Venöse Thromboembolien im Rahmen der Schwangerschaft
Schweizer Expertenkommentar: ASH 2018 Guidelines for Management of Venous Thromboembolism

Venöse Thromboembolien im Rahmen der Schwangerschaft

Aktuell
Ausgabe
2021/4142
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08870
Swiss Med Forum. 2021;21(4142):696-701

Affiliations
a Abteilung für Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor, Luzerner Kantonsspital, Luzern; b Service d’angiologie et d’hémostase, Hôpitaux Universitaires de Genève et Faculté de Médecine, Genève; c Universitäts-Frauenklink, Inselspital Bern, Universität Bern

Publiziert am 13.10.2021

Schweizer Expertenkommentar zu den «American Society of Hematology (ASH) 2018 Guidelines for Management of Venous Thromboembolism».

Einleitung

Die Schwangerschaft geht mit einem erhöhten Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) einher. Das Risiko liegt bei zirka 1–2 auf 1000 Schwangerschaften. Obwohl die Inzidenz in den letzten Jahrzehnten gesunken ist, sind VTE in der westlichen Welt weiterhin ein führender Grund für mütterliche Morbidität und Mortalität. Prävention, Diagnostik und Therapie thromboembolischer Ereignisse stellen im Kontext der Schwangerschaft eine ­besondere Herausforderung dar, da neben dem mütterlichen auch dem fetalen/kindlichen Wohlergehen Rechnung getragen werden muss. Die allgemeinen Empfehlungen zu VTE müssen deshalb für die Population der Schwangeren adaptiert werden.
Die Richtlinien des «American College of Chest Physi­cians» (ACCP) aus dem Jahr 2012 betreffend VTE in der Schwangerschaft [1] wurden durch die neuen «American Society of Hematology (ASH) 2018 Guidelines» [2] aktualisiert. Dieser Artikel hat zum Ziel, das Wichtigste der ASH-Guidelines aus dem Kapitel «Venous thromboembolism in the context of pregnancy» zusammenzufassen, im Kontext Schweizer Gegebenheiten kritisch zu betrachten und durch alltagsrelevante Zusatzinformationen zu ergänzen.

Zusammenfassung der wichtigsten Empfehlungen

Diagnostik von VTE

1. Bei schwangeren Frauen mit Verdacht auf Lungenembolie (LE) wird die Durchführung einer Ventilations/Perfusions-(V/P-)Lungenszintigraphie einer computertomographischen (CT-) Angiographie gegenüber bevorzugt empfohlen (schwache Empfehlung, niedriges Evidenzlevel).
2. Bei schwangeren Frauen mit Verdacht auf eine tiefe Beinvenenthrombose (TVT) werden Zusatzabklärungen mittels serieller Kompressionssonographie oder Magnetresonanz-Venographie empfohlen, falls die initiale Kompressionssonographie mit Darstellung der Iliakalvenen unauffällig ausfällt (schwache Empfehlung, niedriges Evidenzlevel).

Therapie von akuten VTE und oberflächlichen Venenthrombosen

1. Eine antithrombotische Therapie akuter venöser Thromboembolien in der Schwangerschaft ist erforderlich (starke Empfehlung, hohes Evidenzlevel). Die niedermolekularen Heparine (NMH) stellen dabei die Medikamente der ersten Wahl dar und werden aufgrund ihres Sicherheitsprofils den anderen Antikoagulantien gegenüber vorgezogen (starke Empfehlung, moderates Evidenzlevel).
2. Unter Therapie mit einem NMH stellt sowohl das einmal tägliche wie auch das zweimal tägliche Applikations­regime eine Option dar (schwache Empfehlung, sehr niedriges Evidenzlevel). Es wird empfohlen, von einer routinemässigen Bestimmung des Anti-Xa-Spiegels abzusehen (schwache Empfehlung, niedriges Evidenzlevel).
3. Bei sonographisch bewiesener oberflächlicher Venenthrombose wird eine Therapie mit einem NMH empfohlen. Sowohl eine prophylaktische wie auch eine intermediäre Dosis werden als Optionen genannt (schwache Empfehlung, niedriges Evidenzlevel).
4. In der Stillzeit werden Heparine (NMH und unfraktioniertes Heparin [UFH]), Fondaparinux, die Vit­amin-K-Antagonisten (VKA) Acenocoumarol und Warfarin wie auch Danaparoid allesamt als sichere Therapieoptionen empfohlen (starke Empfehlung, niedriges Evidenzlevel).Vom Einsatz der direkten oralen Antikoagulantien (DOAC) hingegen wird abgeraten (starke Empfehlung, sehr niedriges Evidenzlevel).

