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Fokus auf ... Familiärer Hypercholesterolämie
– Die Krankheit kommt in einer Frequenz von 1:300 in der Allgemeinbevölkerung vor (noch höher bei Individuen mit kardiovaskulären Erkrankungen).
– Bei dieser Frequenz werden in jeder Hausarztpraxis 6–10 Indexpatienten gesehen (mit Chance für Prävention in deren Familien).
– Die Diagnose wird im Mittel erst etwa im Alter von 44 Jahren gestellt.
– Für jeden LDL-Wert ist das kardiovaskuläre Risiko höher als bei nicht familiärer Hypercholesterolämie (weil der Risikofaktor schon lebenslang präsent war).
– Eine Kenntnis der Diagnose ist therapeutisch wichtig, da die Mehrzahl dieser Patientinnen und Patienten mit einem Statin allein die LDL-Zielwerte nicht erreichen werden.
– Weibliches Geschlecht ist leider ein zusätzlicher Risikofaktor: noch spätere Diagnose, weniger intensive Therapien, tiefere Wahrscheinlichkeit, die LDL-Zielspiegel zu erreichen, als bei Männern.
Lancet. 2021, doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01122-3 und doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01372-6.
Verfasst am 09.09.2021.
Praxisrelevant
Verkehrslärm und Zunahme der Demenz
Mehr als ein Achtel der Schweizer Bevölkerung bezeichnet sich als relevant lärmgeplagt. Dabei ist der Verkehrslärm eine der wesentlichsten Ursachen. Der motorisierte Verkehr hat an Dichte und an irrationalen, illegalen und technisch völlig unnötigen Lärmquellen zugenommen (übermotorisierte, viel zu schwere Privatfahrzeuge, Poser, hochgetrimmte Motorfahrräder, andere zunehmende Rücksichtslosigkeiten u.a.m). Dazu kommen in Ballungszentren «verdichtende» Bauweisen, die die Brechung des ungebetenen Schalllärms vermindern.
Paris und Lausanne haben mit Tempo 30 einen wichtigen Schritt getan, in Zürich – sogar für die berüchtigte Rosenstrasse – ist das noch umstritten.
Vielleicht schlechte Aussichten für die Bevölkerung der letzteren Stadt und alle anderen, wo zu wenig passieren wird: Laut einer dänischen Studie mit knapp 2 Millionen Menschen im Alter von ≥60 Jahren, exponiert über mindestens zehn Jahre, führte jeder Verkehrslärm (Bahn und Strasse, laut Lärmkatastern) zu einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz – vor allem einem Morbus Alzheimer – zu erkranken. Spitzenwerte über 65 dB und mittlere Lärmwerte über 55 dB waren speziell starke Risikofaktoren.
Kohorten ergeben Assoziationen, keine direkte Kausalität, aber angesichts der (zunehmenden) Grösse des Problems sind Klärungen und Interventionen von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit.
Dass durch Eisen- und/oder Vitamin-B12-Mangel bedingte Anämien nach bariatrischer Chirurgie ohne entsprechende Substitution auftreten, ist allgemein bekannt. Wie gross ist das Problem bei Patientinnen und Patienten, die sogar diesbezüglich instruiert und kontrolliert werden?
4047 adipöse Individuen (2007 davon bariatrisch operiert, 2040 in einem nicht operativen Gewichtsreduktionsprogramm) wurden in Schweden im Median zehn Jahre nachkontrolliert. Über diese Zeitperiode war die kumulative Inzidenz mindestens einer Anämieepisode bei den Operierten deutlich höher. Am höchsten – nicht überraschend – bei den Magen-Bypass-Operationen mit einer Inzidenz von fast 70%, das heisst über fünf Mal mehr als in der Kontrollgruppe. Die mittlere Hämoglobinkonzentration bei der Magen-Bypass-Gruppe lag bei Frauen und Männern chronisch etwa 10 g/dl tiefer. Die Autorinnen und Autoren betonen die Wichtigkeit regelmässiger Kontrollen und gesicherter Eisen- und Vitamin-B12-Substitutionen.
Eine interessante, unbeantwortete Frage ist, ob ein etwas tieferer Hämatokrit aufgrund der verbesserten Fliesseigenschaften des Blutes und der verbesserten Sauerstoffaufnahme (VO2) nicht auch positive Effekte haben könnte.
COVID-19-Neuigkeiten: topische Steroide und heterologe Impfstrategie
Inhaliertes Budenosid (2× 800 μg/Tag für 14 Tage) vermochte bei symptomatischen Patientinnen und Patienten (>65-jährig, respektive >50-jährig bei Komorbiditäten) die Zeit bis zur Symptomfreiheit zu beschleunigen. Ein positiver Effekt auf die Hospitalisationsrate und Mortalität ist möglich, aber in dieser Studie nicht konklusiv zu beurteilen [1].
Die sequentielle Kombination eines mRNA-Impfstoffs mit einem Adenovirus-basierten Impfstoff (Pfizer/Biontech und ChAdOx1) in der Grundimmunisierung gegen COVID-19 scheint sicher zu sein. Die humorale Immunantwort gegen das S1-(Spike-)Protein war bei der heterologen Impfung sogar intensiver als bei einer homologen Impfung. Allerdings war die Kontrolle eine Gruppe mit Doppelimpfung mit ChAdOx1. Eine doppelt mit mRNA-Vakzine geimpfte Gruppe fehlt leider [2].
Nukleinsäuren oder andere Moleküle, die genetische Modifikationen bei Erbkrankheiten wie der Muskeldystrophie induzieren, sind vorhanden. Ein grosses Problem ist aber die ineffiziente oder unselektive Aufnahme im Zielorgan.
