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Ausgabe
2021/4344
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08919
Swiss Med Forum. 2021;21(4344):732-735

Publiziert am 27.10.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Ambulant erworbene, bakterielle Meningitis

– Konjugierte Impfstoffe gegen die häufigsten Erreger (Pneumokokken, Meningokokken und Haemophilus) haben einen eindrücklichen Abfall der Inzidenz erreicht.
Streptococcus agalactiae (Gruppe B) ist zum häufigsten Meningitis-Erreger bei Neugeborenen und Kleinkindern geworden.
– Pneumokokken-Varianten (nicht in den Impfstoffen enthaltene Serotypen) und häufigere Antibiotikaresistenzen stellen neue Herausforderungen dar.
– Die Liquorpunktion mit Zufuhr der ersten Antibiotikagabe (basierend auf den regionalen Resistenzdaten) innerhalb der ersten Stunde sind zentral.
– Die Bildgebung vor der Liquorpunktion wird nur empfohlen bei: fokal neurologischen Ausfällen, Krampfanfällen, relevanter Immunsuppression und ausgeprägter Bewusstseinstrübung.
– Die Antibiotika- und Dexamethasontherapie müssen aber vor der Bildgebung appliziert werden!
– Die diagnostischen Goldstandards (Gram-Färbung und Kultur) wurden meist ersetzt/ergänzt durch die bakterielle DNA-PCR der drei häufigsten Erreger (siehe oben), die schneller und in >95% spezifisch ist.
– Erweiterte Multiplex-PCR (unter Einschluss von Listerien und Streptococcus agalactiae) sind erhältlich, aber noch nicht prospektiv/randomisiert getestet.
Lancet. 2021, doi.org/10.1016/S0140-6736(21)00883-7.
Verfasst 27.09.2021.

Praxisrelevant

Vitamin D und Skelettmuskulatur: 20 Jahre Zeitverlust?

Eine schlaffe, proximale Myopathie (v.a. im Hüftgürtelbereich) ist eine gut bekannte Komplikation eines Vitamin-D-Mangels und tritt oft zusammen mit Rachitis/Osteomalazie auf. Folge, neben anderen, ist eine erhöhte Sturzneigung, die mit Vitamin D verlässlich korrigiert werden kann.
Ein ganz anderes Problem sind die Individuen mit normalen Vitamin-D-Spiegeln, die im Hinblick auf Muskelstärke und Funktion wie auch die Sturzneigung in multiplen Studien aufgrund ermutigender präklinischer Daten mit Vitamin D behandelt wurden. Wir waren wohl alle etwas verwirrt, weil positive, fehlende oder sogar schlechtere Auswirkungen von Vitamin D auf diese Parameter publiziert wurden.
Eine umfassende, systematische Review/Metaanalyse (Publikationen bis Oktober 2020 analysiert) versucht, Licht in diesen Dschungel zu bringen. Die Antwort ist ernüchternd: im Wesentlichen kein Effekt auf die Muskelstärke. Wiederholt sei: Gilt nur für Individuen mit vorbestehend normalen Vitamin-D-Reserven. Wir müssen also wieder an die Anfänge zurückkehren ...
J Bone Miner Res. 2021, doi.org/10.1002/jbmr.4412.
Verfasst am 27.09.2021.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Künstliche Beatmung: 2-mal kein Effekt

Zur Korrektur der Hypoxämie im Rahmen eines Atemnotsyndroms ist eine künstliche Ventilation entscheidend. Deren Hauptnebenwirkung, die ventilations­assoziierte Lungengewebsschädigung, kann durch die Verwendung niedriger Hubvolumina (6 ml/kg Körpergewicht) und Plateaudrucken von ≤30 cm H20 reduziert, aber oft nicht verhindert werden [1].
Prospektiv wurden 412 Patientinnen und Patienten entweder mit einer weiteren Reduktion der Hubvolumina (3 ml/kg Körpergewicht) oder mit etablierter Ventilationsstrategie behandelt. Die bei niedrigeren Hubvolumina voraussehbare Hyperkapnie (respiratorische Azidose) wurde mit extrakorporeller CO2-Elimination verhindert. Leider blieb die 90-Tage-Mortalität (primärer Endpunkt) zwischen den beiden Gruppen gleich (41,5% in der extrakorporell versus 39,5% in der traditionell behandelten Gruppe [2]).
Eine zweite Arbeit mit 2650 ventilierten intensivmedizinischen Patientinnen und Patienten ergab, dass Probiotika (in diesem Falle Lactobacillus rhamnosus) keinen Einfluss auf die Häufigkeit ventilatorassoziierter Pneumonien hatten [3].
Beide Studien waren gut durchgeführt und gross genug, um die Studienhypothesen verlässlich zu testen. Schade, dass beide negativ ausfielen und weitere Fortschritte auf diesem Gebiet offensichtlich schwierig zu erzielen bleiben.
1 N Engl J Med. 2000, doi.org/10.1056/NEJM200005043421801.
Verfasst am 26.09.2021.