Peripartales Antikoagulationsmanagement

1. Unter therapeutischer, nicht aber unter prophylaktischer Antikoagulation wird eine geplante Geburt (Geburtseinleitung oder Sectio) mit vorgängigem Pausieren des NMHs empfohlen (schwache Empfehlung, sehr niedriges Evidenzlevel).

Prophylaxe von VTE

1. Insofern nicht bereits eine langfristige Antikoagulation besteht, ist bei Anamnese einer unprovozierten oder aber durch einen hormonellen Risikofaktor ­begünstigten VTE eine antepartale Thromboembolieprophylaxe erforderlich (starke Empfehlung, niedriges Evidenzlevel). Bei Anamnese einer provozierten VTE (passagerer, nicht hormoneller Provokationsfaktor) und Fehlen anderweitiger Risikofaktoren wird eine antepartale Prophylaxe hingegen nicht empfohlen (schwache Empfehlung, niedriges Evidenzlevel).
2. Bei Anamnese einer VTE ist in jedem Fall eine postpartale VTE-Prophylaxe erforderlich (starke Empfehlung, niedriges Evidenzlevel).
3. Bei Frauen mit Thrombophilie vom Typ heterozygote Faktor-V-Leiden-Mutation, heterozygote Prothrombin-Mutation, Protein-C- oder Protein-S-Mangel mit jedoch blander persönlicher VTE-Anamnese wird eine anteparatale VTE-Prophylaxe nicht empfohlen (schwache Empfehlung, sehr niedriges Evidenzlevel).
4. Bei maximal einem klinischen Risikofaktor, ausgenommen einer bekannten Thrombophilie oder stattgehabten VTE, wird eine ante- oder postpartale VTE-Prophylaxe nicht empfohlen (schwache Empfehlung, niedriges Evidenzlevel).

Änderungen gegenüber vorausgehenden ACCP-Guidelines und Bewertung aus Schweizer Sicht:

Die Empfehlungen der aktuellen ASH-Guidelines unterscheiden sich in den wesentlichen Punkten nicht von denjenigen der 9. Ausgabe der ACCP-Guidelines. Im Folgenden sollen einige wichtige Empfehlungen und Änderungen kurz diskutiert und durch eine ­Bewertung aus Schweizer Sicht ergänzt werden.

