Rezidivierende Stürze und Lichtblitze bei alternierendem Schenkelblock

Rezidivierende Stürze und Lichtblitze bei alternierendem Schenkelblock

Fallberichte Online
Ausgabe
2022/00
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08836
Swiss Med Forum. 2022;22(00):

Publiziert am 01.01.2022

Die 76-jährige Patientin stellte sich aufgrund eines wiederholten Sturzereignisses auf unserer chirurgischen Notfallstation vor. Sie berichtete, dass sie sich gebückt und beim Aufrichten plötzlich einen starken Drehschwindel verspürt hatte, weshalb sie das Gleichgewicht verlor und gestürzt war. Sie verneinte Sehstörungen, Doppelbilder sowie auch einen Kopfanprall.

Hintergrund

Sturzereignisse im fortgeschrittenen Alter
Besonders ältere Menschen sind sturzgefährdet. Laut der Schweizerischen Gesundheitsbefragung aus dem Jahr 2017 sind es je nach Region zwischen 18% und 30% aller über 65-jährigen Personen, die angaben, mindestens einen Sturz im Laufe von 12 Monaten gehabt zu haben. Folge sind oftmals Spitalaufenthalte oder die Notwendigkeit in ein Alters- oder Pflegeheim einzutreten [1].
Umso wichtiger ist es gerade in diesen Patientengruppen eine reversible Ursache herauszufinden. Eine umfassende Anamnese ist deshalb von herausragender diagnostischer Wichtigkeit. Gelegentlich können Anamnese, körperliche Untersuchung und ein 12-Kanal-EKG bereits Hinweise für eine rhythmogene Ursache der Stürze geben. In diesem Fallbericht ist ein paroxysmaler kompletter AV-Block bei alternierendem Schenkelblock die Ursache der Sturzereignisse. Trotz mehrfacher Befragung berichtete die Patientin nie eine Synkope gehabt zu haben. Erst nach wiederholtem Nachfragen während der Hospitalisation gab sie dann an, Lichtsensationen und Lichtblitze verschiedener Farben gehabt zu haben, nicht jedoch Synkopen.

Fallbericht

Anamnese


Die 76-jährige Patientin stellte sich aufgrund eines wiederholten Sturzereignisses auf unserer chirurgischen Notfallstation vor. Sie berichtete, dass sie sich gebückt und beim Aufrichten plötzlich einen starken Drehschwindel verspürt hatte, weshalb sie das Gleichgewicht verlor und gestürzt war. Sie verneinte Sehstörungen, Doppelbilder sowie auch einen Kopfanprall. Der letzte ihr erinnerliche Sturz war ein Jahr zuvor gewesen, als sie in der Dusche gestürzt war. Damals wurde sie uns via Rettungsdienst zugewiesen. Im Rettungsprotokoll war vermerkt worden, dass sie das Gefühl hatte, eine ungeschickte Bewegung gemacht zu haben.

Auch einige Monate zuvor hatte sich die Patientin aufgrund von plötzlichem Schwindel notfallmässig auf unserem Notfall vorgestellt. Der Schwindel wurde als Folge von Dekonditionierung und zusätzlicher Polyneuropathie interpretiert. Zudem wurde eine wahrscheinlich sturzbedingte Troponinerhöhung diagnostiziert, jedoch bei kompletter Beschwerdefreiheit nicht weiter abgeklärt.

Status

Bei Eintritt präsentierte sich eine hämodynamisch stabile, afebrile Patientin mit multiplen Hämatomen am Körper, einer Beule am Hinterkopf und einem linksseitigen Monokelhämatom, welches laut Patientin bereits eine Woche alt war, wobei ein Kopfanprall verneint wurde. Der übrige Status war unauffällig. Der Blutdruck betrug 150/90 mmHg, der Puls war 78/Minute und regelmässig.

Diagnostik und Befunde


Laboranalytisch ergaben sich keine Auffälligkeiten. Computertomographisch und konventionell radiologisch konnten Frakturen und intrakranielle Blutungen ausgeschlossen werden.
Die Patientin wurde zur Abklärung des unklaren Sturzereignisses von der Chirurgie auf die Innere Medizin verlegt. Dort wurde die Anamnese mehrfach wiederholt, wobei die Patientin teils widersprüchliche Aussagen machte.

