Du sollst Dir ein Bildnis machen!
Jubiläumsschlaglicht: Ophthalmologie

Du sollst Dir ein Bildnis machen!

Medizinische Schlaglichter
Ausgabe
2022/0910
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08985
Swiss Med Forum. 2022;22(0910):158-159

Affiliations
Ehm. Augenklinik, Universitätsspital Zürich, Zürich

Publiziert am 01.03.2022

Die Bildgebung hat im visuellen Fach Ophthalmologie gigantische Fortschritte gemacht. Dies prädestiniert die Augenheilkunde dafür, an der Spitze der digitalen Transformation im globalen Gesundheitswesen zu stehen.

Einführung

Die Ophthalmologie ist ein visuelles Fach: Das zu untersuchende Auge wird nicht palpiert oder auskultiert – es wird betrachtet. Und das nicht nur vom ­blossen Auge, sondern mithilfe ausgeklügelter Geräte, die einen optischen Schnitt durch die transparenten Anteile des Auges in mehrfacher Vergrösserung erlauben (Spaltlampen-Biomikroskopie) und das Licht ins Innere des Auges bringen (Ophthalmoskopie). Die Untersuchung der Augenstruktur umfasst häufig auch die Dokumentation des Gesehenen (Fotografie) und die Darstellung der Durchblutung (Fluoreszenzangiografie), seltener die Sonografie. In den letzten 20 Jahren ist eine weitere bildgebende Methode in der Augenheilkunde unaufhaltsam auf dem Vormarsch: Die Optische Kohärenztomografie («optical coherence tomography», [OCT]) [1] (Abb. 1).
Abbildung 1: Histologischer Schnitt durch die menschliche Makula mit der Sehgrube (Fovea centralis) (A). Darstellung der gesunden Makula mit einem hochauflösenden Spectral-Domain-OCT-(Optische Kohärenztomografie-)Gerät (B). Darstellung eines ­Makulaforamens mit einem hochauflösenden Spectral-Domain-OCT-Gerät (C).

OCT als Meilenstein-Entwicklung

Die OCT-Methode funktioniert gewissermassen analog zur Sonografie, doch statt mit Schall wird mit Licht gearbeitet. Sie erlaubt eine hochauflösende, zwei- bis dreidimensionale, nicht invasive In-vivo-Darstellung verschiedener okulärer Strukturen in Echtzeit. Die OCT-Aufnahmen der menschlichen Hornhaut oder Netzhaut ähneln histologischen Schnitten und erlauben es, pathologische Veränderungen zu visualisieren, die mit anderen Methoden nicht erkennbar sind. Die ersten kommerziell erhältlichen OCT-Geräte liessen eine Resolution von etwa 15 μm zu. Inzwischen wurden «high-speed and ultra-high-resolution» Spectral-­Domain-OCT-Geräte entwickelt, die eine Auflösung ­unter 3 μm erlauben – zum Vergleich: Ein Erythrozyt hat einen Durchmesser von 7,5 μm! [2]. Eine weitere neue Entwicklung ist die OCT-Angiografie, mit der ohne Gabe eines Kontrastmittels die Durchblutung einzelner Netzhautschichten indirekt visualisiert werden kann, da Bilder derselben Region rasch nacheinander aufgenommen und untereinander verglichen ­werden: Wo eine Veränderung stattgefunden hat, wird ein Blutfluss postuliert. Diese Methode erlaubt unter anderem neue Einblicke in die Struktur der unter der Netzhaut liegenden Aderhaut.
In den entwickelten Industriestaaten gehört heute die OCT zum Standard in praktisch allen augenärztlichen Einrichtungen. Sie hat sowohl die ­Patientenbetreuung wie auch die Ausbildung der nächsten Generation von Augenärztinnen und -ärzten nachhaltig verändert. Man kann die mit der OCT erreichte Innovation mit der Erfindung der Ophthalmoskopie vergleichen: Jan Evangelista Purkyně bastelte vor bald 200 Jahren einen Augenspiegel, mit dem er bei Hunden erstmals den Augenhintergrund erblickte, Hermann von Helmholtz baute 1850 das erste Ophthalmoskop und heute ist die Visualisierung des Fundus oculi eine Selbstverständlichkeit. Die Erfindung der OCT-Technologie war ein vergleichbarer Meilenstein: Sie erlaubte erstmals die direkte Beobachtung und quantitative Erfassung einzelner Zellschichten der Netzhaut, des retinalen Pigmentepithels und der Aderhaut. Auch Erkrankungen des Sehnerven, von denen der grüne Star epidemiologisch am wichtigsten ist, können dank OCT-Untersuchung besser diagnostiziert und die Glaukomtherapie exakter monitorisiert werden, weil die Dicke der retinalen Nervenfaserschicht und die Dichte der Ganglienzellen in der Netzhautmitte direkt mit der strukturellen Integrität des Nervus opticus korrelieren.
Auch aus der Forschung ist die OCT nicht mehr wegzudenken, allem voran als objektiver und quantifizierbarer Outcome-Parameter von Studien – und das nicht nur in der Ophthalmologie. Da die Netzhaut eine ­Ausstülpung des zentralen Nervensystems darstellt, erlaubt die Bildgebung der Netzhaut mittels OCT Aussagen über krankhafte Prozesse im Gehirn, was beispielsweise der Forschung auf dem Gebiet der Multiplen Sklerose zugutekommt.
Nach dem Loblied auf die OCT sind aber auch einige kritische Punkte anzumerken: Die jüngere Generation von Augenärztinnen und -ärzten ist bereits mit der OCT aufgewachsen, was das Erlernen der direkten Beobachtung des menschlichen Auges in den Hintergrund rückte. Wie jede Technologie, hat auch die OCT-Methode ihre Tücken und muss im klinischen Kontext und unter Beachtung möglicher Fallgruben interpretiert werden. Häufig wird die OCT von einer Hilfsperson angefertigt, noch bevor die eigentliche augenärztliche Untersuchung begonnen hat. Das mag effizient sein, behindert aber den bewährten Weg von der Anamnese über die Untersuchung zur hypothetischen Diagnose, wie es der guten ärztlichen Praxis entspricht. Denn nicht jedes beunruhigende Symptom, das zur augenärztlichen Untersuchung Anlass gibt, kann mithilfe der Bildgebung gedeutet werden. Und nicht ­immer ist ein festgestellter abnormer OCT-Befund ­tatsächlich für die angegebene Sehstörung verantwortlich.
Bisher wurde der Fokus nur auf die OCT gelegt, jedoch sind in den letzten 20 Jahren noch weitere bildgebende Verfahren hinzugekommen oder wurden erfolgreich weiterentwickelt und können isoliert oder in Kombination mit der OCT eingesetzt werden. Als Beispiel sei die bahnbrechende, vorerst nur in der Forschung genutzte Adaptive Optik genannt, mit der optische Aberrationen verschiedener Ursachen korrigiert werden können. Aus der Astronomie kommend wird diese Methode in der Mikroskopie eingesetzt und erlaubt es, am menschlichen Auge einzelne Zelltypen der Netzhaut (Ganglienzellen, Fotorezeptoren, Zellen des retinalen Pigmentepithels) in vivo und in Echtzeit darzustellen.