Neues aus der Biologie

Protektive Antikörpertiter gegen SARS-CoV-2

Entgegen den grossen Erwartungen von Laien und Ärzteschaft besteht immer noch keine etablierte Beziehung zwischen Anti-S1-Antikörpertitern nach Erkrankung/Impfung und der Wahrscheinlichkeit und Schwere eines Reinfektes. Somit fehlt auch eine rationale Basis für eine Revakzinierungsstrategie.
Ein Primatenmodell bringt aber klare Evidenz, dass die erwähnten Antikörper als sehr guter Anhaltspunkt für eine In-vivo-Protektion gelten können. Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Standard angesehene S1-spezifische Antikörper verhinderten bei Re­exposition mit grosser Wahrscheinlichkeit eine virale Replikation und eine Entzündungsreaktion in der bronchoalveolären Lavage. Die Autorinnen und Autoren etablierten Konzentrationen über 336 BAU*/ml als in vivo protektiv.
Die Arbeit ist ein grosser Fortschritt: Die Messung der S1-Antikörper kann als Marker für eine effektive, wenn auch komplexe Immunantwort gesehen werden. Die Annahmen für Menschen von einer Protektion bei Anti­körperspiegeln über 300 BAU/ml wird durch diese Arbeit ebenfalls gestützt. Die Protektion umfasste alle aggressiveren Virusvarianten, bei den meisten anhaltend. Nur bei der Delta-Variante sanken die Konzentrationen nach sechs Monaten ab. Eine breitere Bestimmung dieser Antikörper beim Menschen und Korrelation mit klinischen Verläufen sowie eine antikörpertiterbasierte Revakzinierung erscheinen dringender denn je.
* BAU: «binding antibody units»
Verfasst am 26.09.2021.

Das hat uns gefreut

Retinopathie der Frühgeborenen: wirksame Therapien

Diese Retinopathie ist charakterisiert durch eine abnorme Entwicklung der retinalen Blutgefässe. Risikofaktoren sind Frühgeburtlichkeit, «Mangelgeburten» («low birth weight infants») und postnatale Sauerstofftherapie.
Die RAINBOW-Studie verglich bei dieser Retinopathie prospektiv den Effekt der traditionellen Lasertherapie mit intravitrealen Injektionen eines monoklonalen Anti-VEGF*-Antikörpers (Ranibizumab) und hatte nach 24 Wochen einen Vorteil für die Antikörpertherapie gezeigt. Die Studie schloss Neugeborene/Kleinkinder mit einem Geburtsgewicht von <1500 g ein.
Eine Weiterführung der Therapie auf zwei Jahre zeigt nun, dass die Antikörpertherapie etwas besser als die Lasertherapie blieb. Vor allem trat eine hochgradige Myopie seltener auf. Andere, nicht okuläre Entwicklungsparameter waren bei beiden Gruppen gleich.
* VEGF: «vascular endothelial growth factor»
Lancet Child Adolesc Health. 2021, doi.org/10.1016/S2352-4642(21)00195-4.
Verfasst am 27.09.2021.