Diagnose von VTE

Für die Diagnose einer LE sind die CT-Angiographie und V/P-Lungenszintigraphie sowohl hinsichtlich diagnostischer Performance wie auch hinsichtlich Sicherheitsprofil für den Feten ebenbürtige Untersuchungen. Der theoretische Vorteil der V/P-Lungenszintigraphie liegt in einer geringeren Strahlenexposition des mütterlichen Brustgewebes. Die ASH-Guidelines empfehlen, die Szinthigraphie einer pulmonalen CT-Angiographie vorzuziehen. Der technische Fortschritt der letzten Jahre hat jedoch eine Reduktion der Strahlendosis bei der Computertomographie zugelassen. Seit Publikation der ASH-Guidelines konnten zwei grosse diagnostische Management-Kohorten [3, 4] Sicherheit und Nutzen der pulmonalen CT-Angiographie bei Schwangeren mit Verdacht auf LE aufzeigen. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse wie auch der eingeschränkten Verfügbarkeit der V/P-Lungenszinthigraphie in den Schweizer Spitälern können wir obige Empfehlung der ASH-Guidelines nicht unterstützen. Aus unserer Sicht stellt die pulmonale CT-Angiographie eine gleichwertige diagnostische Option der ersten Wahl dar. Es sollen jedoch schwangerschaftsadaptierte Protokolle mit möglichst geringer Strahlendosis zur Anwendung kommen.
Die ASH-Guidelines thematisieren die Rolle der D-­Dimere im Abklärungsalgorithmus von VTE nicht. ­Basierend auf der Genfer-Kohorte zum diagnostischen Management von LE in der Schwangerschaft schliesst ein D-Dimer-Wert <500 ng/ml in Kombination mit ­einer nicht hohen Vortestwahrscheinlichkeit eine LE ohne zusätzliche Bildgebung aus [3].
Auch hinsichtlich des diagnostischen Vorgehens bei Verdacht auf eine TVT weichen unsere Empfehlungen von denjenigen der ASH-Guidelines ab. Letztere empfehlen Zusatzabklärungen mittels serieller Kompressionssonographie oder Magnetresonanz-Venographie, sollte die initiale Kompressionssonographie mit Darstellung der Iliakal­venen keine Auffälligkeiten zeigen. Sowohl eine retrospektive Beobachtungsstudie [5] als auch eine prospektive diagnostische Management-Studie [6] konnten die Sicherheit eines einzigen, aber vollständigen Kompressionsultraschalls in diesem Setting aufzeigen. Eine vollständige Untersuchung beinhaltet die Darstellung der proximalen und distalen Bein­venen einschliesslich der Iliakalachse. Aus unserer Sicht reicht ein einziger vollständiger und negativer Kompressionsultraschall somit meistens aus, um die Diagnose einer TVT auszuschliessen.

Therapie schwangerschaftsassoziierter VTE

Niedermolekulare Heparine

Die NMH stellen unverändert die Therapie der ersten Wahl einer VTE in der Schwangerschaft dar. Gemäss den ASH-Guidelines kann sowohl das einmal tägliche wie auch das zweimal tägliche Applikationsregime zur Anwendung kommen. Grundsätzlich bevorzugen wir die zweimal tägliche Applikation, insbesondere bei Therapie­beginn. Im Anschluss an die initiale Antikoagulationsphase von 4–6 Wochen kann ein Wechsel auf ein einmal tägliches Regime zwecks Verbesserung der Therapieadhärenz empfohlen werden. Aufgrund der grössten Erfahrung in Studien sollten in der Schwangerschaft und Stillzeit Dalteparin oder Enoxaparin eingesetzt werden.
Eine routinemässige Laborkontrolle der NMH-Therapie mittels Anti-Xa-Aktivität wird nicht empfohlen. Wir möchten jedoch darauf hinweisen, dass die Bestimmung der Anti-Xa-Aktivität (Spitzenspiegel 2–5 Stunden nach Applikation) in speziellen Situationen wie zum Beispiel bei extremem Gewicht, schwerer Niereninsuffizienz, Blutungskomplikationen oder VTE-Rezidiv unter NMH-Therapie durchaus sinnvoll sein kann. Hiermit kann ein adäquater antikoagulatorischer ­Effekt überprüft werden.
Auf die Frage der Therapiedauer und Therapieintensität gehen die neuen Guidelines nicht mehr ein. Die 9. Ausgabe der ACCP-Guidelines empfehlen das Fortführen der Therapie über die gesamte Schwangerschaft hinweg bis und mit 6 Wochen postpartal mit ­einer minimalen Gesamtdauer von 3 Monaten. Diese Empfehlung sollte unverändert befolgt werden.
Ungewiss bleibt hingegen die notwendige Therapie­intensität. Tumorassoziierte Thrombosen weisen ein vergleichsweise deutlich höheres Rezidivrisiko auf. In diesem Setting wurde eine Dosisreduktion des NMHs auf 75% der volltherapeutischen Dosis (d.h. Reduktion von 200 IE/kg Körpergewicht [KG] auf 150 IE/kg KG) nach Abschluss von 4 Therapiewochen erfolgreich umgesetzt, hauptmotiviert durch das in dieser Population deutlich erhöhte Blutungsrisiko. Die ACCP-Guidelines diskutierten die Dosisreduktion bei VTE in der Schwangerschaft als Option bei erhöhtem Blutungs- oder ­Osteoporoserisiko. Eine später publizierte systematische Übersichtsarbeit mit Einschluss von 152 Schwangeren mit akuter VTE, bei denen innerhalb von sechs Wochen nach VTE-Diagnose eine Dosisreduktion des NMHs auf eine intermediäre Dosis erfolgte, zeigte ein sehr geringes Rezidivrisiko (1/152) [7]. In Anbetracht dessen scheint uns eine Dosisreduktion auf beispielsweise 75% der volltherapeutischen Dosis im Anschluss an die ersten 4–6 Therapiewochen in voller Dosierung eine Option für ausgewählte Situationen. Eine Dosisreduktion kann beispielsweise bei Patientinnen mit Niedrigrisiko-VTE wie einer distalen TVT oder einer VTE nach passagerer Immobilisation oder aber bei erhöhtem Blutungsrisiko diskutiert werden. Im Kontext eines gravierenden thromboembolischen Ereignisses würden wir jedoch von einer Dosisreduktion absehen.

