Ungewöhnliches Bild einer klassischen Ursache chronischen Durchfalls
Potentiell tödlich

Ungewöhnliches Bild einer klassischen Ursache chronischen Durchfalls

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2022/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08972
Swiss Med Forum. 2022;22(40):664-667

Affiliations
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne: a Service de médecine interne; b Service de gastro-entérologie

Publiziert am 05.10.2022

Eine 66-jährige Patientin sucht ärztlichen Rat, da sie seit einigen Tagen an Durchfall, acht- bis zehnmal täglich, ohne Blutbeimengung, mit Erbrechen und diffusen Bauchschmerzen leidet.

Fallbeschreibung

Eine 66-jährige Patientin sucht ärztlichen Rat, da sie seit einigen Tagen an Durchfall (acht- bis zehnmal täglich, ohne Blutbeimengung) mit Erbrechen und diffusen Bauchschmerzen leidet.
Ihre Vorerkrankungen sind: Arterielle Hypertonie, Dyslipidämie, Hypothyreose (stabil durch L-Thyroxin-Substitution) und Status nach Cholezystektomie aufgrund einer Cholelithiasis. Zudem raucht sie Zigaretten (90 Packyears).
Bei der Aufnahme der Patientin werden Fieber (40 °C), ein arterieller Blutdruck von 87/67 mm Hg, eine Herzfrequenz von 90/min und eine Atemfrequenz von 28/min festgestellt. Wir beobachten zudem eine Oligurie, kalte untere Extremitäten und einen nicht palpierbaren distalen Puls. Das Abdomen ist bei der Palpation weich, die Darmgeräusche sind physiologisch.
Die Laboruntersuchungen ergeben: Leukozytose (12,1 G/l, Normwert: 4–10 G/l), Hämoglobin 109 g/l, mittleres Erythrozytenvolumen (MCV) 103 fl, C-reaktives Protein (CRP) 348 mg/l, Procalcitonin 90,1 µg/l (Normwert <0,25 µg/l), Quick-Wert 42%, Albumin 19 g/l; akute Niereninsuffizienz (AKIN 2, Kreatinin 208 µmol/l, geschätzte glomeruläre Filtrationsrate [eGFR] 21 ml/min/1,73 m2) sowie Elektrolytstörungen (Na 147 mmol/l, Ka 3,2 mmol/l, Ca korrigiert 1,79 mmol/l, Mg 0,59 mmol/l). Die Leber- und Pankreaswerte sind normal. Die Blutgasanalyse ergibt: pH-Wert 7,2, pCO2 36 mm Hg, pO2 124 mm Hg, Na 139 mmol/l, Cl 113 mmol/l, HCO3 16,4 mmol/l, Laktat 2,06 mmol/l (metabolische Azidose mit normaler Anionenlücke). Das Elektrokardiogramm ist unauffällig.
Eine notfallmässig durchgeführte thorakoabdominale Computertomographie (CT) mit Kontrastmittelinjektion zeigt das Bild einer Enteritis mit Wandverdickung im Dünndarm.
Trotz Volumensubstitution verschlechtert sich der Zustand der Patientin rapide und es kommt zu einem akuten Kreislaufversagen, so dass sie auf die Intensivstation verlegt werden muss, wo sie mit Vasopressoren unterstützt und orotracheal intubiert wird.
Was ist zu diesem Zeitpunkt am wenigsten angezeigt?
a) Blutkulturen
b) Multiplex-PCR auf enteropathogene Bakterien im Stuhl
c) Behandlung mit Ceftriaxon
d) Behandlung mit Azithromycin
e) Behandlung mit Imipenem
Die Patientin zeigt das Bild eines Schocks mit akuter Niereninsuffizienz und starker Hypokalzämie bei akutem Durchfall und Bauchschmerzen. Angesichts des Fiebers mit laborchemischer Entzündungskonstellation und des bilddiagnostischen Ergebnisses ist ein septischer Schock bei Enteritis die wahrscheinlichste Diagnose. Zu bedenken ist jedoch, dass ein radiologisches Bild einer Enteritis auch eine entzündliche oder ischämische Ursache haben kann und diese Entitäten durch eine bakterielle Translokation kompliziert werden können. Es ist deshalb angezeigt, Proben zur mikrobiologischen Untersuchung zu entnehmen und rasch eine Behandlung mit einem Breitband-Antibiotikum zu beginnen.
