Der belastungsinduzierte Hitzeschlag – Ein Fallbeispiel von einem Halbmarathon

Der belastungsinduzierte Hitzeschlag – Ein Fallbeispiel von einem Halbmarathon

Fallberichte Online
Ausgabe
2022/00
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08805
Swiss Med Forum. 2022;22(00):

Publiziert am 01.01.2022

Wir stellen einen aussergewöhnlichen Notfall während eines Halbmarathonlaufes vor, bei dem ein sportlicher, männlicher Läufer desorientiert neben der Laufstrecke aufgefunden wurde.

Hintergrund

Gesundheitliche Risiken im Laufsport
Volksläufe erfreuen sich einer zunehmenden Be­liebtheit bei Breitensportlern. Obwohl der Laufsport generell eher als risikoarm gilt, ist die Gefahr von medizinischen Zwischenfällen bei Halbmarathon- oder Marathonläufen nicht zu unterschätzen. Wir stellen ­einen aussergewöhnlichen Notfall während eines Halbmarathonlaufes vor, bei dem ein sportlicher, männlicher Läufer desorientiert neben der Laufstrecke aufgefunden wurde.

Fallbericht

Anamnese

Ein 32-jähriger Sportler wurde während eines Halbmarathonlaufs nach knapp Zweidrittel der Distanz neben der Laufstrecke aufgefunden und nach Erstversorgung durch die ärztliche Rennleitung in notärztlicher Begleitung in den Schockraum eingewiesen. Der Patient selbst war zu diesem Zeitpunkt nicht orientiert und konnte keine weiteren Angaben machen. Fremdanamnestisch war zu erfahren, dass er zuckende Bewegungen gezeigt habe. Bei Eintreffen der Sanitäter präsentierte sich der Patient hypoton, tachykard und wies eine Hypoglykämie auf. Klinisch imponierte zudem eine beidseitige Mydriasis. Bereits im Sanitätszentrum vor Ort wurde bei Verdacht auf einen belastungsinduzierten Hitzschlag eine Behandlung mit Kristalloiden, Glukose sowie Midazolam begonnen, ohne dass eine Zustandsbesserung erzielt wurde. Da der Patient sich im weiteren Verlauf einstuhlte, was im Rahmen eines Krampfanfalls gewertet wurde, erfolgte die notfall­mässige Einweisung ins Spital zur weiterführenden ­Diagnostik, Überwachung und Therapie. Während des Transports präsentierte sich der Patient unter in­travenöser Volumensubsitution weiterhin hypoton (107/55 mm Hg) und tachykard (121/min). Die Glukose lag nun bei 5,7 mmol/l.
Die Ehefrau des Patienten berichtete, dass der Patient weder Nebendiagnosen noch eine regelmässige Medikamenteneinnahme aufweise und auch in den ver­gangenen Monaten nicht krank gewesen sei. Die ­Einnahme leistungssteigernder Substanzen wurde ebenfalls verneint. Die Familienanamnese bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse oder des plötzlichen Herztods war negativ. Einige Wochen zuvor habe er noch ­erfolgreich einen Bergmarathon absolviert.

Klinischer Status im Schockraum

Komatöser Patient, Glasgow Coma Scale 3 Punkte (E1 V1 M1), hypoton (92/50 mm Hg), tachykard (105/min), Atemfrequenz 13/min, hypertherm mit 39,9 °C aurikulär. Reine Herztöne, warme Peripherie, Arteria dorsalis pedis rechts schwach palpabel, links regelrecht palpabel. Normale Atemgeräusche ohne Nebengeräusche von ventral auskultiert. Abdomen weich mit regen Darmgeräuschen. Kein erhöhter Muskeltonus oder ­Nackenstarre. Ausgeprägte Mydriasis.