Direkte orale Antikoagulantien

DOAC sind relativ kleine Moleküle, die die Plazenta passieren können. In Tiermodellen weisen Rivaroxaban und Dabigatran embryotoxische Effekte auf [8]. Eine Fall-Review von 233 DOAC-exponierten Schwangerschaften zeigte kein hohes Embryopathierisiko auf [9]. Anderweitige klinische Daten hinsichtlich reproduktiver Toxizität im Menschen fehlen jedoch weitgehend. In Konkordanz mit den 2016 publizierten Empfehlungen der internationalen Gesellschaft für Thrombose und Hämostase (ISTH) [8] erachten wir den Einsatz der DOAC bei Schwangeren weiterhin als klar kontraindiziert.

Antikoagulation in der Stillzeit

Die Empfehlungen zum Einsatz der verschiedenen Anti­koagulantien in der Stillzeit bleiben bis auf eine kleine Adaptation betreffend Fondaparinux unverändert. Letzteres wird neu als sichere Therapieoption betrachtet.
Im Gegensatz zu den kurz wirksamen VKA Acenocoumarol und Warfarin, die nicht in die Muttermilch sezerniert werden, wird das lipophilere Phenprocoumon in äusserst geringem Ausmass sezerniert. Aufgrund dessen nennen die ASH-Guidelines Phenprocoumon lediglich als Reserveoption bei instabilem INR unter Acenocoumarol oder bei fehlender Verfügbarkeit von Warfarin. Da die in Studien nachgewiesenen Medikamentenspiegel beim Säugling jedoch sehr tief sind [2], erachten wir die beiden in der Schweiz gebräuchlichen VKA Acenocoumarol und Phenprocoumon als gleichwertige und sichere ­Therapieoptionen. Bei Antikoagulation mit Phenprocoumon wird sicherheitshalber eine perorale Vitamin-K-Substitution für den Säugling empfohlen (1×/Woche 2 mg Konakion® MM paediatric p.o).
Tabelle 1 fasst unsere adaptierten Empfehlungen der ASH-Guidelines 2018 zur medikamentösen Therapie von VTE in der Schwangerschaft/Stillzeit zusammen.
Tabelle 1: Empfehlungen zur medikamentösen Therapie venöser Thromboembolien während Schwangerschaft und Stillzeit, in Anlehnung an die ASH-Guidelines 2018 [2].
SubstanzklasseEmpfehlung
 SchwangerschaftStillzeit
NMHTherapie der Wahl, in voller ­Dosierung (gewichtsadaptiert)a; Verabreichung entweder 1×/Tag (z.B. Dalteparin 1× 200 IE/kg KG) oder 2×/Tag (z.B. Dalteparin 2× 100 IE/kg KG oder Enoxaparin 2× 1 mg/kg KG)Sichere Therapieoption, ­zusammen mit VKA Therapie der ersten Wahl.
UFHReserveoption (bei schwerer Niereninsuffizienz oder sehr ­hohem Blutungsrisiko)bSichere Therapieoption, Ausnahmesituationen vor­behalten.
DanaparoidIn Ausnahmesituationen, falls Heparine kontraindiziert (HIT oder schwere kutane allergische Reaktionen)cSichere Therapieoption, Ausnahmesituationen vor­behalten.
FondaparinuxIn Ausnahmesituationen, falls Heparine kontraindiziert und Danaparoid nicht verfügbardSichere Therapieoption, wenn Heparine nicht möglich.
VKANicht empfohleneSichere Therapieoption, zusammen mit LMWH-Therapie der ersten Wahl.
Unter Phenprocoumon dem Säugling 2 mg Konakion® MM 1×/Woche applizieren.
DOACKontraindiziertfKontraindiziert f
a) Gegebenenfalls in Niedrigrisikosituation oder bei erhöhtem Blutungsrisiko Dosisreduktion auf 75% nach 4–6 Wochen in Erwägung ziehen.
b) Im Vergleich mit NMH höheres Risiko für Osteoporose und HIT, kürzere Halbwertszeit, vollständig antagonisierbar.
c) Nicht plazentagängig, in der Schweiz nur für Therapie der HIT zugelassen.
d) In geringer Menge plazentagängig, wenige Daten zum Einsatz in Schwangerschaft.
e) Teratogenes Potential, erhöhtes Risiko für Aborte, fetale Blutungen und Entwicklungsdefizite.
f) Plazentagängig, reproduktive Effekte im Menschen unbekannt, wahrscheinlich auch Sekretion in Muttermilch.
ASH: «American Society of Hematology»; NMH: niedermolekulares Heparin (Dalteparin, Enoxaparin); UFH: unfraktioniertes Heparin; VKA: Vit­amin-K-Antagonist (Acenocoumarol, Phenprocoumon, Warfarin); DOAC: direktes orales Antikoagulans (Apixaban, Dabigatran, Edoxaban, Rivaroxaban); HIT: heparininduzierte Thrombozytopenie.

Peripartales Antikoagulationsmanagement

Bei therapeutisch antikoagulierten Patientinnen wird gemäss ASH-Guidelines eine geplante Geburt empfohlen, das heisst Geburtseinleitung oder bei gegebener Indikation eine elektive Sectio. Dieses Vorgehen, das ein zeitgerechtes Pausieren des NMHs erlaubt, soll den postpartalen Blutverlust minimieren und die Durchführung einer neuroaxialen Anästhesie ermöglichen. Die Datenlage, die diese Empfehlung stützt, ist jedoch sehr dürftig. Falls eine vaginale Geburt angestrebt wird, stellt das Abwarten spontaner Wehen aus unserer Sicht einen gangbaren Weg dar. Eine neuroaxiale Anästhesie ist bei spontaner Geburt unter Umständen jedoch nicht möglich. Tabelle 2 fasst die notwendigen Zeitintervalle zwischen NMH-Applikation und neuroaxialer Aanästhesie zusammen.
Tabelle 2: Zeitintervalle für neuroaxiale Anästhesie bei Patientinnen unter Antikoagulation mit Heparinen [11].
SubstanzHWZIntervall vor Punktion
UFH, therapeutische Dosis, i.v.2–3 h4–6 h
LMWH, therapeutische Dosis, s.c.4–6 h24 h
LMWH, prophylaktische Dosis, s.c. 12 h
Fondaparinux*, therapeutische ­Dosis, s.c.15–20 hNeuroaxiale Anästhesie sollte vermieden werden (lange HWZ)
* Nur in Ausnahmesituationen (Heparine kontraindiziert, Danaparoid nicht verfügbar) angewendet.
Anmerkung: Die HWZ kann im Falle einer schweren Niereninsuffizienz deutlich verlängert sein. ­Können die aufgeführten Intervalle nicht eingehalten werden, stellt die Bestimmung der Anti-Xa-Aktivität eine hilfreiche Option dar. Kommt diese <0,1 E/ml zu liegen, kann die neuroaxiale Punktion erfolgen respektive es muss nicht mit einem erhöhten Blutungsrisiko durch das Heparin gerechnet werden.

