Eine seltene Ursache von chronischem Husten

Eine seltene Ursache von chronischem Husten

Fallberichte Online
Ausgabe
2022/00
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08856
Swiss Med Forum. 2022;22(00):

Publiziert am 01.01.2022

Ein 59-jähriger Patient stellte sich vor wegen produktivem Husten mit gelblich-bräunlichen Auswurf, Fieber, Dyspnoe und Schwächegefühl seit einem Monat. Die Bildgebung des Thorax zeigte auffällige Infiltrationen und Kavernen.

Hintergrund

Pulmonale Nokardiose
Husten ist eine der häufigsten geklagten Beschwerden, die zu einer ärztlichen Konsultation führen. Die Differenzialdiagnose möglicher Ursachen ist breit. Lässt sich nach der ersten Beurteilung unter Berücksichtigung der Epidemiologie, des Risikoprofils, der Anamnese und der klinischen Untersuchung keine Diagnose stellen, sollten seltenere Ursachen berücksichtigt ­werden.

Fallbericht

Anamnese

Ein 59-jähriger Spanier stellte sich wegen produktivem Husten mit gelblich-bräunlichem Auswurf, Fieber, Dyspnoe und Schwächegefühl seit einem Monat vor. Eine Inappetenz hatte zu einem Gewichtsverlust von fünf Kilogramm in wenigen Wochen geführt. Seit acht Jahren lebte er mehrheitlich in der Schweiz, unter­brochen von mehrmonatigen Spanienaufenthalten (letztmals bis zehn Tage vor der Konsultation). Sonstige Auslandsaufenthalte wurden verneint. Er rauchte Zigaretten (ca. 50 pack years) und trank regelmässig ­Alkohol (ca. vier Gläser Wein pro Tag). Vor Jahren erlitt er einen subakuten Myokardinfarkt und ein Thorax­trauma links. Er arbeitete als Gipser und hatte keine ihm bekannte Asbestexposition.

Status

Über dem linken Lungenfeld zeigten sich ein abgeschwächtes Atemgeräusch und diskontinuierliche Nebengeräusche. Das Gebiss war kariös, lückenhaft und es zeigte sich eine Parodontitis. Der BMI (Body Mass ­Index) war 21,2 kg/m2 (Gewicht 64 kg, Grösse 174 cm). Die Vitalzeichen waren initial normal, wobei der Pa­tient im Verlauf hypoton (minimaler Blutdruck bei 78/46 mm Hg) und tachykard (Herzfrequenz bis 101/min) wurde mit rascher Normalisierung der Werte nach ­Volumensubstitution.

Befunde

Das CRP (C-reaktive Protein) war 231,2 mg/l (Norm <10 mg/l) und es fand sich eine mikrozytäre hyporegenerative Anämie (Hämoglobin 9,5 g/dl, Norm 13,5–17,2 g/dl). Die arterielle Blutgasanalyse zeigte eine respiratorische Partialinsuffizienz. Im nasopharyngealen Abstrich wurden mittels PCR eine Influenza A/B sowie RSV (Respiratory Syncytial Virus) ausgeschlossen. Das Legionellen-Antigen im Urin und der HIV-Test waren negativ. Das Albumin war 17 g/l (Norm 34–48 g/l), erniedrigt durch die Entzündung und  die Malnutrition. Im Thorax-Röntgen zeigten sich Infiltrate im linken Ober- sowie Unterlappen, wobei sich in der Computertomografie (CT) neben diesen Infiltraten auch neue ­Infiltrate im rechten Ober- und Unterlappen, eine Kaverne (32 × 22 mm) im linken Unterlappen, eine Lymphadenopathie rechts hilär und mediastinal sowie auch kleine Pleuraergüsse beidseits zeigten (Abb. 1). In der Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) aus dem linken apikalen Unterlappensegment (Ort der Kaverne) liessen sich zytologisch massenhaft zarte, nicht verzweigte, perlschnurartige Fadenbakterien auf nekrotischem Hintergrund (Detritus) nachweisen und eine pulmonale Nokardiose wurde vermutet (Abb. 2). In der Gram- und Ziehl-Neelsen-Färbung konnten die Bakterien nicht weiter differenziert werden. Die Kulturen für Nokardien aus dem Sputum und der BAL zeigten kein Wachstum und die Blutkulturen blieben negativ. Eine zerebrale und kutane Beteiligung wurden mit einem MRI (Magnetic Resonance Imaging) des Gehirns und klinisch ausgeschlossen.
Abbildung 1:
Bildgebung des Patienten im Fallbericht. CT Thorax:  A) bei der Diagnose­stellung mit abgekapseltem Pleuraerguss (schwarzer Pfeil), Kaverne mit Flüssigkeits­spiegel im linken Unterlappen (roter Pfeil), dichtes Infiltrat im Oberlappen (oranger Pfeil); B) nach fünf Monaten Therapie schrumpfende Kaverne (blauer Pfeil). Röntgen Thorax: C) bei Diagnosestellung mit dichten Infiltraten und Thoraxasymmetrie;  D) ein Monat nach Abschluss der Therapie mit schrumpfender Kaverne und Fibrose im linken Oberlappen.
Abbildung 2:
Fadenbakterien in der zytologischen Probe der BAL.PAP-Färbung, Massstab: 100 µm, aufgenommen in Ver­grösserung × 400.