Laborchemische Befunde und EKG

Die Ergebnisse der Blutwerte sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Tabelle 1:
Blutwerte des Patienten im Fallbericht
Parametergemessener WertNormalwertklinische Bewertung
CRP (C-reaktives Protein)  normwertig
Leukozyten13,3 G/l4–10 G/lleichte Leukozytose
Thrombozyten133 G/l150–350 G/lmilde Thrombozytopenie
Kreatinin149 μmol/l53–115 μmol/lakute Niereninsuffizienz AKIN 1
Natrium142 mmol/l136–145 mmol/l 
Kalium3,5 mmol/l3,6–5,5 mmol/l 
AST (Aspartat-Aminotransferase)148 U/l10–35 U/lerhöht im Rahmen der Rhabdomyolyse
ALT (Alanin-Aminotransferase)  normwertig
LDH (Laktatdehydrogenase)495 U/l135–225 U/lerhöht im Rahmen der Rhabdomyolyse
CPK (Creatinphosphokinase)3 942 U/l<195 U/ldeutliche erhöhte kardiale Biomarker und Muskelenzyme
Myoglobin17 170 ng/ml28–72 ng/ml
Troponin T hoch sensitiv0,369 ng/ml<0,014 ng/ml
In der arteriellen Blutgasanalyse zeigte sich eine ­metabolische Laktatazidose mit einem Laktat von 2,7 mmol/l (Normalwert: <2,2 mmol/l). Elektrokardiografisch tachykarder Sinusrhythmus mit linksanteriorem Hemiblock ohne ST-Streckenveränderungen. Das Tox-Screening im Urin war bis auf einen positiven Benzodiazepinnachweis unauffällig.

Diagnostik und Therapie

Aufgrund der Vigilanzminderung mit ungenügenden Schutzreflexen und akuter Emesis erfolgte umgehend eine orotracheale Schutzintubation und anschliessend eine Analgosedation mittels Sufentanil und Midazolam. Nach computertomografischem Ausschluss einer intrakraniellen Blutung, einer Schädelfraktur, einer Aortendissektion, einer Lungenembolie und einer traumatisch bedingten thorakalen/abdominalen Blutung wurde der Patient bei hochgradigem Verdacht auf einen belastungsinduzierten Hitzschlag mit protrahierter Vigilanzminderung (engl. exertional heat stroke, EHS) auf die Intensivstation zur hämodynamischen sowie neurologischen Überwachung verlegt.
Es erfolgte umgehend eine externe Kühlung zur Korrektur der Hyperthermie (Zieltemperatur <39,0 °C) mittels Coolpacks und die grosszügige Gabe von Ringer-Laktat bei ausgeprägter Rhabdomyolyse mit unspezifischer Transaminasenerhöhung sowie akuter Niereninsuffizienz AKIN (Acute Kidney Injury Network) 1. Im Urinstatus fand sich ein Hämoglobin von 3+ bei mikroskopisch jedoch nur vereinzelten Erythrozyten im Sediment. Die Ursache der akuten Niereninsuffizienz erklärten wir kombiniert prärenal bei Dehydratation und durch die massive Rhabdomyolyse respektive die Myoglobinurie (Crush-Syndrom). Die deutlich erhöhten Troponinwerte sahen wir im Rahmen der körperlichen Belastung und des belastungsinduzierten Hitzschlags mit Rhabdomyolyse. Elektrokardiografisch ergaben sich keine Anhaltspunkte für ein akutes koronar-ischämisches Geschehen und computertomografisch fanden sich keine Kalk­ablagerungen in den Koronararterien. Die im Verlauf durchgeführte Echokardiografie zeigte ein strukturell unauffälliges Herz.
Nebenbefundlich fanden sich im CT Thorax Konsolidationen in den posterobasalen Lungenabschnitten beidseits, vereinbar mit einer Aspirationspneumonie oder Minderbelüftung. Auf eine Antibiotikatherapie wurde bei fehlender Klinik und Entzündungsparametern verzichtet.

Verlauf

Bereits am Folgetag konnte der Patient problemlos extubiert werden. Er war im Verlauf stets zu allen Qualitäten orientiert, zeigte jedoch eine Amnesie für das Ereignis. Die Muskelenzyme stiegen im Verlauf weiter an mit einem Maximalwert der CPK von 38 854 U/l (Normalwert: <195 U/l) und Myoglobin von 20 215 ng/ml (Normalwert: 28–72 ng/ml). Die Kreatininwerte normalisierten sich, die Thrombozytopenie war initial progredient bis minimal 73 G/l (Normalwert: 150–350 G/l) ohne Blutungskomplikationen. Nach vier Tagen konnte der Patient ohne neurologische Residuen in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden.

