Aus den Federn auf die Intensivstation

Aus den Federn auf die Intensivstation

Fallberichte Online
Ausgabe
2022/00
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08736
Swiss Med Forum. 2022;22(00):

Publiziert am 01.01.2022

Ein 69-jähriger Patient stellt sich in reduziertem Allgemeinzustand vor, mit Dyspnoe und purulentem Sputum sowie Fieber und Gewichtsabnahme. Er wurde bereits zweimal stationär für eine Unterlappenpneumonie behandelt.

Hintergrund

Hypersensitivitätspneumonitis
Bei der Hypersensitivitätspneumonitis (HP) handelt es sich um eine seltene, diffuse Lungenparenchymerkrankung, ausgelöst durch die wiederholte Inhalation von aerogenen Allergenen bei vorgängiger Sensibilisierung [1]. Die klinische Präsentation ist vielfältig und kann die Diagnosestellung für die Betroffenen bisweilen zur Odyssee werden lassen, wie der Fall eines in unserer Klinik therapierten Patienten zeigt.

Anamnese und Befunde

Ein 69-jähriger Patient stellte sich in reduziertem Allgemeinzustand mit Dyspnoe und purulentem Sputum  sowie Fieber und Gewichtsabnahme vor. Der Patient war bereits zweimal stationär aufgrund einer Unterlappenpneumonie behandelt worden. In der Blutuntersuchung zeigte sich eine massive Leukozytose (maximal 30,3 G/l [Norm: 4,0–10,0 G/l], das C-reaktive Protein [CRP] lag bei maximal 145 mg/l [Norm: <5 mg/l]) und das Procalcitonin betrug 1,46 µg/l [Norm: 0,0–0,49 µg/l]. Während der vorgängigen stationären Antibiotikatherapien hatte sich der Zustand jeweils rasch gebessert, jedoch war es nach Spitalsaustritt relativ schnell zum Rückfall gekommen. Bei der dritten Vorstellung erfolgte ein ambulantes Management über die Tagesklinik. Trotz erneuter breiter antibiotischer Therapie (Ceftriaxon und Clarithromycin), die auch atypische Erreger abdeckte, kam es diesmal zu keiner wesentlichen Verbesserung. In der Computertomographie-(CT-)Untersuchung imponierten neu mosaikartige Milchglasinfiltrate («Ground-glass-Opazitäten») mit zentrilobulären Rundherden (Abb. 1 und 2). In der Lungenfunktionsprüfung zeigten sich eine mittelschwere Restriktion sowie eine stark eingeschränkte Kohlenstoffmonoxid-(CO-)Diffusionskapazität (DLCO) von 33% des Sollwerts (SW).
Abbildung 1:
A)  Axiales Computertomogramm (CT) des Patienten, passend zu einer subakuten Hypersensitivitätspneumonitis (HP) mit typischen mosaikartigen Milchglasinfiltraten (schwarze Pfeile), kombiniert mit geographischem Air Trapping (kleine weisse Pfeile) aufgrund der entzündlich eingeengten kleinen Luftwege. B)  Weiteres für HP typisches CT-Muster mit diskreten zentrilobulären Ground-glass-Opazitäten (kleine weisse Pfeile). 
Abbildung 2:
Bildmorphologische Veränderungen bei unserem Patienten.  A)   Konventionelles Röntgenbild im subakuten Stadium der Hypersensitivitätspneumonitis (HP) mit diffusen fein retikulären und nodulären Transparenzminderungen sowie diffusen Ground-glass-Opazitäten.  B) Coronales Computertomogramm-(CT-)Schnittbild mit Darstellung der Ground-glass-Opazitäten.  C) Konventionelles Röntgenbild und   D) coronales CT-Schnittbild nach dreimonatiger Allergenkarenz mit vollständiger Regredienz der vormals sichtbaren Lungenparenchymveränderungen.