Sind die Kriterien eines schweren Durchfalls erfüllt (>8 Stuhlgänge/Tag, Fieber, Symptome seit über einer Woche und/oder Hospitalisierung nötig), sollte die empirische Behandlung ein Cephalosporin der dritten Generation (Wirkung gegen Salmonella spp, Shigella spp, Yersina enterocolitica) und ein Makrolid (Wirkung gegen Campylobacter jejuni) umfassen.
Im Zusammenhang mit einem ambulant erworbenen septischen Schock ohne Risikofaktoren für Extended-Spectrum-Betalaktamasen (ESBL) ist eine Antibiotikatherapie mit Imipenem nicht indiziert. Eine Breitbandbehandlung mit Piperacillin/Tazobactam würde im Übrigen nicht gegen Campylobacter wirken. Eine Behandlung, die anaerobe Erreger abdeckt (mit Piperacillin/Tazobactam, Co-Amoxicllin oder Metronidazol), wäre lediglich im Fall einer intraabdominellen Infektion mit Peritonitis indiziert [1].
Die Patientin erhält eine Antibiotikatherapie, durch eine erneute CT-Angiographie wird eine ischämische Ursache ausgeschlossen. Die Blut- und Urinkulturen sind steril. Die Stuhluntersuchungen mittels PCR-Test auf Clostridioides difficile, Adenoviren, Rotavirus, Campylobacter jejuni, Salmonella spp, Shigella spp und Shiga-Toxin sind ebenfalls negativ.
In der weiteren Anamnese wird festgestellt, dass es sich um die dritte Episode innerhalb eines Jahres handelt, bei der ein hypovolämischer Schock aufgrund von Durchfall auftritt und eine Einweisung auf die Intensivstation erforderlich macht. Diagnostiziert wurden damals eine virale Gastroenteritis mit starker Dehydratation, dann eine Sepsis unbestimmter Ursache, wobei der Durchfall zwischen diesen Hospitalisierungen abgeklungen war. Es liegt kein Hinweis auf eine besondere familiäre Erkrankung vor. Kürzliche Reisen, die Einnahme neuer Medikamente und Ernährungsumstellungen oder ein riskantes Sexualverhalten werden von der Patientin verneint. Die hämodynamische Situation stabilisiert sich ohne eine Gabe von Kortikosteroiden, die Katecholamine werden abgesetzt und die Patientin wird extubiert. Die Niereninsuffizienz erweist sich als funktionell und bessert sich infolge der Schockbehandlung rasch.
Diagnostiziert wird ein Schock gemischten Ursprungs mit septischer Komponente, Hypovolämie nach starkem Durchfall und Vasoplegie infolge starkter Hypokalzämie.
Nach Abklingen des Schocks verringert sich die Entzündungskonstellation rasch, es kommt aber weiterhin zu starkem, wässrigem Durchfall (bis zu 5–6 l/Tag) ohne Blutbeimengung, auch im Nüchternzustand. Die empirische Behandlung mit Loperamid und Colestyramin ermöglicht lediglich eine leichte Senkung der Durchfallfrequenz.
Welche Diagnose scheint am wenigsten wahrscheinlich?
a) VIPom
b) Karzinoidsyndrom
c) Hyperthyreose
d) Choleretische Enteropathie
e) Morbus Crohn
Die Patientin leidet an der dritten Episode starken Durchfalls, ohne dass eine infektiöse Ursache ersichtlich ist. Der Ursprung des chronischen Durchfalls muss also gefunden werden. Der hypovolämische Schock kann ein Hinweis auf einen neuroendokrinen Tumor sein (VIPom, Karzinoidsyndrom, Gastrinom, …). Das VIPom kann zu starkem Durchfall mit Hypovolämie, schwerer Hypokaliämie und in 20% der Fälle zu anfallsartiger Gesichtsrötung («Flush») führen. Das Karzinoidsyndrom geht mit Flush (bläulich-rot, 30 Sekunden bis 30 Minuten), manchmal mit Hypotonie und Bronchospasmus (20% der Fälle) und in 80% der Fälle mit chronischem Durchfall einher. Dieses Syndrom wird auf die Sekretion verschiedener Hormone (Serotonin, Histamin, Kallikrein, …) durch gut differenzierte neuroendokrone Tumoren zurückgeführt, die klassischerweise dem Dünndarm (seltener dem Kolon oder der Lunge) entstammen.
Da unsere Patientin aufgrund ihrer Hypothyreose eine Substitutionsbehandlung erhält, sollte nach einer Hyperthyreose durch Überschuss an Schilddrüsenhormonen gesucht werden.
