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Hintergrund
Glomustumoren sind gutartige Neoplasien, die von Glomuskörperchen ausgehen [1]. Diese sind für die Temperaturregulation zuständig, was über eine Kontrolle der Hautdurchblutung gewährleistet wird. Glomustumoren treten hauptsächlich im Bereich der Finger subungual oder subkutan in der Pulpa auf [2]. Ausserhalb der Finger sind Lokalisationen im Bereich der Subkutis, der viszeralen Organe, des Knochens und innerhalb von Gefässen beschrieben [3, 4]. Intravaskuläre Glomustumoren am Unterarm sind eine Seltenheit [5–10]. Bei subkutan gelegenen Tumoren treten auf lokalen Druck meist erhebliche Schmerzen auf, die neurogene Schmerzen imitieren können [10]. Aufgrund der Seltenheit und häufig atypischen Symptomatik kommt es nicht selten zur verzögerten Diagnose und langer Leidenszeit [5]. Wir präsentieren den Fall eines Patienten, der mit Verdacht auf ein seit zwei Jahre bestehendes neuropathisches Schmerzgeschehen am Vorderarm zugewiesen wurde. Die Exzsisionsbiopsie zeigte schliesslich aber einen intravaskulären Glomustumor.
Fallbeschreibung
Anamnese
Ein 54-jähriger Patient wurde uns zugewiesen mit seit zwei Jahren bestehender und im Verlauf zunehmend schmerzhafter Schwellung im Bereich des rechten radiopalmaren Unterarmes. Ein Trauma war dem Patienten nicht erinnerlich. Die Schwellung wurde als stark druckdolent mit elektrisierenden, einschiessenden Schmerzen beschrieben. Zudem schilderte der Patient eine Dysästhesie im Bereich der gesamten rechten Hand. Als selbständiger Restaurantbesitzer war der Patient in seinem Alltag stark eingeschränkt, da er aufgrund der einschiessenden Schmerzen öfters Gegenstände fallen liess. Vorgängig zur Zuweisung hatte bereits eine neurologische und elektrophysiologische Abklärung stattgefunden, ebenso wie ein MRI des Vorderarmes.
Status
Am Übergang vom mittleren zum distalen Drittel des radiopalmaren Unterarmes rechts zeigte sich eine leichte subkutane Erhebung. Auf Berührung bestand eine starke Druckdolenz mit einschiessenden, elektrisierenden Schmerzen, die keine wesentliche Ausstrahlung zeigten (Abb. 1). Beim Beklopfen des Unterarmes gab der Patient ausserdem über dem Ramus superficialis des Nervus radialis elektrisierende Schmerzen im Sinne eines fraglich positiven Tinel-Hofmann-Zeichens an. Die Sensibilität der Hand war mit einer Zwei-Punkt-Diskrimination aller Finger von 4 bis 5 mm subjektiv normal.
X = Tinel-Zeichen mit lokaler Ausstrahlung im Bereich des Ramus superficialis nervi radialis. Die andere Markierung zeigt das Areal mit der Allodynie.
Befunde
Eine diffuse Sensibilitätsstörung der rechten Hand konnte in einer neurologischen Untersuchung nicht objektiviert werden, elektrophysiologische Untersuchungen des Nervus medianus und des Nervus ulnaris waren unauffällig.
Eine MRI-Untersuchung des rechten Unterarmes zeigte eine subkutan gelegene Raumforderung mit direktem Kontakt zu einer oberflächlichen Vene und einer Ausbreitung von 9 × 9 × 7 mm (Abb. 2). Eine direkte Nachbarschaft zu einem Nerven konnte nicht dargestellt werden, von der Lage her kam einzig der Nervus cutaneus antebrachii lateralis in Frage. Die Läsion zeigte in der T2-Wichtung eine inhomogene Hyperintensität, in der T1-Wichtung eine homogene Hypointensität sowie eine deutlich homogene Anreicherung nach Kontrastmittelgabe. Bildmorphologisch war ein Schwannom/Neurinom denkbar.
MRI mit Kontrastmittel aufnehmendem, subkutanem Befund in unmittelbarer Nähe einer Vene. Axiale und koronare Schichten.
Eine diagnostische Infiltration proximal der Raumforderung mit 3 ml Lidocain 1% brachte keine Befundbesserung, die Schmerzen auf Berührung persistierten.
