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Hintergrund
Das Horner-Syndrom bezeichnet die Symptomkonstellation von Miosis, Ptosis, Enophthalmus und Anhidrose, meist verursacht durch eine Störung der sympathischen Innervation der glatten Augenmuskulatur. Die klinische Diagnose und die Ursachenabklärung auf einer internistischen Notfallstation sind Thema dieses Beitrags.
Fallbericht
Anamnese und Status
Ein 54-jähriger Informatiker stellte sich notfallmässig wegen starker rechts parietal gelegener Kopfschmerzen (Numerische Rating-Skala [NRS] 8/10) sowie einer Verengung der rechten Lidspalte auf unserer Notfallstation vor. Die Kopfschmerzen hatten fünf Tage zuvor akut eingesetzt. Der Patient hatte zu diesem Zeitpunkt dreimal täglich Ibuprofen 400 mg wegen einer Knie-TEP drei Wochen zuvor eingenommen. Bei Erstmanifestation der Kopfschmerzen hatte er eine Walk-in-Praxis aufgesucht, wo neu ein erhöhter Blutdruck festgestellt worden war. Hierfür hatte er Amlodipin sowie zusätzlich Paracetamol gegen die Kopfschmerzen erhalten.
In der klinischen Untersuchung zeigte sich ein Horner-Syndrom am rechten Auge (Abb. 1). Der Blutdruck war mit 155 mm Hg systolisch erhöht. Der Patient wies keine weiteren Hirnnervenausfälle auf, einen pulsatilen Tinnitus verneinte er.
Rechtsseitiges Horner-Syndrom mit Myosis, Ptosis und Pseudoenophtalmus aus [17] Miller N, Kanagalingam S. Horner syndrome: clinical perspectives. Eye Brain. 2015;7:35-46. (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5398733/).
Befunde, Therapie und Verlauf
Hämatologie, Hämatokrit, INR (International Normalized Ratio) und Thrombozyten waren normal. Die D-Dimere fielen mit 893 ng/ml leicht erhöht aus (Normwert altersadaptiert <500 ng/ml). CT-angiographisch wurden weder eine Dissektion der Arteria carotis interna noch Stenosen der hirnzuführenden Gefässe nachgewiesen. Trotz negativer Bildgebung wurde eine Therapie mit Aspirin 100 mg/Tag und einem ACE-Hemmer begonnen. Auch die cerebrale Magnetresonanztomographie (MRT) vom Folgetag wurde als gänzlich unauffällig beurteilt. In der nach fünf Tagen durchgeführten axialen MRT-Bildgebung des Halses (Abb. 2) konnte ein Wandhämatom mit einer Länge von 4 cm im distalen zervikalen sowie im petrösen Segment der Arteria carotis rechts mit geringer Lumeneinengung nachgewiesen werden. Retrospektiv war diese Lumeneinengung auch bereits im CT-Angio bei Eintritt (Abb. 3) zu sehen, wobei die Duplexsonographie unauffällig war.
Fettsupprimierte T1-gewichtete SPAIR(SPectral Attenuated Inversion Recovery)-Sequenz fünf Tage nach Symptombeginn. Deutliches hyperintenses Wandhämatom im Bereich der Arteria carotis interna rechts.
CT-Angiographie bei Aufnahme. Der Kaliberunterschied war retrospektiv bereits in der auf der Notfallstation durchgeführten Bildgebung sichtbar.
Nach zweitägiger Überwachung mit Einstellung des Hypertonus zeigten sich die Kopfschmerzen weitgehend regredient und bildeten sich im Verlauf der nächsten vierzehn Tage ganz zurück. Hinweise auf mögliche Episoden eines CVI (zerebrovaskulärer Insult) oder einer TIA (transiente ischämische Attacke) traten während der Überwachung nicht auf. Das Horner-Syndrom persistierte für drei Monate.
Diskussion
Das Horner-Syndrom, das erstmalig vollständig vom schweizerischen Ophthalmologen Johann Friedrich Horner (1831–1886) beschrieben wurde, tritt bei 28–41% der Patienten mit Dissektion der Arteria carotis interna auf [1]. In 10–25% der Fälle kann es der einzige klinische Befund sein [2]. Eine spontane Dissektion der hirnversorgenden Gefässe ist verantwortlich für bis zu 24% der zerebralen ischämischen Insulte von Patienten unter 45 Jahren [3]. Infektionen, Schwangerschaft, Wochenbett, Trauma sowie genetische Veranlagung sind wichtige Risikofaktoren. Aufgrund des Intimaeinrisses kommt es zur Ausbildung eines falschen Lumens zwischen Tunica intima und Tunica muscularis, was wiederum zu einer Einengung des echten Lumens und je nach Ausprägung zur Minderperfusion führt. Das resultierende Hämatom dehnt die Gefässwand und schädigt die aufsteigenden sympathischen Nervenfasern, was sich klinisch als Horner-Syndrom manifestiert [4].
