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Die präoperative Evaluation im Vorfeld (elektiver) chirurgischer Eingriffe spielt eine zentrale Rolle. Biomarker standen bei der weiterführenden kardiologischen Abklärung bisher nicht im Mittelpunkt, jedoch ergänzen sie die Abklärungs- und Behandlungsalgorithmen kardialer Risikopatienten sinnvoll.

Hintergrund
Trotz vieler Anstrengungen und mancher Fortschritte beträgt die postoperative 30-Tage-Sterblichkeit nach (grösseren) nicht-herzchirurgischen Eingriffen auch in Europa immer noch zwischen 1–4% (elektive Chirurgie zwischen 0,5–1,2%) [1]. Kardiovaskuläre, perioperative Ereignisse sind sehr häufig und treten bei über 45-jährigen Patienten mit Risikofaktoren nach stationären Operationen in 16% der Fälle auf. Damit gehören sie zu den wichtigsten Ursachen der perioperativen Morbidität und Mortalität und beeinflussen darüber hinaus auch das Langzeit-Outcome der Patienten massgeblich [2]. Der perioperative Myokardinfarkt weist beispielsweise eine Spitalmortalität von 14% und eine Rehospitalisationsrate von 19% auf [3]. Entsprechend kommt der präoperativen Evaluation im Vorfeld (elektiver) chirurgischer Eingriffe eine zentrale Bedeutung zu. Nach Ausschluss akuter oder instabiler Herzerkrankungen (dekompensierte Herzinsuffizienz, akute Myokardischämie, symptomatische neu aufgetretene Rhythmusstörungen) beruht der «klassische» Abklärungsgang auf der Art und dem Schweregrad des Eingriffs, der körperlichen Leistungsfähigkeit und dem Vorliegen relevanter Begleiterkrankungen. Steht ein Patient vor einem Eingriff mit einem mittleren oder hohen Risiko (Abb. 1A) und ist seine Leistungsfähigkeit eingeschränkt (<4 «metabolic equivalents» [METs]), wird eine weiterführende kardiologische Abklärung mit Suche nach Myokardischämie, Herzinsuffizienz oder Klappenvitien durchgeführt und sein Zustand möglichst optimiert. Dieses Vorgehen ist im Einklang mit den aktuellen europäischen [4, 5] und US-amerikanischen Richtlinien [6] und wird auch in der Schweiz angewendet [7]. Biomarker spielten bei dieser Vorgehensweise bisher eine untergeordnete Rolle. Zu beachten gilt, dass die kostenintensive präoperative transthorakale Echokardiographie nicht mit einer tieferen Rate kardiovaskulärer Ereignisse, tieferer Mortalität oder verkürzter Spitalaufenthaltsdauer assoziiert ist [8, 9] und demnach nur in der Abklärung möglicher Herzvitien einen Platz hat. Die Bedeutung der körperlichen Leistungsfähigkeit (gemessen in MET) für die Risikobeurteilung ist jüngst in Frage gestellt worden und wird nun in einer grossangelegten, multizentrischen Studie prospektiv untersucht [10].

Abbildung 1: Abklärungsgang bei kardialen Risikopatienten (modifiziert nach [5]):A ) Abklärungsalgorithmus für elektive Eingriffe,B ) Abklärungsalgorithmus für nicht-elektive Eingriffe.
Instabile/akute Herzerkrankungen: akutes Koronarsyndrom (ACS), dekompensierte Herzinsuffizienz, bedeutende, schlecht frequenzkontrollierte Herz-Rhythmusstörungen, schwere (v.a. stenosierende) Herzklappenerkrankungen.
Klinische Risikoindikatoren: koronare Herzkrankheit (KHK), Herzinsuffizienz, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz. Risikoeinteilung operativer Eingriffe (Beispiele): niedriges Risiko: Operation an der Körperoberfläche, am Auge; kleine orthopädische oder urologische Eingriffe. Mittleres Risiko: kleinere und mittlere intraperitoneale Eingriffe, mittlere orthopädische Eingriffe (Gelenksersatz, Wirbelsäule). Hohes Risiko: ausgedehnte intraperitoneale und intrathorakale Eingriffe; Eingriffe an der Aorta und den Gefässen der unteren Extremität.
* Karenzzeiten für Elektiveingriffe: nach ACS (unabhängig der Therapiemodalität): 12 Monate; PCI bei chronischer KHK: «bare-metal stent» ≥1 Monat; «drug-eluting stent» ≥6 Monate.
PCI = perkutane Koronarintervention; MET = «metabolic equivalent»; BNP = «brain natriuretic peptide».