Therapie
Bei unklarer Diagnose und grossem Leidensdruck stellten wir die Indikation zur Exzisionsbiopsie des Befundes. Aufgrund der Klinik und Bildgebung wurden ein neurogener Tumor/Schwannom des Nervus cutaneus antebrachii lateralis und eine venöse Malformation in die Differenzialdiagnose eingeschlossen. Intraoperativ präsentierte sich eine kugelige, venöse Raumforderung, die in toto entfernt wurde. Der direkt darunterliegende Ast des Nervus cutaneus antebrachii lateralis zeigte sich unauffällig und intakt.
Diagnose
Die histologische Untersuchung zeigte einen Glomustumor in einer Venenwand (Abb. 3).
Histologie: A) Übersicht 40-fache Vergrösserung, Färbung Hämatoxylin-Eosin (HE); B) und C) Tumor in Venenwand 100-fache Vergrösserung, Färbung HE; D) Tumordetail 200-fache Vergrösserung, Färbung HE.
Verlauf
Unmittelbar postoperativ haben die Schmerzen sistiert, und der Patient blieb in der Nachkontrolle beschwerdefrei. Die Beweglichkeit und Sensibilität der gesamten rechten oberen Extremität war seitengleich normal vorhanden.
Diskussion
Am häufigsten treten Glomustumoren subungual an den Fingern auf. Extradigital gelegene Glomustumoren hingegen sind selten und können daher verpasst oder verspätet diagnostiziert werden [1]. Da bereits ein kleiner Befund stark einschränkende Beschwerden verursachen kann, ist eine rasche Diagnosestellung wichtig, um Fehldiagnosen wie Neuralgie oder psychosomatische Beschwerden zu vermeiden. Eine sichere klinische Unterscheidung von neurogenen Schmerzen ist nicht immer möglich [10]. Hier kann eine Probeblockade des verdächtigten Nervs mit Lokalanästhetikum weitere Hinweise liefern. Bei unserem Patienten führte die Infiltration zu keinerlei Besserung, was ein neurogenes Geschehen unwahrscheinlich machte. Mittels MRI-Untersuchung liessen sich Lokalisation und Ausdehnung des Befundes sowie dessen Beziehung zu nachbarschaftlichen Strukturen gut darstellen. Im vorliegenden Fall zeigte sich eine Kontrastmittelaufnahme des Befundes, der direkt an eine subkutane Vene angrenzte. Dies deutete auf eine Gefässpathologie hin. Trotzdem konnte eine neurogene Ursache nicht ganz sicher ausgeschlossen werden, da der Befund auch mit einem Schwannom/Neurinom vereinbar gewesen wäre. Initial wäre sicherlich eine Sonographie sinnvoll gewesen, die eine höhere Sensitivität als die MRI-Untersuchung aufweist [2]. Da der Patient jedoch durch den Zuweiser bereits mittels MRI abgeklärt wurde, haben wir darauf verzichtet. Dass das MRI nicht immer konklusiv ist, zeigt auch ein Case Report eines ganz ähnlich gelagerten Falles [10]. Letztendlich konnte nur die Exzisionsbiopsie die definitive Diagnose bringen.
Die Exzisionsbiopsie stellt gleichzeitig auch die Therapie der Wahl beim Glomustumor dar [11]. Von Stanz- oder Inzisionsbiopsien sollte unbedingt abgesehen werden, um im Falle eines neurogenen Ursprungs der Raumforderung keine Nervenläsion zu verursachen. Die Operation sollte durch eine Chirurgin/einen Chirurgen erfolgen, welche/r genügend Erfahrung im Bereich der Mikro- und peripheren Nervenchirurgie besitzt, falls es sich doch um einen neurogenen Tumor handeln sollte. In der Schweiz sind dies hauptsächlich die Handchirurg:innen und die Plastischen Chirurg:innen. Nach Exzision des Befundes sind Rezidive selten, maligne Entartungen oder Metastasierungen sehr selten.
Das Wichtigste für die Praxis
- Intravenöse, extradigitale Glomustumoren sind sehr selten, haben aber ein erhebliches Leidenspotenzial.
- Leitsymptome sind eine Raumforderung mit einschiessenden, teils elektrisierenden Schmerzen bei Palpation.
- Eine MRI-Untersuchung kann hilfreich sein zur genauen Lokalisation und Ausbreitung, jedoch nicht zur Dignitätsbestimmung. Die Sonographie hat eine höhere Sensitivität.
- Die Exzisionsbiopsie durch mikro-/nervenchirurgisch erfahrene Operateure ist die Therapie der Wahl.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med Mathias Häfeli
Abteilung für Handchirurgie
Kantonsspital Graubünden
Löestrasse 170
CH–7000 Chur
mathias.haefeli[at]ksgr.ch
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