Den ganzen Kopf voller Sorgen – oder doch nicht?
Neu aufgetretene Kopfschmerzen und fokal-neurologische Störungen

Den ganzen Kopf voller Sorgen – oder doch nicht?

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2022/2930
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08901
Swiss Med Forum. 2022;22(2930):482-486

Affiliations
a Klinik für Innere Medizin, Kantonsspital Münsterlingen, Münsterlingen; b Praxis Gutenberg, Heerbrugg; c Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie, Kantonsspital Münsterlingen, Münsterlingen

Publiziert am 19.07.2022

Ein 38-jähriger, bisher gesunder Mann stellte sich wegen einer seit zwei Tagen neu aufgetretenen Gefühlsstörung und Schwäche des rechten Armes sowie seit zwei Wochen bestehender rechtsseitiger Kopfschmerzen vor.

Fallbericht

Ein 38-jähriger, bisher gesunder Mann stellte sich wegen einer seit zwei Tagen neu aufgetretenen Gefühlsstörung und Schwäche des rechten Armes in der Notfallstation vor. In den vorangegangenen zwei Wochen hatte der Patient an dumpf drückenden, rechtsseitigen Kopfschmerzen gelitten, die bei Aktivitäten zugenommen hätten und unter analgetischer Therapie (Paracetamol, Ibuprofen) nur gering gelindert worden wären. Abgesehen von Analgetika nahm der Patient keine anderen Medikamente ein. Er schrieb die Kopfschmerzen dem übermässigen Stress in den letzten Monaten zu: Er hatte seine Arbeit verloren und sich von seiner Partnerin getrennt. Seit Wochen hatte er seine zwei kleinen Kinder nicht mehr gesehen. Die Suche nach einer neuen Wohnung war bisher erfolglos geblieben und er logierte als Dauergast bei einem Kollegen. Der Patient rauchte 1–2 Päckchen Zigaretten pro Tag. Am Feierabend hatte er früher regelmässig 1–1,5 Liter Bier getrunken. Die aktuellen Sorgen hatten den Alkoholkonsum nun erhöht und zum reichlichen Gebrauch von Cannabis, seltener auch Kokain, geführt. Die restliche System- und Familienanamnese war blande.
In der klinischen Untersuchung war der Patient wach und orientiert. Der rechte Arm sank im Halteversuch nach mehr als 10 Sekunden ab. Der Patient spürte die Berührung am rechten Arm geringer als am linken. Der übrige neurologische und internistische Status war unauffällig.

Frage 1: Welche Diagnose halten Sie nach diesen ana­mnestischen und paraklinischen Befunden für die wahrscheinlichste?


a) Kopfschmerzen vom Spannungstyp
b) Subarachnoidale Blutung
c) Hirntumor
d) Hemiplegische Migräne
e) Sinusvenenthrombose
Bei Spannungskopfschmerzen kommt es nicht zur Einschränkung der Alltagsaktivitäten. Fokale neurologische Symptome gehören nicht zu dieser Diagnose [1].
Eine Subarachnoidalblutung wäre denkbar, der Schmerz tritt aber üblicherweise plötzlich und «vernichtend» auf.
Ein Hirntumor kann zu Kopfschmerzen und langsam progredienten fokalen neurologischen Ausfällen führen. An diese Differentialdiagnose lässt die Anamnese insbesondere vor dem Hintergrund des reichlichen Nikotinkonsums zuerst denken.
Die hemiplegische Migräne ist eine seltene Migräne­variante. Für diese Diagnose sind im vorliegenden Fall die klassischen Migränekriterien nicht erfüllt. Bisher gab es keine identischen Attacken. Bei einer ersten ­Attacke müssen andere Differentialdiagnosen abgearbeitet werden [1].
Bei Sinusvenenthrombosen sind Kopfschmerzen oft das erste Symptom. Diese werden meist als diffus beschrieben und nehmen typischerweise mit der Zeit zu. In der «International Study on Cerebral Vein and Dural Sinus Thrombosis» (ISCVT) konnte bei etwa 60% der Betroffenen eine parenchymale Läsion (Infarkt, Blutung oder Kombination davon) objektiviert werden, die je nach Lokalisation und Ausdehnung zu neurologischen Ausfällen führte [2].