Diagnose und Verlauf

Die wiederholten antibiotischen Therapien hatten jeweils ein rasches, jedoch nur vorübergehendes Ansprechen gezeigt. Anamnestisch fiel zudem auf, dass sich die Beschwerden nach Verlassen des häuslichen Umfelds während der Hospitalisationen prompt gebessert hatten. Dieser Aspekt richtete den Verdacht auf einen Zusammenhang mit der Umgebung des Patienten.
Differenzialdiagnostisch standen aufgrund der CT-Bildmorphologie und der Lungenfunktion eine Lungenparenchymerkrankung im Sinne einer nicht spezifischen interstitiellen Pneumonie (NSIP) oder eine Hypersensitivitätspneumonitis (HP) zur Diskussion.
Die Pneumologen wurden involviert und es folgte eine Bronchoskopie. Die bronchoalveoläre Lavage (BAL) ergab eine gemischtzellige Alveolitis mit erniedrigtem CD4/CD8-Quotienten (1827 Zellen/µ, 27% Lymphozyten, 58% Neutrophile; CD4/CD8-Quotient 1,4 [Normwert: ca. 2]) und vereinzelten epitheloidzelligen Makrophagen; pathogene Keime wurden nicht gefunden. Klinisch/anamnestisch und immunserologisch fanden sich keine Hinweise auf eine rheumatologische Erkrankung, potenziell pneumotoxische Medikamente wurden nicht eingenommen. In Zusammenschau der Resultate der BAL, der Radiomorphologie und der Klinik wurde die Diagnose einer Hypersensitivitätspneumonitis gestellt. Retrosepktiv muss davon ausgegangen werden, dass die Hospitalisationen (Abstand von zu Hause) und nicht die Antibiotikatherapien zur jeweiligen Symptomverbesserung geführt hatten. Anamnestisch konnte kein verursachendes Agens evaluiert werden (kein Kontakt zu Tieren oder Landwirtschaft, kein Whirlpool u.a.). Die Besserung der Symptomatik bei räumlicher Trennung (Spitalaufenthalt) deutete allerdings auf einen Verursacher im häuslichen Umfeld hin. Im Serum konnten Präzipitine nachgewiesen werden (Taubenproteine und Schimmelpilz). Therapeutisch wurden systemische Steroide eingesetzt (Prednisolon 0,75 mg/kg). Darunter konnte eine deutliche Verbesserung von klinischer Symptomatik und Lungenfunktion verzeichnet werden.
Nach der Akuthospitalisation folgte eine vierwöchige stationäre Rehabilitation. Während dieser Zeit veranlasste der Patient eine professionelle Luftmessung (Partikelzähler und Gasmessungen) bei sich zu Hause. Es wurden ein gutes Raumklima sowie keine Hinweise für eine Schimmelpilzexposition dokumentiert. Es zeigte sich aber inspektorisch ein grosser Lampenschirm aus echten Vogelfedern, der seit drei Jahren das Schlafzimmer des Patienten schmückte. In der Wohnung wurden ausserdem Zierkissen, Daunenjacken und Dekorationsmaterial aus Vogelfedern gefunden. Alle verdächtigen Materialen wurden entfernt, später erfolgte auch der Umzug in eine neue Wohnung. Der Verlauf gestaltete sich erfreulich.  Drei Monate nach Therapiestopp traten keine erneuten Symptome auf. Es zeigte sich eine deutliche Verbesserung der CO-Diffusionskapazität in der lungenfunktionellen Verlaufsuntersuchung (Anstieg des DLCO von 30% auf 66%) sowie ein Rückgang der Milchglasinfiltrate im CT.

