Palmblatt-Stich hat`s in sich

Palmblatt-Stich hat`s in sich

Fallberichte Online
Ausgabe
2022/00
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08801
Swiss Med Forum. 2022;22(00):

Publiziert am 01.01.2022

Eine bisher gesunde 42-jährige Patientin stellte sich mit starken Schmerzen und Bewegungseinschränkung der Beugesehne des rechten Mittelfingers in der rheumatologischen Sprechstunde vor.

Hintergrund

Tendovaginitiden mit atypischen Mykobakterien
Im klinischen Alltag wird man nicht nur in der rheumatologischen Spezialsprechstunde, sondern auch in der Hausarztpraxis oft mit Patienten konfrontiert, die sich mit der Symptomatik einer Tendovaginitis vorstellen. Zwar handelt es sich um ein häufiges Beschwerdebild, jedoch stellt die gezielte Therapie aufgrund der vielfältigen Ursachen eine Herausforderung dar. Erfahrungsgemäss kann ein Grossteil der Tendovaginitiden/Synovitiden dem rheumatologischen Formenkreis zugeschrieben werden. Differenzialdiagnostisch ist neben autoimmun bedingten auch an mechanisch ausgelöste sowie seltener auch an infektiöse Ursachen zu denken.
Wir präsentieren in diesem Zusammenhang einen unkonventionellen Fall.

Fallbericht

Anamnese

Eine bisher gesunde 42-jährige Patientin stellte sich mit starken Schmerzen und Bewegungseinschränkung der Beugesehne des rechten Mittelfingers in der rheumatologischen Sprechstunde vor. In der Systemanamnese berichtete die Patientin über eine mögliche Photosensitivität; Psoriasis (bei familiärer Vorbelastung), Arthralgien und Konnektivitis-Stigmata lagen nicht vor. Ein vorgängiger Therapieversuch mit Analgetika und systemischen Glukokortikoiden hatte keine Besserung gebracht.

Status

Die immunkompetente Patientin präsentierte sich in gutem Allgemeinzustand. Das Integument war bis auf eine diskrete Hyperkeratose am rechten
Zeigefinger radialseits unauffällig. Psoriasisartige Plaques fanden sich nicht. Es imponierte eine ödematöse Schwellung des gesamten rechten Mittelfingers, beginnend an der digitalen Beugefalte palmar nach distal reichend mit einer maximalen Druckdolenz über dem Beugesehnenkanal P1 und P2. Die Insertion an der Basis des Endglieds sowie auch über dem A1-Ringband war frei. Der aktive Faustschluss war unvollständig mit einem Fingerspitzen-Hohlhand-Abstand von 3 cm. Auch passiv gelang der Faustschluss aufgrund starker Schmerzen nicht. Das Gaenslen-Zeichen war beidseits negativ. Die übrigen Gelenke präsentierten sich ohne synovitische Schwellung, Druckdolenz oder Enthesitiden und waren uneingeschränkt und schmerzfrei beweglich. Das Achsenskelett und die Sakroiliakalgelenke waren unauffällig.

Befunde


Die klinische Präsentation entsprach damit einer Flexoren-Tendovaginitis des rechten Mittelfingers. Laboranalytisch zeigte sich eine Blutsenkungsreaktion von 20 mm/h (Norm <15 mm/h), das C-reaktive Protein (CRP) war unwesentlich erhöht mit 6 mg/l (Norm <5 mg/l). Blutbild, Kreatinin und Transaminasen waren normwertig. HLA-B27, antinukleäre Antikörper, Rheumafaktor und anti-CCP-Antikörper (CCP: cyclisches citrulliniertes Peptid) waren alle negativ.
Sonografisch zeigte sich eine deutliche Tendovaginitis der rechten Beugesehne mit peritendinöser Flüssigkeit und verdickter Synovialis von proximal des MCP-III-Gelenks (MCP: Metacarpophalangeal) bis nach ganz distal reichend. Synovitiden der MCP-, PIP- und DIP-Gelenke (PIP: proximales Interphalangealgelenk; DIP: distales Interphalangealgelenk) konnten nicht nachgewiesen werden.
Kernspintomografisch wurde eine ausgeprägte, pannusartige Tenosynovitis der Beugesehnen des rechten Mittelfingers bestätigt (Abb. 1A).