Frage 2: Welche Diagnostik veranlassen Sie als Nächstes? (Mehrfachantwort möglich)


a) Schädel-Computertomographie mit Angiographie
b) Schädel-Magnetresonanztomographie
c) Bestimmung der D-Dimere
d) Liquorpunktion
e) Elektroenzephalogramm
Bei neu aufgetretenen, bisher unbekannten, starken Kopfschmerzen ist eine bildgebende Untersuchung leitlinienkonform [3]. Die Bildgebung ist umso berechtigter bei Kopfschmerzen mit begleitenden fokalen neurologischen Ausfällen. Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist eine Untersuchung des Hirnparenchyms mit zusätzlicher Darstellung der arteriellen und venösen Gefässe, steht jedoch nicht in allen Spitälern notfallmässig zur Verfügung. Daher ist meist eine Computertomographie (CT) mit Kontrastmittel die ­Untersuchungsmethode der ersten Wahl.
Es wurde im vorliegenden Fall eine CT-Angiographie des Schädels veranlasst, in der sich als Korrelat zu der rechtsseitigen Armschwäche eine ausgedehnte Thrombose des Sinus sagittalis superior und transversus mit konsekutiver intraparenchymaler Einblutung links frontoparietal zeigte (Abb. 1, 2).
Abbildung 1: Natives axiales Computertomogramm mit intraparenchymaler Blutung von etwa 1,2 × 2 cm Grösse fronto-parietal links (Pfeil).
Abbildung 2: Kontrastmittelverstärktes koronares Computertomogramm mit Kontrastmittelaussparung innerhalb des dreieckförmigen Sinus sagittalis superior, dem Thrombus entsprechend (Pfeil).
CT und MRT, jeweils mit venöser Angiographie, sind bei der Diagnostik von Sinusthrombosen als gleichwertig anzusehen (Qualität der Evidenz: sehr niedrig, Stärke der Empfehlung: schwach) [4]. Der Vorteil der MRT-­Untersuchung ist die fehlende Strahlenbelastung.
Der laborchemische Befund war bis auf ein erhöhtes D-Dimer unauffällig. Der D-Dimer-Wert hat eine unterstützende Rolle im diagnostischen Ablauf (Qualität der Evidenz: niedrig, Stärke der Empfehlung: schwach) [5]. Die Entscheidung für oder gegen eine zerebrale Bildgebung ist in dieser Konstellation jedoch nicht von dem Laborwert abhängig.
Die Angaben in der Krankengeschichte deuten nicht auf ein infektiöses Geschehen oder eine Subarachnoidalblutung (SAB) hin, weshalb die Liquorpunktion keine hohe Priorität hat. Auch das Elektroenzephalogramm (EEG) lässt nur unspezifische Befunde (beispielsweise eine Herdstörung) erwarten.

Frage 3: Welchen Behandlungsschritt würden Sie als Erstes vorschlagen?


a) Orale Antikoagulation
b) Therapeutische Antikoagulation mit unfraktioniertem ­Heparin
c) Gewichtsadaptierte therapeutische Antikoagulation mit ­niedermolekularem Heparin
d) Endovaskuläre Thrombolyse
e) Gabe von Steroiden zur Hirndrucksenkung
Es erfolgte die Aufnahme auf unsere monitorisierte Stroke-Unit, da die weitere Überwachung bei Sinus­venenthrombosen ebenso wie beim Schlaganfall unter Monitorbedingungen erfolgen sollte [4]. Eine therapeutische Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin (NMH) wurde mit dem Ziel etabliert, eine Propagation des Thrombus respektive den erneuten thrombotischen Verschluss von bereits durch die k­örpereigene Fibrinolyse wieder geöffneten Gefässabschnitten zu verhindern. Die Antikoagulation ist auch bei bereits vorliegender intrakranieller Blutung im Rahmen der Sinusvenenthrombose indiziert (Qualität der Evidenz: moderat, Stärke der Empfehlung: stark) [5]. Insgesamt ist die Qualität der Evidenz bezüglich des Vergleichs von NMH und unfraktioniertem Heparin (UFH) bei der Behandlung der Sinusvenenthrombose niedrig. Die europäische Leitlinie empfiehlt zur Therapie der peripheren Venenthrombose und der Lungenembolie die Behandlung mit gewichtsadaptierten niedermolekularen Heparinen (Qualität der Evidenz: moderat, Stärke der Empfehlung: stark) [5]. Da die Behandlung mit NMH keinen intravenösen Zugang und seltenere Laborkontrollen erfordert, ist sie auch in der praktischen Anwendung zu bevorzugen [4]. Die «European Stroke Organization Guidelines» (2017) empfehlen aktuell bei akuter Hirnvenenthrombose keine Thrombolyse (Qualität der Evidenz: niedrig, Stärke der Empfehlung: schwach) [5].
Aufgrund des prothrombotischen Effektes und der fehlenden nachgewiesenen Wirksamkeit ist die Gabe von Steroiden nicht empfohlen. Es existieren Fall­serien, die auf einen positiven Steroideffekt bei Sinusvenenthrombosen durch autoimmunentzündliche ­Erkrankungen (Morbus Behçet, systemischer Lupus erythematodes) hinweisen [4].