Bei chronischem Durchfall muss auch eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED) wie Morbus Crohn in Betracht gezogen werden [3].
Nach einer Cholezystektomie tritt bei 5–10% der Patientinnen und Patienten chronischer Durchfall auf (choleretische Enteropathie), der oftmals auf Colestyramin (Polystyrol-Derivat, das Gallensäure bindet) anspricht und sich nicht als starker Durchfall mit hypovolämischem Schock äussert. Ohne Gallenblase fliesst die Galle direkt und stetig in den Dünndarm und übersteigt die Reabsorptionskapazität im terminalen Ileum; so kommt es zum Überschuss von Gallensäure im Kolon und zu Durchfall.
Welche Untersuchung ist zu diesem Zeitpunkt nicht indiziert?
a) Zöliakie-Serologie
b) TSH-Bestimmung
c) Koloskopie mit Etagenbiopsie
d) PET-CT mit markiertem Octreotid (68Ga-DOTATE)
e) 72-Stunden-Sammelstuhl
In Abbildung S1 im Online-Appendix dieses Artikels schlagen wir einen Algorithmus für die Behandlung chronischen (d.h. länger als vier Wochen anhaltenden) Durchfalls vor. Ist keine Durchfallursache ersichtlich, rechtfertigt die Prävalenz von Hyperthyreose (>1% und bis zu 5% bei älteren Frauen) und Zöliakie (1%) Untersuchungen zur Früherkennung dieser Krankheiten.
Eine Koloskopie mit Schleimhautbiopsie ist vor allem bei Personen über 50 Jahren (Tumor-Früherkennung) sowie bei Verdacht auf entzündlichen Durchfall (mikroskopische Kolitis, CED) angezeigt.
Die Untersuchung des Stuhls auf Parasiten ist Teil der Standardbefundung, auch wenn die Anamnese und das klinische Bild bei unserer Patientin nicht darauf hindeuten. Auch eine HIV-Serologie wäre indiziert, um einen Hinweis auf den infektiologischen Befund auf der Suche nach verbreiteten und seltenen opportunistischen Infektionen zu liefern [3].
Bei chronischem Durchfall (Dauer mindestens 4 Wochen) ist in der Folge ein Sammelstuhl indiziert, um das Stuhlgewicht pro Tag festzustellen (echter Durchfall: Tagesgewicht >200 g, Pseudodiarrhoe: Tagesgewicht <200 g), den verantwortlichen Mechanismus zu identifizieren (sekretorisch, osmotisch oder entzündlich [Calprotectin]) und eine Steatorrhoe oder einen Proteinverlust im Stuhl nachzuweisen, was auf eine Malabsorption hinweisen würde [3]. Falls ein 72-Stunden-Sammelstuhl nicht möglich ist, kann der Stuhl auch während 24 oder 48 Stunden gesammelt werden. Wenn auch das nicht möglich ist, kann man bereits in einer 1-Gramm-Stuhlprobe die fäkale Elastase und Calprotectin messen. Die Sammeldauer von 72 Stunden wird vorgeschlagen, um ein repräsentatives Ergebnis zu erhalten.
Wie erwähnt, kann das klinische Bild eines refraktären Durchfalls mit anfänglicher Hypokaliämie und Dehydratation auf einen neuroendokrinen Tumor hindeuten. Dies ist indes eine seltene Diagnose, nach der in zweiter Linie zu suchen ist, nachdem häufigere Ursachen ausgeschlossen wurden (vgl. Abb. S1 im Online-Appendix des Artikels). Demzufolge wäre die Messung der Serumkonzentration des vasoaktiven intestinalen Peptids (VIP) bei Verdacht auf ein VIPom indiziert. Zum Nachweis des Karzinoidsyndroms wird im Urin das Serotonin-Abbauprodukt 5-Hydroxyindolylessigsäure (5-HIES) bestimmt. Eine PET-CT-Untersuchung mit markiertem Octreotid (68Ga-DOTATOC oder 68Ga-DOTATE) ist hingegen zu diesem Zeitpunkt nicht angezeigt, könnte aber zur Lokalisierung eines durch Screeningtests diagnostizierten neuroendokrinen Tumors oder bei starkem klinischem Verdacht ohne alternative Diagnose in Betracht gezogen werden.
