Kurz und bündig
Journal Club

Kurz und bündig

Kurz und bündig
Ausgabe
2021/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2021.08980
Swiss Med Forum. 2021;21(5152):882-884

Publiziert am 21.12.2021

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Praxisrelevant

Konkurrenz für bariatrische Chirurgie am Horizont

Eindrückliche Gewichtsreduktionen sind Erfolgsausweise der bariatrischen Chirurgie. «Glucagon-like peptide-1»-(GLP-1-)­Agonisten vermögen aber auch eindrückliche und anhaltende Gewichtsreduktionen von 10–15% erzielen. Ebenso wirksam scheint ein Analogon des pankreatischen Amylins, eines Sättigungshormons, zu sein. Ein solches Analogon, das Cagrilintid, kann einmal wöchentlich subkutan (s.c.) von den Pa­tientinnen und Patienten selber appliziert werden. Nach sechs Monaten resultierte in der höheren Dosis von 4,5 mg ein Gewichtsverlust von knapp 11%, zu ­diesem Zeitpunkt noch ohne Anhaltspunkt, dass ein Kellerwert erreicht wurde. Diese Dosis war den 3,5 mg s.c. des GLP-1-Agonisten Liraglutid leicht überlegen. Die unterschiedlichen Angriffspunkte des Amylin-Analogons und der GLP1-Agonisten könnten zu noch zu untersuchenden Synergie- oder Potenzierungseffekten führen.
Verfasst am 17.11.2021.

Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion: Effekt der SGLT-2-Hemmer

«Sodium dependent glucose co-transporter 2»-(SGLT-2)­Hemmer haben sich rasch einen Platz in der Behandlung der Herzinsuffizienz mit oder ohne Diabetes mellitus, und zwar bei Individuen mit reduzierter und erhaltener Auswurffraktion, gesichert.
Eine neue Studie (PRESERVED-HF, Dapagliflozin; [1]) erinnert, dass noch nicht alles Gold ist, was glänzt. Die grösste Studie, EMPEROR (Empagliflozin; [2]), bei etwa 5000 Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener Auswurffraktion, hatte ein reduziertes Risiko einer Hospitalisation, aber keinen Effekt auf die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität gezeigt. Diese Endpunkte waren zu einem gemeinsamen Endpunkt zusammengefasst worden. Auch die Wirkung auf die Lebensqualität war nicht signifikant und die Effekte auf die pro-BNP-Spiegel minimal. Die kleinere PRESERVED-HF-Studie bestätigt nun, dass Dapagliflozin (12 Wochen) ebenfalls nur einen kleinen, klinisch unsicher signifikanten Effekt auf die Endpunkte der alltäglichen Lebensqualität ausübt: Die Patientinnen und Patienten verloren nur etwa 0,7 kg Gewicht, die Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest verlängerte sich um lediglich 20 Meter. Eine Verlängerung um 40–50 Meter wird gemeinhin als Minimum für ein im Alltag verbessertes Befinden angesehen. Allerdings hatte sich – im Gegensatz zu EMPEROR – der «Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire» (KCCQ) gebessert.
Es sind nun also Unsicherheiten zum Effekt der SGLT-2-­Hemmer aufgetaucht und ihr Platz in dieser Situation wird noch schärfer zu definieren sein. Oder mit anderen Worten: Wir warten weiter auf eine durchschlagend gute Therapie der Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion.
2 N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMoa2107038.
Verfasst am 20.11.2021.

«Alkoholkonsum und Vorhofflimmern» ­aktualisiert für die Festtagsperiode

Epidemiologische Daten zeigen eine Korrelation von Vorhofflimmerepisoden mit höherem Alkoholkonsum sowie eine Abnahme der Inzidenz bei Abstinenz.
Bei einer sehr gut durchgeführten Studie wurde die akute Alkoholzufuhr mit Episoden von Vorhofflimmern korreliert, und zwar bei Individuen, bei denen ein längerzeitiges Monitoring ein rezidivierendes Vorhofflimmern gezeigt hatte. Diese Individuen konsumierten normalerweise einen «Drink» pro Tag. Der Alkoholkonsum wurde prospektiv erfasst («real-time»-Aufzeichnung durch die Studienteilnehmenden mit Fingerdruck auf den EKG-Monitor, einem für vier Wochen aufgetragenen Alkoholsensor am Knöchel sowie Messung der Phosphatidylethanol-Konzen­tration im kapillären Blut). Bei diesen 100 etwa 64-jährigen Individuen (80% Männer meist weisser Hautfarbe in und um San Francisco) stimmten die Selbstangaben gut mit dem Alkoholsensor und den Phosphatidylethanol-Messungen überein. Die Risikoerhöhungen für eine Vorhofflimmerepisode betrug in dieser Population für einen Alkoholkonsum innerhalb der letzten vier Stunden: ein Drink = Verdoppelung, zwei Drinks = Verdreifachung. Je höher die Alkoholkonzentration im Blut ausfiel, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vorhofflimmern ausgelöst wurde.
Bescheidener oder moderater Alkoholkonsum ist also ein Episodentrigger bei einer Population mit durch Screening diagnostiziertem rezidivierendem Vorhofflimmern. Die enge Dosis-Wirkungs-Beziehung ist überraschend und rechtfertigt entsprechende Interventionen/Beratungen.
Ann Intern Med. 2021, doi.org/10.7326/M21-0228.
Verfasst am 21.11.2021.

