Geburtshilfe und Feto-Maternale Medizin der letzten 20 Jahre
Jubiläumsschlaglicht: Geburtshilfe und Feto-Maternale Medizin

Geburtshilfe und Feto-Maternale Medizin der letzten 20 Jahre

Medizinische Schlaglichter
Ausgabe
2022/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08935
Swiss Med Forum. 2022;22(0102):7-8

Affiliations
Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Inselspital Bern, Bern

Publiziert am 04.01.2022

Die Geburtshilfe hat sich in Richtung Feto-Maternale Medizin entwickelt. Die eigentliche «Hilfe zur Geburt» selbst erlebt eine zunehmende Individualisierung und eine Tendenz hin zur Förderung der natürlichen Geburt.

Hintergrund

Die klassische Geburtshilfe befasst sich, wie das Wort auch ausdrückt, mit der Hilfe zur Geburt selbst und der Zeit davor und danach. In den letzten 20 Jahren hat sich hier keine ausgeprägt medizinisch-technologische Entwicklung gezeigt. Es sind aber zwei deutliche Trends festzustellen: Einerseits besteht bei gesunden Frauen mit normal verlaufender Schwangerschaft und Geburt ein klarer Trend weg von der Medikalisierung. Andererseits ist es weltweit – aber auch in der Schweiz – zu einem deutlichen Anstieg der Sectiorate gekommen. Ab etwa 2015 hat sich diese Entwicklung auf ­hohem Niveau in der Schweiz stabilisiert, wobei heute ungefähr jedes dritte Kind per Sectio geboren wird [1]. Diese Zunahme der Sectiorate hat mannigfaltige Gründe, aber auch entsprechende Auswirkungen. Diese sind in erster Linie medizinischer Art, als Beispiel sei die Zunahme der Plazentationsstörungen in den Folgeschwangerschaften genannt. Auf der anderen Seite wird die medikalisierte Geburt zusehends in Frage gestellt, da auch oft die Evidenz fehlt, dass die Medikalisierung – also medizinische Massnahmen während der Geburt – zu einem besseren «Outcome» von Mutter und Kind führt; teilweise ist sogar das Gegenteil der Fall. So zeigt sich eine klare Tendenz weg von der Geburtsmedizin zurück zu einer natürlichen und unterstützenden Geburtshilfe. Diese findet unter anderem Ausdruck in der deutlichen Zunahme und Förderung und teilweise ­Institutionalisierung der hebammengeleiteten Geburtshilfe. Geburtshäuser finden zunehmend Anklang bei schwangeren Frauen und verzeichnen laufend höhere Geburtenzahlen. Mehr und mehr Kliniken führen die von Hebammen geleiteten Geburten ein, mit dem Ziel, die Medikalisierung der Geburt zu reduzieren und die natürliche Geburt zu ­fördern. An unserer Klinik selbst wurde die in die Klinik integrierte hebammengeleitete Geburtshilfe im Jahre 2005 nach einer Pilotphase als Angebot für ­gesunde Frauen mit niedrigem Risiko in die Routine eingeführt. Dieses Beispiel – damals als pionierhafte Leistung schweizweit einmalig – hat sich heute in ­vielen anderen Geburtskliniken der Schweiz etabliert.