Diagnose

Die Klinik, die Bildgebung und die Zytomorphologie sprachen für eine schwere pulmonale Nokardiose. In Anbetracht der Bildgebung kamen neben einem Tumor und einer Tuberkulose auch seltenere Ursachen für eine Pneumonie, beispielsweise eine Aktinomykose oder eine Tularämie, in Frage. Gegen eine Aktinomykose sprach die Morphologie der Fadenbakterien (nicht verzweigt) und gegen eine Tularämie der klinische Kontext (kein Kontakt mit Tieren, Tierprodukten oder verunreinigtem Wasser; subakuter Beginn der Erkrankung in den Wintermonaten; Vorkommen von Kavernen, die bei Tularämie selten sind). Morphologisch verwandt sind neben den Aktinomyceten (verzweigt) auch die Fusobakterien (gram-negativ und coccoid).
Der kulturelle Nachweis der Erreger gelang nicht. Bei invasiv abgenommenen Proben gelingt die Kultivierung in 85–90% der Fälle [1]. Als immunsupprimierende Faktoren konnten neben dem Tabakkonsum der ­Alkoholkonsum sowie eine Malnutrition (Nutritional Risk Screening 6 Punkte) eruiert werden, und der Pa­tient hatte, als bekannter Risikofaktor, ein kariöses ­Gebiss mit Parodontose. Andere Risikofaktoren, wie eine HIV-Infektion, ein Diabetes mellitus oder eine ­Tumorerkrankung, fanden sich nicht. Nach vollständiger Abheilung der Nokardiose wurde im Verlauf ein Lungentumor  bronchoskopisch und in einer Verlaufsbildgebung ausgeschlossen.

Therapie

Die initial empirisch begonnene Antibiotikatherapie wurde bei klinischer Diagnose einer schweren nekrotisierenden pulmonalen Nokardiose auf Cotrimoxazol und Imipenem intravenös während 21 Tagen umgestellt, gefolgt von einer peroralen Behandlung mit ­Cotrimoxazol für insgesamt sechs Monate.

