Repolarisationsstörungen im EKG als frühes Warnzeichen eines beginnenden Propofol-Infusionssyndrom

Repolarisationsstörungen im EKG als frühes Warnzeichen eines beginnenden Propofol-Infusionssyndrom

Fallberichte Online
Ausgabe
2022/00
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08854
Swiss Med Forum. 2022;22(00):

Publiziert am 01.01.2022

Ein 39-jähriger, zuvor gesunder Patient stellt sich selbstständig mit Fieber, Schüttelfrost, Nachtschweiss und rechtstemporalen Kopfschmerzen auf der Notfallstation vor. Diese Symptome waren von einer leichten Dyspnoe begleitet.

Hintergrund

Das Propofol-Infusionssyndrom
In der aktuellen Pandemie werden vielerorts Patient/innen aufgrund einer COVID-19- Erkrankung intensivmedizinisch betreut. Oftmals damit verbunden ist eine mechanische Beatmung mit Analgosedation der Patient/innen. Dazu wird unter anderem häufig Propofol verwendet, unter dessen Gabe es bei kritisch kranken Patient/innen in sehr seltenen Fällen zur Ausbildung ­eines Propofol-Infusionssyndroms (PRIS) kommen kann. Dieses ist typischerweise vergesellschaftet mit einer Anwendung erhöhter Dosierungen (>5 mg/kg KG/h) und/oder längerer Infusionsdauer (>48 h) sowie einem oder mehreren der folgenden, nicht anderweitig erklärbaren Symptomen [1]: 
  • metabolische Azidose,
  • erhöhtes Laktat,
  • Rhabdomyolyse,
  • EKG-Veränderungen,
  • akutes Nierenversagen,
  • Hyperkaliämie,
  • Hyperlipidämie,
  • Herzkreislaufversagen,
  • Fieber,
  • erhöhte Leberenzyme.
Das PRIS wurde erstmalig Anfang der 1990er Jahre bei einem dreijährigen Kind und einige Jahre später auch bei Erwachsenen beschrieben [2]. Zahlreiche Fallbeschreibungen resultierten in einer Expertenempfehlung, welche bei Propofol von einer Infusionsrate von mehr als 4 mg/kg KG/h abrät. Fälle von PRIS wurden jedoch bei auch deutlich tieferen Dosierungen beschrieben [3]. Eine erhöhte Anfälligkeit von COVID-19-Patient/innen zur Entwicklung eines PRIS ist nach unseren Kenntnissen nicht bekannt.

Fallbericht

Hospitalisation

Anamnese

Anfang April 2020 stellte sich der 39-jährige, zuvor gesunde Patient selbstständig mit Fieber, Schüttelfrost, Nachtschweiss und starken, rechtstemporalen Kopfschmerzen auf der Notfallstation vor. Diese Symptome bestanden zu diesem Zeitpunkt seit drei Tagen und waren von einer leichten Dyspnoe begleitet. Zwei Wochen zuvor wurde die Frau des Patienten positiv auf das SARS-CoV-2 getestet.

Status und Befund

Auf der Notfallstation präsentierte sich ein mit 40,1 °C febriler Patient in deutlich reduziertem Allgemeinzustand und normalem Ernährungszustand (180 cm/80 kg). Er war normoton (Blutdruck 126/53 mm Hg) und tachykard (115/min). Der Patient war tachypnoeisch (Atemfrequenz 22/min) mit einer normalen Oxygenation unter Raumluft. Auskultatorisch wurde ein abgeschwächtes Atemgeräusch über allen Lungenfeldern festgestellt. Laboranalytisch wurden eine Lymphozytopenie sowie ein erhöhtes C-reaktives Protein (CRP) bei normwertigen Leukozyten und Procalcitonin (PCT) festgestellt. Im EKG zeigte sich eine Sinustachykardie mit einer unauffälligen De- und Repolarisation.
Bei radiologisch festgestellten bilateralen Lungeninfiltraten wurde schlussendlich der Verdacht auf eine ­COVID-19-assoziierte Pneumopathie gestellt und der Patient aufgrund des stark reduzierten Allgemeinzustands hospitalisiert.