Neues aus der Biologie

Abortiver SARS-CoV-2-Infekt dank vorbestehender zellulärer Immunität

Diese Arbeit hat eine Kohorte von britischem Gesundheitspersonal mit engem, zum Teil rezidivierend ungeschütztem Kontakt mit an SARS-CoV-2 Erkrankten zu Beginn der Pandemie anfangs 2020 immunologisch untersucht. Diese Gesundheitsfachpersonen waren nicht erkrankt und fielen durch anhaltend negative RT-PCR-Teste und eine fehlende Serokonversion auf
Theoretisch kämen eine sehr tiefe infektiöse Virusmenge oder auch Polymorphismen unter anderem im ACE-2-, dem SARS-CoV-2-Rezeptor, infrage. Nicht aber in dieser Gruppe: Diese Individuen wiesen eine vorbestehende, zelluläre Immunität auf, die spezifisch gegen die frühesten viralen Replikationsmechanismen (virale Polymerase) im befallenen Wirt gerichtet ist. Diese Immunität könnte von früheren Coronavirus-Infekten («common cold») stammen. Angesichts der Häufigkeit dieser banalen Coronavirus-Infekte und der limitierten Zahl von geschützten Individuen dürften aber noch andere Mechanismen eine Rolle spielen. Die Arbeit zeigt aber, dass es Menschen gibt, die SARS-CoV-2 schon in der Inkubationszeit aufgrund einer spezifischen, vorbestehenden (Kreuz-)Immunität erfolgreich eliminieren. Sie weist auch auf die Möglichkeit einer medikamentösen Hemmung der frühen viralen Replikationsvorgänge hin.
Ob auch das aggressivere Delta-Virus (damals noch nicht prävalent) von diesen Individuen eliminiert werden kann, bleibt noch zu untersuchen.
Verfasst am 14.11.2021.

Das hat uns gefreut

Neuer Anlauf für eine Impfung gegen «Lyme disease»

Gegen die Borreliose (oder «Lyme disease») gibt es für den Menschen, im Gegensatz etwa zu Hunden, keine Impfung. Ein Impfstoff (Lymerix™) gegen ein Lipoprotein der äusseren Bakterienhülle von Borrelia burgdorferi (dem sog. OspA) hatte zwar einen 80%igen Schutz vor Infektionen erreicht. Er wurde aber 2002 zurückgezogen, weil einige Geimpfte eine Arthritis entwickelten. Laut «Food and Drug Administration» (FDA) war zwar keine direkte Kausalität zu beweisen, der Firma war das Risiko aber zu hoch.
Nun wird die mRNA-Impfmethode für einen neuen Anlauf gebraucht. Geimpft wird aber nicht gegen Borrelien, sondern ein Speicheleiweiss der Zecke! Die so induzierten Antikörper führen bei Kontakt mit dem Zeckenspeichel zu einer lokalen Entzündung, was den mit Borrelien infizierten Zecken den Appetit verdirbt und ihre Andockungszeit (Zeiten von 36 Stunden und mehr sind infektiologisch kritisch) und Wachstumszunahme signifikant vermindert. Die Übertragung von Borrelien wurde signifikant gehemmt: Bei ungeimpften Tieren erkrankte (histologisch bewiesen) etwa die Hälfte an einem Borrelieninfekt, während bei keinem von 16 geimpften Tieren Borrelien nachweisbar waren. Jedes Tier war mit drei infizierten Zecken inokuliert.
Die Resultate gelten vorerst für Meerschweinchen! Gespannt warten wir auf die weiteren Daten mit dieser Impfmethode
Sci Transl Med. 2021, doi.org/10.1126/scitranslmed.abj9827.
Verfasst am 19.11.2021.

Aus Schweizer Feder

Calcitonin oder Procalcitonin beim medullären Schilddrüsenkarzinom?