Präoperative kardiale Biomarker zur Risikostratifikation und kardialen Optimierung
In den letzten Jahren zeigte sich nun in verschiedenen Untersuchungen konsistent eine starke Assoziation kardialer Biomarker (natriuretische Peptide, Troponin) mit dem Auftreten perioperativer Komplikationen. Während der positive prädiktive Wert bzw. die Spezifität erhöhter Werte von «brain natriuretic peptide» (BNP) bzw. NT-proBNP nur mässig ist, sagen tiefe Werte sehr zuverlässig einen günstigen Verlauf voraus (negativ-prädiktiver Wert über 0,9) [11]. Diese Datenlage hat die kanadische kardiologische Gesellschaft («The Canadian Cardiovascular Society Guidelines Committee») zum Anlass genommen, ihre Empfehlungen für die präoperative Risikostratifizierung stark auf die präoperative Bestimmung des BNP bzw. NT-proBNP abzustützen und damit eine neue, biomarkerbasierte Strategie einzuführen [12]. Begründet durch den hohen negativ-prädiktiven Wert, werden Patienten mit tiefem BNP- bzw. NT-proBNP-Spiegel nicht weiter abgeklärt und erfahren postoperativ auch keine spezielle Beobachtung. Bei Patienten mit erhöhten Werten verzichtet die kanadische Fachgesellschaft auf eine weiterführende Abklärung; vielmehr empfiehlt sie postoperativ eine serielle Bestimmung kardialer Troponine. Diese hat zum Ziel, die meist stumm auftretenden, aber mit relevanter Morbidität und Mortalität vergesellschafteten perioperativen Myokardischämien zu detektieren, um diese Patienten einer optimierten postoperativen Überwachung und Therapie zuführen zu können. Diese muss interdisziplinär breit abgestützt sein (Chirurg, Intensivmediziner, Internist, Kardiologe, Geriater) [12]. Die starke Assoziation einer postoperativen Troponinfreisetzung mit einem ungünstigen Outcome ist sehr gut dokumentiert (30-Tage-Mortalitätserhöhung von 9%) [2, 13].
Aus unserer Sicht stellt die Integration kardialer Biomarker in die Abklärungs- und Behandlungsalgorithmen kardialer Risikopatienten eine sinnvolle und nötige Ergänzung der bisherigen Strategie dar. Wir schlagen vor, bei Patienten, die sich einem grösseren Eingriff zu unterziehen haben und eine eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit und/oder relevante Begleiterkrankungen aufweisen, präoperativ eine BNP- bzw. NT-proBNP-Bestimmung zu veranlassen. Ergeben sich dabei tiefe Werte, kann der geplante Eingriff ohne weitere abklärende Massnahmen durchgeführt werden. Bei erhöhten Werten ist hingegen eine kardiologische Abklärung und Optimierung sinnvoll. Diese Abklärungsschritte finden idealerweise rund drei bis vier Wochen präoperativ statt und sollen, wenn immer möglich, vom Hausarzt eingeleitet und koordiniert werden [14]. Ein spezielles Augenmerk liegt dabei auf der Therapie einer allfälligen Herzinsuffizienz, weil Patienten mit präoperativer Herzinsuffizienz selbst nach kleinen chirurgischen Eingriffen eine 30-Tage-Mortalität von 13–15% aufweisen [15].
Darüber hinaus verdient die etablierte chronische Medikation Beachtung, die, wenn immer möglich, noch weiter optimiert werden soll (z.B. arterielle Hypertension, Diabetes). Gerinnungshemmenden Substanzen, vor allem die Hemmer der plasmatischen Blutgerinnung, bedürfen im Vorfeld grösserer Eingriffe einer Modifikation [16, 17]. Nicht zuletzt muss eine allfällige Anämie aktiv gesucht und wenn möglich korrigiert werden [18, 19].
Vorgeschlagener einfacher Algorithmus für die präoperative kardiale Abklärung
Der modifizierte Abklärungsgang ist für die elektiven Eingriffe in Abbildung 1A zusammengefasst. Es ist zu hoffen, dass mit dieser Strategie einerseits unnötige, kostspielige und zeitraubende Untersuchungen vermieden, andererseits aber Hochrisikopatienten detektiert werden können, die von einer weiterführenden kardiologischen Abklärung und Optimierung profitieren.
Vorgehen bei dringlichen oder notfallmässigen Eingriffen
Obwohl wenig untersucht, sind sehr viele Patientinnen und Patienten, die sich einer nicht-elektiven bzw. notfallmässigen Intervention unterziehen müssen, kardiale Hochrisikopatienten. Wir postulieren, dass ein einfacher Algorithmus mit kardialen Biomarkern (Abb. 1B) ebenfalls zur Mortalitätssenkung beitragen könnte. Patienten mit präoperativ erhöhten kardialen Biomarkern könnten möglicherweise von einer intensiveren und verlängerten postoperativen Überwachung und repetitiven Bestimmung kardialer Biomarker (kardiales Troponin) sowie einer daraus abgeleiteten spezifischen Behandlung profitieren. Diese Hypothese bedarf allerdings einer prospektiven Überprüfung.
Diskussion
Die demographische Entwicklung führt zu einer stetig wachsenden Zahl älterer und polymorbider Patienten. Entsprechend ist in Zukunft mit einer weiteren Zunahme bedeutender perioperativer kardiovaskulärer Ereignisse zu rechnen. Der hier vorgeschlagene einfache Abklärungsgang zeigt eine patientenzentrierte, aber auch kosteneffiziente Vorgehensweise auf, die das Outcome dieser Gruppe fragiler Patientinnen und Patienten verbessern soll.
Kopfbild: © Amandee | Dreamstime
Korrespondenz:
Prof. Dr. med.
Christoph Kindler
Chefarzt
Klinik für Anästhesie
Bereichsleiter Perioperative Medizin
Kantonsspital Aarau AG CH-5001 Aarau
Vorstandsmitglied SGAR christoph.kindler[at]ksa.ch
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