HWZ: Halbwertszeit; UFH: unfraktioniertes Heparin; LMWH: niedermolekulares Heparin.
Die schwangere Frau soll über beide Varianten mit jeweiligen Vor- und Nachteilen aufgeklärt werden mit dem Ziel einer gemeinsamen Entscheidungsfindung («shared decision»). In jedem Fall ist die Instruktion wichtig, dass bei Einsetzen der Wehen respektive bei Blasensprung das NMH nicht mehr appliziert werden darf. Bei einmal täglichem Applikationsregime sollte peripartal auf ein zweimal tägliches Regime gewechselt werden.
In Situationen mit deutlich erhöhtem VTE-Rezidiv­risiko, insbesondere bei VTE <4 Wochen präpartal, empfehlen wir hingegen eine geplante Geburt. Eine peripartale Umstellung auf ein UFH sollte zudem diskutiert werden. Bei allfälliger Umstellung auf UFH sollte dieses 4–6 Stunden vor antizipierter ­Geburt sistiert und dann rund sechs Stunden postpartal wieder initiiert werden.
Ergänzend möchten wir darauf hinwiesen, dass die Antikoagulation per se keine Indikation für eine Sectio caesarea darstellt und sich der Geburtsmodus primär nach den geburtshilflichen Kriterien richten soll.