Das hat uns nicht gefreut

Langdauernde Effekte einer Hirnerschütterung bei Athletinnen und Athleten

Die Befürchtung respektive Beobachtung besteht, dass sportassoziierte Hirnerschütterungen bei zu früher Wiederaufnahme der Sportaktivität (und möglichen weiteren traumatischen Einwirkungen auf das Gehirn) den neurologischen Langzeitverlauf inklusive der koordinativen und kognitiven Funktionen verschlechtert.
Diese Studie, die umfassendste in ihrer Art, untersuchte 61 Sportlerinnen und Sportler innerhalb einer und zwei Wochen nach einer unkomplizierten Hirnerschütterung, zum Zeitpunkt der medizinischen ­Erlaubnis, wieder die Sportart auszuüben, dann nochmals einen Monat und 12 Monate nach diesem Entscheid. Bei klinischen Normalbefunden (deshalb ­Wiederaufnahme des Sports) zeigten Magnetresonanztomographien (MRT) auch noch 12 Monate später einen reduzierten zerebralen Blutfluss in Mittelhirnstrukturen und vor allem im Balken signifikant persi­stierende Diffusionsstörungen und andere mikrostrukturelle Veränderungen.
Die Studie könnte eine Erklärung des Substrates für die Beobachtung sein, warum repetitive kleinere Hirntraumata mit negativen Folgen für die mentale Gesundheit assoziiert sind. Wenn diese MRT-Befunde für die zukünftige Entwicklung im Langzeitverlauf prädiktiv sind, bedeuten sie auch, dass die Rückkehr zum Sport und die Reexposition zu Traumata zu früh erfolgte respektive die gegenwärtigen sportmedizinischen Teste zu wenig genau sind.
Verfasst am 27.09.2021.

Immer noch lesenswert

Entdeckung der inneren Uhr

Lange hielt sich intuitiv die Vorstellung, dass die gros­se Zahl an rhythmisch auftretenden biologischen Funktionen von externen Faktoren wie Tageslänge oder Licht/Dunkel-Zyklus abhinge. Allerdings wurde schon im 18. Jahrhundert beobachtet, dass Mimosen ihre Blätter auch in totaler Dunkelheit über 24 Stunden rhythmisch öffnen und schliessen.
Vor 50 Jahren, 1971, fanden Konopka und Benzer konkrete Hinweise auf ein solche «innere Uhr»: In Drosophila melanogaster fanden sie drei Mutanten, die zu klar veränderter Rhythmizität des Bewegungsverhaltens der Fliegen führten. Die eine induzierte einen eher chaotischen Rhythmus, eine andere einen geordneten, aber verkürzten 19-Stunden-Rhythmus, die dritte einen verlängerten Rhythmus von 28 Stunden. Die Mutanten betrafen alle ein Gen («period») auf dem X-Chromosom.
Schon 1971 fanden Forschende konkrete Hinweise auf eine «innere Uhr» bei Drosophila melanogaster (Schwarzbäuchige Taufliege). © Kasira Suda | Dreamstime.com
Diese Arbeiten ebneten den Weg für die Klonierung von «period» wie auch die Identifikation andere Gene, die die innere Uhr regulieren (Nobelpreis 2017 an Hall, Rosbash und Young).
Proc Natl Acad Sci U S A. 1971, doi.org/10.1073/pnas.68.9.2112
Verfasst am 26.09.2021.

Aus Schweizer Feder

Point-of-Care-Teste (POCT): Procalcitonin, Lungenultraschall oder vielleicht doch nur CRP in der Diagnose einer bakteriellen Pneumonie?

Unbestrittene Tatsache: Klinisch, radiologisch und mit klassischen Laborparametern einen wahrscheinlich bakteriellen Infekt der unteren Luftwege zu diagnostizieren, ist schwierig. Eine – retrospektiv betrachtet – zu häufige Antibiotikatherapie ist eine der Folgen davon.
Knapp 470 Patientinnen und Patienten in den Kantonen Waadt und Bern wurden in 60 Hausarztpraxen entweder mittels Procalcitonin, Lungenultraschall oder «normaler» klinischer Abklärung untersucht. Die Procalcitoninbestimmung reduzierte die Antibiotikaverschreibung (bis vier Wochen nach Erstkonsultation) um etwa einen Drittel, während der Lungenultraschall darauf keinen erkennbaren Einfluss ausübte [1]. Die normal abgeklärten Patientinnen und Patienten fühlten sich allerdings nur drei, jene in der Procalcitoningruppe vier Tage im Alltag limitiert.
Statistisch war dies nicht signifikant. Und biologisch? Soll das C-reaktive Protein (CRP) nun durch das Procalcitonin in der Hausarztpraxis ersetzt werden? Zumindest nicht in jenen Praxen, die auch Altersheimbewohnende betreuen: In dieser Population führte eine CRP-gestützte Differentialindikation zu einem quantitativ ähnlichen «Einsparen» von Antibiotika, bei gleicher Mortalität und gleichen Hospitalisationsraten (Studie in den Niederlanden [2]).
Die Schweizer Studie leidet in ihrer Aussagekraft unter der Tatsache, dass nur etwa 1⁄7 der gescreenten Patientinnen und Patienten (also nach Ansicht der Hausärztinnen/-ärzte mit entsprechendem Verdacht) auch randomisiert wurden. In der Schweizer Studie waren die initialen CRP-Werte allerdings in allen Gruppen vergleichbar, was für einen Zusatznutzen des Procalcitonins spricht.
Verfasst am 24.09.2021.