Verlauf

Unter der genannten Therapie zeigte sich eine deut­liche Regredienz der Beschwerden und der Husten ­sistierte. Eine thoraxchirurgische Intervention war nicht notwendig. Der Patient konnte bei gutem Verlauf unter Antibiotikatherapie in die pulmonale Rehabilitation entlassen werden. Die klinische und computertomografische Kontrolle nach einem Monat zeigte eine ­Verbesserung der Befunde. Zirka fünf Monate nach Therapiebeginn zeigten sich computer­tomografisch eine komplette Resorption der Infil­trate, eine schrumpfende Kaverne im emphysematös veränderten linken Oberlappen und eine weitere schrumpfende Kaverne im linken Unterlappen, beide Kavernen mit umgebenden fibrotischen (narbigen) Veränderungen (Abb. 1). Somit konnte ex juvantibus die Diagnose einer pulmonalen Nokardiose bestätigt werden. Die Therapie wurde für insgesamt sechs Monate fortgeführt und der Pa­tient konnte seine Tätigkeit als Gipser wieder aufnehmen. Nach fünf Monaten Therapie zeigte die Lungenfunktion eine COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Disease) GOLD Stadium 2 (GOLD: Global Initiative for Chronic Obstruc­tive Lung Disease) Risikogruppe B mit einer schweren Diffusionsstörung und einer leichten restriktiven Ventilationsstörung (bei immer noch vorhandenen Vernarbungen, Kavernen und Schrumpfungstendenz des linken Hemithorax).

Diskussion

Definition und Epidemiologie

Die Nokardiose ist eine seltene bakterielle Infektion durch aerobe, langsam wachsende, gram-positive und schwach säurefeste Aktinomyceten der Gattung Nocardia, welche 1888 erstmals durch Edmond Nocard, ein französischer Tierarzt und Mikrobiologe, beschrieben wurden. Das Vorkommen ist ubiquitär unter anderem im Erdboden. In den 1970er Jahren wurde die Häufigkeit der Nokardiose in den USA auf ca. 500–1 000 neue Fälle pro Jahr geschätzt [2]. Genaue Angaben zur aktuellen Inzidenz sind fehlend, auch weil die Nokardiose nicht zu den meldepflichtigen Infektionen gehört. Manche Autoren zählen diese jedoch zu den «emerging infectious diseases» [3].

Klinik und Diagnose

Die pulmonale Form ist die häufigste Manifestation, wobei Nocardia-Spezies physiologisch nicht in den Atemwegen vorkommen, sodass man bei einem Nachweis in der Regel nicht von einer Kolonisation ausgeht [4]. Zu den selteneren Manifestationen zählen die systemische (≥ zwei Lokalisationen), die zentralnervöse und die kutane Form. Nahezu 50% der pulmonalen ­Nokardiosen breiten sich extrapulmonal aus [5], am häufigsten ins zentralnervöse System [5, 6]. Eine spezifische Klinik gibt es nicht und der Beginn kann sowohl akut, subakut wie chronisch sein.
Es lohnt sich an eine pulmonale Nokardiose zu denken, wenn Atemwegsbeschwerden kombiniert mit B-Symptomen bestehen sowie entsprechende Risikofaktoren vorliegen, wie ein immunsupprimierender Zustand (z.B. transplantierte Patient/innen, autoimmune Erkrankungen, immunsuppressive Therapien, HIV, Malignome), eine chronische Lungenerkrankung oder ­Alkoholismus. Die radiologischen Befunde sind vielfältig und beinhalten beispielsweise Noduli oder grössere Raumforderungen mit oder ohne Kavitationen, eine retikulonoduläre Zeichnung, lobäre Konsolidationen, subpleurale Plaques oder Pleuraergüsse. Die suggestiven Fadenbakterien in der Zytologie und das Ansprechen auf die gezielte Therapie unterstützten in unserem Fall die Diagnose. Es sei hier angemerkt, dass in der Regel bei invasiv abgenommenen Proben (z.B. mittels BAL) die Kultivierung und somit der Nachweis von Nokardien gelingt.
Die wichtigsten Differenzialdiagnosen, namentlich eine Tuberkulose, eine Pilzinfektion sowie ein Malignom, müssen ausgeschlossen werden.