Frage 4: Welche weitere Ursachenabklärung finden Sie am wenigsten sinnvoll?


a) Screening auf Gerinnungsstörungen
b) Systematisches Screening auf ein okkultes Malignom
c) Suche nach Kollagenosen und Vaskulitiden
d) Suche nach infektiöser Ursache
e) Drogen-Screening
Ein Screening auf Gerinnungsstörungen muss nicht generell durchgeführt werden. Bei Fehlen eines Risikofaktors für die aktuelle Episode und bei positiver Familienanamnese für thromboembolische Ereignisse (Verwandte 1. Grades) kann aber ein Thrombophilie-Screening veranlasst werden, um eine hereditäre Thrombophilie neu zu entdecken (Qualität der Evidenz: sehr niedrig, Stärke der Empfehlung: schwach) [5]. Bei unserem Patienten wurde die Gerinnungsabklärung durchgeführt: Protein C und S, Homozystein, Fibrinogen und Aktiviertes-Protein-C-(APC-)Resistenz-Ratio lagen im Normbereich. Eine Januskinase-2-­(JAK2-) oder Prothrombin-Mutation gab es nicht. Bei bereits etablierter Antikoagulation wurde keine Bestimmung von Antithrombin 3 und dem Lupus-Antikoagulans durchgeführt.
Ein systematisches Screening auf ein okkultes Mali­gnom wird bei Sinusvenenthrombose nicht empfohlen, jedoch kann es ein Anlass sein, die alters- und geschlechtsspezifischen Tumorvorsorgeuntersuchungen zu aktualisieren (Qualität der Evidenz: sehr niedrig, Stärke der Empfehlung: schwach) [4]. Wir führten eine Tumorsuche durch, die keine pathologischen Befunde erbrachte.
Sowohl klinisch als auch laborchemisch lagen keine Hinweise auf eine systemische Entzündung vor. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) lag bei 12 mm/h. Die Suche nach Vaskulitiden (Antinukleäre Antikörper [ANA], Antiphospholipid-Antikörper, Anti-Neutrophile Cytoplasmatische Antikörper [ANCA]) war negativ. Echokardiographisch ergaben sich keine Hinweise auf eine Endokarditis. Die seriell gewonnenen Blutkulturen blieben ohne Wachstum. Anamnestisch fanden sich keine «Red Flags» für eine paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie.
Ein Drogen-Screening ergab wegen der offenen Angaben des Patienten zu seinem Konsum keinen Sinn. Durch den vom Patienten selbst berichteten Cannabis- und Kokainkonsum bestand die Möglichkeit einer Hyperkoagulabilität, die wir in diesem Fall als Ursache für die Sinusvenenthrombose betrachteten [6, 7].

Frage 5: Wie sollte die Therapie weitergeführt werden?


a) Keine weitere Therapie nötig
b) Beginn einer Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocoumon) für <6 Monate
c) Beginn einer Therapie mit einem der neuen oralen Anti­koagulanzien (NOAK) für 6 Monate
d) Fortsetzen der Therapie mit NMH
e) Lebenslange Antikoagulation durch Gabe eines Vitamin-K-Antagonisten
Eine MRT-Verlaufsuntersuchung zeigte die Verkleinerung der Parenchymeinblutung und des Restthrombus. Wir begannen mit einer oralen Antikoagulation mittels Phenprocoumon. Da sich in der Ursachenabklärung keine prädisponierenden Faktoren fanden, wurde die Antikoagulation gemäss den europäischen Leitlinien für drei Monate weitergeführt. Die längerfristige Antikoagulation wird nur bei einer schwerwiegenden Thrombophilie und unter regelmässiger Nutzen-­Risiko-Abwägung empfohlen (Qualität der Evidenz: sehr niedrig, Stärke der Empfehlung: schwach) [4]. Die NOAK sind für die Behandlung einer Sinusvenenthrombose nicht zugelassen, werden aber gelegentlich off-label für diese Indikation eingesetzt [8].
Bei Entlassung hatte der Patient keine Kopfschmerzen mehr. Die Parese und Gefühlsstörungen des rechten Armes waren vollständig abgeklungen. Bei der Nachuntersuchung nach sechs Wochen ergab sich kein Hinweis auf ein Rezidiv. Bezüglich der Antikoagulation wurde bei schwieriger Phenprocoumon-Einstellung auf Dabigatran 2 × 150 mg in Tablettenform (off-label) gewechselt.