Prophylaxe von ­schwangerschaftsassoziierten VTE

Prophylaxe – keine vorbestehende ­Antikoagulation

Es ist unbestritten, dass bei Anamnese einer unprovozierten oder durch einen hormonellen Risikofaktor begünstigten VTE eine ante- und postpartale VTE-Prophylaxe mit einem NMH erforderlich ist.
Bei Anamnese einer provozierten VTE mit starkem, nicht hormonellem Provokationsfaktor wie beispielsweise einer vorausgehenden Operation wird hingegen lediglich eine postpartale Prophylaxe empfohlen. In Einzelfällen erachten wir unter Mitberücksichtigung weiterer Risikofaktoren (siehe Tab. 3) eine Prophylaxe auch in dieser Situation als angezeigt.
Tabelle 3: Klinische Risikofaktoren für venöse Thromboembolien (VTE) in der Schwangerschaft und postpartal (adaptiert nach [10]).
Immobilisierung (insbesondere bei BMI >25 kg/m2)
Rauchen
Komorbiditäten (u.a. SLE, Herzerkrankung, Sichelzellanämie)
Adipositas (BMI >30 kg/m2)
Assistierte reproduktive Therapie
Mehrlingsschwangerschaft
Präeklampsie
Fetale Wachstumsretardierung
Frühgeburtlichkeit
Postpartale Komplikationen: Blutung, Infektion
Sectio caesarea
Anmerkung: Die meisten Risikofaktoren haben nur einen moderaten Effekt auf das VTE-Risiko, der Effekt bei Kombination verschiedener Risikofaktoren ist weitgehend unklar. Die Reihenfolge der aufgelisteten Risikofaktoren richtet sich nicht nach deren Stärke.
BMI: Body-Mass-Index; SLE: systemischer Lupus erythematodes.
In der Primärprophylaxe bei Frauen ohne vorausgehende VTE basieren die Empfehlungen auf dem Vorhandensein / der Ausprägung einer allfälligen Thrombophilie, klinischer Risikofaktoren für eine VTE wie auch der Familienanamnese betreffend VTE. In den ASH-Guidelines wurde eine VTE-Risikoschwelle von ~2% für die Empfehlung einer antepartalen und ~1% für die Empfehlung einer postpartalen Prophylaxe verwendet. Von den Empfehlungen der ACCP-Guide­lines 2012 weichen die ASH-Guidelines nur wenig ab. Neu ist:
– Bei allen asymptomatischen Frauen mit homozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation oder kombinierten Thrombophilien ist nebst der postpartalen neu auch eine antepartale Prophylaxe empfohlen.
– Bei asymptomatischen Frauen mit Antithrombinmangel und positiver Familienanamnese wird nebst der postpartalen neu auch eine antepartale Prophylaxe empfohlen.
– Die Empfehlung zur postpartalen Prophylaxe bei asymptomatischen Frauen mit heterozygoter Faktor-V-Leiden- oder Prothrombin-Mutation und positiver Familienanamnese wird dagegen nicht mehr aufrechterhalten.
Hier muss jedoch angemerkt werden, dass mangels ­guter Evidenz beträchtliche Unsicherheiten betreffend der optimalen Prophylaxestrategien bestehen. Infolgedessen unterscheiden sich die Empfehlungen verschiedener bedeutender Organisationen (u.a. «Royal College of Obstetricians and Gynecologists», American College of Obstetricians and Gynecologists», «Society of Obstetricians and Gynecologists of Canada», «American College of Chest Physicians») [10]. Da das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen durch die Prophylaxe zudem als klein einzuschätzen ist [2], verfolgen wir in der Primärprophylaxe eine weniger restriktive Indikationsstellung als die ASH-Guidelines. Eine Gegenüberstellung der Empfehlungen ist in Tabelle 4 zusammengefasst.