Abbildung 1:
MRI der rechten Hand vor (A) und nach einjähriger antibiotischen Therapie
 (B) .
A) ausgeprägte Tendovaginitis der Beugesehnen des Dig. 3.
 B)  Flexoren Tendovaginitis Dig. 3 abgeklungen.

Diagnose

Initial wurde die Diagnose einer undifferenzierten Flexoren-Tendovaginitis des rechten Mittelfingers gestellt. Die Ätiologie blieb zu diesem Zeitpunkt unklar, da Hinweise für eine zugrundeliegende entzündlich-rheumatologische oder mechanische Ursache fehlten. Im Abstand von sechs Monaten erfolgten pragmatischerweise zweimalig peritendinöse Steroidinfiltrationen mit jeweils guter, aber nur vorübergehender Beschwerdebesserung. Deshalb entschieden wir uns für eine handchirurgische diagnostische Probeentnahme und ausgiebige Synovektomie. Intraoperativ zeigte sich eine deutlich verdickte Sehnenscheide. Es erfolgten die histologische und bakteriologische Aufarbeitung sowie eine Kristalldiagnostik. Histologisch dokumentierte sich eine unspezifische niedriggradige Entzündung ohne Granulombildung. Die bakteriologische Kultur blieb ohne Wachstum, in der mykobakteriologischen Kultur liess sich jedoch nach drei Wochen ein atypisches Mykobakterium nachweisen. Die partielle Sequenzierung der ribosomalen RNA ergab die Spezies Mycobacterium kumamotonense.

Wie sich retrospektiv eruieren liess, hatte sich die Patientin circa zwei Monate vor Symptombeginn beim Umtopfen einer Balkon-Palme (an einem spitzen Palmblatt) am rechten Mittelfinger volarseitig eine kleine Stichwunde zugezogen.
Vom ersten Symptombeginn bis zur endgültigen Diagnosestellung war insgesamt ein volles Jahr verstrichen. 

Therapie und Verlauf

Wir entschieden uns angesichts der suggestiven Umstände gegen den Ausschluss einer Kontamination durch Wiederholung der Kultur und empfahlen der Patientin die Aufnahme einer antibiotischen Therapie. Unter der Berücksichtigung der Resistenzprüfung wurde eine Behandlung bestehend aus Azithromycin, Ethambutol und Rifabutin eingeleitet. Bezüglich unerwünschter Wirkungen ist bei mehrmonatigem Gebrauch von Ethambutol in erster Linie die Entwicklung einer Neuropathie des Sehnervs gefürchtet, weshalb wir eine ophthalmologische Anbindung der Patientin in die Wege leiteten. Zudem fanden regelmässige Laborkontrollen, insbesondere der Leberwerte, statt. Rifabutin musste nach wenigen Wochen aufgrund von grippeähnlicher Symptomatik – einer bekannten seltenen Nebenwirkung dieser Substanz – abgesetzt werden. Aufgrund des bis dahin guten Verlaufs und des anlässlich der handchirurgischen Gewebeentnahme durchgeführten gründlichen Débridements vor Beginn der Therapie wurde auf die Zugabe eines anderen Medikamentes verzichtet. Im Verlauf der der ersten sechs Therapiemonate waren die Schmerzen weitgehend regredient. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) 12 Monate nach Therapiebeginn zeigte vollständige Regredienz der Tendovaginitis-Manifestationen (Abb. 1B). Es wird eine Therapiedauer von 18 Monaten angestrebt.

Diskussion

Tenosynovitiden mit nicht-tuberkulösen Mykobakterien (NTM) sind im Gegensatz zu tuberkulösen Handinfektionen fast immer lokalisierte Prozesse, welche als Folge von mitunter geringfügigen Traumata oder medizinischen Interventionen (Operationen, Infiltrationen) in Erscheinung treten. Immunmodulierende Faktoren wie Medikamente, Diabetes mellitus, HIV-Infektion oder fortgeschrittenes Alter können eine manifeste Infektion begünstigen, sind aber anders als bei systemischen NTM-Mykobakteriosen keineswegs Vorbedingung. Häufig können – dem jeweiligen Habitat des Erregers entsprechend – anamnestisch Gartenarbeiten oder Tätigkeiten im Wasser (zum Beispiel an Aquarien) ausgemacht werden.
Bis zu drei Viertel der Fälle werden durch M. marinum verursacht, während sich schnell wachsende Mykobakterien (M. fortuitum, M. chelonae, M. abscessus) sowie Gruppen von langsam wachsenden Mykobakterien wie M.-avium-Komplex, M. kansasii und M.-terrae-Komplex die Mehrzahl der restlichen Fälle teilen [3, 4]. Insbesondere Tenosynovitiden mit Vertretern der letztgenannten Gruppe sollen einen oftmals über längere Zeit indolenten, chronischen Verlauf nehmen [4]. M. kumamotonense wurde 2006 molekularbiologisch innerhalb des M.-terrae-Komplex separiert [1] und wurde unter diesem Namen weltweit erst einmalig ausführlich als Erreger einer Handinfektion beschrieben [2].