Therapiebeginn

Eine empirische Therapie mit Lopinavir/Ritonavir (Kaletra) wurde gemäss den damals aktuellen hausinternen Richtlinien begonnen, die Kopfschmerzen zeigten ein gutes Ansprechen auf Metamizol und Paracetamol. Am Folgetag wurde der Verdacht einer SARS-CoV-2-Infektion mittels PCR bestätigt. Bei klinischer Verschlechterung wurde zusätzlich eine Antibiotika-Therapie mit Ceftriaxon initiiert. Innerhalb von 48 Stunden nach Eintritt kam es zu einem starken Anstieg des PCT (von <0,1 auf 1,24 µg/l) und auch des CRP (von 220 auf 380 mg/l), begleitet von einem stetig steigenden Sauerstoffbedarf (kurz vor Aufnahme auf die Intensivstation betrug die Sauerstoffsättigung [SpO2] 90% in Ruhe unter 6 l/min O2 via Maske). Aufgrund dieser schnellen Krankheitsprogredienz wurde die Verlegung auf die Intensivstation beschlossen.

Verlauf

Beatmung und Analgosedation

Aufgrund der raschen Verschlechterung der Oxygenation verbunden mit einer respiratorischen Erschöpfung wurde der Patient noch am Eintrittstag intubiert und kontrolliert lungenprotektiv beatmet. Die Analgosedation wurde mit Propofol (2,5 mg/kg KG/h) und Fentanyl (200 µg/h) initiiert und intermittierend mit tief dosiertem S-Ketamin (25 mg/h) und Midazolam (5–10 mg/h) ergänzt. Es zeigte sich eine stabile Hämodynamik, zeitweise mit niedrig dosiertem Noradrenalin ­(5 µg/min), unter tiefer Analgosedation. Der Patient war für kumulativ acht Tage intubiert mit einer maximalen inspiratorischen Sauerstofffraktion (FiO2) von 70%, ­einem PEEP (engl. Positive endexpiratory Pressure) zwischen 10 und 15 mbar und einem lungenprotektiven Driving Pressure (Driving Pressure = Plateau Pressure – PEEP) von stets weniger als 15 mbar. Nach der Verlegung wurde die antivirale Therapie mit Kaletra gemäss der hausinternen Richtlinien durch Hydroxylchloroquin (Plaquenil) ersetzt. Die Ernährung erfolgte enteral mittels Promote Fibre und wurde über rund drei Tage auf ein bedarfsdeckendes Niveau aufgebaut.
Die Antibiotikatherapie wurde bei weiter ansteigenden Entzündungsparameter am Eintrittstag auf die Intensivstation auf Piperacillin/Tazobactam erweitert. Gemäss den aktuellen ARDS-Richtlinien wurde der Patient bei einer PaO2/FiO2-Ratio von 130–160 mm Hg (PaO2: Sauerstoffpartialdruck) innerhalb 24 Stunden nach Intubation zur Verbesserung des Ventilations-Perfusionsverhältnisses für 21 Stunden in die Bauchlage gedreht.

Hyperinflammation

Am 2. Tag auf der Intensivpflegestation (IPS) wurde mit 746 pg/ml ein erhöhtes Interleukin 6 (IL-6) gemessen. Bei rascher Krankheitsprogredienz und weiteren laborchemischen Zeichen der Hyperinflammation in dieser Krankheitsphase wurde Tocilizumab (Actemra) verabreicht. Der IL-6-Peak wurde am 9. IPS-Tag mit 1964 pg/ml, der CRP-Peak am 3. IPS-Tag mit 569 mg/l erreicht. Das Ferritin stieg am 5. Tag bis auf 4486 µg/l an und sank anschliessend. Das PCT zeigte sich unter der Antibiotikatherapie rückläufig. Angelegte Blutkulturen blieben negativ. Die Creatinkinase (CK) war bei Eintritt im Normbereich, stieg jedoch bis zum 4. IPS-Tag auf 2380 U/l an.