Diskussion

Die Hypersensitivitätspneumonitis (HP) stellt eine wichtige Differenzialdiangose bei der «relapsing» oder «non resolving Pneumonia» dar. Sie wird auch extrinsisch-allergische Alveolitis (EAA) genannt und ist eine nicht infektiöse, allergisch bedingte Entzündung der distalen Atemwege und der Alveolen, die durch die Inhalation von meist organischen Antigenpartikeln hervorgerufen wird. Histologisch gehört sie zum Spektrum der granulomatösen Erkrankungen.
Die Symptome und der Krankheitsverlauf variieren stark und sind abhängig von Intensität und Dauer der Exposition, der Art des Allergens sowie der Anfälligkeit der betroffenen Personen. Die Pathogenese der HP ist noch nicht abschliessend bekannt; T-Zell-Hyperreaktivität und Immunkomplexbildung und -ablagerung scheinen eine wichtige Rolle zu spielen (Typ-III- und -IV-Reaktion) [1]. Da nur eine Minderheit der Exponierten erkrankt, wird zudem eine genetische Prädisposition angenommen.
Aussagen über Inzidenz und Prävalenz der Erkrankung sind schwierig, da sie oft nicht erkannt oder fehldiagnostiziert wird. Bestimmte Berufsgruppen und Atopiker sind besonders gefährdet (Tab. 1 [2]), Raucher indes weisen ein verringertes Risiko auf [3].
Tabelle 1:
Beispiele verschiedener HP-Formen sowie deren Allergenquellen [6].
 KrankheitAllergenquelle
MikroorganismenFarmerlungeschimmliges Heu, Silage
Befeuchterlungekontaminierte Luftbefeuchter, Wasserreservoirs, Zierbrunnen
Käsewäscherlungeschimmlige Käserinde
Pilzzüchterlungeschimmlige Komposterde
Saunalungekontaminierter Saunawasserkübel, Saunaaufgusswasser
MetallbearbeitungslungeMetallkühlwasser
Tierische ProteineVogelhalter-/ZüchterlungeWellensittiche, Kanarienvögel, Tauben, Hühner, Truthähne
TierhändlerlungeRatten, Wüstenrennmäuse
Laborantenlungeverschiedene Labortiere
Chemische StoffeChemiearbeiterlungeSprayfarben, Zweikomponentenklebstoffe
Es wird unterschieden zwischen akuter, subakuter und chronischer HP. Die Prognose verschlechtert sich mit fortschreitender Chronifizierung aufgrund zunehmend irreversibler Parenchymveränderungen, die in einer Lungenfibrose enden können [4].
Ein diagnostischer Goldstandard existiert nicht. Zu Beginn steht der klinische Verdacht, basierend auf einer Reihe unspezifischer Symptome und einer stattgehabten oder anhaltenden Allergenexposition. In einer Studie wurden sechs Kriterien zur Diagnosestellung erarbeitet: 1. Exposition gegenüber einem bekannten Auslöser, 2. rezidivierende, anfallsartige Symptome, 3. vier bis acht Stunden nach Exposition auftretende Symptome, 4. Gewichtsabnahme, 5. inspiratorische Rasselgeräusche, 6. positive Präzipitine (Tab. 2 [5]). Ergänzend sind Laborbefunde (Immunologie) und CT-Untersuchungen sowie die Diagnostik mittels Bronchoskopie/BAL oft zielführend [6]. Etwas neuere und detailliertere, aber im Prinzip vergleichbare Kriterien wurden nach einer Delphi-Befragung von der «American Thoracic Society» (ATS) 2018 publiziert [7]. Allen Diagnosekriterien ist gemein, dass sie der Heterogenität der klinischen Präsentation und der geringen Sensitivität und Spezifität der Laborbefunde, aber auch der  geschilderten CT-Diagnostik nur bedingt gerecht werden können. Dies erschwert die Diagnosestellung.
Tabelle 2:
Abklärungen bei Verdacht auf Hypersensitivitätspneumonitis [5, 6].
Anamnese und evtl. Besichtigung (Arbeitsplatz, Wohnung, Umgebung)Exposition gegenüber einem bekannten Auslöser
rezidivierende, respiratorische und allgemeine Symptome
vier bisacht Stunden nach Exposition auftretende Symptome; Gewichtsabnahme
Klinischer Statusinspiratorische Rasselgeräusche
BlutanalytikDifferenzialblutbild, CRP, evtl. Blutsenkungsreaktion (BSR)
Präzipitine (spezifische IgG) 
arterielle Blutgasanalyse
Bildgebende VerfahrenThorax-Röntgenbild, hochauflösende Computertomographie (HRCT) des Thorax in In- und Exspiration
LungenfunktionsprüfungBodyplethysmographie
CO-Diffusionskapazität
Bronchoskopiebronchoalveoläre Lavage, transbronchiale Lungenbiopsien
transbronchiale Lungenbiopsien
evtl. thorakoskopische Lungenbiopsie
Typische High-resolution-CT-Muster (HRCT) einer subakuten HP sind diffuse bilaterale Ground-glass-Opazitäten (Milchglastrübungen) sowie zentrilobuläre ground-glass-Noduli. Oft sind die Ground-glass-Opazitäten in einem Mosaikmuster organisiert, was auf eine obstruktiv entzündliche Komponente der kleinen Luftwege im Sinne eines «Air Trappings» schliessen lässt. Die Ausprägung dieses Mosaikmusters wird durch Exspirationsaufnahmen verstärkt und kann so gegenüber anderen Ursachen der Mosaikmusterbildung, wie  bei chronisch thromboembolischer pulmonalarterieller Hypertonie (CTEPH), unterschieden werden. Die chronische HP zeigt fibrotische Veränderungen mit retikulären Opazitäten und typischen Traktionsbronchiektasen. Die computertomographische Unterscheidung dieser fibrotischen Veränderungen zu anderen fibrotischen Veränderungen wie zum Beispiel der Usual Interstitial Pneumonia (UIP) im klinischen Rahmen einer idiopathischen pulmonalen Fibrose ist nicht immer möglich [8]. Die Zelldifferenzierung in der BAL ist nicht spezifisch, typischerweise zeigt sich eine Lymphozytose (>20–40%) mit einem verminderten CD4/CD8-Quotienten. In der Akutphase der HP kann auch eine Neutrophilie vorliegen, ebenso im chronifizierten (fibrosierten) Stadium. Das Vorhandensein von spezifischen IgG-Antikörpern im Serum (Präzipitine) ist eher suggestiv als diagnostisch, die Sensitivität und besonders die Spezifität sind nicht sehr hoch. So zeigten sich beispielsweise bei Vogelzüchtern mit einer HP («Vogelzüchterlunge») bei 92% spezifische IgG, bei der Kontrollgruppe (Vogelzüchter ohne HP) waren es 87% [9].
Die Therapie besteht aus der konsequenten Vermeidung des Allergens. Steroide können bei akuten und subakuten Verläufen zur schnelleren Symptomlinderung eingesetzt werden, ein Einfluss auf das Langzeit-Outcome konnte noch nicht gezeigt werden.
Ein wichtiger «learning point» aus dem vorliegenden Fall ist die Relevanz der Anamnese und die kritische Hinterfragung der Diagnose «Pneumonie» bei nicht adäquatem Therapieansprechen. In solchen Fällen zeigt sich der Benefit der interdisziplinären Falldiskussion mit Involvierung der  Fachrichtungen Radiologie und Pneumologie.