Tabelle 4: Empfehlungen zur Prophylaxe schwangerschaftsassoziierter VTE bei asymptomatischen Frauen mit Thrombophilie, in Anlehnung an die ASH-Guidelines 2018 [2].
 VTE-Prophylaxe nach Risikoprofil
  ASH-GuidelinesUnsere Empfehlungen
ThrombophilieFamilienanamnese für VTE*Prophylaxe ­antepartal Prophylaxe ­postpartal Prophylaxe ­antepartalProphylaxe ­postpartal
Heterozygote Faktor-­V-Leiden-Mutation+---
--- (✓)
Homozygote Faktor-­V-Leiden-Mutation+
Heterozygote ­Prothrombin-Mutation+---
---(✓)
Homozygote ­Prothrombin-­Mutation+N/A
-
Kombinierte Thrombophilie (Compound Heterozygotie)+
Protein-C-Mangel+-(✓)
--(✓)
Protein-S-Mangel+-(✓)
--(✓)
Antithrombinmangel+
--(✓)
* Positive Familienanamnese: VTE bei erstgradig Verwandten.
ASH: «American Society of Hematology»; VTE: venöse Thromboembolie; -: keine Prophylaxe empfohlen; : Prophylaxe empfohlen; (): Prophylaxe nur bei zusätzlichen Risikofaktoren (siehe auch Tabelle 3) empfohlen; N/A: Das Gremium war nicht in der Lage, eine evidenzbasierte Empfehlung abzugeben.
Wir erachten jedoch ein individualisiertes Vorgehen als äusserst wichtig. Dabei sollten zusätzlich auch klinische Risikofaktoren (Tab. 3) sowie der Wunsch der Patientin nach Diskussion von potentiellem Nutzen (Reduktion des VTE-Risikos) und potentiellem Schaden der Prophylaxe (Blutungsrisiko, lokalisierte Hautreaktionen, tägliche Spritzenapplikation) berücksichtigt werden. Die ASH-Guidelines diskutieren die Indikation zur ante- und postpartalen VTE-Prophylaxe auf der ­Basis klinischer Risikofaktoren nicht detailliert. Diesbezüglich möchten wir gerne auf die Guidelines des «Royal College of Obstetricians and Gynecologists» (RCOG) von 2015 [11] verweisen, die einen umfassenden Ansatz mit Kombination verschiedener Risikofaktoren verwenden, um die Indikation für eine VTE-Prophylaxe zu definieren.
Bei Frauen mit schwerer Thrombophilie wie einem Inhibitormangel, einer homozygoten Mutation oder einer kombinierten Thrombophilie erachten wir eine präkonzeptionelle hämostaseologische Beurteilung als angezeigt.
Der Zeitpunkt des Beginns der antepartalen Prophylaxe wird in den Guidelines nicht thematisiert. In Übereinstimmung mit dem 2016 publizierten «Guidance ­Paper» von Bates et al. [10] empfehlen wir, diese früh und somit im ersten Trimenon zu beginnen und bis und mit 6 Wochen postpartal fortzuführen.
Die ASH-Guidelines empfehlen antepartal eine standardisierte NMH-Dosis (z.B. Dalteparin 5000 IE s.c. 1×/Tag, Enoxaparin 40 mg s.c. 1×/Tag) und erachten postpartal die standardisierte NMH-Dosis gegenüber der intermediären Dosis (Dalteparin 100 IE/kg KG s.c. 1×/Tag oder Enoxaparin 1 mg/kg KG s.c. 1×/Tag) als gleichwertige Option. Aus unserer Sicht ergibt sich in aller Regel keine Indikation für eine höhere postpartale Dosis als die übliche präpartale, prophylaktische Dosis.