Therapieempfehlung

Zur Behandlung der pulmonalen Nokardiose gibt es verschiedene Expertenmeinungen und praktisch keine Studien. Wir verwendeten Cotrimoxazol (15 mg/kg KG/Tag i.v. oder p.o. aufgeteilt in zwei bis vier Dosen) sowie Imipenem-Cilastatin (500 mg i.v. alle sechs Stunden) für drei Wochen und anschliessend Cotrimoxazol (10 mg/kg KG/Tag i.v. oder p.o. in zwei Dosen) für weitere fünf bis sechs Monate. Andere Therapieempfehlungen kombinieren Cotrimoxazol mit Amikacin oder Imipenem beziehungsweise mit den beiden genannten zusammen. Generell ist nach drei bis sechs Wochen intravenöser Therapie eine perorale Cotrimoxazol-Monotherapie (ca. 2% Resistenz bei Nokardien) empfohlen, wobei die anschliessende Therapiedauer insbesondere bei immunkomprimierten Patienten ausreichend lange gewählt werden sollte.

Verlauf im Fallbericht

Obwohl die genaue zytomorphologische und kulturelle Differenzierung für einen definitiven Beweis der Nokardien in unserem Fall nicht gelang, war unser «educated guess» für die Diagnosestellung und für die Wahl der Antibiotikatherapie im Nachhinein (ex juvantibus) richtig. Nämlich hätten weder die morphologisch verwandten Aktinomyceten (Antibiotikum der Wahl Penicillin), noch die Fusobakterien (Antibiotika der Wahl Metronidazol, Piperacillin/Tazobactam, Clindamycin oder Imipenem) auf die Therapie mit Cotrimoxazol ­angesprochen. Nach Abschluss der initialen Phase mit zusätzlichem Imipenem waren die Befunde im Thorax-CT immer noch sehr ausgeprägt, sodass vor allem die lange Therapie mit Cotrimoxazol für den Erfolg ausschlaggebend gewesen sein musste.

Das Wichtigste für die Praxis

  • An eine pulmonale Nokardiose sollte bei ausgedehnten Lungeninfiltraten mit Kavernen gedacht werden, vor allem bei Betonung in den ­Oberlappen (wichtigste radiologische Differenzialdiagnose zu einer ­Tuberkulose). 
  • Der Nachweis von Nokardien muss mittels Zytologie oder Kultur angestrebt werden.
  • Bei schwerer pulmonaler Nokardiose erfolgt die Behandlung mit Cotrimoxazol und Imipenem in erhöhter Dosierung.
  • Bei Diagnose einer Nokardiose müssen immunsupprimierende Erkrankungen aktiv gesucht werden (z.B. HIV, Malignome, autoimmune Erkrankungen, Alkoholismus).
Wir bedanken uns bei den Kollegen der Radiologie Spital Uster und bei den Kollegen der Zytologie im Universitätsspital Zürich für ihre Beiträge.
Die Autor/innen haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Vladimir Popov
Allgemeine Innere Medizin und Pneumologie
Spital Uster
Brunnenstrasse 42
CH–8610 Uster
vladimir.popov[at]spitaluster.ch
1 . Diagnostic and therapeutic considerations in Nocardia asteroides infection. Medicine (Baltimore). 1974 Sep;53(5):391–401. http://dx.doi.org/10.1097/00005792-197409000-00005 PubMed
2 . Nocardial infections in the United States, 1972-1974. J Infect Dis. 1976 Sep;134(3):286–9. http://dx.doi.org/10.1093/infdis/134.3.286 PubMed
3 . Nocardiosis: updated clinical review and experience at a tertiary center. Infection. 2010 Apr;38(2):89–97. http://dx.doi.org/10.1007/s15010-009-9193-9 PubMed
4 . Clinical spectrum and outcome of Nocardia infection: experience of 15-year period from a single tertiary medical center. Am J Med Sci. 2012 Apr;343(4):286–90. http://dx.doi.org/10.1097/MAJ.0b013e31822cb5dc PubMed
5 . Nocardia Infection in Solid Organ Transplant Recipients: A Multicenter European Case-control Study. Clin Infect Dis. 2016 Aug;63(3):338–45. http://dx.doi.org/10.1093/cid/ciw241 PubMed
6 . The medically important aerobic actinomycetes: epidemiology and microbiology. Clin Microbiol Rev. 1994 Jul;7(3):357–417. http://dx.doi.org/10.1128/CMR.7.3.357 PubMed