Der Schellong-Test lieferte keinen Hinweis auf eine orthostatische Dysregulation und die cerebrale Duplexsonographie zeigte einen normalen Gefässbefund der hirnversorgenden Arterien. Im 12-Kanal-Ruhe-EKG bei Eintritt wurde ein kompletter Rechtsschenkelblock, ein AV-Block I° mit einer PQ-Zeit von 296 ms und ein linksanteriorer Hemiblock (Abb. 1) dokumentiert. Bei der Durchsicht von früheren EKGs zeigte sich bis 2010 ein kompletter Linksschenkelblock mit QRS-Dauer von 148 ms und ein AV-Block I°(Abb. 2). Somit konnte die Diagnose eines alternierenden Schenkelblocks gestellt werden.
Die transthorakale Echokardiographie zeigte eine normale Funktion des linken und rechten Ventrikels mit Dyssynchronie des Septums bei Schenkelblock. Ein relevantes Klappenvitium konnte ausgeschlossen werden.
Abbildung 1: 
EKG bei Aufnahme am 24.01.20. Kompletter Rechtsschenkelblock, QRS-Achse -71°, Linksanteriorer Hemiblock, AV-Block I°, PQ-Zeit 296 ms, QRS-Dauer 144 ms.


Abbildung 2:
EKG vom 04.11.2019. Kompletter Linksschenkelblock, Steiltyp, AV-Block I°, PQ-Zeit 208 ms, QRS-Dauer 148 ms.

Aufgrund der Diagnose des alternierenden Schenkelblockes besteht gemäss Richtlinien der European Society of Cardiology die Indikation für eine Schrittmacherimplantation auch ohne Symptome [2].
Nach Einwilligung der Patientin konnte während des stationären Aufenthaltes die Implantation eines Zweikammerschrittmachers erfolgen. Intraoperativ trat noch vor der Punktion der Vena axillaris für circa 40 Sekunden ein AV-Block III° ohne Ersatzrhythmus auf (Abb. 3), was ein passageres Pacing und Maskenbeatmung erforderte.
Abbildung 3:
Präinterventioneller AV-Block III° ohne Ersatzrhythmus.

Schliesslich konnten die Elektroden im rechten Ventrikel und rechten Vorhof platziert werden. Wenige Tage später konnte die Patientin bei gutem Allgemeinzustand das Spital verlassen. Bei hypochromer, mikrozytärer Anämie und tiefer Transferrinsättigung von <20% wurde einmalig Ferinject verabreicht.
Abbildung 4:
Schrittmacher-EKG, Juli 2020 mit vorhofgesteuertem rechtsventrikulärem Pacing mit Linksschenkelblockbild und superiorer Achse.

Verlauf

Aufgrund der SARS-CoV-2 Pandemie konnte die Patientin zunächst nicht zur üblichen zeitnahen Schrittmacherkontrolle vorstellig werden. Nach telefonischer Rücksprache berichtete sie über einen guten Allgemeinzustand ohne Schwindel, Lichtsensationen oder erneuten Sturzereignissen.

Diskussion


Der Begriff bifaszikulärer Block beschreibt eine Leitungsstörung unterhalb des AV-Knotens, wobei der Rechtsschenkelblock und einer der zwei Faszikel (anteriorer oder posteriorer) des linken Tawaraschenkels beteiligt sind. Der Linksschenkelblock ist ein bifaszikulärer Block, da er einen Block in beiden Faszikeln des linken Tawaraschenkels beinhaltet.

Ein trifaszikulärer Block beschreibt einen kompletten Block des rechten Tawaraschenkels und beider Faszikel des linken Tawaraschenkels, was sich als AV-Block III°manifestiert. Ein Sinusrhythmus mit alternierendem Links- und Rechtsschenkelblock oder Rechtsschenkelblock mit alternierenden Faszikel-Blöcken ist eine seltene Manifestation des trifaszikulären Blocks, was gewöhnlich einen totalen AV-Block ankündigt [2].

Bei unserer Patientin war der Linksschenkelblock seit Jahren vorbestehend. Ein Rechtsschenkelblock wurde erst während des stationären Aufenthaltes festgestellt. Ein alternierender Schenkelblock tritt gemäss Literatur in ca. 6% aller Schenkelblöcke auf [3]. Ursachen eines alternierenden Schenkelblockes können eine koronare Herzkrankheit oder degenerative Prozesse im Reizleitungs-System sein [3]. Es besteht ein allgemeiner Konsens, dass sich bei alternierendem Schenkelblock mit hoher Wahrscheinlichkeit ein totaler AV-Block entwickeln kann.
Aus diesem Grund wird gemäss ESC (European Society of Cardiology) -Richtlinien eine Schrittmacherimplantation empfohlen (Klasse I-Empfehlung/Evidenzgrad C), auch wenn noch keine Synkope aufgetreten ist [4].

