebenwirkungen während und nach der Anwendung sowie Spätfolgen für alle Organsysteme sind häufig. Häufige in der Praxis auftretende Nebenwirkungen während der Anwendung sind Akne, Bluthochdruck, Gynäkomastie, Libidoveränderungen, Oligo- oder Azoospermie und Lipidstoffwechselstörung.
• IPED-Anwendende benötigen einen niederschwelligen Zugang mit hoher Glaubwürdigkeit zur Schadensminderung und eine interdisziplinäre Unterstützung aus der Suchtmedizin und -psychologie, der Sportpsychia­trie und -psychotherapie sowie Inneren Medizin und Endokrinologie.
• Fachpersonen in der Praxis sollten Anfragen von IPED-Anwendenden ernst nehmen, ohne zu werten, die Schuldfrage vermeiden und bei Bedarf an eine spezialisierte Fachstelle weiterleiten.
Die Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Dr. med. Samuel Iff
Sahlistrasse 1
CH-3012 Bern
samuel.iff[at]pm.me
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