Von der genetischen Testung bis zur roboterassistierten Chirurgie
Jubiläumsschlaglicht: Urologie

Von der genetischen Testung bis zur roboterassistierten Chirurgie

Medizinische Schlaglichter
Ausgabe
2022/0506
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08939
Swiss Med Forum. 2022;22(0506):90-91

Affiliations
Universitätsklinik für Urologie, Inselspital, Bern

Publiziert am 01.02.2022

Auch wenn vor 20 Jahren gewisse Entwicklungen schon abzusehen waren, ist die Vielfalt der Neuerungen auf technischem, medikamentösem und molekularem Gebiet eindrücklich.

Einführung

Die Urologie ist ein sehr vielseitiges Fach und somit sind auch die Entwicklungen und Fortschritte in den letzten Jahren zahlreich gewesen – und erstrecken sich auf nahezu alle relevanten Bereiche des Fachgebietes.

Fortschritte an allen Fronten

In der urologischen Diagnostik sind in den letzten 20 Jahren viele neue Methoden und technologische Verfeinerungen hinzugekommen. Das multiparametrische Magnetresonanztomogramm (MRT) der Prostata hat zusammen mit der gezielten MRT-/Ultraschall-Fusionsbiopsie zu einer verfeinerten Diagnostik beim Prostatakarzinom geführt, was sich positiv im Sinne einer besseren intraoperativen Lokalisierbarkeit und einer sichereren Verlaufskontrolle bei der aktiven Überwachung («Active Surveillance») ausgewirkt hat. Eine weitere Verbesserung bei der diagnostischen Bildgebung stellt die Prostataspezifisches-Membranantigen-Positronenemissionstomografie-Computertomografie (PSMA-PET-CT) dar, die bei der Einschätzung der Tumorausdehnung und der Suche nach Ablegern sehr hilfreich ist.
In der Labordiagnostik hat die genetische Testung ­zunehmend einen Platz gefunden. Bei 10–12% der Männer findet sich eine Keimbahnmutation (u.a. BRCA1, BRCA2), die mit einer schlechteren Prognose einhergeht. Weiter kommen immer mehr molekulare Biomarker zur Anwendung (z.B. Decipher Genomic Classifier® oder Proclarix®), wobei deren Stellenwert noch genauer beurteilt werden muss.
Wie in vielen chirurgischen Fächern sind die meisten Fortschritte technischer Natur. So waren die letzten 20 Jahre durch die Einführung der roboterassistierten Chirurgie geprägt, die sich rasch etabliert und verbreitet hat. Auch wenn sich die Überlegenheit gegenüber der offenen Chirurgie (noch) nicht wie erwartet bestätigt hat, wird diese Erneuerung bleiben, und ihre zukünftige Weiterentwicklung ist hoffnungsvoll und vielversprechend [1]. Neben der etablierten DaVinci®-Plattform sind auch neuere, alternative Plattformen in Entwicklung (z.B. «Senhance® Surgical Systems» oder das Hybridroboter-System «Dexter®»). Durch neue Instrumente wie «Firefly® Fluorescence Imaging» können intraoperativ Strukturen besser erkannt und präpariert werden. Die Robotik hat aber auch zu grossen Fortschritten bei der Simulation operativer Eingriffe in der chirurgischen Ausbildung beigetragen – nicht nur bei der roboterassistierten Chirurgie, sondern auch bei der minimal-invasiven Endo-Urologie. So können ­minimal-invasive Eingriffe wie die Ureterorenoskopie im gesamten Ablauf simuliert werden, bevor diese am Patienten erfolgen. Beim Da-Vinci®-System kann mittels 3D-Rekonstruktion der Eingriff präoperativ geplant und intraoperativ abgeglichen werden.
Auch die endoskopische Chirurgie, die in der Urologie einen grossen Stellenwert hat, hat von verschiedenen technischen Entwicklungen profitiert. Die starren Endoskope wurden durch flexible ersetzt und zunehmend verfeinert und optimiert. So wurde die Perkutane Nephrolitholapaxie (PNL) bei der minimal-invasiven Steinbehandlung durch die Mini-PNL und die Ultra-Mini-PNL ergänzt und der Zugang in die Niere damit immer präziser und weniger traumatisch.
Die Digitalisierung in der Bildgebung hat das Leben der Urologen ebenfalls deutlich verbessert. Technologien wie «Chip-on-the-tip» haben die Bildqualität massiv gesteigert und dadurch komplexere Eingriffe mit weniger Traumatisierung ermöglicht. Die Einführung der Lasertechnologie hat die moderne Steinchirurgie, aber auch die Behandlung von Tumoren im oberen Harntrakt zusätzlich weitergebracht. Heute stehen in der Urologie eine Vielfalt an Lasern mit unterschiedlichen Eigenschaften zur Verfügung. In der Behandlung der gutartigen Prostatavergrösserung hat die Lasertechnologie ebenfalls neue Behandlungsmöglichkeiten ­eröffnet, so der «Greenlight»-Laser aber auch der neuere Thulium-Laser [2]. Gerade bei der Behandlung der ­gutartigen Prostatavergrösserung sind viele neue ­Behandlungsoptionen entwickelt worden, wie die Wasserdampftherapie (Rezum®), die Wasserablation (AcquaBeam®), aber auch die gezielte Embolisation der ­zuführenden Blutgefässe der Prostata.
In den letzten 20 Jahren wurde auch die chirurgische Technik verfeinert und verbessert: die Nervenschonung bei der Entfernung von Tumoren der Prostata und der Harnblase hat die funktionellen Resultate ­bezüglich Kontinenz und Potenz verbessert – ohne Kompromisse bei den onkologischen Resultaten. Bei der Behandlung der Inkontinenz war die suburethrale Schlinge ein so grosser Erfolg, dass dieser Eingriff in der Folge zunächst etwas unkritisch und unbedarft durchgeführt wurde, was den Resultaten abträglich war. Nun wird dieser Eingriff weniger häufig durchgeführt und nur bei eindeutiger Indikation.
In der Neurourologie hat die Injektion von Botulinumtoxin, kurz «Botox», in die Harnblasenwand eine wahre Revolution in der Versorgung der «Reizblase» – wie sie bei Patientinnen und Patienten mit Querschnittslähmung oder idiopathisch auftritt – ausgelöst und die Lebensqualität vieler Menschen massiv verbessert [3].
Auch andere Medikamente haben in der Urologie und in der Gesellschaft für Aufruhr gesorgt, so die Phosphodiesterase-(PDE-)5-Inhibitoren, besser bekannt ­unter Namen wie Viagra®, Levitra® oder Cialis®. Initial für die gefässerweiternde Behandlung der Angina ­pectoris entwickelt, hat diese Medikamentengruppe die Therapie der Erektilen Dysfunktion (Impotenz) ­revolutioniert und vereinfacht [4].
Nicht zuletzt hat eine weitere Entwicklung, die «Enhanced Recovery After Surgery» (ERAS®), die perioperative Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessert und die Komplikationsraten gesenkt [5]. Dieses multidisziplinäre Vorgehen – ursprünglich im Bereich der kolorektalen Chirurgie entwickelt – wurde für die grossen urologischen Eingriffe angepasst und weiterentwickelt.