Rezidivprophylaxe – vorbestehende ­Antikoagulation

Die ASH-Guidelines decken die Rezidivprophylaxe bei Patientinnen mit vorbestehender Antikoagulation nicht ab. Da die meisten Patientinnen unter langfristiger Antikoagulation mit einem DOAC therapiert werden, die DOAC in der Schwangerschaft jedoch kontraindiziert sind (siehe Abschnitt «Therapie schwangerschaftsassoziierter VTE»), möchten wir den Aspekt der Therapieumsetzung kurz beleuchten. Gemäss ­einem «Guidance Paper» der ISTH zum Management von DOAC bei gebärfähigen Frauen [8] wird die präkonzeptionelle Therapieumstellung auf ein NMH oder einen VKA empfohlen. Aufgrund des gut dokumentierten Nebenwirkungspotentials der VKA (Teratogenität, erhöhtes Abortrisiko) stehen wir einer präkonzeptionellen Umstellung auf einen VKA, insbesondere auf Phenprocoumon mit langer Halbwertszeit (HWZ), äus­serst kritisch gegenüber. Wir empfehlen in erster Linie, eine präkonzeptionelle Umstellung auf ein NMH mit der Patientin zu besprechen. Dieses Vorgehen kann jedoch in einer prolongierten Phase subkutaner Injektionen resultieren. Da anhand der aktuellen Daten nicht von einem hohen Embryopathierisiko unter DOAC-Exposition ausgegangen werden muss und die DOAC zudem eine kurze HWZ aufweisen, ­erachten wir das sofortige Therapieumsetzen bei positivem Schwangerschaftstest als eine vertretbare ­Alternative. Dieses Vorgehen setzt die frühzeitige Durchführung eines Schwangerschaftstests durch die Patientin voraus. Sollte unter Therapie mit einem DOAC eine ungeplante Schwangerschaft eintreten, ist dies alleine kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. Das DOAC sollte unverzüglich sistiert und durch ein NMH ersetzt werden. Gleichzeitig ist eine ausführliche pränatalmedizinische Beratung angezeigt [8].
Die Kommentare von Schweizer Expertinnen und Experten wurden durch die Firmen Bayer (Schweiz) AG, Pfizer und Sanofi-Aventis (Schweiz) AG mit einem «unrestricted educational grant» unterstützt.
Dr. med.
Sabine Ruosch-­Girsberger
Abteilung für Hämatologie und Hämatologisches ­Zentrallabor
Luzerner ­Kantonsspital
Spitalstrasse
CH-6000 Luzern 16
sabine.ruosch[at]luks.ch
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