Entwicklungen in der Feto-Maternalen Medizin

Im Gegensatz zur klassischen Geburtshilfe hat die medizinische Technologisierung in den Bereichen der ­fetalen und der maternalen Medizin zu einer rasanten medizinischen Entwicklung geführt. Grundlage dafür war nicht nur die generelle technologische Entwicklung in der Gesamtmedizin, sondern auch die Erkenntnis, dass schwere Schwangerschaftspathologien wie etwa Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie oder intrauterine Wachstumsretardierung nicht dann entstehen, wenn sie klinisch in Erscheinung treten, sondern zu ­einem viel früheren Zeitpunkt, nämlich in den ersten Wochen der Schwangerschaft. Man hat demnach ­erkannt, dass eine frühe Diagnose und Prädiktion ­bereits im ersten Schwangerschaftstrimester der Grundstein sein müssen, um die schweren Komplikationen zu vermeiden oder zumindest, um das Management zu verbessern und ­damit ein besseres «Outcome» für Mutter und Kind zu erreichen [2–4]. Hier möchte ich als Beispiel die Entwicklung der frühen Prädiktion der Präeklampsie erwähnen. Es ist heute möglich geworden, die Präeklampsie, die sich klinisch erst in der zweiten Schwangerschaftshälfte manifestiert und zu diesem Zeitpunkt nur noch mittels ­Entbindung therapierbar ist, bereits in der 12. Schwangerschaftswoche aufgrund von spezifischen Untersuchungen vorauszusehen. Noch wichtiger: Nicht nur eine Prädiktion ist möglich, sondern auch eine echte Prävention. Diese erfolgt bei entsprechend identifizierten schwangeren Frauen durch eine einfache Therapie mit niedrig dosiertem Aspirin. Dadurch kann eine schwere Präeklampsie in zwei Dritteln der Fälle vermieden werden [5–7]. Angesichts der Tatsache, dass die Präeklampsie weltweit eine der wichtigsten Ursachen für die perinatale kindliche und mütterliche Morbidität und Mortalität darstellt, ist dies eine enorme Errungenschaft, die mit eher kostengünstigen Massnahmen viel Leid ­verhindert. Die frühe Prädiktion ist methodisch verhältnismässig ein­fach erreichbar, nämlich mit einer diagnostischen Ultraschalluntersuchung (Dopplersonographie der Uterinarterien), einer standardisierten Blutdruckmessung und mittels Biomarkern im mütterlichen Blut. Zusammen mit der Vorgeschichte der schwangeren Frau kann so eine später auftretende Präeklampsie mit hoher Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden.
Ein Beispiel der medizinisch-technologischen Entwicklung der letzten 20 Jahre im Bereich der Fetal­medizin ist sicher die Weiterentwicklung der nicht-­invasiven pränatalen Diagnostik hinsichtlich fetaler Chromosomenanomalien. Es besteht heute die Möglichkeit, mit einer einfachen maternalen Blutunter­suchung am Ende des ersten Trimesters, ein fetales Down Syndrom (Trisomie 21) zu fast 100% auszuschlies­sen. Diese technologischen Möglichkeiten haben allerdings auch ethische Dimensionen, insofern als die nicht-direktive Beratung der Frauen in der Frühschwangerschaft zunehmend herausfordernd wird. Dies muss die Grundlage bleiben für eine freie und autonome Entscheidung der Frau respektive des Paares für oder gegen eine Pränataldiagnostik.
Im Bereich der maternalen Medizin gibt es ebenfalls herausragende Fortschritte in den letzten 20 Jahren, wobei ich an dieser Stelle die Diagnostik und Therapie des Gestationsdiabetes erwähnen möchte. Die diagnostischen Kriterien zur Erkennung des Gestationsdiabetes im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge konnten hinsichtlich des neonatalen «Outcome» verbessert und harmonisiert werden. Auch bei einem diagnos­tizierten Gestationsdiabetes gibt es neue Entwicklungen, die einen echten Fortschritt darstellen, beispielsweise die tragbaren Geräte zur kontinuierlichen subkutanen Blutzuckermessung (als Ersatz der Intervallmessung) oder die Digitalisierung in der Betreuung der Schwangeren mit Diabetes mittels Datenübertragung und Einsatz der künstlichen Intelligenz bei der optimalen Blutzuckereinstellung.
Letztendlich möchte ich im Bereich der maternalen Medizin nicht unerwähnt lassen, dass in den letzten 20 Jahren wesentliche Fortschritte erreicht wurden hinsichtlich der Therapie der postpartalen Hämor­rhagie, die weltweit eine der wichtigen Ursachen der mütterlichen Sterblichkeit darstellt. Neuere Entwicklungen wie die Optimierung der Hämostase oder neue operative Methoden, aber auch die Einführung von Team-Simulationstrainings, haben dazu geführt, dass die Mortalität der postpartalen Hämorrhagie weltweit abgenommen hat.
Damit habe ich nur einige «Leuchttürme» der Entwicklungen in der feto-maternalen Medizin genannt, stellvertretend für viele andere, die in den letzten Jahren zur Verbesserung des «Outcomes» für Mutter und Kind geführt haben.

Zukünftige Entwicklung der Geburtshilfe und Feto-Maternalen Medizin

Der technologische Fortschritt im Bereich prädiktiver und diagnostischer Biomarker, Hochfrequenz-Sequenzierung und auch Digitalisierung und Einführung der künstlichen Intelligenz in der Medizin werden zukünftig bei der Weiterentwicklung der Feto-Maternalen Medizin eine wichtige Rolle einnehmen, als Beispiel sei die «Liquid Biopsy» der Plazenta im mütterlichen Blut während der Schwangerschaft genannt [8, 9]. Auf der anderen Seite ist zu hoffen, dass die Abkehr von der Medikalisierung bei der physiologischen Geburt und bei gesunden Frauen dazu führen wird, dass die hohe Sectiorate und damit auch deren mögliche Risiken in den nächsten 20 Jahren wieder eine Reduktion erfährt. Hier wird die hebammengeleitete Geburtshilfe eine zunehmend wichtigere Rolle einnehmen. Letztendlich wird die individuelle, evidenzbasierte Betreuung der schwangeren Frauen wichtiger – und damit auch die ausführliche Beratung mit Aufzeichnung von Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Optionen. Es gilt, die Autonomie der schwangeren Frau und ihre individuellen Entscheidungen vor, während und nach der Schwangerschaft vollumfänglich zu respektieren und gleichzeitig das bestmögliche gesundheitliche «Outcome» für Mutter und Kind zu erreichen.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Universitätsklinik für ­Frauenheilkunde
Inselspital Bern, Universität Bern
Friedbühlstrasse 19
CH-3010 Bern
daniel.surbek[at]insel.ch
1 Salem Y, Oestreich MA, Fuchs O, Usemann J, Frey U, Surbek D, Amylidi-Mohr S, Latzin P, Ramsey K, Yammine S; Bern Basel Infant Lung Development Study Group. Are children born by cesarean delivery at higher risk for respiratory sequelae? Am J Obstet Gynecol. 2021:S0002-9378(21)00866–8.
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