Es erfolgte die hausärztliche Zuweisung eines 74-jährigen Patienten auf die Notfallstation wegen stärkster linksseitiger Unterbauchschmerzen zwei Tage nach ambulanter Gastro- und Koloskopie.
Eisenmangelanämie bei glutensensitiver Enteropathie
Hintergrund
Die Zöliakie, auch bekannt als glutensensitive Enteropathie oder nicht tropische Sprue, ist eine chronische immunvermittelte Erkrankung des Dünndarms, welche bei genetisch prädisponierten Patientinnen und Patienten durch Gluten-Exposition ausgelöst werden kann. In westlichen Ländern ist etwa 1% der Bevölkerung von dieser Erkrankung betroffen. Auf Grund einer sehr variablen klinischen Präsentation wird die Zöliakie oftmals als «Chamäleon der Medizin» bezeichnet. Neben der klassischen Form mit intestinalen Symptomen wie Bauchschmerzen und chronischen Durchfällen existiert auch die nicht klassische Form, welche sich einzig durch extraintestinale Manifestationen (z.B. in Form einer Eisenmangelanämie) präsentieren kann. Eine Therapie in Form einer lebenslangen glutenfreien Diät kann zu einer Verbesserung der Symptome und der Lebensqualität führen. Zudem können dadurch Langzeitkomplikationen, wie Malignome, reduziert werden [1].
Fallbeschreibung
Anamnese
Es erfolgte die hausärztliche Zuweisung eines 74-jährigen Patienten auf die Notfallstation wegen stärkster linksseitiger Unterbauchschmerzen zwei Tage nach ambulanter Gastro- und Koloskopie, welche im Rahmen von Abklärungen einer therapieresistenten Eisenmangelanämie durchgeführt worden waren. Bei den gastroenterologischen Untersuchungen hatten sich keine wegweisenden Befunde gezeigt – ausser an Zöliakie erinnernde duodenale Schleimhautveränderungen (Abb. 1A) und ein 5 mm grosser Polyp im Zökum, welcher mit einer kalten Schlinge reseziert wurde. Wenige Stunden postinterventionell kam es erstmalig zum Auftreten von linksseitigen Unterbauchschmerzen. Bei Persistenz der Beschwerden erfolgte am Folgetag die Vorstellung beim Hausarzt, welcher nach Rücksprache mit der Gastroenterologin bei erhöhten laboranalytischen Entzündungsparametern (Leukozyten 14,8 G/l, C-reaktives Protein [CRP] 50 mg/l) und Verdacht auf Sigmadivertikulitis eine empirische antimikrobielle Therapie etablierte. Eine Perforation nach Gastro- und Koloskopie wurde zum damaligen Zeitpunkt als sehr unwahrscheinlich betrachtet (unkomplizierte Untersuchung; lediglich ein ohne Strom abgetragener kleiner Polyp; fehlender Peritonismus). Bei ausbleibender Schmerzbesserung suchte der Patient am zweiten postinterventionellen Tag erneut seinen Hausarzt auf und wurde zur weiteren Abklärung der Notfallstation zugewiesen. An Komorbiditäten bestand ein Vorhofflimmern, welches mit Rivaroxaban und einem Betablocker behandelt wurde, sowie ein Vitamin-D-Mangel.
Status
Auf der Notfallstation präsentierte sich der Patient in gutem Allgemeinzustand, kreislaufstabil (Blutdruck 153/97 mm Hg, Herzfrequenz 78/min) und afebril (36,9 °C). Im linken Hemiabdomen bestand eine starke Druckschmerzhaftigkeit mit reflektorischer Abwehrspannung. Die Darmgeräusche waren spärlich. Die digital-rektale Untersuchung war unauffällig.
Befunde
Laboranalytisch fanden sich erhöhte Entzündungsparameter (Leukozyten 11,8 G/l, CRP 213 mg/l). In der Computertomographie kam intraabdominelle freie Luft ohne eindeutigen Fokus zur Darstellung. Zudem wurden eine langstreckige Dünndarmwandverdickung mit Infiltration des angrenzenden Mesenteriums und mehrere tumorsuspekte Lymphknoten beschrieben (Abb. 2).
Diagnose und Therapie
Es erfolgte eine notfallmässige diagnostische Laparoskopie, bei der sich im Jejunum ein etwa 15 cm langer Dünndarmtumor mit mesenterialer Infiltration und eine wenige Millimeter grosse Perforationsstelle zeigten (Abb. 3). Nach Konversion auf eine Laparotomie erfolgte eine Dünndarmsegmentresektion mit Primäranastomose.