Erhöhte D-Dimere können Expression einer Endothelschädigung sein, wobei die exakte prognostische und diagnostische Relevanz bei Gefässpathologien nur für Aortendissektionen erforscht wurde [5]. Die Diagnose einer Carotisdissektion wird über bildgebende Verfahren gestellt. Anhand der Dynamik und der begleitenden Symptome soll evaluiert werden, welche anatomische Struktur dargestellt werden soll [6]. Neben der Time-of-Flight-Magnet-Resonanz-Angiographie (TOF-MRA) ist die hochauflösende moderne Black-Blood-MRA eine validierte Methode zur Darstellung und Einschätzung des Alters von Blut in den Gefässwänden [7, 8]. Im Akutstadium kann allerdings das Wandhämatom noch zu wenig ausgebildet sein, um in der Bildgebung erfasst zu werden [9]. Weiter muss daran gedacht werden, dass rund 10% der Patienten multiple Dissektionen aufweisen. Seltene Differenzialdiagnosen umfassen die Dissektion aufgrund einer fibromuskulären Dysplasie und das «Carotid Web» [10, 11]. Der historische Begriff «Carotidodynie» bezeichnet heutzutage die als TIPIC-(Transient-Perivascular-Inflammation-of-the-Carotid-artery-)Syndrom bekannte Entität [12].
In der Notfallsituation in einem peripheren Spital soll bei neu aufgetretenen Kopfschmerzen eine intrakranielle Blutung mittels nativem Computertomogramm (CT) des Neurokraniums ausgeschlossen werden. Bei Vorliegen eines Horner-Syndroms muss die Dissektion gesucht werden. Falls eine MRT-Bildgebung nicht verfügbar ist, kommen in der Akutsituation die kontrastmittelgestützte CT-Angiographie der Halsgefässe sowie die Duplexsonographie der hirnversorgenden Arterien zur Anwendung. Zur Feststellung eines Horner-Syndroms kann, wie bei unserem Patienten im Verlauf durchgeführt, auch die Pupillometrie eine schnelle und zuverlässige Antwort liefern (Abb. 4) [13].
Miotische Pupille auf der rechten Seite. Vor Aproclonidin-Gabe (Sympathomimetikum) keine Dilatation der Pupille im Dunklen auf der geschädigten Seite. Nach Aproclonidin-Gabe deutliche Wiederaufnahme der motorischen Funktion des Musculus dilatator pupillae.
Zur Ätiologie der Dissektion bei unserem Patienten vermuten wir, dass die Einnahme des NSAR (nichtsteroidales Antirheumatikum) zu einer hypertensiven Entgleisung und sekundär zur Dissektion geführt hatte. Die umgekehrte Reihenfolge ist wohl sehr viel häufiger: Aufgrund der Dissektion kommt es je nach Ausmass der Lumeneinengung unter Umständen zu einer Hypoperfusion der nachgeschalteten Hirnareale mit sekundärer Bedarfshypertonie. In einem solchen Fall ist die Perfusionsbildgebung zur Evaluation der Hypoperfusion hilfreich.
Ein kompletter Gefässverschluss im Rahmen einer Dissektion der Halsarterien stellt keine Kontraindikation für eine Thrombolyse oder eine Thrombektomie dar und ist im Vergleich zu nicht okklusiven Dissektionen mit einer ungünstigeren Prognose verbunden [14]. Bezüglich der Antikoagulation hat die schweizerisch geführte TREAT-CAD-(Biomarkers-and-Antithrombotic-Treatment-In-Cervical-Artery-Dissection-)Studie ergeben, dass der primäre Endpunkt der Nicht-Unterlegenheit von Aspirin gegenüber Vitamin-K-Antagonisten (VKA) bei Patienten mit Carotis-/Vertebralisdissektion nicht erreicht wurde. Unter VKA zeigten sich weniger Ereignisse. Direkte orale Antikoagulanzien wurden nicht untersucht [15, 16]. Bei intrakranieller Ausdehnung der Dissektion ist Vorsicht geboten, da hier die Antikoagulation mit erhöhter Gefahr für Subarachnoidalblutungen verbunden ist.
Das Wichtigste für die Praxis
- Eine spontane Dissektion der hirnversorgenden Gefässe zeigt sich verantwortlich für bis zu 24% der zerebralen ischämischen Insulte von Patienten unter 45 Jahren.
- Eine «negative» Bildgebung (MRT/CT) schliesst im Akutstadium eine Dissektion nicht aus.
- Der klinische Befund (Horner-Syndrom) ist wegweisend.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Thierry G. Donati
Klinik für Innere Medizin
Spital Uster
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