Durch In-vivo-Modulation (Maus, Affen) eines Transportvektors («adeno-associated virus» [AAV]) konnten Viruslinien selektioniert werden, die in ihrer Hülle (dem Capsid) Aminosäurensequenzen enthalten, die mit grosser Effizienz an Skelettmuskelzellen binden können. Die In-vivo-Zufuhr dieser AAV war hochselektiv für Herz- und Skelettmuskelzellen. Unter anderem in einem Mausmodell der Duchenne Muskeldystrophie konnte ein klinisch eindrücklicher Effekt auf die Skelett- und Herzmuskulatur nachgewiesen werden.
Anscheinend können die bei Mäusen/Affen induzierten Viren in verschiedenen Spezies angewendet werden. Ein potentiell wichtiger Schritt für die bessere Behandlung kongenitaler Myopathien!
Phosphatmangel als Vorbedingung für eine alkoholinduzierte Pankreatitis?
Warum eine Pankreatitis nach schwerem Alkoholkonsum nur bei einem Teil der Patientinnen und Patienten auftritt, ist unbekannt. Auch ist es schwierig, eine alkoholinduzierte Pankreatitis bei Tieren auszulösen.
Die Hypothese der vorliegenden Arbeit ist, dass der vorgängige Phosphatmangel (ein typisches Phänomen bei schwerem Alkoholkonsum) die Verfügbarkeit energiereicher Phosphate im Pankreas limitiert und – angesichts deren hohen metabolischen Aktivität – Pankreaszellen schädigt. Bei Mäusen konnte in der Tat nur bei vorbestehender Phosphatdepletion eine Pankreatitis ausgelöst werden, während eine Korrektur der Phosphatdepletion präventiv/therapeutisch sehr wirksam war.
Die Daten sehen ziemlich eindrücklich und robust aus. Auch wenn die Evidenz beim Menschen zu replizieren bleibt, ist bei Alkoholkranken eine vermehrte Aufmerksamkeit für das Vorliegen einer Phosphatdepletion (Phosphat im Blut und gleichzeitig im Urin messen, beide sollten tief sein) und deren vorsorgliche Korrektur keine schlechte Idee.
Bis Anfang der 1950er Jahre wurden Patientinnen und Patienten mit respiratorischem Versagen wegen Poliomyelitis ausschliesslich mit negativem thorakalem Unterdruck zur Entfaltung der Lungen («eiserne Lunge», entwickelt 1929) behandelt. Während der überwältigenden Poliomyelitis-Epidemie in Kopenhagen (1952) mit einem hohen Anteil von Fällen mit respiratorischem Versagen wurden die schon damals bekannten, aber selten angewendeten Beatmungsverfahren (positive Luftwegsdrucke via trachealen Zugang) sozusagen in der Not aktualisiert und eingeführt. Die ersten Interventionen erforderten eine manuelle Ventilation rund um die Uhr mithilfe von 1500 Medizinstudierenden [1].
Die neuen Erkenntnisse wurden später in einem ebenfalls lesenswerten und in der heutigen SARS-CoV-2- ARDS*-Problematik weiterhin relevanten Artikels eines berühmten Lungenphysiologen (J. B. West) zusammengefasst. Seine Schilderung der Kommunikation und der Adaptation der Ventilation als Antwort auf die Rückmeldung eines an Poliomyelitis erkrankten 11-jährigen Mädchens sind emotional sehr berührend [2, 3].
Im Rahmen der «Ciao Corona»- (hoffen wir es!) Kohorte wurden im Herbst 2020 seropositive Schulkinder im Alter von 11 Jahren mit einer adäquaten Kontrollgruppe sechs Monate später nachuntersucht. Bei 4% (in der seronegativen Kontrollgruppe 2%) wurde über Ermüdbarkeit/erhöhtes Schlafbedürfnis während mehr als 12 Wochen nach Nachweis der Seropositivität geklagt. Andere Symptome wie Konzentrationsstörungen traten deutlich seltener auf.
Long-COVID kommt also bei Schulkindern vor – eine wichtige Information für die Lehrpersonen –, ist aber laut dieser Studie eher selten. Allerdings ist störend, dass nur gut 50% der Kinder eingeschlossen werden konnten (warum so wenig in einer Kohorte?), sodass am Schluss lediglich 109 seropositive 1246 seronegativen Kindern gegenübergestellt werden konnten. Die Daten sind leider auch nicht anwendbar auf die später aufgetretenen, jetzt prävalenten, aggressiveren Virusvarianten.
Urin-Sediment oder Urin-Biomarker in der Diagnostik des akuten Nierenversagens?
Ein akutes Nierenversagen (Kreatininanstiege schon um 40–50 μmol/l) erhöht in jeder klinischen Situation die Risiken der Mortalität, des Auftretens einer chronischen, vielleicht progressiven Niereninsuffizienz, die Verlängerung des Spitalaufenthaltes und zieht Kostensteigerungen nach sich. Die schnelle Diagnose einer beginnenden oder bereits etablierten Nierenschädigung (insbesondere auch die Differentialdiagnose «prärenal» versus «intrarenal») und entsprechend schnelle Interventionen sind deshalb ambulant und stationär von zentraler Bedeutung.
Eine Pro- und Kontra-Diskussion kommt zum (antizipierten) Schluss, dass sich beide ergänzen und notwendig sind. Dazu sind erhöhte Anstrengungen in der ärztlichen Ausbildung der Beurteilung der Urin-Sedimente erforderlich. Die leider mit unattraktiven Akronymen versehenen, aber allesamt im Urin – also einfach – zu messenden Biomarker helfen in der Einordnung der Nierenfunktionsstörung. Dabei stehen das NGAL (Lipocalin), das Produkt von TIMP2 × IGF-BP7 und KIM-1 im Zentrum.