Verlauf
Der Patient erholte sich rasch und konnte am sechsten postoperativen Tag entlassen werden. Histologisch (Abb. 4) fand sich ein diffus grosszelliges B-Zell-Lymphom (DLBCL). Der nicht tumorbefallene mitresezierte Dünndarm zeigte histologische Zeichen (Abb. 1B) einer Zöliakie (Typ 3b nach der Marsh-Oberhuber-Klassifikation; Tab. 1) und die entsprechende Serologie (t-[«tissue»-]Transglutaminase Typ IgA) fiel leicht positiv aus, sodass die Diagnose Zöliakie gestellt werden konnte. Im Tumor-«staging» wurde ein ausgedehntes Lymphom im Stadium IV gemäss Ann-Arbor-Klassifikation diagnostiziert und es wurde eine Systemtherapie nach dem R-CHOP-(Rituximab, Cyclophosphamid, Hydroxydaunorubicin, Vincristin, Prednison)-Schema in kurativer Intention begonnen. Zudem wurde eine glutenfreie Diät eingeleitet. Binnen drei Monaten kam es zu einer spontanen Erholung der Eisenmangelanämie.
Tabelle 1:
Modifizierte Marsh-Oberhuber-Klassifikation; modifiziert nach [14].
Typ 0
Typ 1
Typ 2
Typ 3
Zotten
normal
normal
normal
a: geringe bis mässige Atrophie
b: subtotale Atrophie
c: totale Atrophie
Krypten
normal
normal
Hyperplasie
Hyperplasie
IEL / 100 Enterozyten
<25
>25
>25
>25
IEL: intraepitheliale Lymphozytenproliferation
Diskussion
Auf Grund eines breiten Spektrums und einer variablen Ausprägung an klinischen Zeichen und Symptomen ist die Diagnosestellung einer Zöliakie schwierig. Die Eisenmangelanämie ist eine mögliche Manifestationsform. In einer 2018 publizierten Metaanalyse konnte bei 3,2% von knapp 3000 Patienten mit Eisenmangelanämie eine mittels Biopsie bestätigte Zöliakie nachgewiesen werden [1, 2]. Gemäss Leitlinien des «American College of Gastroenterology» sollte bei Bestehen dieser Anämieform eine serologische Untersuchung auf Zöliakie erfolgen [3].
Die Diagnosestellung und nachfolgende Therapie in Form einer lebenslangen glutenfreien Diät ist wichtig, da dadurch einerseits eine Verbesserung der Symptome und damit der Lebensqualität erzielt und andererseits das Risiko des Auftretens von Langzeitkomplikationen gesenkt werden kann [1]. Hinsichtlich Langzeitkomplikationen konnte eine retrospektive Kohortenstudie in Schweden mit etwa 11 000 an Zöliakie leidenden Personen zeigen, dass im Vergleich zur Normalbevölkerung die Standardisierte Inzidenzrate (SIR) für das Auftreten eines Non-Hodgkin-Lymphoms (NHL) sechsfach erhöht ist [4]. In der histopathologischen Auswertung dieser Lymphome zeigte sich dabei vor allem eine 50-fach erhöhte SIR für T-Zell-Lymphome. Es fand sich ausserdem eine verdoppelte SIR für B-Zell-Lymphome, wobei die DLBCL den Grossteil ausmachten [5].
Neoplasien werden als Risikofaktor einer Perforation im Gastrointestinaltrakt beschrieben und führen ätiologisch entweder durch Tumornekrose oder Obstruktion mit prästenotischer ischämischer Nekrose zur Perforation [6]. Während knapp 60% der jährlichen Neudiagnosen eines gastrointestinalen Malignoms den Dickdarm betreffen, sind Neoplasien des Dünndarms mit 2% eine Seltenheit. Gemäss einer Analyse von Krebsregisterdaten des US-amerikanischen «Surveillance, Epidemiology, and End Results (SEER) Program» der Jahre 1973–2005 machen Non-Hodgkin-Lymphome 9,7% aller duodenalen, 22,4% aller jejunalen und 17,1% aller ilealen Malignome aus [7]. In einer retrospektiven Datenanalyse (1975– 2012) von 1062 Personen mit gastrointestinalem Lymphom kam es bei 92 (8,7%) von ihnen zu einer Perforation. Mit 59% traten die meisten Perforationen im Dünndarm auf, gefolgt von Dickdarmperforationen (22%). Histologisch war das DLBCL mit 59% die am häufigsten zu einer Perforation führende Lymphom-Entität [8].