Was erwartet uns in Zukunft?

Wenn man all diese nur kurz gestreiften und aufgeführten Fortschritte in der Urologie bedenkt, so hat in den letzten beiden Dekaden ein enormer Fortschritt stattgefunden, der aber in keiner Weise abgeschlossen ist. So sind beispielsweise bei der roboterassistierten Chirurgie der Einfluss der «Augmented Reality» abzuwarten, wie auch Entwicklungen, die eine verbesserte haptische Wahrnehmung erlauben. Die 3D-Drucktechnologie steht bei der operativen Vorbereitung in den Anfängen. Aber auch andere Technologien, wie die ­Molekularbiologie, die Nanotechnologie oder Weiterentwicklungen in der Bildgebung, versprechen viele neue Möglichkeiten zum Wohle der Patientinnen und Patienten.
Wir sind gespannt darauf, was die Zukunft für uns ­bereithält.
Der Autor hat deklariert, keine finanziellen oder persönlichen ­Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
Prof. Dr. med.
George N. Thalmann
Universitätsklinik
für ­Urologie
Inselspital
Anna-Seiler-Haus
Freiburgstrasse 41c
CH-3010 Bern
urology.berne[at]insel.ch
1 Dhanani NH, Olavarria OA, Bernardi K, Lyons NB, Holihan JL, Loor M, et al. The evidence behind robot-assisted abdominopelvic surgery: a systematic review. Ann Intern Med. 2021;174(8):1110–7.
2 Enikeev D, Shariat SF, Taratkin M, Glybochko P. The changing role of lasers in urologic surgery. Curr Opin Urol. 2020;30(1):24–9.
3 Schurch B, Schmid DM, Stöhrer M. Treatment of neurogenic incontinence with botulinum toxin A. N Engl J Med. 2000;342(9):665.
4 Boolell M, Gepi-Attee S, Gingell JC, Allen MJ. Sildenafil, a novel effective oral therapy for male erectile dysfunction. Br J Urol. 1996;78(2):257–61.
5 Cerantola Y, Valerio M, Persson B, Jichlinski P, Ljungqvist O, Hubner M, et al. Guidelines for perioperative care after radical cystectomy for bladder cancer: Enhanced Recovery After Surgery (ERAS[®]) society recommendations. Clin Nutr. 2013;32(6):879–87.