Diskussion

Die Hirnvenen- und Sinusvenenthrombose gilt als ­seltene Form des Hirnschlags mit einer jährlichen Inzidenz von 3–4 Fällen pro 1 Mio. Einwohner, wobei Frauen dreimal häufiger als Männer und junge Erwachsene im Besonderen betroffen sind [9]. Wichtige Risikofaktoren für Sinusvenenthrombosen sind östrogenhaltige orale Kontrazeptiva, genetische oder erworbene Thrombophilien, Schwangerschaft und Wochenbett, Infektionen und Malignität [10], sowie systemische entzündliche Erkrankungen (Tab. 1).
Tabelle 1:Häufige Risikofaktoren und Ursachen einer zerebralen Sinusvenenthrombose (nach [2]).
Risikofaktoren/UrsachenBeispiele
ThrombophilieAntithrombin-III-Mangel
Protein-S-Mangel
Protein-C-Mangel
APC-Resistenz/Faktor-V-Leiden
Faktor-II-Mutation G2021
Antiphospholipid- und Anticardiolipin-­Antikörper
Hyperhomocysteinämie
Schwangerschaft und Wochenbett 
Orale Kontrazeptiva 
Hormonersatztherapie 
MalignomeHirneigene Tumoren
Hyperkoagulabilität bei Tumoren ausserhalb des Zentralnervensystems
Hämatologische Malignome
InfektionenIm Zentralnervensystem gelegen
Parameningeal (Gesicht, Hals, Nasen, Ohren, Orbita)
Andere Lokalisationen
Mechanische UrsachenLumbalpunktion
Schädel-Hirn-Trauma
Neurochirurgische Eingriffe
Verschluss eines Jugulariskatheters
Andere hämatologische ErkrankungenAnämie
Polyzythämie, Thrombozythämie
Systemische ErkrankungenSchilddrüsenerkrankungen
Systemischer Lupus erythematodes
Morbus Behçet
Sarkoidose
Nephrotisches Syndrom
Die Sinusvenenthrombose ist eine multifaktorielle ­Erkrankung und ihr Auftreten hängt vom Vorhandensein mehrerer Risikofaktoren ab. In Studien konnte ­gezeigt werden, dass 85% der von einer Sinusvenenthrombose Betroffenen mehr als einen Risikofaktor haben [11, 12].
Die Symptome der Sinusvenenthrombose reichen von leichten Kopfschmerzen bis hin zu lebensbedrohlichen Verläufen, abhängig von den betroffenen Sinus und Venen, dem Ausmass der Hirnparenchymverletzung, dem Übergang in einen chronischen Zustand und dem Hirndruckeffekt [13]. Die Inzidenz hat durch die verbesserte Diagnostik und Verfügbarkeit der neuroradiologischen Bildgebung in den letzten Jahrzehnten zugenommen.
Die Prognose ist bei rechtzeitiger Diagnose und sofortigem Therapiebeginn in den meisten Fällen günstig, wobei bei etwa 75% der Betroffenen eine vollständige funktionelle Wiederherstellung erreicht wird [2].
Bei klinischem Verdacht sollte die bildgebende Dia­gnostik unverzüglich erfolgen. Ein Nativ-CT zeigt nur in etwa 30% der Fälle eine Veränderung im Sinne einer Hirn- oder Sinusvenenthrombose. Nach Kontrastmittelgabe führt der Thrombus zu einer Aussparung im ­Sinus sagittalis superior, auch «empty delta sign» oder «empty triangle sign» genannt (Abb. 1, 2). Die CT-Angiographie oder ein MRT mit Angiographie sind die Untersuchungsmethoden der Wahl [13].
Die venöse CT-Angiographie (vCTA) ist der MR-tomographischen Bildgebung bei den grossen Sinus in etwa ebenbürtig. Aufgrund der fehlenden Strahlenbelastung soll bei jüngeren Menschen sowie in der Schwangerschaft bevorzugt das MRT eingesetzt werden. Eine digitale Subtraktionsangiographie ist nur noch in Ausnahmefällen angezeigt (Qualität der Evidenz: sehr niedrig, Stärke der Empfehlung: schwach) [5].
Die Behandlung bei bestätigter Sinusvenenthrombose umfasst die Stabilisierung der Vitalparameter, eine möglichst rasche Antikoagulation sowie die Behandlung/Korrektur der prädisponierenden Zustände. Die Antikoagulation wird normalerweise für sechs Monate oder in Gegenwart eines prädisponierenden Zustands auch noch darüber hinaus fortgesetzt (Qualität der Evidenz: sehr niedrig, Stärke der Empfehlung: schwach) [5].
Im Jahr 2021 wurde die Welt durch europäische Fallberichte von Hirnvenenthrombosen ein bis zwei Wochen nach einer Impfung gegen COVID-19 (ChAdOx1 nCov-19, AstraZeneca) beunruhigt [16–18]. In den USA verursachte die Impfung mit dem modifizierten humanen Adenovirus (Ad26.COV2.S COVID-19, Janssen / Johnson & Johnson) bisher 12 Fälle von Sinusvenenthrombosen. Die klinischen Bilder und Laborbefunde ähnelten sich, und bei beiden Vakzinen waren überwiegend junge Frauen ohne vorangehende thrombotische Ereignisse betroffen [14, 15].
Die Sinusvenenthrombosen wurden durch aktivierte Antikörper gegen Plättchenfaktor 4 (PF4) vermittelt. Dieses neuartige Krankheitsbild, das dem klinischen Erscheinungsbild der Heparin-induzierten Thrombopenie ähnelt, wird auch Impfstoff-induzierte Immunthrombotische Thrombozytopenie («vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia», VITT) genannt. Obwohl die VITT nur sehr selten vorkommt, ist sie ein neues Phänomen mit schweren Auswirkungen auf ansonsten gesunde junge Erwachsene und erfordert eine gründliche Nutzen-Risiko-Abwägung vor der Corona-Impfung [15].