Das Risiko einer intestinalen Perforation im Rahmen einer Koloskopie ist gering. So konnte eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse mit Einschluss von über zehn Millionen Koloskopien eine Rate von 5,8 Perforationen pro 10 000 Koloskopien zeigen [9]. Ätiologisch werden im Wesentlichen drei Mechanismen unterschieden: 1. Mechanische Darmwandverletzung durch das Koloskop, 2. ein durch zu viel insuffliertes Gas ausgelöstes Barotrauma (welches durch die heute zumeist standardmässige Verwendung von Kohlendioxid statt Raumluft viel seltener auftritt) und 3. Darmwandverletzung durch den Elektrokauter während einer Polypektomie [10]. Dünndarmperforationen nach Koloskopie sind eine Rarität und es existieren nur wenige Fallberichte, wobei vor allem Perforationen des Ileums beschrieben werden. Bezüglich Perforationen des Jejunums fanden sich in der Literaturrecherche lediglich drei Fallberichte, wobei jeweils die Perforation eines jejunalen Divertikels wenige Stunden nach Koloskopie beschrieben und ätiologisch eine übermässige Luftinsufflation in den Dünndarm postuliert wurde [11–13]. Somit kann man vermuten, dass die vorbestehende Schwachstelle der Dünndarmwand durch das Lymphom bei unserem Patienten zur wahrscheinlich pneumatisch bedingten Dünndarmperforation geführt hat.
Zusammenfassung
In diesem Bericht wurde der Fall eines Patienten mit einer nicht klassischen Zöliakie beschrieben, der als seltene Langzeitkomplikation ein im Jejunum lokalisiertes DLBCL entwickelt hatte, welches sich wenige Stunden nach Gastro- und Koloskopie zur Abklärung einer durch die Zöliakie bedingten Eisenmangelanämie in Form einer freien intraabdominellen Perforation demaskiert hat.
Das Wichtigste für die Praxis
Auf Grund eines breiten Spektrums und einer variablen Ausprägung an klinischen Zeichen und Symptomen wird die Zöliakie als «Chamäleon der Medizin» bezeichnet.
Eine Eisenmangelanämie ist eine mögliche Manifestationsform der Zöliakie; besteht eine Eisenmangelanämie, sollte ein serologisches Zöliakie-Screening erfolgen.
Eine konsequente Therapie in Form einer lebenslangen glutenfreien Ernährung kann zur Verbesserung von Symptomen und Reduktion von Langzeitkomplikationen beitragen.
Lymphome können als seltene Langzeitkomplikation einer Zöliakie auftreten.
Verdankung
Prof. Dr. med. Joachim Diebold, Pathologie, Luzerner Kantonsspital und Dr. med. Frank Flömer, Radiologie, Spital Nidwalden.
Disclosure Statement
Die Autorin und die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
2. Prevalence of celiac disease in patients with iron deficiency anemia – A systematic review with meta-analysis. Gastroenterology. 2018 Aug;155(2):374–382.e1. http://dx.doi.org/10.1053/j.gastro.2018.04.016PubMed 1528-0012
4. . Cancer incidence in a population-based cohort of individuals hospitalized with celiac disease or dermatitis herpetiformis. Gastroenterology. 2002 Nov;123(5):1428–35. http://dx.doi.org/10.1053/gast.2002.36585PubMed 0016-5085
5. . Malignant lymphomas in coeliac disease: evidence of increased risks for lymphoma types other than enteropathy-type T cell lymphoma. Gut. 2005 Jan;54(1):54–9. http://dx.doi.org/10.1136/gut.2003.032094PubMed 0017-5749
6. . Overview of gastrointestinal tract perforation. In: UpToDate. Post TW (Ed). Waltham, MA: UpToDate (Accessed on April 11, 2021).
13. Jejunal perforation following routine colonoscopy. Am J Gastroenterol. 2017;112:781–2. http://dx.doi.org/10.14309/00000434-201710001-01436 0002-9270Crossref reports the first page should be "S781", not "781". (Ref. 13 "Iriarte, Alukal, Chacon, Rohrbach, Gooch, Lichtenstein, et al., 2017")Edifix has not found an issue number in the journal reference. Please check the volume/issue information. (Ref. 13 "Iriarte, Alukal, Chacon, Rohrbach, Gooch, Lichtenstein, et al., 2017")
14. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) [Internet]. Berlin: S2k-Leitlinie Zöliakie. c2014 [cited 2022 Jun 26]. Available from: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/021-021.html