EKG- und Labor-Auffälligkeiten

In der Nacht vom 4. auf den 5. IPS-Tag wurden am ­Monitor auffällig viele ventrikuläre Extrasystolen (VES) sowie im EKG neue T-Inversionen in den Ableitungen II, III, aVL, aVF und biphasische T-Wellen über der Vorderwand (V4–6) festgestellt (Abb. 1). Das Troponin war nicht erhöht (<3 ng/l). Neu imponierte eine ausgeprägte Hypertriglyzeridämie (20,85 mmol/l). Die Transaminasen waren neu mit 4–6× der ULN (engl. Upper Limit of Normal) erhöht, das direkte Bilirubin lag ebenfalls über dem Normbereich. Die Nierenparameter und Elektrolyte waren stets normal; in regelmässig durchgeführten arteriellen Blutgasanalysen war keine Störung des Säure-Basen-Haushalts erkennbar, das Laktat war stets normwertig. 
Abbildung 1:
EKG direkt vor Propofol-Stopp, es zeigen sich T-Inversionen in II, III,aVF, sowie biphasische T-Wellen in den Ableitungen V4 bis V6.
Aufgrund der EKG-Veränderungen wurde eine Echokardiografie durchgeführt, in welcher sich ein funktionell normales Herz ohne regionale Wandbewegungsstörungen zeigte. Hinweise für eine kardiale Ischämie, Tako-Tsubo-Kardiomyopathie oder eine Myokarditis ergaben sich zu keinem Zeitpunkt. Mittels Koronar-Computertomografie konnten eine koronare Herzkrankheit oder Koronaranomalie ausgeschlossen werden.

Verdacht auf Propofol-Infusionssyndrom

In Zusammenschau der Befunde (vermehrte VES, ­T-Negativierungen, erhöhtes CK, steigende Transaminasen, ausgeprägte Hypertriglyzeridämie) wurde der Verdacht auf ein beginnendes Propofol-Infusionssyndrom (PRIS) gestellt und die Applikation von Propofol umgehend beendet. Zu diesem Zeitpunkt hatte der ­Patient Propofol für kumulativ 82 Stunden erhalten, dies bei einer Dosierung von 1,9–3,75 mg/kg KG/h. Im weiteren Verlauf wurde die Sedation mittels Midazolam ­(5–10 mg/h), Fentanyl (200–250 µg/h) und S-Ketamin 20–30 mg/h aufrechterhalten. Im Rahmen des pulmonalen Weanings wurde nochmals auf Dexmedetomidin (50–110 µg/h) und intermittierend tief dosiert Remifentanyl 0,1–0,15 µg/kg KG/h gewechselt.
Nach Propofol-Stopp waren die VES in der Häufigkeit rückläufig. Noch am selben Tag wurde jedoch eine kurze und selbstlimitierende Ventrikeltachykardie beobachtet, worauf der Patient vorübergehend mit einem Betablocker therapiert wurde. Im weiteren Verlauf kam es zu keiner weiteren Episode, Extrasystolen wurden kaum noch beobachtet. Die T-Negativierungen waren in einer EKG-Kontrolle am selben Tag regredient und nach zwei Tagen vollständig verschwunden. In den laborchemischen Verlaufskontrollen sanken die Triglyzeride täglich um ca. 40%, auch das Bilirubin und die CK waren rückläufig. Das Troponin blieb in Verlaufskontrollen stets normwertig.Bei anschliessend unkompliziertem Verlauf konnte der Patient nach kumulativ acht Tagen erfolgreich extubiert und nach insgesamt 16 Tagen aus dem Spital entlassen werden.