Take Home Message

Die Prognose von Hirnvenenthrombosen wurde mit der Weiterentwicklung der diagnostischen Möglichkeiten und der Neurointensivmedizin verbessert.
Die klinische Präsentation der Hirnsinus- und Hirnvenenthrombosen ist sehr variabel und kann daher mit anderen Pathologien verwechselt und gegebenenfalls übersehen werden. Dem klinischen Verdacht sollte insbesondere in der Notfallstation niederschwellig nachgegangen werden, um rasch eine geeignete Therapie einleiten und damit Morbidität und Mortalität verringern zu können.
Auch bei Vorliegen einer Zerebrale-Sinusvenenthrombose-(CSVT-)assoziierten intrazerebralen Blutung sollte grundsätzlich eine Heparinisierung erfolgen – mit dem Ziel, die venöse Abflussstörung als Ursache für die Stauungsblutung zu beseitigen!

Antworten:


Frage 1: e. Frage 2: a/b. Frage 3: c. Frage 4: e. Frage 5: b.
Wir danken Herrn Prof. Dr. med. Gustav Andreisek, Chefarzt der Radio­logie im Kantonsspital Münsterlingen, für die Auswahl und Beschreibung der Bilder.
LS gibt an, Honorare für Vorträge zugunsten der Institution von ­AbbVie AG und Ipsen Pharma GmbH erhalten zu haben. ZP und MW haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Dr. med. univ.
Ludwig ­Schelosky
Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie
Kantonsspital Münsterlingen
Spitalcampus 1
CH-8596 Münsterlingen
Ludwig.schelosky[at]
stgag.ch
1 Headache Classification Committee of the International Headache Society (IHS), Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, 3. Auflage: ICHD-3. London (UK): The Society; 2018. 538 S.
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3 May A et al. S1-Leitlinie Diagnostik und apparative Zusatzuntersuchungen bei Kopfschmerzen. AWMF-Reg.-Nr. 030–110 (Archiv, alte Auflage). Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hg.; 2012.
4 Kurth TW, Weimar C et al. S2k-Leitlinie Zerebrale Venen- und Sinusthrombose. AWMF-Reg.-Nr. 030–098. Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hg.; 2018.
5 Ferro JM, Bousser MG, Canhão P, Coutinho JM, Crassard I, Dentali F, et al. European Stroke Organization guideline for the diagnosis and treatment of cerebral venous thrombosis – endorsed by the European Academy of Neurology. Eur Stroke J. 2017;2(3):195–221.
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7 Singh A, Saluja S, Kumar A, Agrawal S, Thind M, Nanda S, et al. Cardiovascular complications of marijuana and related substances: A review. Cardiol Ther. 2018;7(1):45–59.
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