Ein Überschuss exogener Schilddrüsenhormone wird bei unserer Patientin, die mit L-Thyroxin supplementiert wird, ausgeschlossen. Eine Koloskopie und parasitologische Stuhluntersuchung verlaufen negativ. Das fäkale Calprotectin ist auf 183 µg/g erhöht (normal <50), ebenso wie das Stuhlgewicht, das 782 g/24 Stunden beträgt (normal <200 g/24 Stunden) und mit starker Steatorrhoe einhergeht (41 g Fett/24 Stunden; normal <7 g/24 Stunden). Dies legt einen Durchfall aufgrund von Malabsorption nahe. Die Zöliakie-Serologie und besonders der Test auf Gewebstransglutaminase-IgA-Antikörper sind stark positiv (Tab. 1). Zu bedenken ist, dass diese Antikörper im Falle eines negativen Ergebnisses nur unter der Voraussetzung interpretierbar sind, dass kein IgA-Mangel vorliegt; dies ist gleichzeitig zu testen [2].
Tabelle 1: Serologische Tests zum Nachweis von Zöliakie (angepasst nach [7])
Wichtige FragenSensitivität % (Spannweite)Spezifität % (Spannweite)PPV % (Vortestwahrscheinlichkeit 5%)NPV % (Vortestwahrscheinlichkeit 5%)Anmerkungen
IgA anti-tTG IgA anti-tTG98 (78–100)98 (90–100)7299Nachweistest erster Wahl (Sensitivität und NPV hoch, kostengünstig)
IgG anti-tTG70 (45–95)95 (94–100)4299Bei vollständigem IgA-Mangel
EMA95 (86–100)99 (97–100)8399IgA EMA: falls IgA anti-tTG schwach positiv (Spezifität hoch, aber schwankende Ergebnisinterpretation, hohe Kosten)
IgG EMA: bei vollständigem IgA-Mangel
IgA anti-dGP88 (74–100)95 (90–99)4499In zweiter Linie (Zöliakie-Verdacht bei Serologie-Tests)
IgG anti-dGP80 (63–95)98 (90–99)6899Bei vollständigem IgA-Mangel
Bei Kindern <2 Jahren
PPV: positiver Vorhersagewert; NPV: negativer Vorhersagewert; tTG: Gewebstransglutaminase; EMA: Endomysium-Antikörper; dGP: deamidierte Gliadinpeptide
Was ist der nächste Schritt, um die Diagnosehypothese zu bestätigen?
a) Bestimmung der Vitamine B1, B12 und B9, der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K, der Proteine Albumin und Präalbumin sowie von Ferritin im Blut
b) Diätversuch
c) Nachweis der Gene HLA-DQ2 oder DQ8
d) Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) mit Zwölffingerdarmbiopsie
e) Videokapselendoskopie
Angesichts der Ergebnisse der serologischen Tests leidet die Patientin an einer Malabsorption, die sehr wahrscheinlich zöliakiebedingt ist (Sensitivität 90%, Spezifität 95%). Die einzige Untersuchung, durch die die Diagnose bestätigt werden kann, ist die ÖGD mit Zwölffingerdarmbiopsie.
Die Videokapselendoskopie ermöglicht die Untersuchung des Dünndarms, aber bietet nicht die Möglichkeit histologischer Analysen. Im Rahmen der Standardbefundung ist sie zunächst nicht indiziert, sehr wohl aber im Falle einer refraktären Zöliakie, um Läsionen durch ulzerative Jejunitis, ein invasives Lymphom oder ein Adenokarzinom nachzuweisen.
Ein Versuch mit glutenfreier Diät ist nicht geeignet, um die Diagnose zu stellen, würde indes zur Normalisierung der Schleimhaut führen und so die histologische Diagnosestellung beeinträchtigen.
Die Bestimmung der Vitamine, Proteine und von Ferritin im Blut ist ein guter Indikator für ein Malabsorptionssyndrom [4] und ist erforderlich, um Mängel zu supplementieren, ermöglicht aber keine ätiologische Diagnose.
Gentests werden nicht systematisch angewandt, um Zöliakie zu diagnostizieren. Über 90% der Personen mit Zöliakie sind DQ2- oder DQ8-positiv (von den Genen HLA-DQA1 und HLA-DQB1 codierte, heterodimere Proteine); allerdings tragen auch 40% der Gesamtbevölkerung die Allele HLA-DQ2 bzw. DQ8, ohne die Krankheit zu entwickeln [2]. Die HLA-DQ-Genotypisierung ist also vor allem nützlich, um die Diagnose auszuschliessen, typischerweise wenn Serologie und duodenale oder jejunale Histologie nicht übereinstimmen.