Zirkulierendes Calcitonin ist der etablierte Tumormarker zur Diagnose und Verlaufsbeurteilung des medullären Schilddrüsenkarzinoms. Die diagnostische Interpretation ist aber wegen einer schwierigen Präanalytik, relativ hoher Interassay-Variationen und unspezifischer Erhöhungen (andere Neoplasien, Niereninsuffi­zienz, Protonpumpeninhibitoren u.a.m.) schwierig.
Eine tessinisch-italienische Arbeitsgruppe kommt in einer Literaturanalyse zum Schluss, dass das Procalcitonin ein dem Calcitonin überlegener Marker zu Diagnose und zum Therapiemonitoring von medullären Schilddrüsenkarzinomen sei. Namentlich die hohe analytische Aussagekraft (Sensitivität, Spezifität, positive und negative Voraussagewerte) sprechen gemäss den Autorinnen und Autoren für einen Ersatz von Calcitonin durch Procalcitonin.
J Clin Endocrinol Metab. 2021, doi.org/10.1210/clinem/dgab564.
Verfasst am 21.11.2021.

Auch noch aufgefallen

Erhöhtes Infektionsrisiko nach intravenöser Eisenzufuhr?

Die theoretische Grundlage dafür ist, dass intravenöse Eisenpräparate das zirkulierende freie Eisen erhöhen können. Viele Bakterien sind für ihre Vermehrung von genügend freiem Eisen in ihrer Umgebung abhängig. Frühere systematische Reviews/Metanalysen hatten keine erhöhte Infekt­neigung nach parenteraler Eisenzufuhr gezeigt [1–3].
Die jetzt vorgelegte Literaturanalyse ist aber bei Weitem die umfassendste und erfasst das breiteste Spektrum von Eisenindikationen [4]. Sie findet ein erhöhtes Infektrisiko (relatives Risiko gegenüber oraler Eisenzufuhr und keiner Eisenzufuhr von 1,17) vor allem in Bezug auf bronchopulmonale Infekte. Intravenöses Eisen erhöhte die Hämoglobinkonzentration etwas besser und «sparte» Transfusionen, ein Effekt auf Mortalität oder Hospitalisationsdauer war in dieser Analyse nicht eruierbar.
Das Thema wird uns sicher weiter beschäftigen. Eine orale Eisentherapie jeden zweiten Tag ist weiterhin eine valable, für viele Situationen «Erstlinien»-Therapie der Wahl. Auf intravenöses Eisen sollte man bei Infekten und Infektgefährdung wohl wenn immer möglich verzichten.
2 Mayo Clin Proc. 2015, doi.org/10.1016/j.mayocp.2014.10.007.
3 Medicine (Baltimore). 2016, doi.org/10.1097/MD.0000000000002308.
Verfasst am 15.11.2021.

12 mg Dexamethason nicht besser als 6 mg bei schwerer COVID-19-Erkrankung?

Bei schwerer pulmonaler, COVID-19-assoziierter Entzündungsaktivität kann es zu Hypoxämie und einem Atemnotsyndrom kommen. Glukokortikoide hemmen diese Entwicklung, die Dosisfrage ist noch offen.
Knapp 1000 Patientinnen und Patienten, intubiert oder sauerstoffbedürftig (10 l/min), wurden prospektiv randomisierend mit 12 oder 6 mg Dexamethason pro Tag für maximal zehn Tage behandelt. Die Mortalität nach 28 Tagen war nicht unterschiedlich (sie lag bei 30%), auch die Tage ohne lebenserhaltenden Support nicht. Allerdings gibt es im primären Endpunkt und in den sekundären Endpunkten durchwegs eine Tendenz, die die 12-mg-Tagesdosis favorisieren.
Vielleicht war die Studie trotzdem zu klein, um einen Unterschied statistisch relevant zu erhärten. Wahrscheinlich macht man angesichts vergleichbarer Nebenwirkungsraten keinen Fehler, wenn man vorerst weiter 12 mg Dexamethason täglich verordnet.
Verfasst am 15.11.2021.

Nicht ganz ernst gemeint

Gesellschaftspolitisch überkorrekt und eine erstaunliche Konsequenz der Corona-Pandemie

Das New England Journal of Medicine gibt sich mit der Geschlechtergleichheit noch ernster: Selbst in Zeichnungen des menschlichen Körpers werden die Figuren nun mit Brüsten und einem Penis dargestellt [1]. «Patientinnen und Patienten» in einem also, wie auch wir etwas holprig schreiben.
Der zitierte Nature-Artikel [2] zum abortiven SARS-CoV-2-Infektablauf (siehe «Neues aus der Biologie») wurde noch vor seiner Peer-Review publiziert. Ein Novum für diese Zeitschrift! Wahrscheinlich ist es eine Reaktion auf die Konkurrenz schnell und ohne Review publizierender Journale wie BioRxv und mittelbare Folge der Corona-Pandemie.
1 N Engl J Med. 2021, doi.org/10.1056/NEJMcp2108504.
Verfasst am 17.11.2021.
Das «Kurz und bündig» finden Sie auch als Podcast unter emh.ch/podcast oder in Ihrer Podcast-App unter «EMH Journal Club»!