Diskussion

Ätiologie und Pathophysiologie

Der belastungsinduzierte Hitzschlag, eine medizinische Notfallsituation, tritt in der Regel innerhalb der ersten Stunde nach Belastungsbeginn auf und betrifft meist junge und gesunde Sportler, die über ihrer je­weiligen Belastungskapazität trainieren. Hohe Aussentemperaturen stellen ein Risiko dar, wobei auch ­vereinzelt Fälle unabhängig von der jeweiligen Aussentemperatur beschrieben sind [1]. In unserem Fallbericht betrug die Aussentemperatur 20 °C und die Luftfeuchtigkeit 46%. Davon abzugrenzen ist der klassische Hitzschlag, welcher bei hohen Aussentemperaturen auftritt und vor allem ältere Personen betrifft. Als prädisponierende Faktoren für einen belastungsinduzierten Hitzschlag gelten nebst kardiovaskulären, pulmonalen oder auch neurologischen Vorerkrankungen die Einnahme bestimmter Medikamente (zum Beispiel Betablocker, Diuretika, Anticholinergika), eine Alkohol- oder Drogeneinnahme sowie virale oder bakterielle, insbesondere auch subklinische Infektionen [2]. Da es häufig zu Fehldiagnosen kommt und die Beschwerden beispielsweise im Rahmen einer Dehydratation gewertet werden, bleibt die tatsächliche Inzidenz des belastungsinduzierten Hitzschlag unklar [3].
Pathophysiologisch kommt es zu Gunsten einer gesteigerten Hautdurchblutung in Folge der Hyperthermie zu einem reduzierten Blutfluss im Splanchnikusgebiet. Dies und der direkte thermische Schaden auf zellulärer Ebene führen, so wird postuliert, zu einer vermehrten Barrierestörung der Darmwand. Hierauf gelangen Bakterien sowie Lipopolysaccharide (LPS) in den Blutkreislauf, woraus eine Zytokinfreisetzung resultiert. Dies wiederum löst eine generalisierte Entzündungsreaktion aus und kann bis hin zum Multiorganver­sagen führen [4].

Diagnose

Die Diagnose eines belastungsinduzierten Hitzschlags wird hauptsächlich klinisch gestellt basierend auf der Symptomkonstellation Hyperthermie (meist Temperatur >40,5 °C) und neurologischen Abnormalitäten nach physischer Belastung [5]. Die neurologischen Symptome können von reinen Verhaltensauffällig­keiten bis hin zu epileptischen Krämpfen und Koma reichen. Optimal sollte die Körpertemperatur rektal gemessen werden, da eine aurikuläre oder axilläre Temperaturmessung die Hyperthermie unterschätzt [6]. Im klinischen Alltag und insbesondere in der Akutsituation im Schockraum wird jedoch die Temperatur häufig aurikulär gemessen. Eine zeitnahe Diagnosestellung ist wichtig, da eine Verzögerung im Therapiebeginn bis hin zu einem Multiorganversagen mit entsprechendem Anstieg der Morbidität und Mortalität führen kann. Bekannte Komplikationen sind eine anhaltende Bewusstseinsminderung, Blutungskomplikationen im Rahmen einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) oder schweren Thrombozytopenie, respiratorische Insuffizienz bis hin zu einem akuten respiratorischen Versagen (ARDS), akute Nieren- und Leberschädigung sowie letztlich typisch eine Rhabdomyolyse [4, 5]. Wichtig ist eine klinische und laborchemische Überwachung für mindestens 72 Stunden, um allfällige Komplikationen frühzeitig erfassen und entsprechend behandeln zu können.
Differenzialdiagnostisch vom Hitzschlag abzugrenzen sind andere Systemerkrankungen, welche mit Fieber und neurologischer Dysfunktion einhergehen, wie beispielsweise Meningoenzephalitiden, Epilepsien, Intoxikationen (z.B. mit Atropin, Kokain oder Amphetaminen), schwere Dehydratationen und andere metabolische Syndrome (z.B. malignes Neuroleptikasyndrom, Serotoninsyndrom, thyreotoxische Krise) [3]. Hinweise für eine belastungsbedingte Hyponatriämie (engl. exercise-associated hyponatremia, EAH), welche im Rahmen der übermässigen Flüssigkeits­einnahme der Sportler entsteht, gab es bei unserem Patienten nicht.