Klare Richtlinien zur Behandlung von NTM-Tenosynovitiden gibt es nicht. Mit Ausnahme vielleicht von M.-marinum-Infektionen sollte ein möglichst radikales Débridement angestrebt werden, gefolgt von einer mehrmonatigen antibiotischen Kombinationstherapie. Die Wahl der Substanzen orientiert sich für gewisse Gruppen (M. terrae, M. marinum) an einer phänotypischen Resistenzprüfung, während für andere Gruppe wie M. avium die klinische Relevanz der Resistenzprüfung wenig gesichert ist und eher empirische Therapien verwendet werden.
Die antibiotische Behandlung von NTM-Tenosynovitiden verläuft häufig langwierig, kann von Komplikationen und Nebenwirkungen geprägt sein und erfordert von Patient/in wie Ärztin/Arzt ein hohes Mass an Commitment.  

Der diskrete klinische Befund, der mehrmonatige «diagnostic lag», die wenig wegweisende Histologie, sowie das verzögerte klinische Ansprechen auf die antibiotische Behandlung unserer Patientin sind häufig beschriebene Eigenheiten im Verlauf von NTM-Tenosynovitiden. In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass sich die ebenfalls typische Tendenz zum Rezidiv hier nicht manifestieren wird.

Wie in diesem Fall vorgestellt, sollte bei einer protrahierten Synovitis/Tendovaginitis, die therapieresistent erscheint, nach Ausschluss einer zugrundeliegenden entzündlich-rheumatologischen Erkrankung differenzialdiagnostisch auch eine chronische Low-grade-Infektion in Betracht gezogen werden und die Gewinnung von Biopsien für histologische, bakteriologische und mykobakteriologische Aufarbeitung durchgeführt werden.

Das Wichtigste für die Praxis

  • Chronische Tendovaginitiden sind meist mechanisch oder rheumatologisch bedingt, können aber selten auch infektiöse Ursachen haben.
  • Bei der diagnostischen Aufarbeitung dürfen mykobakteriologische Kulturen nicht vergessen werden.
  • Die Diagnostik und Therapie der Tendovaginitiden mit atypischen Mykobakterien stellen häufig eine Herausforderung dar.
Wir danken Frau Irena Mitrovic (Medizinische Mikrobiologie, Luzerner Kantonsspital) für die sorgfältige Korrektur des Manuskripts und der Radiologie des Luzerner Kantonsspitals (insbesondere Dr. med. Thomas Treumann, Co-Chefarzt) für die MRI-Bilder.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Noémi Demeter
Luzerner Kantonsspital
Rheumatologie
Spitalstrasse
CH–6004 Luzern
noemi.demeter[at]sanacare.ch
1.  Mycobacterium kumamotonense Sp. Nov. recovered from clinical specimen and the first isolation report of Mycobacterium arupense in Japan: novel slowly growing, nonchromogenic clinical isolates related to Mycobacterium terrae complex. Microbiol Immunol. 2006;50(11):889–97. http://dx.doi.org/10.1111/j.1348-0421.2006.tb03865.x PubMed 0385-5600
2.  Soft tissue infection caused by Mycolicibacter kumamotonensis. J Infect Chemother. 2020 Jan;26(1):136–9. http://dx.doi.org/10.1016/j.jiac.2019.06.013 PubMed 1437-7780
3. . Non-tuberculous mycobacterial infections of the hand. Chir Main. 2015 Feb;34(1):18–23. http://dx.doi.org/10.1016/j.main.2014.12.004 PubMed 1769-6666
4. . Non-tuberculous mycobacterial tenosynovitis: a review. Scand J Infect Dis. 1999;31(3):221–8. http://dx.doi.org/10.1080/00365549950163482 PubMed 0036-5548