Diskussion

Differenzialdiagnose

Da das PRIS eine fulminante Multiorganerkrankung darstellen und somit diverse laborchemische Veränderungen hervorrufen kann, sind die im Sinne des Ausschlussverfahrens durchzuführenden differenzialdiagnostischen Überlegungen umfassend.
Die erhöhte CK, welche auf eine beginnende Rhabdomyolyse hindeuten könnte, ist im beschriebenen Fall eher durch die durchgeführte Bauchlage zu erklären, da diese zum Zeitpunkt der EKG-Veränderungen bereits rückläufig war.
Auch das erhöhte, aber bereits rückläufige Bilirubin dürfte wohl eher im Rahmen der SARS-CoV-2-Infektion gesehen werden. Zwar können auch unter Kaletra Bilirubinerhöhungen beobachtet werden, dessen kurze Halbwertszeit und die Tatsache, dass das Bilirubin noch bis vier Tage nach dessen letzter Anwendung steigend war, macht einen Zusammenhang eher unwahrscheinlich.
Die erhöhten Transaminasen, welche bis zum Propofol-Stopp steigend und anschliessend rückläufig ­waren, machen eine PRIS-Korrelation im Sinne einer beginnenden Leberfunktionsstörung möglich.
Führend waren in unserem Fall die EKG-Veränderungen und die ausgeprägte Hypertriglyzeridämie. Erstere können im Rahmen der Gabe von Hydroxychloroquin auftreten. Kardiotoxische Nebenwirkungen von Ketamin sind in dieser sehr tiefen Dosierung äusserst ­selten. Da beide Substanzen beim Auftreten der EKG-Veränderungen fortgeführt wurden und sich die Repolarisationsstörungen trotzdem regredient zeigten, macht dies einen Zusammenhang unwahrscheinlich. Die Hypertriglyzeridämie, aber auch die erhöhten Transaminasen und Hyperbilirubinämie, können differenzialdiagnostisch durch die Gabe von Tocilizumab erklärt werden [4]. Tocilizumab besitzt jedoch eine über Tage anhaltende Wirkung im Körper. Die rasche Abnahme der Triglyzerid-Konzentration im Blut nach Sistieren des Propfols lässt einen Zusammenhang mit Tocilizumab als eher unwahrscheinlich erscheinen. Eine direkte Hyperbilirubinämie und erhöhte Transaminasen kombiniert mit einer Hypertriglyzeridämie lassen sich unter anderem auch bei einem Fat-Overload-Syndrom im Rahmen einer intravenösen Verabreichung von Lipid-Emulsionen, insbesondere auf Soja-Bohnen-Basis, wie es in Propofol vorhanden ist, beobachten. Auch das Fat-Overload-Syndrom ist eine Ausschlussdiagnose und es fehlen hier weitere typische Manifestationen, wie beispielsweise eine Koagulopathie, Hypofibrinogenämie und klinisch manifeste Blutungen. Die Propofol-Dosis war in unserem Fall stets im empfohlenen Bereich (<4 mg/kg KG/h) und die enterale Ernährung wurde langsam über Tage gesteigert, was eine Überlastung des Fettstoffwechsels im stabilisierten Krankheitsverlauf eher unwahrscheinlich macht.
Bei schweren Covid-19-Verläufen, die mit einer dysregulierten Immunantwort, einer Hyperinflammation und einem Zytokinsturm einhergehen, beobachten wir häufig Laborkonstellationen, die an eine sekundäre hämophagozytische Lymphohistiozytose oder ein sogenanntes Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) erinnern. In unserem Fall könnte das hohe Ferritin, die Hypertriglyzeridämie und die erhöhten Transaminasen darauf hinweisen, das klassische Vollbild des Makrophagenaktivierungssyndroms lässt sich ­dadurch aber nicht diagnostizieren.
Ein in der Literatur als typisch beschriebenes Merkmal des PRIS, welches bei unserem Patienten jedoch nie nachweisbar war, ist die metabolische Azidose. Gemäss Literaturrecherchen ist das Auftreten aber keineswegs obligat und in rund 80% der Fälle nachweisbar [5, 1].
Letztendlich lässt unsere Kasuistik nach Ausschluss oben genannter Differenzialdiagnosen doch an ein PRIS denken.
Die klinische und laboranalytische Manifestation des PRIS scheint zum einen von der verabreichten Gesamtdosis und zum anderen von der Infusionsdauer abhängig zu sein. Während es bei hohen Infusionsraten vermehrt zu Herzversagen, metabolischer Azidose, Fieber und hypotensiven Blutdruckwerten kommt, sind mit einer Infusionsdauer von über 48 Stunden eher dosisunabhängig EKG-Veränderungen, inklusive Arrhythmien, vergesellschaftet. Die kumulative Dosis wiederum korreliert insbesondere mit dem Auftreten einer Rhabdomyolyse sowie einer Hypertriglyzeridämie.

Pathophysiologie des PRIS

Das PRIS verursacht einerseits eine dosisabhängige ­Inhibition der Atmungskette, wodurch es zu einer gestörten oxidativen Phosphorylierung und somit zu ­einem anaeroben Stoffwechsel mit Laktatbildung kommt. Andererseits soll Propofol den Transport der Fettsäuren durch die mitochondriale Zellmembran stören und die Fettsäurenoxidation inhibieren, wodurch es zu einer Akkumulation der Fettsäuren in den Mitochondrien und folglich deren Dysfunktion kommt [5].
In der Literatur wird berichtet, dass zumindest in Tiermodellen verschiedene Arten von freien Fettsäuren das Arrhythmiepotenzial von Kardiomyozyten erhöhen oder auch senken können. Dies geschieht durch den Einfluss auf deren zellulären Natrium- und Kalzium-Ströme, wie auch durch das Verstärken einer hypoxiebedingten Proarrhythmogenität [6, 7, 9, 8]. Die im Rahmen des PRIS erhöhten Konzentrationen von freien Fettsäuren könnten somit in Kombination mit der gestörten mitochondrialen Funktion durchaus proarrhythmogen wirken und dadurch zu EKG-Veränderungen und Arrhythmien führen.