Physiologie: Wie könnte das funktionieren?

Hypertonie und Hirnfunktionen

Steigt im Gehirn die Aktivität der Neuronen, muss – wegen limitierter lokaler Reserven – schnell O2/Glukose nachgeliefert werden. Die neuronale Aktivität ist zu diesem Zwecke mit der Gefässregulation gekoppelt mit der Induktion einer Vasodilatation, was zur Erhöhung des regionalen Blutflusses und zu verbesserter Energieversorgung führt (neurovaskuläre Koppelung). Diese reaktive Hyperämie ist auch Basis der Bildgebung in den funktionellen Hirn-Magnetresonanztomographien (-MRT).
Figur 1 der hier zitierten Arbeit zeigt, wie die neuronale Aktivität via Kaliumfreisetzung die lokalen Endothelzellen sogenannt hyperpolarisiert (Aktivierung eines Kaliumkanals, Kir2.1). Diese Hyperpolarisation schreitet bis in die nächsten Arteriolen weiter, die dann mit Vasodilatation den erhöhten Blutfluss gewährleisten. Im Falle einer Hypertonie und der Alterung generell ist diese neurovaskuläre Koppelung gestört. Diese so ­gestörte Regulation könnte neben den hypertonieassoziierten makrovaskulären Folgen ein wesentlicher Grund für die weit verbreiteten kognitiven Einschränkungen bei Hypertonie sein. Verschiedene Klassen von Antihypertensiva bieten unterschiedlich starken Schutz vor Reduktion der reaktiven Hyperämie (in dieser Studie: Kalziumkanalblocker besser als Angiotensin-1-Rezeptorhemmer). Ein beweisendes Korrelat bei hypertensiven Patientinnen und Patienten einer medikamentenspezifischen Wirkung fehlt aber noch.
Republished with permission of the American Society for Clinical Investigation, from: Koide M, Harraz OF, Dabertrand F, Longden TA, Ferris HR, Wellman GC, et al. Differential restoration of functional hyperemia by antihypertensive drug classes in hypertension-related cerebral small vessel disease. J Clin Invest. 2021;131(18):e149029. doi: 10.1172/JCI149029 . © 2021, permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.
J Clin Invest. 2021, doi.org/10.1172/JCI149029.
Verfasst am 17.09.2021.

Auch noch aufgefallen

Aufgepasst und Herausforderung annehmen

Falls man an eine vielversprechende Zukunft, aber auch die Gefahren der künstlichen Intelligenz in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und den (biomedizinischen) Wissenschaften glaubt, was wir in der Tat tun, ist folgende Information bemerkenswert: In China soll seit 2018 die Zahl der Universitäten, die Studiengänge «Künstliche Intelligenz» anbieten, von 0 auf 345 gestiegen sein. Wenn die Schweiz etwas schneller wird/würde und dazu ihre traditionellen Qualitätsstandard einbringen kann, winkt hier eine kompetitive, globale Stellung.
Center for security and emerging technology, https://cset.georgetown.edu/.
Verfasst am 24.09.2021.

Älter als man denkt

Haben Sie sich auch schon über die Faszination der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner durch alles Alte oder Traditionelle gewundert oder gar darüber gelächelt? Bürgerinnen und Bürger einer verhältnismässig jungen Nation (wenn man die «native Americans» nicht einbezieht, was eben immer noch der Fall ist) zeigen diesbezüglich eine verständliche Reaktion. Dabei ergaben die Radiokarbondaten von Sand, der zwischen den Fusspuren in einem US-Nationalpark (White Sand National Park, New Mexico, USA) gefunden wurde, dass diese Fusspuren etwa 22 000 Jahre alt sein müssen. Das heisst, dass Menschen vor/während der letzten gros­sen Eiszeit in Nordamerika gelebt haben. Die Studie ergänzt viele andere Daten, die mit einer viel früheren menschlichen Kolonisation Nordamerikas kompatibel sind.
Verfasst am 24.09.2021
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