Das Wichtigste für die Praxis

  • Die Diagnosestellung einer HP bleibt eine Herausforderung. Kardinalsymptome im Akutstadium sind grippeähnliche und respiratorische Beschwerden (Husten, Dyspnoe). Steht der Verdacht im Raum, so ist die minutiöse Anamnese mit gezieltem Erfragen einer Allergen-Exposition entscheidend. Wegweisend ist eine Besserung der Symptome nach Meiden des verursachenden Agens. Neben der Anamnese sollten Bildmorphologie und Bronchoskopie/BAL zur Diagnostik herangezogen werden. Die Variabilität der Präsentationsmöglichkeiten ist beträchtlich.
  • Grundstein der Therapie ist die strikte Allergenkarenz. Bei akuten Verläufen können Steroide zum Einsatz kommen. Das verursachende Agens bleibt oft unklar.
  • Bei der chronischen Form der HP ist die Prognose schlechter als bei der akuten Form, mit Persistenz des fibrotischen Umbauprozesses. Die HP ist eine wichtige Differenzialdiagnose bei der Abklärung einer Lungenfibrose.
Die Autoren haben deklariert, keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Dr. med. Tobias Göldi
Ennetmooserstrasse 19
CH–6370 Stans
tobias.goeldi[at]gmail.com
1.  Hypersensitivity Pneumonitis: A Comprehensive Review. J Investig Allergol Clin Immunol. 2015;25(4):237–50. PubMed  
2. . Hypersensitivity Pneumonitis. Workplace Health Saf. 2016 Jun;64(6):284. http://dx.doi.org/  PubMed  
3. . Extrinsic allergic alveolitis: a disease commoner in non-smokers. Thorax. 1977 Oct;32(5):567–9. http://dx.doi.org/  PubMed  
4. . Chronic hypersensitivity pneumonitis. J Asthma Allergy. 2016 Sep;9:171–81. http://dx.doi.org/  PubMed  
5. . Clinical diagnosis of hypersensitivity pneumonitis. Am J Respir Crit Care Med. 2003 Oct;168(8):952–8. http://dx.doi.org/  PubMed  
6. . Exogen allergische Alveolitis (Hypersensitivitätspneumonitis). Swiss Med Forum. 2005;5(22):567–74.
7. . Identification of Diagnostic Criteria for Chronic Hypersensitivity Pneumonitis: An International Modified Delphi Survey. Am J Respir Crit Care Med. 2018 Apr;197(8):1036–44. http://dx.doi.org/  PubMed  
8. . Hypersensitivity pneumonitis: spectrum of high-resolution CT and pathologic findings. AJR Am J Roentgenol. 2007 Feb;188(2):334–44. http://dx.doi.org/  PubMed  
9. . Bird fancier’s lung: a series of 86 patients. Medicine (Baltimore). 2008 Mar;87(2):110–30. http://dx.doi.org/  PubMed