Typische EKG-Veränderungen

Zu den typischen EKG-Veränderungen bei PRIS gehören verbreiterte QRS-Komplexe, ventrikuläre Tachykardien, Kammerflimmern sowie Bradykardien bis hin zur Asystolie. Das EKG kann ein Brugada-ähnliches Muster mit gewölbten (coved) ST-Hebungen in den Ableitungen V1 bis V3 zeigen. Mijzen et al. beschrieben 2012 einen Fall, bei dem die Repolarisationsstörungen, identisch zu unserem Fall, mit biphasischen T-Wellen und T-Inversionen einem PRIS vorausgegangen sind. Dies zeigte sich retrospektiv 29 Stunden vor dem Auftreten einer metabolischen Azidose, Hyperkaliämie, Nieren- sowie Herzversagen. Eine weitere Fallpräsentation von 2019 beschrieb eine QTc-Verlängerung sowie «notched» T-Wellen in den Extremitäten-Ableitungen bei einer Patientin, welche nach niedrig dosierter Propofol-Infusion eine Dyslipidämie sowie ein erhöhtes Laktat entwickelte [10]. Eine Studie von 2006, welche vorwiegend tödlich verlaufene PRIS-Fälle untersuchte, beschrieb ST-Strecken-Elevationen in V1 bis V3 als Vorzeichen von malignen Arrhythmien [11].
Die zeitliche Korrelation der Propofol-Infusion mit dem Auftreten bzw. der Regredienz der Repolarisationsstörungen im EKG und der Hypertriglyzeridämie, insbesondere die rasche Erholung nach Beendigung von Propofol, legt das Vorhandensein eines beginnenden PRIS in unserem Falle nahe. Durch das frühzeitige Erkennen der EKG-Veränderungen konnte jedoch ein Fortschreiten des PRIS möglicherweise rechtzeitig verhindert werden.

Therapie des PRIS

Beim Vorliegen eines PRIS stehen bis heute keine kausale Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Sollte die Symptomatik nach Sistieren der Propofol-Infusion nicht unmittelbar regredient sein, wird der zügige ­Beginn eines kontinuierlichen Nierenersatzverfahrens empfohlen – zum einen zur Therapie einer Rhabdomyolyse und/oder Nierenversagens mit Azidose und ­Hyperkaliämie, zum anderen zur Entfernung von toxischen Propofol-Metaboliten aus dem Körper. Als ultima ratio beim schweren Katecholamin-refraktären Herzkreislaufversagen sollte frühzeitig eine Therapie mittels Extracorporal Life Support (ECLS) in Erwägung gezogen werden [1].

Das Wichtigste für die Praxis

  • Das PRIS ist eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation einer Propofol-Sedation. Eine frühe Diagnose und das Erkennen von Warn­zeichen sind von hoher Bedeutung.
  • Um einem PRIS möglichst vorzubeugen, soll die kontinuierliche Propofol-Zufuhr auf maximal 4 mg/kg Körpergewicht beschränkt werden.
  • Mögliche Zeichen für ein PRIS können sein: Metabolische Azidose, erhöhtes Laktat, Rhabdomyolyse, EKG-Veränderungen, akutes Nierenversagen, Hyperkaliämie, Hyperlipidämie, Herzkreislaufversagen, Fieber oder erhöhte Leberenzyme.
  • Insbesondere bei Patient/innen, die länger als 48 Stunden mit Propofol sediert werden, sollten EKG-Veränderungen wie QRS-Verbreiterungen, T-Wellen-Inversionen oder Brugada-ähnliche Repolarisationsstörungen, sowie Tachy- oder Bradyarrhythmien an ein PRIS denken lassen.
  • Erhärtet sich nach Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen der Verdacht auf ein PRIS, sollte die Propofol-Zufuhr sofort gestoppt werden. Eine spezifische Therapie existiert nicht. Bei fulminantem Verlauf sollte frühzeitig ein Nierenersatzverfahren begonnen werden.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. 
Dr. med. Michael Sepulcri
Luzerner Kantonsspital
Innere Medizin
Spitalstrasse
CH–6000 Luzern 16
michael.sepulcri[at]luks.ch
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