In unserem Fall zeigt die ÖGD eine leicht erythematöse Magenschleimhaut und ein atrophisches Bild der Zwölffingerdarmschleimhaut. Die histologische Analyse ergibt eine totale oder subtotale villöse Atrophie in Verbindung mit einer Kryptenhyperplasie und Erhöhung der intraepithelialen Lymphozyten. Dies bestätigt die Diagnose Zöliakie. Die Laborwerte zeigen einen Protein-Kalorien-Mangel mit Hypoalbuminämie (20 g/l, Normwert: 35–52 g/l) und Hypopräalbuminämie in Verbindung mit einer Malabsorption (Mangel an Vitamin B9 und D, der Quick-Wert normalisiert sich nach Vitamin-K-Substitution).
Die gestellte Diagnose lautet Zöliakiekrise (Tab. 2). Häufig ist ein beschleunigender Faktor assoziiert, etwa eine Infektion wie in unserem Fall oder eine Operation in jüngerer Vergangenheit [1].
Tabelle 2: Diagnosekriterien für eine Zöliakiekrise (angepasst nach [1])
Akutes Auftreten oder rasche Progression gastrointestinaler Symptome, die der Zöliakie zugeschrieben werden können und eine Hospitalisierung und/oder parenterale Ernährung erfordern. Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor:
Anzeichen starker Dehydratation, darunter hämodynamische Instabilität und/oder orthostatische Dysregulation
Blutwerte und visuelles Differenzialblutbild (Handdifferenzierung)
Entzündungsparameter: CRP, allenfalls Proteinelektrophorese, Gerinnungsstatus
Substrate: Folsäure, Vitamin B12, Eisenstatus, allenfalls Kupfer
Virenserologie: EBV, CMV, HIV, Hepatitis B und C
Organbeteiligung: Leber- und Nierenwerte
Autoimmunserologie: Rheumafaktor, ANA, anti-DNA
Gewichtsverlust >5 kg
Neurologische Störung
Welche Massnahme ist nicht geeignet?
a) Substitution der mangelnden Mikronährstoffe und parenterale Rehydratation
b) Glutenfreie Diät mit Ernährungsberatung
c) Kortikoidtherapie
d) Wiederholung der serologischen Tests
e) Kontroll-Gastroskopie nach drei Monaten
Die einzige wirksame, bewährte Behandlung von Zöliakie ist eine vollständig glutenfreie Diät. Dehydratation und Mikronährstoffmängel müssen ausgeglichen werden, dabei gilt es aber, Gluten (Weizen, Gerste, Roggen) strikt zu vermeiden. Wenn bei einer Zöliakiekrise die Standardbehandlung zu keiner raschen Besserung führt, kann eine Kurzzeittherapie mit Prednison oder Budesonid erwogen werden.
Regelmässige Kontrollen werden empfohlen, um allfällige Komplikationen zu erkennen, die Entwicklung der Symptome zu verfolgen und die Einhaltung der glutenfreien Diät zu prüfen. Nach drei Monaten strikt glutenfreier Ernährung werden serologische Tests empfohlen (Gewebstransglutaminase- oder Endomysium-IgA-Antikörper respekvie IgG-Antikörper bei vollständigem IgA-Mangel), die nach sechs Monaten wiederholt werden sollten. Ein verringerter Antikörpertiter korreliert mit dem Einhalten der glutenfreien Diät, eine Normalisierung ist nach sechs bis zwölf Monaten zu erwarten. Diese Normalisierung der serologischen Parameter geht nicht unbedingt mit einer histologischen Abheilung einher. Ob wiederholte Zwölffingerdarmbiopsien nötig sind, um die histologische Abheilung und das Einhalten der glutenfreien Diät zu prüfen, ist in der Fachliteratur umstritten. Dieser Ansatz wird in der Praxis angewandt, ist aber bei Patientinnen und Patienten umstritten, die auf die glutenfreie Diät mit negativen oder sinkenden Serologie-Ergebnissen ansprechen. Histologische Nachkontrollen sind nur nach ein bis zwei Jahren bei symptomatischen Erwachsenen sinnvoll (um eine refraktäre Zöliakie oder maligne Tumoren zu erkennen) oder bei anhaltend positiven Serologie-Ergebnissen. Bei gutem Ansprechen auf die Behandlung (keine Symptome oder labormedizinischen Anzeichen von Malabsorption) kann fünf Jahre lang eine jährliche serologische und labormedizinische Nachkontrolle und danach in längeren Abständen vorgeschlagen werden.