Im Alltag ist es oft schwierig, exakt diejenigen Patienten zu finden, die rezidivierende Sturzereignisse aufgrund einer rhythmogenen Ursache erleiden. Unsere Patientin war in der Vergangenheit rezidivierend gestürzt, was im Rahmen einer «multifaktoriellen Mobilitätsstörung» mit den Sturzrisikofaktoren (Osteoporose, Fehl- und Mangelernährung, ungerichteter Schwindel, Verdacht auf Sarkopenie, klinisch Polyneuropathie) interpretiert wurde. Synkopen wurden nicht dokumentiert.

Eine Synkope wird definiert als Bewusstlosigkeit aufgrund einer cerebralen Hypoperfusion, charakterisiert durch rasches Auftreten, kurzer Dauer und spontaner Erholung [5]. Bei Präsynkopen oder Beinahesynkopen beschreibt der Patient eine «drohende» Synkope ohne dass das Bewusstsein oder ein kompletter muskulärer Tonusverlust aufgetreten ist, wobei die Definition hierfür nicht einheitlich ist.
Die Patientin wurde öfters vom Behandlungsteam befragt und erst nach mehrfachen Nachfragen sowie der gestellten Diagnose eines alternierenden Schenkelblockes gab sie an ein Kreisen und «Blutleere» im Kopf mit «Sehen aller Farben» verspürt zu haben. Retrospektiv können die obengenannten Symptome sowohl als drohende, aber auch als echte Synkopen interpretiert werden. Bei bekanntem Linksschenkelblock, AV-Block I und Symptomen hätte die Schrittmacherimplantation retrospektiv bereits viel früher durchgeführt werden können. Eine Alternative wäre gemäss ESC-Richtlinie die Messung des HV-Intervalls, also der Zeit vom Hisbündelpotential (H) bis zum Beginn der Kammererregung (V). Diese hat bei Patienten mit bifaszikulärem Schenkelblock und Synkopen einen erhöhten Stellenwert (Klasse-I-Indikation). Für ausgewählte Patienten bleibt die empirische Herzschrittmachertherapie nach wie vor eine valable Option- (Klasse-II-b-Indikation) [5].
Zusammenfassend ist die Ursachenabklärung eines Sturzereignisses, in diesem Fall eine rhythmogene Ursache, oft nicht einfach. Der Vergleich der Ruhe-EKGs lieferte schliesslich die Diagnose, sodass erforderliche Massnahmen wie die Schrittmacherimplantation erfolgen konnten.

Das Wichtigste für die Praxis

  • Ein Sturzereignis ist nicht immer nur auf Alter und Fragilität zurückzuführen.
  • Eine genaue, ausführliche und insbesondere repetitive Anamnese ist essentiell. Häufig bringen erst repetitive Befragungen die wichtigen Hinweise auf die Genese der Synkope.
  • Dieser Fall zeigt die ausserordentliche Wichtigkeit, die aktuellen EKGs mit Vor-EKGs zu vergleichen.
  • Die seltene Diagnose eines alternierenden Schenkelblockes (mit oder ohne Symptome) ist Indikation für eine Schrittmacher-Implantation (Evidenz IC).
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. univ. Christa Pölz
Klinik für Innere Medizin
Kantonsspital Winterthur
Brauerstrasse 15
CH–8400 Winterthur
cpoelz[at]hotmail.com
2 Chronic bisfascicular blocks. In: UpToDate, Post TW (Ed), UpToDate, Waltham, MA. [Accessed 2022, Feb 25]  
3 Alternating left and right bundle branch block. Kardiol Pol.2014;72(10):987.
4 . 2013 ESC Guidelines on cardiac pacing and cardiac resynchronization therapy: the Task Force on cardiac pacing and resynchronization therapy of the European Society of Cardiology (ESC). Developed in collaboration with the European Heart Rhythm Association (EHRA). Eur Heart J. 2013;  34(29):2281–329. http://dx.doi.org/  PubMed  
5 . 2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope. Eur Heart J. 2018;  39(21):1883–948. http://dx.doi.org/  PubMed