Augengesundheit global betrachtet

So aufregend die Fortschritte der hochentwickelten Ophthalmologie der letzten beiden Jahrzehnte sind, der Blick soll erweitert werden: Wo stehen wir im Hinblick auf die Augengesundheit der gesamten Menschheit? Die WHO hat sich im Jahr 1999 ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, mit dem attraktiven Namen «Vision 2020: The Right to Sight». In vielen Ländern wird ja die Sehschärfe in «feet» gemessen, wobei ein Wert von 20/20 dem perfekten Resultat entspricht: Aus 20 Fuss Entfernung kann auf der Sehtafel die unterste Linie gelesen werden, was einem Winkel von 1 Grad gleicht. Mit der globalen Initiative «Vision 2020» sollte erreicht werden, dass bis zum Jahr 2020 niemand mehr unnötig blind sein muss. Die Prävalenz der Blindheit ist tatsächlich dank dieser globalen Initiative deutlich gesunken, die absolute Zahl blinder Menschen ist jedoch aufgrund von Bevölkerungszunahme und höherer ­Lebenserwartung gestiegen. Nach wie vor leben 90% der blinden Menschen in den «low and middle income countries», die meisten von ihnen in Subsahara-Afrika. Laut dem sehr informativen «World Report on Vision» von 2019 wird die Anzahl unnötig sehbehinderter Menschen weltweit auf 1 Milliarde geschätzt [3].

Von OCT-Heimgeräten bis Telemedizin

Die Anwendung der OCT-Methode in der Ophthalmologie wird über die Diagnostik hinausgehen und –wie sich bereits abzeichnet – Einzug in die intraoperative Beurteilung bei Eingriffen am Auge finden, seien dies Hornhauttransplantationen, refraktive Eingriffe, Katarakt-, Glaukom- oder Netzhautoperationen. Auch wird die OCT-Methode technisch weiterentwickelt: In Zukunft werden die OCT-Geräte kleiner, erschwinglicher und anwendungsfreundlicher werden und das gesamte Auge abbilden können – ideal, um diese Methode zum Selbst-Monitoring von Patientinnen und Patienten anzuwenden, die das Risiko einer bestimmten Augenerkrankung tragen, und um Screenings durchzuführen [4]. Die vielfältigen bildgebenden Verfahren in der Augenheilkunde bilden die Grundlage der Telemedizin, wofür die COVID-19-Pandemie einen unerwarteten Schub leistete. Eine grosse Hoffnung für die Verbesserung der globalen Augengesundheit stellt der Einzug der digitalen Technologien und der Künstlichen Intelligenz in die Ophthalmologie dar [5]. Basierend auf solchen Systemen könnten die Ziele von «Vision 2020: The Right to Sight» – wenn auch mit Verspätung – in nicht allzu ferner Zukunft ­erreicht werden.
Prof. em. Dr. med. Klara Landau ist Vorstandsmitglied von «Light for the World International» und Präsidentin von «Licht für die Welt Schweiz».
Prof. em. Dr. med .
Klara Landau
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
Klara.Landau[at]usz.ch
1 Drexler W, Morgner U, Ghanta RK, Kärtner FX, Schuman JS, Fujimoto JG. Ultrahigh-resolution ophthalmic optical coherence tomography. Nat Med. 2001;7(4):502–7.
2 Lee B, Chen S, Moult EM, Yu Y, Alibhai AY, Mehta N, et al. High-speed, ultrahigh-resolution spectral-domain OCT with extended imaging range using reference arm length matching. Transl Vis Sci Technol. 2020;9(7):12.
3 World Health Organization. World report on vision. Genf: WHO; 2019. 161 S.
4 Chopra R, Wagner SK, Keane PA. Optical coherence tomography in the 2020s – outside the eye clinic. Eye (Lond.). 2021;35(1):236–43
5 Li JO, Liu H, Ting DSJ, Jeon S, Chan RVP, Kim JE, et al. Digital technology, tele-medicine and artificial intelligence in ophthalmology: A global perspective. Prog Retin Eye Res. 2021;82:100900.