Bei unserer Patientin klangen infolge der glutenfreien Diät mit Ernährungsberatung der Durchfall und die Stoffwechselstörungen rasch und vollständig ab. Nach einer Rehabilitation zur Behandlung der Mangelernährung wird sie nach Hause entlassen.

Diskussion

Bei rezidivierendem oder chronischem Durchfall sollten die Untersuchungen dem in Abbildung S1 (siehe im Online-Appendix des Artikels) vorgeschlagenen Algorithmus folgen, um sie auf die Merkmale des Durchfalls abzustimmen.
Zöliakie ist eine chronische, immunologische Krankheit, die durch den Verzehr von Gluten ausgelöst wird und sich bei genetisch prädisponierten Personen entwickelt. Mit einer Prävalenz von 1% kann sie sich durch ein breites Spektrum klinischer Manifestationen im Verdauungstrakt und darüber hinaus äussern, was ihre Diagnose erschwert. Eine niedrige Verdachtsschwelle ist darum nötig, um Zöliakie frühzeitig erkennen und geeignet behandeln zu können (Tab. 3).
Tabelle 3: Situationen, in denen auf Zöliakie getestet werden sollte (gemäss «National Institute for Health and Care Excellence Guidelines», angepasst nach [2])
Zöliakie-Test empfohlenZöliakie-Test in Betracht zu ziehen
Anhaltende, ungeklärte abdominale oder gastrointestinale Symptome
Verzögertes Wachstum
Anhaltende Müdigkeit
Ungeklärter Gewichtsverlust
Schwere oder anhaltende bukkale Ulzera
Ungeklärter Eisen-, Vitamin-B12- oder Folat-Mangel
Typ-1-Diabetes
Autoimmunthyreoiditis
Reizdarmsyndrom
Verwandte ersten Grades, die an Zöliakie leiden
Knochenstoffwechselstörungen (verringerte Knochendichte oder Osteomalazie)
ungeklärte neurologische Symptome (besonders periphere Neuropathie oder Ataxie)
Ungeklärte Unfruchtbarkeit oder wiederholte Fehlgeburt
Anhaltende Erhöhung der Leberwerte unbekannter Ursache
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH)
Down-Syndrom
Turner-Syndrom
Die Zöliakiekrise ist eine ungewöhnliche, möglicherweise unterdiagnostizierte Komplikation, von der bisher nur eine begrenzte Zahl von Fällen beim Erwachsenen beschrieben wurde. Sie ist potentiell tödlich und sollte in jedem Fall bei starkem, chronischem, ungeklärtem Durchfall mit starken Stoffwechselstörungen in Betracht gezogen werden, nachdem eine infektiöse Ursache ausgeschlossen wurde (Tab. 2). Die Behandlung besteht vor allem in einer strikt glutenfreien Ernährung mit intensiver Ernährungsberatung, wodurch in 50% der Fälle eine rasche klinische Besserung möglich ist. Führt die Standardbehandlung nicht zur raschen Besserung, können Kortikosteroide ergänzend in Betracht gezogen werden, die aber zu einer Verstärkung der Elektrolytstörungen führen können [1].
Frage 1: e. Frage 2: d. Frage 3: d. Frage 4: d. Frage 5: e.
Elodie Gruneisen, dipl. Ärztin
Service de médecine interne, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne
Elodie Gruneisen
Service de médecine interne
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Rue du Bugnon 46
CH-1011 Lausanne
1 do Vale RR, Conci NDS, Santana AP, Pereira MB, Menezes NYH, Takayasu V, et al. Celiac Crisis: an unusual presentation of gluten-sensitive enteropathy. Autops Case Rep. 2018;8(3):e2018027.
2 Lebwohl B, Sanders DS, Green PHR. Coeliac disease. Lancet. 2018;391(10115):70–81.
3 Schiller LR, Pardi DS, Sellin JH. Chronic Diarrhea: Diagnosis and Management. Clin Gastroenterol Hepatol. 2017;15(2):182–193.e3.
4 Zuvarox T, Belletieri C. Malabsorption Syndromes. Treasure Island (FL): StatPearls, 2020.
5 Bonis PAL, Lamont, JT. Approach to the adult with chronic diarrhea in resource-rich settings. In: Friedman LS, Grover S, editors. Waltham, MA. UpToDate. (Accessed on August 8, 2022.)
6 Truninger K. Abklärung der chronischen Diarrhö. Praxis. 2016;105(3):153–8.
7 Leffler DA, Schuppan D. Update on serologic testing in celiac disease. Am J Gastroenterol. 2010;105(12):2520–4.