Therapie

Die Therapie eines belastungsinduzierten Hitzschlags ist symptomatisch und beinhaltet als wichtigste Massnahme eine rasche und effektive Kühlung mit dem Ziel, eine Körpertemperatur unter 39 °C zu er­reichen. Dies kann mit externer Kühlung mittels Coolpacks oder kalten Wasserbädern erreicht werden. Antipyretische Medikamente erbringen keinen Nutzen und können eine Koagulopathie bei bestehender hepatischer Dysfunktion und DIC gar verstärken. Ebenfalls gibt es keine Evidenz für den Nutzen von Dantrolen [3].

Verlauf im Fallbericht

Unser Patient erfüllte die typische Symptomkonstellation für einen belastungsinduzierten Hitzschlag. Er präsentierte sich enzephalopathisch und hypertherm nach physischer Belastung. Nach Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen wurden sofort kühlende Massnahmen ergriffen und eine prompte klinische Verbesserung erzielt. Komplizierend entwickelte der Patient eine akute Niereninsuffizienz im Rahmen der Rhabdomyolyse sowie eine mittelschwere Thrombozytopenie, wobei sowohl die Nierenretentionsparameter nach begleitend durchgeführter ausgedehnter Volumentherapie als auch die Thrombozytopenie unter kühlenden Massnahmen rasch rückläufig waren.

Das Wichtigste für die Praxis

  • Die Kenntnis dieses Krankheitsbilds ist wichtig, um eine rasche Diagnosestellung und einen umgehenden Therapiebeginn zu ermöglichen und so Therapieverzögerungen mit potenziell letalen Komplikationen zu vermeiden.
  • Das Risiko eines belastungsinduzierten Hitzschlags (EHS) steigt mit ­höherer Umgebungstemperatur und höherer Luftfeuchtigkeit.
  • Es handelt sich um eine klinische Diagnose mit typischer Symptomkonstellation: Hyperthermie und neurologische Auffälligkeiten nach körperlicher Belastung.
  • Therapie: externe Kühlung, nach Komplikationen suchen und frühzeitig behandeln.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Salomon M. Manz
Medizinische Klinik, Spital Uster
Departement Medizinische Disziplinen
Brunnenstrasse 42
CH–8610 Uster
salomon.manz[at]ymail.com
1 . Exertional heat stroke: a case series. Med Sci Sports Exerc. 1999 Feb;31(2):224–8. http://dx.doi.org/10.1097/00005768-199902000-00004 PubMed
2 . Heat intolerance: predisposing factor or residual injury? Med Sci Sports Exerc. 1990 Feb;22(1):29–35. http://dx.doi.org/10.1249/00005768-199002000-00006 PubMed
3 . Heatstroke. N Engl J Med. 2019 Jun;380(25):2449–59. http://dx.doi.org/10.1056/NEJMra1810762 PubMed
4 . Heat stroke. N Engl J Med. 2002 Jun;346(25):1978–88. http://dx.doi.org/10.1056/NEJMra011089 PubMed
5 . Field and clinical observations of exertional heat stroke patients. Med Sci Sports Exerc. 1990 Feb;22(1):6–14. http://dx.doi.org/10.1249/00005768-199002000-00003 PubMed
6 . Inconsistency in the Standard of Care-Toward Evidence-Based Management of Exertional Heat Stroke. Front Physiol. 2019 Feb;10:108. http://dx.doi.org/10.3389/fphys.2019.00108 PubMed